23. April 2018

Kriegsrhetorik gefährdet Radfahrer

Wir haben uns angewöhnt, die Konflikte zwischen Auto- und Radverkehr als Krieg zu beschreiben. Das rechtfertigt gewissermaßen unser Verhalten.

Ist der andere mein Feind, dann darf ich zur Selbstverteidigung greifen. Ich darf mich gewissermaßen in eine aggressive Grundhaltung bringen und dann gewalttätig und strafend verhalten.

Opfer sind in jedem Krieg die Schwächeren. Also die Radfahrer. In Deutschland stirbt alle 22 Stunden ein Radfahrer, schreibt Thomas Hummel in der Süddeutschen Zeitung, der ein Interview mit Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer geführt hat. Alle 36 Sekunden wird einer schwer verletzt. Wir haben offenbar entschieden, unsere Verkehrstoten stumm hinzunehmen, sagt Brockmann. Dieselbe Süddeutsche Zeitung lässt aber auch einen Autor Radfahrende als "Strampelnazis" titulieren.

Da hat keine redaktionelle Kontrolle eingegriffen, um den Begriff wenigstens als geschmacklos rauszustreichen, dabei werden Nazi-Vergleiche bezogen auf andere Personen und Verhältnisse ansonsten als Skandal werden. Das fällt in die Kategorie von "Rüpel-Radler", "Kampfradlern" und "rasenden Radfahrern", mit der vor allem die Medien in ihrer Sucht nach griffigen Begriffen, Bonmots und populistischer Beifallsheischerei Radfahrende in die Ecke der Bösen stellen, die uns terrorisieren. Einfach mal so.

Auch wir Radler sind von der Rhetorik nicht frei. Wir sehen uns zuweilen als Guerilleros (Krieger), wir erleben uns in Lebensgefahr und greifen zur Selbtsverteidigung, die sich übrigens darauf beschränkt, mal auf eine Autodach zu hauen, was nur geht, wenn uns dieses Autos sehr, sehr nahe gekommen ist. Es gab in Stuttgart auch den Fall, dass ein Radfahrender einem Auto sein Fahrrad auf die Windschutzscheiebe geworfen hat, vermutlich weil der Autofahrer ihm in der Einbahnstraße keinen Platz eingeräumt hat, was er muss. Ich kenne allerdings auch einen Fall, wo eine Autofahrer einem Radfahrer eine Kopfnuss versetzt hat, weil der neben seiner Freundin die Fahrradstraße entlang radelte und der Autofahrer nicht überholen konnte.

Solche Ausbrüche von Wut und Gewalt sind ohne Zweifel Ergebnis einer aggressiven Grundhaltung anderen Verkehrsgattungen gegenüber, und sie sind typisch für die beiden Gattungen Autoverkehr und Radverkehr. Fußgänger bleiben in diesem Kriegsgebiet außen vor. Autofahrer haben gelernt, dass man Fußgänger nicht jagt, abstraft und beschimpft. Umgekehrt sind auch Fußgänger engelsgeduldig mit Autofahrern, die ihnen am Überweg oder an einer Straßenecke den Vorrang nehmen. Fußgänger und Autos sind allerdings auf getrennten Bahnen unterwegs. Der Autoverkehr wird nur kurz angehalten, um Fußgängern den Übergang über eine Fahrbahn zu ermöglichen. Der Fußgänger kratzt die uneingeschränkte Dominanz des Autoverkehr so gut wie nie an.

Radfahrende allerdings beanspruchen durchaus Platz auf der Fahrbahn und bremsen damit zuweilen Autos aus. Die Autofahrergesellschaft will diese Radler da nicht haben, will ihnen aber auch keine Radstreifen gönnen, wenn sie dem Autoverkehr Raum wegnehmen. Für Radfahrende bedeutet das, sich gelegentlich auf einer Fahrbahn zu behaupten, also sich den Platz zu erstreiten. Und schon befinden wir uns in einer konflikthaften Situation, die je nach Naturell (und Geschlecht) des Rad- und/oder Autofahrers ins kriegerische, wütende und gewalttätige kippt. Nicht gut!

Was Autofahrende dabei oft vergessen: Wegen der großen Betriebsgefahr, die von ihrem tonnenschweren Gefährt ausgeht, sind sie zu erhöhter Rücksichtnahme verpflichtet und werden immer mit in Haftung genommen, wenn einem Radfahrer oder Fußgänger etwas passiert, weil sie, die Autofahrenden, versucht haben, sich durchzusetzen mit Blech und PS. Die Waffen sind da nämlich durchaus sehr ungleich verteilt.

Ich bin mal eine schmale Straße hochgeradelt und zwar so, dass mich ein hinter mir fahrender breiter Mercedes-Jeep nicht überholen konnte. Als er dann eine Chance sah, orgelte er knapp an mir vorbei, bremste und zog zum Bordstein hinüber, sodass ich eine Notbremsung machen musste, um nicht am Bordstein zu stürzen. Was für ein Held, der einen Panzer dafür einsetzt, einen Menschen zu verletzen! Autos sind die einzigen Geräte im Straßenverkehr, deren Insassen andere verletzen und töten können, ohne selbst dabei auch nur einen Kratzer abzubekommen. Und manche setzen ihr Auto, blind vor Zorn, tatsächlich als Waffe ein. Übrigens nicht, weil sie sich gefährdet sahen, nicht zur Selbstverteidigung, sondern weil sie sich ausgebremst fühlten. Einfach nur deshalb.

Mir wäre es deshalb lieber, wir würden uns mehr Mühe geben, bei der Besprechung von Verkehrssituationen ein weniger kriegerisches Vokabular zu  benutzen. Und es wäre besser für uns alle, wir würden nicht die Gegnerschaft betonen, sondern an der Sache interessiert nach Lösungen suchen, die unser Miteinander im Straßenverkehr friedlich und stressfrei gestalten.






12 Kommentare:

  1. Alles richtig.
    Um dem oben beschriebenen hobbes'schen Naturzustand zu entfleuchen, treffen moderne Gesellschaften eine Vereinbarung, den sog. Gesellschaftsvertrag. Dieser besagt ungefähr, dass alle sich darauf einigen, ein Stück ihrer Freiheit abzugeben, sich an vereinbarte Regeln halten und dafür ein insgesamt angenehmeres Leben führen zu können. Dies betrifft insbesondere den Schutz Schwächerer.
    Seit Jahrzehnten durch Stuttgart radelnd, kann ich diesen Schutz nicht wirklich erkennen.
    Nun wissen aber schon ganz lange alle, die es hören wollen und auch nicht, wie sich die Situation darstellt. Themen sind Umweltschutz, urbane Qualität, Sozialverträglichkeit, körperliche Gesundheit, Eigenverantwortung, usw. usf.

    Die politische Führung hatte in dieser Zeit in wechselnden Konstellationen, aber auf allen Ebenen, eine dezidiert der Förderung des Fahrradverkehrs verpflichtete Partei. In weiten Teilen hat sie diese Führung noch immer, zumindest in Stuttgart der Hauptstadt Baden-Württembergs.

    Fast möchte man von Staatsversagen sprechen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Anonyma oder lieber Anonymus, keinen Namen nennen, aber pauschal anderen Versagen vorwerfen, das finde ich nicht gut. Die Fahrradfraktionen haben im Gemeinderat nicht die Mehrheit. Und dort wird entschieden, was konkret gebaut wird. Die Grünen können zwar unermüdlich Anträge einbringen und zur Abstimmung stellen, aber wenn nicht zwei weitere Parteien dabei sind, geht gar nichts. Da haben vielleicht die Wähler/innen versagt, aber nicht gleich der ganze Staat. Wir leben ja in einer Demokratie, nicht in einer Diktatur.

      Löschen
  2. Herzlichen Dank für deinen essentiell wichtigen und richtigen Beitrag. Auf Dauer hilft nur, Ruhe und Gelassenheit zu bewahren mit dem Ziel der konstruktiven Argumentation und Sachlichkeit. Mir persönlich gelingt dies manchmal, aber nicht immer, weil Emotionen und Provokationen in Konflikten schlicht nicht zu vermeiden sind … so ist das bei uns Menschen, zumal bei Radfahrenden, die regelmäßig gefährlichen oder gar lebensbedrohlichen Situationen ausgesetzt sind. Und die Kommunikation in Schriftform ist per se wesentlich anspruchsvoller und konfliktträchtiger als das direkte Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Aber die meisten von uns geben sich wirklich große Mühe. Viele Grüße.

    AntwortenLöschen
  3. Nunja. Alles richtig. Zumindest oberflächlich. Allerdings werden hier meines Erachtens (wie bei Verkehrsthemen üblich) hauptsächlich die Symptome einer ziemlich kranken Gesellschaft bemängelt. Denn das, was auf der Straße als "Krieg" wahrgenommen wird, offenbart doch nur das, worauf unsere Gesellschaft halt nun einmal basiert: ständiger "Wettbewerb", den stetigen Kampf eines jeden um einen Platz innerhalb dieser Gesellschaft. Der Siegeszug des Neoliberalismus hat den Massen jegliche Solidarität und Empathie ausgetrieben und sie zu egoistischen Einzelkämpfern abgerichtet. Denn bekanntlich sei ja "Jeder seines Glückes Schmied" oder auch "wenn jeder nur an sich denkt, ist an alle gedacht".

    Auf der Straße kommt das nur ungefilterter zum Vorschein. Als in der Familie, im Job oder im Verein. Wir züchten eine Gesellschaft heran, die diesen Namen eigentlich nicht mehr verdient ("there's no such thing as society" - Margareth Thatcher) - und wundern uns dann, wenn die Leute auf der Straße immer dickere Panzer fahren - mit denen sie die weniger Verkehrsteilnehmer von der Straße verdrängen.

    Das ist kein bug, sondern ein feature! Die daraus resultierenden Probleme auf den Straßen wird man jedenfalls ohne Besinnung auf eine ingesamt humanere Gesellschaft nicht in den Griff kriegen...

    AntwortenLöschen
  4. Das größte Problem ist die Haltung des "wir" und "die anderen". Man sieht sich als verfeindete Gruppen. Auflösen lässt sich das nur, wenn jeder die Perspektive des anderen kennt (und dabei nicht aus der Übung kommt). Hier in Leipzig läuft das Miteinander relativ gut - 90% der Erwachsenen geben an, wenigstens einmal pro Woche Rad zu fahren. Das sind wahrscheinlich dann die paar Kilometer zu einem Tagebausee oder Sonntags zum Bäcker. Aber das genügt, um eben den Straßenverkehr auch aus Sicht des Radfahrers zu erleben.

    Umgekehrt sollten die sehr ambitionierten Radler, die auf den PKW komplett verzichten ab und an mal Auto fahren, um selbst zu erkennen, welche Gefahren entstehen, wenn schnelle Radler für den Autofahrer unerwartet auftauchen. Im Auto hat man eben weniger Übersicht als auf dem Rad.

    Wenn man abwechselnd in allen Modi unterwegs ist, ist man nicht eben nicht Radfahrer oder Autofahrer, sondern einfach nur "Verkehrsteilnehmer".

    AntwortenLöschen
  5. Und noch ein Nachtrag: Ich hoffe, dass Stuttgart Fahrverbote bei Smog- und Feinstaubwetterlagen vornimmt, beispielsweise wie es Paris getan hat, nach ungeraden und geraden Ziffern auf dem Kennzeichen. Das zwingt vile Autofahrer dazu, die andere Seite kennen zu lernen - vielen wird es nicht gefallen, andere werden Spaß haben und den Kauf eines E-Bikes der Anschaffung eines Euro-6d-Diesels vorziehen.

    AntwortenLöschen
  6. Extreme Rhetorik hilft in der Sache nie, da sie nur durch weitere Steigerung übertroffen werden kann.
    Mir ist der Artikel zu einseitig. Konflikte gibt es auch zwischen Fußgänger und Fußgänger, Autofahrer und Autofahrer, etc.
    Bei Konflikten mit Radverkehr stelle ich mir die Frage, ob das nicht gewollt ist!? Mehr Radverkehr ohne Ausbau der Infrastruktur führt zu Konflikten. Wird z.B.durch Förderung von bikes erhöht. Auf der anderen Seite werden durch mangelhaften Ausbau, wie Radweg vor dem Milaneo (Heilbronner Straße), Konflikte bewusst geplant.
    Mir fehlt in Stuttgart der politische Wille und insbesondere der Weitblick für eine zukunftsfähige Mobilität.
    Viele Grüße Niko

    AntwortenLöschen
  7. Jaja die anderen und ihre Kriegsrhetorik. Ich mag sie auch nicht. Und ich kann auch gerne auf Nazivergleiche und Schimpftiraden verzichten.

    Nur finde ich die Kriegsrhetorik aber auch auf dieser Seite. Im Artikel von heute schreibst du von einem Panzer - ein Kriegsgerät. Und von Waffen, die ungleich verteilt sind.

    In dem Beitrag "Kreisverkehr bleiben gefährlich" berichtest du über Autofahrer, die durch den Kreisel geradeaus "durchschießen" können. Aus einem Autofahrer samt seinem KFZ wird ein gefährliches Geschoss. Warum nicht gleich ein todbringendes Projektil?

    Und sie schießen nicht einfach so durch. Sondern "mit Karacho". Dieses schöne Wort ist aus dem Spanischen entlehnt. Und dort ist es ein derber Fluch/Ausdruck für "Penis".

    Diese Formulierung aus der Feder einer Feministin/Frauenrechtlerin hat schon was Erheiterndes 😁

    Und in dem Artikel "die unsichtbare Radfahrerin" schreibst Du:

    "Unter den Männern gibt es vermutlich auch mehr Radler, die das Fahrbahnradeln im Stellungskampf mit dem Autoverkehr bevorzugen, ...." ⚰

    Soso, Stellungskampf. Ich habe diesen Begriff in Wikipedia eingegeben - und werde weitergeleitet auf die Seite "Stellungskrieg". Eine "defensive Form der Kriegsführung". Und "viele Stellungskriege sind Grabenkriege" 🔫

    Immer die anderen mit ihrer Kriegsrhetorik 🎯

    So, jetzt ist auch genug. Deinem Artikel kann ich inhaltlich nur zustimmen. Jede/r Tote und jede/r Schwerverletzte/r ist eine/r zu viel. Und eine schnelle, einfache und billige Maßnahme, um die Zahlen zu senken, wäre Tempo 30 innerorts - und zwar flächendeckend. Das ziehen wir 2 Jahre durch und ziehen danach Bilanz.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Blödsinn rutscht einem/r ja auch immer mal durch. An manchem habe ich nicht lang genug gefeilt. Ich fürchte, aber, ich werde, genauso wenig wie andere, meine Sprache nicht um alle Worte bereinigen können, die Assoziationen an Aggression, Kriegsgeschehen oder machistische Haltungen oder andere Despektierlichkeiten enthalten, falls ich das wollte. (Will ich aber gar nicht, denn Realität muss auch noch beschrieben werden können, und falls du meine Krimis kennst, weißt du ja, wie ich zur politischen Korrektheit stehe). Heraus käme eine Sprache, die sich auf eine sterile und ängstliche politische Korrektheit beschränkt und auch lächerlich wirkt. Übrigens bist du jetzt der erste, der mich auf diesem Blog sehr persönlich angreift und versucht, mich irgendwelcher Dummheiten zu überführen und mich als jemanden darzustellen, die sich lächerlich macht. Vielleicht ist dir mal aufgefallen, dass ich das persönliche Angreifen und lächerlich Machen vermeide. Statt über das Thema zu diskutieren, den Sprecher/die Sprecherin anprangern, das mag ich persönlich überhaupt nicht an Diskussionen. Es führt ja auch zu nichts, außer dass sich der eine über die andere erhebt. (Im Blog selber habe ich ja keine der beiden Seiten, Radler und Autofahrer von Aggressivität freigesprochen.) Und ich erklär dir jetzt auch nicht, warum Panzer zum Auto passt, wenn wir uns im Straßenverkehr einem "Krieg" ausgesetzt sehen. Dir macht das offenbar großen Spaß. Kannst echt stolz auf dich sein, lieber Matthias. Vor allem, weil du Gesicht und vollen Namen komplett versteckst, ganz im Gegensatz zu mir. (https://www.blogger.com/profile/04758274123260218487) Wie würdest du diese Haltung nennen? Die eines Heckenschützen?

      Löschen
    2. OMG, ich empfehle dringend die Lektüre von Guy Deutscher - "The Unfolding Of Language", die einem die Augen für den Ursprung von Begriffen öffnet. Einen Panzer hatten Schildkröten schon lange vor Kriegsgerät und geschossen haben unsere Vorfahren mit Pfeil und Bogen schon zu Zeiten, als die Gruppen von Menschen so klein und weit versprengt waren, dass Pfeil und Bogen eben der Jagd und nicht dem Krieg dienten. Und ja, wer mit "Karacho" fährt, möchte damit vielleicht Potenz signalisieren (möglicherweise geht es nicht anders...). Sprache darf derb sein und auch Feministinnen und Feministen dürfen roh und überspitzt formulieren, wenn es treffend ist.

      Löschen
    3. Liebe Christine,

      hier ist was gründlich schief gegangen. Eine öffentliche Diskussion führt hier nicht weiter. Dein Blog dreht sich um sachliche Themen, nicht um persönliche.

      Du findest eine persönliche Nachricht in deiner Mailbox samt Einladung zu einem klärenden Gespräch.

      Viele Grüße

      Löschen
    4. In Ordnung, manchmal geht etwas schief. Das ist keine Katastrophe. 😊

      Löschen