22. Dezember 2018

Bürgerpolizei?

Wie ist das eigentlich, wenn ich ein Foto von einem Falschparker auf dem Radweg mache und es an die Polizei oder ans Ordnungsamt schicke? 

Es werden immer mehr, die das tun, darüber berichtet auch der SWR. Denn die Polizei kommt offensichtlich nicht hinterher bei den Unmengen Ordnungswidrigkeiten, die Autofahrende begehen, indem sie auf Gehwegen parken, sodass Fußgänger auf die Fahrbahn runter müssen, oder Radstreifen zuparken, sodass Radler in den fließenden Verkehr ausscheren müssen. 2014 startete Heinrich Strößenreuther (Berliner Radentscheid) die App Wegeheld, mit deren Hilfe man vom Handy aus Autos, die einen behindern, direkt ans Ordnungsamt der Stadt mit Foto, Kommentar und eigener Adresse melden kann. Ist das Denunziation oder Bürgerengagement? Die App macht den Ordnungsämtern auf jeden Fall mehr Arbeit. Und das Stuttgarter Orndungsamt reagiert auch auf diese Wegeheldanzeigen.

Dann darf man das also und kann es auch tun, als Privatpersonen Falschparker bei der Polizei anzeigen? Im Prinzip, ja. Aber die meisten, die das regelmäßig machen, dürften auch mal ein Schreiben vom Ordnungsamt bekommen haben, in dem sinngemäß steht:

Nach geltendem Gesetz und Rechtsprechung braucht man keine Privatpersonen zur Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, das ist eine hoheitliche Aufgabe und obliegt den Behörden. In Einzelfällen wird das Ordnungsamt Stuttgart aber durchaus tätig, wenn der Anzeigende persönlich tangiert ist, also selber entweder als Radfahrer oder Fußgänger behindert oder gefährdet wurde und das ganz konkret erklärt oder dokumentiert.

Dass dafür noch ein Zeuge benannt werden sollte, sagt das Stuttgarter Ordnungsamt nicht so direkt. Aber Zeugen helfen dem Amt, eine Verfolgung der Anzeige als aussichtsreich anzusehen. Was offenbar keinen Sinn hat, ist, immer wieder Fotos (mit Uhrzeit und Nummernschild) von Falschparkern ans Ordnungsamt zu schicken so wie eine Politesse, die der Reihe nach Ordnungswidrigkeiten aufschreibt.

Das Dilemma
Im Grunde wollen wir doch eigentlich keine Gesellschaft haben, in der jeder Privatmensch sich als Polizist gebärdet und Nachbarn und Mitmenschen anzeigt, auch wenn er selbst gar nicht geschädigt wurde, sondern einfach nur, weil er das Verhalten anderer falsch oder meinetwegen auch gefährlich findet. Ich jedenfalls will das nicht. Soziale Kontrolle, die ich hingegen für wichtig halte, sollte unter uns Zivilist/innen im Gespräch ablaufen.

Andererseits ist dieses Massenphänomen, Radstreifen und Gehwege als Parkplatz zu benutzen, auch wenn es klar verboten ist, etwas, was wir auch nicht wollen und auch nicht einfach so achselzuckend hinnehmen wollen. Es sieht nach Versagen des Rechtsstaats aus, wenn eindeutige Verbote masshaft missachtet werden dürfen in der Gewissheit, dass in drei Jahren kein Ordnungdienst vorbeikommt und einen da abschleppt oder auch nur ein Köllchen verpasst. Verkehrsregeln sind wichtig, weil sie dazu beitragen, dass Schwächere nicht gefährdet werden, vor allem Kinder. Wenn die Starken die Ordnung und Regeln nicht mehr einhalten, weil sie keine Sanktionen befürchten müssen, dann kostet das die schwächeren das Leben, die Fußgänger/innen, die Radfahrenden, vor allem die Kinder und alten Menschen. Das Auto ist das einzige Fahrzeug, mit dem der Fahrer einen anderen Verkehrsteilnehmer töten kann, ohne selbst auch nur verletzt zu werden.

Auch Privatpersonen können Ordnungswidrigkeiten anzeigen - Das Ordnungsamt aber entscheidet, ob sie verfolgt wird oder nicht. 
Die mir nicht näher bekannte Informations-Seite Weka hat sich sehr eingehend mit dem Thema befasst und vertritt die Einschätzung, dass Ordnungsämter sich durchaus grundsätzlich mit privaten Anzeigen von Ordnungswidrigkeiten befassen müssen. Analog zu Strafppzessordnung müsse auch bei der Anzeige einer Ordnungswidrigkeit in jedem Fall ernsthaft geprüft werden, ob eine Verfolgung durch die Behörde möglich und/oder nötig ist und zu einem Bußgeldverfahren führt. Man darf solche Anzeigen nicht generell in die Tonne treten, so die Auffassung. Ob der Tatbestand verfolgt oder von einer Verfolgung abgesehen wird, das allerdings liegt durchaus im Ermessen der Behörden. Denn nach § 47 Abs. 1 OWiG (Ordnungswidrigkeitengesetz) liegt die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen.

Nun hat allerdings wie die Stuttgarter Zeitung berichtete unser Ordnungsamt im Gestalt des Ordnungsbürgermeisters Mitte November verkündet, dass Falschparker künftig konsequent abgeschleppt werden sollen. Die Zeitung zitiert ihn mit den Aussagen:"Vielen sei nicht bekannt, wo sie nicht parken dürften. "Ich hab’ mich auch mal im Freundeskreis umgehört. Kaum jemand kann die alle benennen“, sagt er. Auf das Parken auf Behindertenparkplätzen und in Feuergassen kämen noch viele." Und dann steht da der für uns so wichtige Satz: "Aber dass auch das Abstellen eines Autos auf Rad- oder Gehwegen sofort zum Abschleppen führt, das sei vielen Autofahrern nicht bewusst."

So also. Jeder, der auf Rad- oder Gehwegen steht, kann sofort abgeschleppt werden. Hm, ja.
Ich kenne einige, die schon die Polizei gerufen haben, wenn ein Auto auf dem Radstreifen stand. Die haben dann aber gewartet, bis die Polizei kam, so zwischen einer halben und einer Stunde, vorausgesetzt, das Auto war in dieser Zeit nicht wieder davon gefahren. Zum Beispiel auf dem Foto ganz oben zu sehen: In diesem Fall war die Polizei ziemlich schnell da. (Der Fahrer kam übrigens mit einer Ermahnung davon. Eine Anzeige wurde nach meiner Beobachtung nicht aufgenommen.) Wer nicht einfach drum herum radeln, sondern die Polizei rufen will, braucht vor allem eines: Zeit. Und manchmal braucht er auch gute Argumente. Es kann passieren, dass man den Beamten erklären musst, warum das Auto auf dem Radstreifen eine Gefährdung darstellt, vielleicht nicht für einen selbst (einen routinierten Radler), aber "wenn jetzt hier ein 12-jähriges Kind lang radelt, ist es ihm wirklich zuzumuten, sich in den vorbei rollenden Autoverkehr einzufädeln? Sähen Sie das bei ihrer Tochter gern?"

Ist es schon mal vorgekommen, dass Autos  in Stuttgart sofort abgeschleppt wurden, die auf einem Radstreifen parkten? Ja. In der Kurve auf dem Radstreifen in der Liststraße sind dieses Jahr tatsächlich mal zwei Falschparker abgeschleppt worden. Seitdem dort die Ordnungskräfte öfter mal auftauchten, sehe ich derzeit dort nicht mehr so häufig Autos auf dem Radstreifen stehen. Es wirkt also. Vor allem Anwohner/innen stellen ihr Auto in ihrer Parkplatznot nicht mehr ganz so krass gefährdend ab. Aber man darf mit den Kontrollen eben nicht nicht nachlassen.





10 Kommentare:

  1. Die örtliche Polizei verweist darauf, im ruhenden Verkehr sei das Ordnungsamt zuständig. Und das Ordnungsamt reagiert gar nicht auf Anfragen von Bürgern unter der Email-Adresse verkehrsueberwachung@stuttgart.de. Die vorgeschlagene Klärung im Gespräch endet meist schnell mit Aussagen wie "Wo soll ich denn sonst parken?", und offenbart mangelndes Unrechtsbewusstsein, sowie offene Ignoranz gegenüber den Verkehrsregeln. Wir können durch Autos einpacken oder Hütchen aufstellen und Gummibärchen verteilen Aufmerksamkeit auf das Thema lenken, es ändert allerdings nichts. Falschparken wird als Kavaliersdelikt gesehen, und Aktionen dagegen werden belächelt.
    Auf Stuttgarts Straßen gilt daher das Recht des stärkeren, und diesseits von Straftaten wie Sachbeschädigung gibt es nichts, was die Bürger dagegen tun könnten.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich fürchte, ohne tatsächlich mal ein konsequentes Abschleppen (zumindest regelmäßiges Knöllchen verteilen) kommt es in der Tat nicht zu einer Besserung des Verhaltens.

      Löschen
    2. Ein KFZ auf dem Radweg stellt eine Gefährdung und eine Behinderung dar- die Polizei muss sofort handeln.

      Löschen
  2. Am Wochenende ist das örtliche Polizeirevier und nicht das Amt für öffentliche ordnung zuständig. Wenn man sich dort meldet, kümmern sie sich sehr wohl darum, dass Autos aus der Feuerschutzzone entfernt werden. Im Übrigen, vielen Dank dafür!
    Gerade am Wochenende herrscht bezüglich Parken ein rechtsfreier Raum, könnte man meinen.
    Ich finde es trotzdem jedes Mal höchst unangenehm, dort anzurufen. Im Übrigen konnte ich noch keine Verbesserung in unserer Brandschutzzone wahrnehmen. Aber dafür kann weder Stadt noch Polizei, noch Amt für öffentliche Ordnung etwas. Die Kollegen stellen dort ja nicht ihr Auto ab.

    AntwortenLöschen
  3. Sehr abwägend geschrieben! Aber mich nervt's mehr und mehr und ich zeige auch an. Ich wäre sicher viel gnädiger, wenn sich die Bedingungen für Radler und Fussgänger zügig verbessern würden. Die Frage "wo sollen die sonst parken?" heisst ja auch "wo sollen die denn sonst gehen?" Der Raum in der Stadt ist knapp, klar! Aber die Blechdosen haben da keine besonderen Rechte. Meine eigene auch nicht, basta!

    AntwortenLöschen
  4. Genau hier liegen oder parken die Ursachen des PKW-Parkraummangels und des Radwege-Ausbaus in den Innenstädten sowie das nötige Ausweichen der Radfahrer und Fußgänger auf die stark befahrenen Autofahrbahnen! Nichts als Ärger mit vielen unvernünftigen PKW-Fahrenden auf Rad- und Fusswegen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielleicht sollten wir uns mal klarmachen, dass es keinen Parkplatzmangel gibt. Denn je mehr Parkplätze man anbietet, desto mehr Autos erscheinen (sie werden gekauft und in der Wohnstraße abgestellt oder man fährt mit ihnen in die Innenstadt), sodass es sehr bald erneut einen Parkplatzmangel gibt. Die Menge der Autos lässt sich nur reduzieren, wenn man die Abstellplätze im öffentlichen Raum reduziert. Dann entdecken die Leute, dass man anders (mit Öffentlichen oder mit dem Fahrrad) eigentlich viel angenehmer unterwegs ist.

      Löschen
  5. Zu dem Porschefahrer: Da fällt mir wieder eine nützliche Nebenfunktion meines Bügelschloss ein, dass immer Griffbereit am Lenker hängt. Wer so asozial parkt, muss damit rechnen, das jemand an seinem Fahrzeug "hängen bleibt"...

    AntwortenLöschen
  6. Auch wenn man als Fußgänger unterwegs ist fallen einem immer wieder Autos auf die irgendwie, hingeschmissen wie eine zerknüllte Papiertüte, auf dem Gehweg herumgammeln. Da fühlt man sich durchaus dazu genötigt genauso arrogant einfach auf der Straße zu spatzieren, dabei ins Handy zu gucken und sich einen Scheiß um alles andere zu scheren, weil genau so das Auto einfach "fallengelassen" wurde. Sollen doch die anderen durmherum kommen, aber wehe es kommt ein Kratzerchen in den Lack da gibt es gleich volles Programm. Doch wehe der Fußgänger oder Radfahrer verhält sich auf der Straße so, da muß gleich mit der Intensivstation gerechnet werden.

    AntwortenLöschen
  7. Das Parken direkt neben Gehwegen oder direkt an Kreuzungen ist genauso gefährdend. Im letzteren Fall nimmt man die Kreuzung überhaupt nicht mehr als solche wahr, weil zum Beispiel ein Lieferwagen die Sicht versperrt. Das ist mir als Radfahrer schon oft passiert. Sehr problematisch bei rechts-vor-links-Regelung.

    Ich könnte hier bei mir jeden Abend sechs Fahrzeuge anzeigen, weil jeder Zentimeter Platz in der Kreuzung zum Parken benutzt wird.
    Bei den umliegenden Kreuzungen sieht es nicht anders aus.

    Ich sehe hier nur eine Chance, dass sich das ganze ändern wird.
    Und das nur im Falle, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat 2019 ändern:
    Einstellen von mindestens 70 weiteren Kontrolleuren für das Ordnungsamt, die alle das Abschleppen verfügen dürfen und zusätzlich noch den Kauf von mindestens 10 Abschleppfahrzeugen. Einsatz ganztags, insbesondere Abends, dann wird am schlimmsten geparkt! Mit Knöllchen würde ich gar nicht mehr anfangen, solange diese nicht mindestens 50 € kosten. Die aktuell 10-20 € schmerzen niemanden.

    AntwortenLöschen