"Kürzlich fuhr vor mir eine Frau in einem nicht ganz billigen Auto. Sie war schätzungsweise Mitte vierzig und sah aus wie eine gestrenge Grunschullehrerin. Es war nicht viel Verkehr. An einer Kreuzung fuhr sie ohne abzubremsen weiter, obgleich die Ampel längst auf Rot gesprungen war. Ich habe mich gefragt, wie es zu dem großen Missverständnis in der Entwicklung des Autoverkehrs gekommen ist.
Viele Autofahrer sind felsenfest davon überzeugt, dass die Verkehrsregeln für alle, nur nicht für sie gemacht wurden. Sie ignorieren Ampeln, fahren verkehrtherum in Einbahnstraßen, parken auf Radstreifen und Gehwegen, fahren weiter, obwohl die Ampel auf Rot gesprungen ist, lassen Motoren heulen, rasen durch Wohnstraßen und lassen sich nur durch Blitzer dazu bewegen, die vorgeschriebenen 50 km/h auch einzuhalten. Menschen, die sonst nachweislich Respekt und Vorsicht walten lassen und zu Fuß oder mit dem Fahrrad niemanden anrempeln würden, bringen Fußgänger in Gefahr und schneiden Radfahrer, biegen ab, wo es verboten ist, wenden unerlaubt über Stadtbahnschienen und übersehen dabei regelmäßig die Stadtbahn.
Die Folgen sind dramatisch.
Mit Logik ist das nicht zu erklären. Ich habe eine Freundin, die viel Zeit und Geld in ihre Ernährung steckt, weil sie Angst hat, dass Massentierhaltung und Pestizide auf lange Sicht ihren Körper schädigen könnten. Um dann regelmäßig in ihr Auto zu steigen, über die dreckigste Kreuzung Deutschlands zu fahren und die sich in der Kabine besonders reichlich ansammelnden Feinstäube und Stickoxide einzuatmen.
Die Folgen dieser kollektiven Unvernunft sind dramatisch. Wir mussten immer wieder über viele schwere, manchmal tödliche Unfälle schreiben. Ein SUV-Fahrer wird durch viel Blech geschützt und biegt nach rechts über einen Radweg ab, wo ein Kind soeben Grün bekommen hat und im Vertrauen auf die Verkehrsregeln losfährt. Es überlebt diese Fahrt nicht. Es deutet vieles darauf hin, dass Größe, Schwere, Geschwindigkeit und fehlende Übersichtlichkeit des Autos für den Tod des Kindes mit verantwortlich sind. Warum ist das unter Autofahrenden so selten Thema? Sonst haben die Liebhaber dieses Verkehrsmittels ja durchaus ein gesundes Sendungsbewusstsein. Niemand bestreitet, dass sie besonders gefährliche Verkehrsteilnehmer sind. Es ist daher wichtig, dass auch hierzulande noch mehr Geschwindigkeiten begrenzt und gefährliches Verhalten sanktioniert werden. Warum aber bringen ausgerechnet Autofahrende so viele andere in Gefahr?
Eine Bande von Gesetzlosen.
Vielleicht erklärt sich das so: Für viele Jahrzehnte schien das Auto unbestrittener Herrscher auf den Straßen und ganzer Stolz derer, die ihren Wohlstand beweisen und sich als Herren (und Herrinnen) fühlen wollten. Als eines von vielen Möglichkeiten, die Anforderungen einer vernünftigen Mobilität zu bewältigen, galt es bisher nicht, schon gar nicht für Stadtplaner. Und wer ein so teures Gerät aus örtlicher Autoproduktion fährt, darf sich als einzige und echte Stütze der Wirtschaft fühlen und muss keine Rücksicht walten lassen und keine Verkehrsregeln befolgen, mögen sich die Autofahrer denken. Und so haben sie sich zu einer Bande von Gesetzlosen entwickelt.
Die Zeiten haben sich aber geändert. Inzwischen gilt das Rad als Zukunftstechnologie für Großstädte und das Auto als Dinosaurier, und das nicht ohne Grund. Für kurze Strecken ist Auto unpraktischer als das Fahrrad, umweltschädlicher ist es sowieso. Jetzt ist es höchste Zeit, dass die Autofahrer endlich erwachsen werden und Verantwortung für sich und ihre Umgebung übernehmen."
Wie bitte?
Radfahrer, werdet endlich erwachsen, Düsseldorfer Zeitung |
Allen, die es bis hierher geschafft haben, ohne einen Herzkasper zu kriegen (vor Ärger oder vor Vergnügen), sei versichert und gestanden: In dem Artikel geht es eigentlich um Radfahrer. Er ist in RP online in der Kolumne "Die Woche in Düsseldorf" unter dem Titel erschienen: Radfahrer, werdet endlich erwachsen.
Ich habe nur mal Radfahrer gegen Autofahrer ausgetauscht und ein paar typische Details geändert.
Die Welt stimmt wieder, wenn ihr nun Auto wieder durch Fahrrad ersetzt oder eben gleich den Originalartikel lest.
Mit Radfahrern darf man das offenbar machen. Mit Autofahrern auch? Ich habe es gemacht, damit ihr Autofahrenden mal spürt, wie das ist, wenn man verspottet, getadelt und skandaliseirt wird, nur weil man ein bestimmtes Fahrzeug benutzt. So fühlt sich das an, wenn man mit Pauschalurteilen als eine Spezies hingestellt wird, die andere und sich selbst blind gefährdet. Wobei die Behauptung, Radfahrer hielten sich an keine Regeln immer so klingt, als seien dies alle ohne Ausnahme. Wir alle wissen aber, dass sich auch viele (nicht alle!) Autofahrer nicht an die Regeln halten. Sagen wir darum, es seien alle?
Es wird also dringend Zeit, dass unsere Medien mitsamt der Kolumnisten mal erwachsen werden und sich um eine halbwegs objektive Analyse unserer Verkehrsverhältnisse bemühen, statt populistisch auf Radfahrende draufzuhauen.
Wobei übrigens das Titelfoto des Originalartikels den Text konterkariert, der ja behauptet, nur die Radfahrenden würden Regeln verletzen. Da steht ein Auto auf dem Gehweg und Radweg, und die Radfahrer müssen sich zwischen ihm und dem Verkehr durchfädeln.
Vergleiche dazu auch:
Ich habe ja nichts gegen Radfahrer, aber ...
In 90 Minuten fahren 100 Autos illegal die Alte Weinsteige runter
Ich fand deinen "umgeschriebenen" Artikel ziemlich plausibel! Biete ihn doch einfach mal rp-online an ;-)
AntwortenLöschenHihi.
LöschenBitte an Stuttgarter Zeitung etc. senden. Der Artikel ist Super.
AntwortenLöschenIdee und Artikel sind genial. Danke.
AntwortenLöschenOffenbar gefällt einigen Blog-Lesern die Parodie des RP Artikels. Ich persönlich finde den original Artikel genauso wenig lesenswert wie die Parodie. Kolumnisten können ihre Meinung behalten, besonders wenn sie wenig nachgedacht haben wie dieser. Christines Parodie bringt Traffic auf die RP Webseite und erzielt damit Werbeeinnahmen. Der Kolumnist hat damit sein Ziel erreicht. Er möchte genau wie andere Populisten (Trump;AFD) im Gespräch bleiben, egal wie.
AntwortenLöschenLieber Carsten, mir hat der Originalartikel so wenig gefallen, dass ich mich fragte, warum erscheint so Zeug immer noch. Es wäre schlimm, wenn uns nun der umgedrehte Artikel gefiele. Der gefällr mir auch nicht, weil mir solche Artikel überhaupt nicht gefallen. Und das wollte ich mal spürbar machen. Und so steht es auch drin. Ich meine doch nicht das, was da über Autofahrer steht. Ich zeige nur, wie verkehrt es ist, so zu schreiben. Wenn es gegen Radler geht, sind wir es schon so gewöhnt, dass wir kaum noch reagieren. Muss man ab und zu mal tun. Finde ich.
LöschenEhrlich gesagt gefällt mir der Tenor des Originalartikels.
AntwortenLöschenDer Autor sagt: Früher kümmerte sich niemand um eine vernünftige Radinfrastruktur, deswegen wurden Radler verständlicherweise zu Outlaws. Jetzt sollten Radfahrer allerdings vernünftig fahren, den jetzt gibt es ja eine gute Infrastruktur, die sie ernst nimmt...
Tja, und da kommt der Artikel zwanzig Jahre zu früh.