12. Januar 2017

Radfahren ist gut gegen Missmut

Radfahren als reguläre Fortbewegung anstelle von Autofahrten in den Alltag eingebaut, verändert das Leben. Es macht stärker, mutiger und glücklicher. 

"Wenn du niedergeschlagen bist, wenn dir die Tage immer dunkler vorkommen, wenn dir die Arbeit nur noch monoton erscheint, wenn es dir fast sinnlos erscheint, überhaupt noch zu hoffen, dann setz dich einfach aufs Fahrrad, um die Straße hinunter zu jagen, ohne Gedanke an irgendetwas außer deinem wilden Ritt." Dieses Zitat stammt von Sir Arthur Conan Doyle, dem Erfinder von Sherlock Holmes.

Radfahren hilft bei Depressionen. Radfahren öffnet die Sinne und macht den Geist weit.
Eine Studie hat gezeigt, dass Menschen, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, sich und ihr Leben als weniger glücklich einschätzen als Menschen, die zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren. Und zwar, je weiter die Strecke ist, die sich jemand mit eigener Körperkraft bewegt, desto glücklicher ist er.

Jeden Abend Stau
Eigentlich kein Wunder: Jeden Tag morgens ins Auto, durch den Verkehr geschoben, aus der Tiefgarage mit dem Fahrstuhl an den Arbeitsplatz begeben, abends zurück und bis vors Haus gefahren oder sogar noch Ärger mit dem Parkplatzfinden gehabt, das ermüdet Seele und Körper. Man bleibt eingekastelt in geheizten Räumen, ohne Kontakt zum Wetter und zur Welt da draußen. Strampelt man dagegen bei Sonne, Wind oder Kälte eine Viertel- bis eine Dreiviertel-Stunde zur Arbeit und abends zurück, haben der Körper und mit ihm Sinne und Seele  einen Kurzurlaub genommen. Der Kreislauf pulsiert, man sieht, hört und riecht die Welt um sich herum, unsere unterforderten Sinne wachen auf, das Gehirn ist beschäftigt. Womöglich hat man noch eine Bekannte getroffen, mit der man auch reden konnte. Zudem produziert die Bewegung Endorphine und Adrenalin, die Glücksgefühle auslösen. Ein Gefühl innerer Harmonie stellt sich ein. 

In Tübingen hat eine Studie mit älteren Menschen, die immer wieder Depressionen hatten, ergeben, dass schon 30 Minuten auf einem Fahrradergometer die Blutwerte normalisieren. Die rhythmische Bewegung entspannt und baut Stress ab. 

Leider erreiche ich hier auf dieser Seite die Menschen nicht, die sich in Autos eingkastelt haben und sich das Radfahren gar nicht vorstellen können. Diesem Menschen sei gesagt: Ja, es mag nicht einfach sein, sich den Ruck zu geben. Es ist schwierig, sich aus einer Lebenssituation zu befreien, die man als Last empfindet. Man fühlt sich schwach und kraftlos, und da soll man jetzt auch noch Rad fahren? Außerdem ist der Weg viel zu weit. 

Das Wetter mal wieder fühlen.
Vielleicht ist er aber bei genauerem Hinsehen doch nicht viel zu weit, sondern eben nur weit. Nehmen wir an, Sie sind mit dem Auto 25 Minuten unterwegs, falls Sie nicht anderthalb Stunden im Stau stehen, und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln etwa eine Stunde, falls die S-Bahn nicht ausfällt. Die Strecke mit dem Fahrrad wäre zwar eine direktere, aber Sie müssten trotzdem noch 45 Minuten dafür einrechnen (das entspricht ca. 12 km bei einem Normalfahrrad, ca. 15-17 km bei einem Pedelec). Unmöglich? Bedenken Sie: Es wären nur anderthalb Stunden am Tag auf dem Fahrrad (und zwar zuverlässig, denn Sie stehen nie im Stau). Das Sportpensum wäre auch schon erledigt, ein Fitnessstudio brauchen Sie vorerst nicht. Sie kommen erfrischt zu Hause an und haben noch was vom Abend. Nach spätestens einem Jahr sind Sie ein anderer Mensch: Wacher, selbstbewusster, mutiger, optimistischer, offener für die Welt und ihre Chancen und vermutlich sogar erfolgreicher. Kolleg/innen bewundern Sie dafür, dass Sie mit dem Rad kommen, auch bei Regen, auch bei Kälte. Sie lächeln. 

Mit dem Fahrrad kommt man hier
noch durch. 
Wer Rad fährt, erfährt die Welt aus eigener Kraft, hängt nicht zwischen Autos und Haltestellen fest. Er trotzt Wind und Wetter. In der Natur unterwegs sein, ist natürlich noch schöner, als sich durch den Stadtverkehr zu schlängeln. Aber gerade die Erfahrung, dass man selbst fähig ist, die Stadt anders zu erschließen als über Ampelphasen und Fahrspuren, stärkt das Gefühl, nicht mehr Opfer zu sein von Arbeitszeiten und Fahrplänen, sondern wenigstens einen Teil des eigenen Lebens - die Fahrten durch die Stadt - selbst in der Hand zu haben. Ich schreibe zwar oft über die Hindernisse, die sich in Stuttgart auf Radwegen auftun, aber Radfahrende kann nichts und niemand wirklich aufhalten. Für einen Menschen mit Fahrrad findet sich fast überall eine Lücke zum Durchkommen. Nichts kann Radfahrende aufhalten. 

Sport hilft übrigens auch bei schweren Depressionen. Radfahren kann ein Anfang sein, den Körper wieder in Bewegung zur bringen und soweit zu ertüchtigen, dass man mit einer Ausdauersportart anfangen kann, die genauso gut wirkt wie Antidepressiva, nur dass man dabei keine Nebenwirkungen hat und insgesamt gesünder ist. Mit anderen Worten: Man fühlte sich nicht mehr wie ein Depressiver in Behandlung, sondern wir ein Gesunder. 

Allerdings sollte man sich das richtige Fahrrad zulegen, nicht das Rennrad aus den Erinnerungen jugendlichen Übermuts, sondern - in Stuttgart - ein Pedelec, bei dem Lenkerhöhe und Sattel genau richtig eingestellt sind. Und die erste Fahrt nach Jahren, die man nicht mehr auf dem Fahrrad saß, sollte langsam sein und über Nebenstraßen und Radwege führen, nicht gleich ins Autoverkehrsgewühl. Dann erobert man sich allmählich mit dem Fahrrad die Straßen der Stadt, was auch heißt, die Stadt neu kennenlernen in vielen Winkeln, die man bisher noch nicht kannte. 


10 Kommentare:

  1. Eine Zeit lang war mein "Arbeitsweg" von der Wohnung in Meerbusch Büderich ins Coworking "Garage Bilk" im gleichnamigen Düsseldorfer Stadtteil. Leider war ich angesichts der Aggressivität vieler Autofahrer oft angespannter im Büro als bei Abfahrt zuhause. Einige Streckensabschnitte ließen sich nicht vermeiden (es gibt nur eine begrenzte Zahl Rheinbrücken), so dass hier der Vorschlag mit Nebenstrecken nur bedingt funktioniert. Dennoch bin ich einigermaßen gerne mit dem Rad gefahren, denn: Auto fahren in Düsseldorf ist zumindest zu den Hauptverkehrszeiten langsamer und stressiger.

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  2. "Leider erreiche ich hier auf dieser Seite die Menschen nicht, die sich in Autos eingkastelt haben und sich das Radfahren gar nicht vorstellen können."

    Sie können sich das Radeln nicht vorstellen, weil sie sich durch ihr teilweise asoziales und strafbares Verhalten (->aber wann gibt es schon mal Zeugen, wann passiert schon mal was? Logik: Wenn nichts passiert, ist doch alles super! Selbiges, wenn keine Zeugen da sind.) im Straßenverkehr ggü. schwächeren Verkehrsteilnehmern das beste Gegenargument liefern. Vmtl. schwingt da unter der Oberfläche eine ungewollte Selbsterkenntnis mit. Nur die Harten widerstehen dieser. Und Stuttgart ist richtig hart. So hart, dass sogar Polizisten- und Ordnungsamtsdarsteller die Regeln nicht kennen (->Voraussetzung von Regeldurchsetzung, wenn man von Blindflug mit Glücktreffern absieht), obwohl diese doch meist selbst im Besitz einer Fahrerlabnis sind und somit über rudimentäre Regelkenntnis verfügen sollten.

    Ich kann die Fahrverbote kaum erwarten! Das wird eine neue Stadt!

    David

    PS, offtopic:
    Irre ich mich, oder kommt der Radweg Neue Weinsteige wirklich?

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  3. Der Kauf eines Rennrades hat wenig mit jugendlichem Übermut zu tun. Radsportler geben als Motive für ihr Hobby oft folgendes an: Spaß an der Bewegung, Naturerlebnis, etwas für sich tun, Gewichtskontrolle und andere gesundheitliche Aspekte, Erleben und Austesten eigener sportlicher Grenzen, ...

    Auch für eine Stadt wie Stuttgart gibt es Rennrad-Modelle, die geeignet sind. Vergleichsweise aufrechte Position, 3-fach Kurbel, ... Schließlich gibt es Menschen, die aufm Rad auch mal die Alpen überqueren. Und die benutzen  unter anderem solche Räder. Oder die Langstreckenradler, die auf 200 km 2000 Höhenmeter bewältigen.

    Nicht jeder leistet sich mehrere Räder für unterschiedliche Einsatzbereiche, sondern eines, eben einen Kompromiss. Und der kann für Stuttgart durchaus ein Rennrad sein.

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    1. Ein Plädoyer für das Rennrad musste an dieser Stelle sein. Natürlich habe ich nichts gegen Rennräder, warum auch. Der Gedanke, der hinter meinem Satz steckte, war nur, dass jemand, der bis 25 Rennrad gefahren ist, auch auf jeden Pass, nach 30 Jahren Abstinenz mit 55 vielleicht nicht unbedingt wieder ein Rennrad kaufen muss, falls er eher ans Stadtradeln denkt. Radfahren verlernt man zwar nicht, aber die Reaktionsschnelligkeit und Kenntnis der Verkehrsverhältnisse für Radfahrer hat in der Zwischenzeit abgenommen. Man kann die Jugend mit dem Kauf eines Rennrads nicht zurückholen und wäre womöglich auch schnell wieder frustriert, wenn's dann eben nicht so flott geht wie man das von sich gekannt hat. Kauft man sein ein Trekkingrad, dann stellt man nicht so viele Vergleiche an und stellt sich auf ein anderes Radfahren ein. Mehr wollte ich damit nicht sagen. Ich kenne Leute, die mit über 70 mit Rennrädern überall hin fahren, die sind aber ihr Leben lang geradelt.

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    2. Nun gut, meine Statement war weniger ein Plädoyer für Rennräder als eines gegen absolute Aussagen. Inhaltlich sind wir nahe beieinander. Ich habe selbst erfahren, was 10 Jahre (nicht 30) bewirken. Mein erstes Rad Wasser tatsächlich ein Trekking-Rad. Einige Jahre später kam dann wieder ein Renner. Jede Ausfahrt war zu Beginn eine Herausforderung. Spur halten, wenn man überholt wird, Seitenwind, Blick über die Schulter nach hinten, schnelle Abfahrten, ... Alles ungewohnt und auf nem Renner am Anfang ganz schön wackelig.


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    4. Ich bin einer derjenigen, die 20 Jahre wenig Rad gefahren sind und der Renner hat im Keller vor sich hingestaubt.
      Vor 3 Jahren kam dann ein Pedelec her, weil mir klar war, dass der innere Schweinehund sonst leichtes Spiel haette. Seitdem bin ich 25000 km elektrisch gefahren und habe das Auto weitgehend stehen gelassen.
      Das fuehlt sich verdammt richtig an und ist fuer mich keinerlei Konflikt mehr.
      Der Renner darf bei Schoenwetter ran und macht ploetzlich auch wieder Spass.

      Gruss - Matthias

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  4. Herzlichen Dank für dieses die Seele erfrischende Statement und die Liste der Zitate. Dabei fällt mir ein: "Das Leben ist wie Radfahren. Man muss in Bewegung bleiben, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren". Das Zitat ist nicht von mir, sondern: von wem?

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  5. Ähm, ja. Also bei mir hilft Radfahren hier in Stuttgart so gar nicht gegen Missmut, eher im Gegenteil, er wird mehr geschürt. Denn das Verhalten der autofahrenden Verkehrsteilnehmer, das einem tagtäglich so entgegengebracht wird, ist alles andere als entspannungsfördernd. Dazu kommt noch der Zustand der Radinfrastruktur. Der Missmut schwindet bei mir eigentlich erst außerhalb der Stadt, und auch dort nur wirklich sonntagmorgens wenn man wirklich mal Ruhe zum Radfahren hat. Dazu kommt dann noch die ganze Feinstaub- und Stickoxidproblematik... bestimmt ist Radfahren die bessere Alternative, wirklich stressfreier fährt man hier damit gegenwärtig - zumindest meiner Meinung - nicht.

    "Jeden Tag morgens ins Auto, durch den Verkehr geschoben, aus der Tiefgarage mit dem Fahrstuhl an den Arbeitsplatz begeben, abends zurück und bis vors Haus gefahren oder sogar noch Ärger mit dem Parkplatzfinden gehabt, das ermüdet Seele und Körper."

    Vielleicht sollte man dieses Lebensmodell generell mal überdenken, ich denke nämlich nicht, dass das Ermüden von Seele und Körper nur von der Art des Verkehrsmittels abhängt. Aber das ist ein anderes Thema. :)

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