Derzeit nimmt die Konkurrenz um den Gehweg zu. Denn dem Auto will man keine Fläche wegnehmen. Deshalb landen Parkscheinautomaten und Radständer auf dem Gehweg. Autos parken dort. Fahrräder stehen da, Schildermasten sowieso. Und oft schickt man auch noch die Radfahrenden auf Gehwege, weil man auf der Fahrbahn kein angemessene Radinfrastruktur planen und anlegen will. Die Zufußgehenden haben zunehmend den Eindruck, dass der Radverkehr nur auf ihre Kosten geht. Dabei wird der Radverkehr hin und her geschubst zwischen Fahrbahn und Gehweg. Niemand will ihn haben. Aber wir leben hier nun einmal alle miteinander.
Degerloch: aller Platz dem Auto. Der Gehweg ist für Radler freigegeben, Autos dürfen dort auch noch parken. |
Wir ärgern uns gern, immer über die anderen. Wir träumen von Trennung. Alle sollen extra Räume zugeteilt kriegen. Aber ist das die Lösung? Zumal wenn der Platz begrenzt ist. Auch wenn wir eine perfekte Radinfrastruktur hätten und wunderbar breite Gehwege für Fußgänger, auf denen auch kein Auto parkt, wird es immer Stellen geben, wo man die Verkehrsarten nicht trennen kann oder auch nicht trennen will. Der Schlossgarten ist so ein Ort oder die Tübinger Straße beim Gerber, die die Stadt als Mischverkehrsbereich deklariert hat, oder die Kronprinzenstraße. Wenn man nicht anfängt, sich aufzuregen und mit dem Finger auf die jeweils anderen zu zeigen, dann funktionieren diese Mischverkehrsräume eigentlich recht gut. Auch wenn Radler sich ärgern, dass sie langsamer fahren müssen und Falschparker den Raum verengen, auch wenn Fußgänger sich über Radler ärgern, die ihrer Meinung zu schnell sind, auch wenn sich Autofahrer ärgern, weil sie das gar nicht fahren und parken dürfen.
Auf Waldwegen funktioniert der Mischverkehr allerdings nicht mehr so gut. Fußgänger/innen ,die im Wald zwischen Degerloch und Stadtmitte unterwegs sind, beschweren sich über Radler, die nach ihrem Gefühl zu schnell zur Arbeit radeln und abends nach Hause. (Für Radler aus der Stadtmitte gibt es keinen anderen Weg nach Degerloch hinauf als diese Waldwege.) Aber gerade Waldwege gehören niemandem allein, weder den Radlern, noch den Fußgängern. Und jetzt nicht gleich wieder anfangen, auf Radler im Wald zu schimpfen. Und auch nicht gleich wieder anfangen, eine Aufhebung der Zwei-Meter-Regel zu fordern. Wir Radfahrende müssen lernen, Fußgänger/innen mit und ohne Hund oder Kind rücksichtsvoller zu behandeln. Auch wenn wir selbst abschätzen können, dass der Platz reicht für das Tempo, in dem wir fahren, ist es für die Zufußgehenden jedes Mal Schreck und Stress, wenn wir von hinten an ihnen vorbeizischen. Wir Radler ärgern uns über die Eile der Autofahrer, die uns in der schmalsten Straße überholen zu müssen meinen, aber als Radler verhalten wir uns oft den Fußgängern gegenüber genauso. Wir fahren zu schnell und zu eng an ihnen vorbei. Wir haben es unerklärlich eilig.
Ich finde, wir brauchen auch so etwas wie eine Mobilitätskultur. Das Wort Kultur bezeichnet alles, was der Mensch denkend und gestaltend hervorbringt und womit er sich als geistiges und soziales Wesen ausweist. Egoismus ist das Gegenteil von Kultur. Wir kritisieren den ungeheuren Mobilitätsegoismus der Autofahrenden (die in unserer Gesellschaft hohe Kosten verursachen, die durch Lärm, Krankheit, Luftverschmutzung, Flächenverbrauch und Unfälle entstehen), aber nur weil wir nicht Auto fahren, sondern Fahrrad, dürfen wir nicht Fußgänger/innen gegenüber so tun, als hätten wir ein Recht auf Tempo und Platz-da. Und die Menschen, die zu Fuß gehen, sind auch nicht mit besseren Rechten ausgestattet und nicht jeder Radler hat sie in Lebensgefahr gebracht, auch wenn sie selbst sich erschreckt haben.
Wir müssen miteinander auskommen auf den begrenzten Flächen einer Stadt. Viele Niederländer sagen von sich selbst, bei ihnen gehe es nicht so sehr darum, dass die Vorfahrt, die man hat, auch durchsetzt, sondern darum, dass der Verkehr fließt und man sich nicht behindert. Manche sagen, in Stuttgart gingen die Verkehrsarten besonders ruppig miteinander um, und das heißt aus Fußgängersicht: Am Zebrastreifen hält das Auto nicht, und hält es doch, dann saust einem garantiert ein Radler vor der Nase vorbei. Vielleicht neigen wir Radfahrenden dazu, den Stress, den uns Autofahrende bereiten, an Fußgänger/innen weiterzugeben, nach dem Prinzip: Der Autoverkehr hupt mich von der Fahrbahn, also darf ich den Fußgänger auf dem Gehweg an die Hauswand klingeln. Vielleicht neigen auch einige Fußgänger dazu, den Radverkehr zu dramatisieren und ihren Ärger über den Autoverkehr, der ihr Fortkommen behindert, an Radfahrern auszulassen als einem neuem Element, das Aufmerksamkeit erfordert und weniger gut einzuschätzen ist als der Autoverkehr. Auch das reflexhafte Schimpfen auf die Gehwegradler, sobald man über Radständer, einen schlechten Radweg oder irgendwelche Radlerbelange spricht, hilft nicht nicht zur Lösung bestehender Probleme, sondern zementiert Feindseligkeit.
Kreuzung am Heslacher Tunnel: Ein kurzer Radstreifen, Mindestens 12 Autofahrsteifen, vier Gehwege. Radler benutzen Fußgängerüberwege |
Ansonsten gilt eben immer noch: Je höher das Tempo und je schwerer das Fahrzeug, desto größer muss die eigene Umsicht und die Rücksicht auf alle Verkehrsteilnehmer/innen sein, die langsamer sind. Und in diesem Gefüge das Auto das gefährlichste Element. Daran gibt es nichts herumzudeuten.
Und damit wünsche ich uns allen fröhliche und friedvolle Festtage und ein gutes neues Jahr. Es wird alles schöner, wetten?
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