25. Oktober 2015

Immer diese Radler!

Die fahren doch alle viel zu schnell, höre ich immer wieder von Fußgängern, die selber nicht Rad fahren. Fußgängern wäre es am liebsten, es gäbe gar keine Radfahrer. 

Autofahrern wäre das auch am liebsten. Aber bleiben wir heute mal bei den Fußgängern.

Die beschweren sich über rasende Radler. Der da! Sehen Sie den? Dabei ist der Radler im so genannten Mischverkehrsbereich der Tübinger Straße genauso schnell unterwegs wie die Autos vor und hinter ihm, nämlich mit etwa 20 km/h. Was Fußgänger bei Autos als langsam empfinden, kommt ihnen bei Radfahrern unverantwortlich schnell vor.

Es sind stets lange Gespräche, die ich dann führe. Viele eigentlich freundliche Zeitgenossen haben als Fußgänger einen Brass auf Radler. Man sieht sie nicht. Man hört sie nicht. Man quert eine verkehrsberuhigte Straße und plötzlich saust ein Radler vor oder hinter einem vorbei. Der Fußgänger erschrickt und hat das Gefühl, nur knapp einem Unfall entgangen zu sein.

Mein Hinweis, dass der Radfahrer den Fußgänger doch sieht, der da blicklos die Fahrbahn überquert, wird mit Skepsis aufgenommen. Während Fußgänger Autos  gut einschätzen können, die sind ja breit und fahren auf Fahrbahnen, können sie das Verhalten vorn Radfahrern nicht vorhersehen.

Für uns Radler/innen ist es wichtig zu wissen, dass Fußgänger/innen unser Verhalten nicht verstehen und unsere Aktionen als unberechenbar und unmotiviert empfinden. Für sie sind wir grundsätzlich zu schnell. Selbst, wenn wir bremsen und ihnen in die Augen gucken, fühlen sich manche immer noch durch uns gegängelt oder bedrängt.

Ich hatte schon Diskussionen mit Eltern von Kindern im Schlossgarten. Ich bremse zum Stillstand, weil ein Kind den Weg quert. Die Eltern rufen ihrem Kind "Vorsicht!" zu.  Das Kind guckt mich an, stoppt kurz und rennt weiter. Danach schimpfen die Eltern auf mich als Radlerin. Offenbar glaubten sie, ihr Kind sei in Lebensgefahr gewesen. Dabei ist nur etwas ganz Selbstverständliches passiert: Ich habe gebremst, weil ein Kind über den Weg wollte. Die Eltern aber hatten das Gefühl, ihr Kind sei knapp einem Unfall entkommen.

Fußgänger scheinen Radfahrer auf dem Rad nicht mehr als Menschen wahrzunehmen. Das ist ungefähr so wie im Wald die Rehe nicht flüchten, wenn ein Mensch zu Pferd vorbeikommt. Vor Pferden haben Rehe keine Angst, den Reiter nehmen sie nicht wahr. Fußgänger sehen zuerst das Rad, ein Metallgerät mit Geschwindigkeit. Und ein Gerät hat keine Augen. In Verbindung mit dem Fahrrad wird der Radler zu einem Krokodil, das Fußgänger frisst.

Dabei ist es durchaus so, dass Radler und Fußgänger einander auf gleicher Höhe begegnen. Nämlich dann, wenn sie sich in die Augen schauen. Gelingt das, dann verläuft die Konfrontation auch anders. Dann lächelt man sich zu, dann winkt mich der Fußgänger vorbei, weil er mich nicht ausbremsen will.

Leider kann ich nicht hoffen, dass Fußgänger/innen meinen Blog lesen und über ihre eigenen psychologischen Reflexe Radlern gegenüber nachdenken. In Gesprächen versuche ich bei ihnen Verständnis für uns Radfahrer/innen zu wecken. Schauen Sie, jetzt hat dieser Autofahrer diesen Radler so bedrängt, dass er auf den Gehwegbereich ausgewichen ist. Und sehen Sie, der Radler muss doch an dem Zebrastreifen gar nicht stehen bleiben wie ein Auto, er kann sich hinter dem queren Fußgänger vorbeischlängeln. Nein, der Fußgänger ist nicht in Gefahr, der Radler sieht ihn doch. Der Radler sieht auch, wie schnell der Fußgänger den Zebrastreifen überquert. Er kann sogar noch vor ihm durchfahren.

Merke: Wir Radfahrer sehen euch Fußgänger, auch wenn ihr uns nicht seht. Allerdings müssen wir Radler uns hin und wieder auch klar machen, dass Fußgänger, die uns nicht gesehen haben, wirklich erschrecken. Und sie können sich nicht vorstellen, dass wir sie gesehen haben.

7 Kommentare:

  1. Sehr schön beschrieben. Wenn man sich das vor Augen führt, ist es noch unsinniger, dass Radwege auf Gehwegen gebaut werden. Ich liebe es auch, wenn man mit ~20 über einen Radweg rollt und hinter sich ein "nicht so schneeeeeeell" hört. Komischerweise rufen die Leute den Autos die daneben mit 50+ lang brausen nicht hinterher.

    AntwortenLöschen
  2. Das prinzipiell gleiche irrationale Verhalten legen aber auch viele Gehweg-Radfahrer und Radwegforderer an den Tag. Sie sind überzeugt das jedes Auto für sie eine Gefahr darstellt und sie auf der Fahrbahn gleich überfahren würden. Und flüchten deswegen von der Fahrbahn. Dabei sehen Autofahrer Radfahrer auf der Fahrbahn sehr gut. Und trotz das die vorgeschriebenen seitlichen Sicherheitsabstände oft unterschritten werden, gibt es nur wenige Überholunfälle. Gefährlicher ist es objektiv legal auf Radwegen oder illegal auf Gehwegen neben der Fahrbahn zu fahren.

    AntwortenLöschen
  3. Das ist ohne Zweifel so, und ich schreibe immer wieder verzweifelt gegen das Gehewegradeln an. Kürzlich habe ich einen Radler parallel zur Fahrradstraße durch die Fußgänger vorm Breuninger radeln sehen. Wahrscheinlich verstehen sich solche Radler eben doch eher als Fußgänger, sie wollen auch so langsam unterwegs sein wie Fußgänger, nur eben bequemer. Die Psychologie des Radlers ist noch lange nicht erschöpfend verstanden. :-)

    AntwortenLöschen
  4. Ich finde es merkwürdig, dass während in anderen Bereichen der Gesellschaft alles Mögliche daran gesetzt wird die Unterschiede zwischen Geschlechtern oder der Herkunft abzubauen und eine Art Gleichberechtigung zu schaffen, im Straßenverkehr immer noch so hart zwischen Radfahrern, Fußgängern und Autofahrern unterschieden wird.
    Wir sind doch alle Verkehrsteilnehmer, die sich entweder zu Fuß oder halt mir einem technischen Hilfsmittel durch den Alltagsverkehr bewegen. Dieses Hass schürende verhalten diese Gruppe möglichst aufzuteilen, um dann endlich wieder eine Untergruppe zu haben über die man verallgemeinert hetzen kann, ohne Rassist oder Sexist zu sein, kann ich einfach nicht verstehen.
    Hinter jedem Verkehrsteilnehmer steht ein Mensch, der ein Idiot oder auch nicht sein kann. Egal ob er (der Mensch) sich am Steuer eines Autos, eines Motorrades, eines Fahrrades oder wovon auch immer sonst befindet. Oder sogar einfach nur zu Fuß unterwegs ist (vielleicht auch, weil ihm [dem Menschen] das Rad geklaut wurde).

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, das stimmt. Es hat mal ein junger Mann in meiner Gegenwart die Situation der Radler mit der der Feministinnen (eigentlich der Frauen) in den 80er Jahren verglichen. Alles, was Frauen taten, wurde hochgerechnet auf alle Frauen, während Männer als Individuen betrachtet wurden, die verschiedenes Verhalten zeigen. Radfahrer/innen sind für unsere Gesellschaft immer noch Ideologen, durch die sich die Autogesellschaft infrage gestellt und kritisiert sieht. Auch so ein Erbe aus den 80er Jahren.

      Löschen
  5. Ein interessantes Thema.

    "Nein, der Fußgänger ist nicht in Gefahr, der Radler sieht ihn doch. Der Radler sieht auch, wie schnell der Fußgänger den Zebrastreifen überquert. Er kann sogar noch vor ihm durchfahren.

    Merke: Wir Radfahrer sehen euch Fußgänger, auch wenn ihr uns nicht seht."

    Streiche "Radler", setze "Autofahrer". Streiche "Fußgänger", setze "Radler".

    Der jeweils Schwächere soll seinen Sicherheitsabstand von den Bedürfnissen des Stärkeren definieren lassen. Der passt für beide auf. Und ihm kommt die Definitionsmacht von Sicherheit aufgrund seiner höheren sozialen (Verkehrs-)Situation schließlich auch zu.

    Das ist in meinen Augen unziviliertes Verhalten.

    Es geht nicht nur um einen technischen Sicherheitsbegriff. Sicherheit ist mehr. Sicherheit in einem umfassenden, die technische Sicherheit einschließenden bzw ihr zugrunde liegenden Begriff ist zum Beispiel auch Respekt.

    Begegnen sich zwei Menschen, ob zu Fuß, auf dem Rad, im Auto, ganz egal, so findet immer Kommunikation statt. In den meisten Fällen bleibt sie nonverbal. Eines der Kernthemen dieser nonverbalen Kommunikation betrifft die gegenseitige Sicherheit.
    Diese Sicherheitskommunikation äußert sich immer auch in dem Maß der gegenseitigen Respektbezeugung.
    Die Respektbezeugung wiederum äußert sich in dem wo immer möglichen Einhalten von bestimmten räumlichen Abständen.
    Das Raumverhalten ist ein entscheidender Teil der nonverbalen (Sicherheits-)Kommunikation.

    Es gibt im sozialen Miteinander vier verschiedene räumliche Distanzen:

    - die Intimdistanz bis 45 cm. Diese Annäherung steht nur intimen Freunden zu. Nicht zufällig spiegelt sie in etwa die Armlänge wider. Die Unterschreitung der Intimdistanz durch Unbefugte hat den Charakter eines gewaltsamen Angriffs, zumindest seiner Vorbereitung. Wer sie unterschreiten darf ist entweder ein intimer Freund oder jemand mit großer sozialer Macht.

    - die persönliche Distanz von 45 - 120 cm. Sie ist für Bekannte und Gespräche etc vorgesehen

    - die soziale Distanz von 120 bis 360 cm. Diesen (Sicherheits-) Abstand halten, wenn möglich, einander Fremde ein. Nicht zufällig liegt der gerichtlich vorgeschriebene Überholstand Kfz - Rad in diesem Bereich.

    - die öffentliche Distanz ab 360 cm

    Diese sozialen Distanzen unterliegen starken kulturellen Unterschieden.

    Interessant ist die soziale Distanz (120 - 360 cm), in der auch der Überholabstand liegt.

    "So fand Stanley Milgram heraus (siehe dazu: Milgram-Experiment), dass die räumliche Nähe von Versuchsperson und Aufsichtsperson (im Versuch gespielt) dazu führte, dass der Gehorsam ausgeprägter war als bei Nicht-Anwesenheit der Aufsichtsperson. Räumliche Nähe in diesem Sinne [im Sinne von zunehmender Distanzlosigkeit] fördert die (geforderte) soziale Unterordnung." (Wikipedia)

    "Dabei ist es durchaus so, dass Radler und Fußgänger einander auf gleicher Höhe begegnen. Nämlich dann, wenn sie sich in die Augen schauen. Gelingt das, dann verläuft die Konfrontation auch anders. Dann lächelt man sich zu, dann winkt mich der Fußgänger vorbei, weil er mich nicht ausbremsen will."
    Man kann das auch so interpretieren, dass du durch Augenkontakt und Lächeln anstatt respektvollen Anhaltens die Unterordnung des Fußgängers gefördert hast.

    Ich bin ein (einigermaßen) selbstbewusster Radler, der, wo immer möglich, auf sein Recht und auf Respekt besteht.

    Andersrum bemühe ich mich, Anderen, und besonders Schwächeren, mit Respekt zu begegnen. Ich lehne unterwürfiges Verhalten grundsätzlich ab. Insbesondere bei Fußgängerüberwegen oder beim Abbiegen nähere ich mich Fußgängern erkennbar bremsbereit und weise Angebote der Fußgänger, "mir zu liebe" auf ihr Vorrecht zu verzichten, meistens erst einmal nonverbal oder auch verbal ("Nein. Sie haben Vorrecht.") zurück.

    Ich finde nämlich, der Strassenverkehr hat zivilisiertes Verhalten und Respekt verdammt nötig.

    AntwortenLöschen