Auf den Radwegen tummeln sich demnächts auch E-Scooter, also Tretroller mit Elektroantrieb. Sie dürfen 20 km/h schnell sein und ab 14 Jahren gefahren werden.
Das sieht die Verordung des Bundesverkehrsministeriums vor, die auf den parlamentarischen Weg geracht wurde. Bike-Bild hat die Regeln zusammengefasst. Wenn so ein E-Tretroller langsamer als 12 km/h ist, dürfen ihn auch Kinder ab 12 Jahren fahren, dann aber nur auf dem Gehweg. Diese Geräte müssen keinen Sitz mehr haben, um zugelassen zu werden (wie derzeit), aber immerhin zwei unabhänige Bremsen, eine Klingel, Reflekoren und Beleuchtung und ein Versicherungskennzeichen. In Österreich ist das schon so.
Ich schätze, und da bin ich nicht die Einzige, dass diese Mini-E-Fahrzeuge unser Straßenbild sehr schnell radikal verändern werden. Sie sind die Verkehrsmittel der Wahl für die erste und letzte Meile, für die Verbindung zwischen Wohnungstür und Stadtahnhaltestelle und zwischen Haltestelle und Arbeitsplatz.
Die Leute werden sie in die Bahnen mitnehmen. Womöglich entwickelt sich auch sehr schnell ein Verleihsystem (was die Bahnen entlastet). Wo es keine Radwege und Radfahrstreifen gibt, werden sie auf der Fahrbahn unterwegs sein müssen, und zwar mit 20 km/h. Das werden einige machen, sich viele E-Scooter-Fahrer/innen aber nicht zumuten, sie werden den Gehweg nehmen. Ein weiteres anarchisches Element gesellt sich unserem Stadtverkehr mit seinen bereits oftmals recht anarchischen Teilnehmern hinzu. Ich bin gespannt, was das auslöst.
Fußgängern wird ihr Gehweg weggenommen.
Fußgänger/innen werden sich ihre Flächen mit rollenden Mini-Fahrzeugen aller Art teilen müssen, auf denen, wenn es dumm läuft, Leute stehen, die das Gerät vor allem anfangs nicht sonderlich gut beherrschen. (Fußgänger/innen werden sich die berechenaren Radler auf Gehwegen zurückwünschen, wenn die Alternative, sausende Scooter sind.) Und Radfahrende werden um wackelnde Tretroller-Fahrer herumlenken müssen, die vermutlich die Regeln noch weniger kennen als so manche Radfahrenden (Abbiegen mit Handzeichen anzeigen, nicht auf dem linksseitigen Radstreifen fahren, bei Rot und an Zebrastreifen halten etc.).
Das unmittelbar nächste Thema wird dann die Zahl der Unfälle sein. Es
werden nämlich nicht nur reaktionsschnelle junge Menschen, sondern sich auch ältere auf
das schmale Brett stellen und sich von den sehr kleinen Reifen über die
Unebenheiten unserer Fahrbahnen rollen lassen. In den USA hat der Boom
zu einem Boom von Verletzten geführt, wobei die Presse dafür hauptsächlich technische Mängel verantwortlich macht. (Immerhin ein Vorteil für uns, wenn nicht mehr wir Radler skandalisiert werden, sondern dann die E-Scooter-Fahrer.)
Ein Vorteil: Leute, die jetzt noch mit dem Auto fahren, aber gerne anders unterwegs wären, können sich mit E-Scootern und öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt bewegen. So ein Angebot kann den Autoverkehr deutlich reduzieren. Kurze Wege erscheinen auch ohne Auto bequem, weil man sich ja nicht einmal richtig bewegen muss. Man stößt sich einmal ab, dann zieht einen der Motor weiter. Man lässt sich fahren. Wobei man das Gleichgewicht-Halten und die Koordinationsanforderungen nicht unterschätzen sollte.
Nur dass eben unsere Infrastruktur nicht darauf vorereitet ist. Unsere Radstreifen und Radwege sind zu schmal, der Untergrund zu wellig, die Gullideckel liegen alle am rechten Fahrbahnrand in der Fahrlinie auch der Scooter mit ihren sehr kleinen Reifen, die 3-cm-Bordsteine sind schon für große Radreifen nicht ungefährlich, die schiefen Pflastersteine bringen auch Radler zu Fall, die vielen Wechsel auf die Fahrahn ohne Radinfrastruktur erfordern starke Nerven von den Tretroller-Stehern und von den Autofahrenden, die hinter ihnen hängen.
Und wohin mit dem Teil, wenn man in einen Laden hinein will oder in eine Behörde? Wo schließt man es an, und wie? Oder nimmt man es mit in den Laden ins Kaufhaus oder in die Behörde? Wo lässt man es am Arbeitsplatz? Rein damit in den Fahrstuhl und ins Büro? Wie viele von den Teilen werden sich morgens in den Stadtahnen verkeilen? Was machen die Schülerinnen und Schülern mit den Dingern während des Unterrichts? Diese Scooter sind klein und leicht und die Schwelle, sie sich "auszuleihen", also zu klauen wird niedriger sein als bei Fahrrädern. Ein System, wie man sie an Radbügeln anschließt, sehe ich noch nicht (wird man aber brauchen). So ein Teil kostet zwischen eintausend und zweitausend Euro.
Es wird so kommen. Die Wahl haben wir gar nicht mehr. Diese Scooter und andere Kleinst-Moilitätsgeräte werden unsere Städte, Gehwege, Radwege, Straßen und Stadtbahnen erobern. Sie sind da und sie sind offenbar beliebt. Wir müssen damit umgehen lernen.
Nachtrag: Auf Facebook haben sehr viele Kommentator/innen meiner Skepsis widersprochen und darauf hingewiesen, dass die leichte Chaotisierung einen Vorteil hat, weil es das Miteinander stärkt und auch dazu führt, dass die Fahrer/innen zweirädriger Fahreuge die Regeln besser einhalten. In Israel scheint das glänzend zu funktionieren, da fährt alles auf Radwegen, was keinen Verbrennungsmotor hat. Hier nachlesbar:
Irgendwie wird es mit den Elektro-Scootern und Radfahrern so sein wie mit den Veganern und Vegetariern.
AntwortenLöschenSeit es die Hardcore-Fraktion gibt, wandelt sich das Ansehen der althergebrachten Fraktion ploetzlich in Richtung moderat und vernuenftig.
Ich erwarte ansonsten bei den Scootern das gleiche Problem wie bei den Rentner-Ebikes. Also Fahrer, die motorisch nicht auf die hohe Geschwindigkeit vorbereitet sind und diese Geschwindigkeit auch nicht an die Gegebenheiten anpassen.
Vielleicht bringt das fuer uns Radfahrer sogar, schneller eine neue getrennte Infrastruktur zu bekommen. Denn die Scooterei wird man nur in den Griff bekommen, wenn man sie von den Gehwegen auf Radwege verbannt. Und das macht nur bei getrennten Wegen einen Sinn.
Ansonsten sehe ich die Scooter nicht nur kritisch: jeder Weg, der nicht mit dem Auto zurueckgelegt wird, ist ein guter Weg. Das Wichtigste bei der Elektromobilitaet ist die Vermeidung von Gewicht, daher ist der CO2-Abdruck von Ebikes ja auch so viel besser als der von Elektro-Kfz.
Gruss - Matthias
Faustregel: Wenn ein Schlagwort bei Google Trends einen Spike zeigt (https://trends.google.com/trends/explore?date=today%205-y&geo=DE&q=e-scooter), handelt es sich nicht um einen realen, langfristigen Trend, sondern um einen kurzlebigen, künstlich aufgebauschten Hype. Das lässt sich von Second Life über Pokemon Go und Blockchain bis nun eben auch zum Elektrotretroller immer wieder beobachten. Die Alltagserfahrung ist damit konsistent: Weit und breit kein Trend zu sehen und auch keine elektrifizierbare Masse, denn bereits die muskelbetriebenen Hipsterroller der letzten Jahrzehnte blieben deutlich eine Randerscheinung.
AntwortenLöschenAllerdings kenne ich einige Leute, die nur darauf warten, dass sie so ein Teil fahren dürfen. Die sind bisher Auto gefahren und würden gerne Stadtbahn fahren, aber den Fußweg zwischen Haltestelle und Ziel gerne anders zurücklegen als zu Fuß.
LöschenChristine, das könnten sie doch auch schon mit einem Klapp-/Faltrad ;)
LöschenToll, ich werde vermutlich einen anschaffen und muss dann irgendwie meinen Kindern erklären dass sie damit nicht rollern dürfen. Wozu das Alterslimit? Mein 3 jähriger wäre wohl nicht geeignet sowas zu fahren, aber meinem Neunjährigen ist es zuzutrauen, finde ich.
AntwortenLöschenHallo Carsten,
Löschensicherlich könnte Dein Neunjähriger so einen Roller fahren, nur gibt es hier dann sicherlich rechtliche Bedenken wegen der Haftung. Er fährt ja ein KFZ und kann damit nicht nur Ordnungswidrigkeiten begehen. Es ist ja noch nicht strafmündig oder sonst wie haftbar zu machen - ein Geschädigter könnte kaum weiterreichende Forderungen stellen (welche ggf. nicht von der Roller-Haftplicht übernommen werden). Sehr schwieriges Thema denke ich.
Ich finde die Dinger auch reizvoll, allerdings sind sie richtig teuer, eigentlich zu teuer, um sie sich als Zusatzfahrgerät anzuschaffen. Und man muss wirklich klären, wie man sie diebstahlsicher abstellen kann. Man kann damit ja nicht in jeden Laden reingehen und man wird es nicht mit ins Theater oder ins Kino mitnehmen können.
LöschenAuffälligerweise sind es mal wieder nur die Autos, die bis auf wenige Ausnahmen Exklusivrechte für die Benutzung "ihrer" Fahrbahn erhalten.
AntwortenLöschenDer 'Rest' wird - wie gewohnt - auf den Nebenanlagen zusammengepfercht.
Die Aussicht, dass Behindertenverbände und/oder Seniorenvertretungen gegen die Zumutungen auf den (ehemaligen) Gehwegen noch was ausrichten können dürften gegen Null gehen.
Ebenfalls auffällig ist, dass da 'plötzlich' die sagenumwobene 'subjektive Sicherheit' für unsere Älteren, die in vielen Fällen SEHR BERECHTIGT Angst vor Oberschenkelhalsbrüchen haben (Stichwort Osteoporose), keinerlei Rolle mehr spielt.
Das framing steht: 'subjektive Sicherheit' = mehr Radwege.
Interessant auch die Tempostufen.
War es bereits bislang schon so, dass T30 mit 25-Pedelecs kombiniert wurde und T50 mit 45 e-bikes (Ein Schelm wer böses dabei denkt), wird es nunmehr mit T20 auf Radwegen und 12gegen3 auf den Gehwegen vollends bizarr.
Viele wird das nicht stören
- ADFC und Radentscheide haben sich eh oft auf die berühmten 'Kurzstrecken bis 5Km' eingeschossen - wo es dann tatsächlich nicht viel ausmacht wenn die Fahrgeschwindigkeit temporär runtersackt
- die rollenden scooter-Hipster nehmen die verschreckte Omi eh nicht wahr, weil sie vollauf damit beschäftigt sind 'mal kurz' ihre emails auf neuestem i-phone zu checken, und
- die Radfahrenden sind ja Jetzt! damit beschäftigt froh zu sein, dass sie die Fahrbahn nicht mehr 'mit den Autos teilen' müssen, sondern diese Ihnen endlich (Applaus von der 'Radlobby') nach und nach gänzlich verboten wird.
Das Autoministerium leistet da tatsächlich ganze Arbeit:
- Fahrbahnen freihalten und strategisch für die kommenden Flotten von Mobilitätsdienstleistungen rund ums autonome Auto vorbereiten
- Umweltverbund ausbremsen und so gegeneinander aufhetzen, dass die erstmal ne Weile damit beschäftigt sind sich gegenseitig das Leben schwer zu machen
- Reisezeit und Kapazitäten auf den wichtigen mittleren und langen Distanzen für den MIV weiter verbessern und die Kurzstrecken auf die flächensparsamen Fahrräder/Scooter/ÖPV verlagern.
Clever: das Ganze lässt sich sogar noch mit grünem Mäntelchen als 'Fördern von Alternativen' verkaufen.
Chapeau: Coole PR-Agenturen in der Abteilung strategische Politikberatung engagiert!
Die Umsätze der systemrelevanten Autokonzerne mögen so noch ne Weile hoch gehalten werden können, fragt sich nur was 'der Planet' davon hält?
Vermutlich wird er weiter schweigen und den lästigen 'Homo-spapiens-Infekt' einfach hinweg fiebern.
Alfons Krückmann
Alfons, du hast wieder mal recht. Aber solange unter anderem Schutzstreifen zwar als gefährlich erkannt werden, aber dann als notwendig weil sich nur so angeblich die Zahl der Radfahrer steigern lasse, solange wird sich in Sachen zukunftsfähige Radverkehr leider nichts tun.
LöschenMartin
Hier übrigens noch beispielhaft zwei weitere Kanditaten, die ebenfalls den Autostau in der Stadt 'entlasten' sollen, und die bald zusammen mit den Scootern auf den tollen separierten "Radwegen" fahren wollen und 'flächensparsam' die ehemaligen Gehwege zuparken, ohne dabei in der zweiten Reihe den Autoverkehr zu behelligen:
AntwortenLöschenhttps://www.n-tv.de/auto/A-N-T-Cargo-Lastesel-fuer-den-Fahrradweg-article20748551.html
https://www.velostrom.de/cargobike-ono-crowdfunding-kampagne-zur-finanzierung-erster-pilotprojekte-gestartet/
Hier übrigens zwei massgebliche "Verkehrswende"-Organisationen, die die Scooter bauen, protegieren und unserem Autominister die entsprechenden Gesetzestexte diktieren:
https://www.heise.de/newsticker/meldung/E-Scooter-von-Seat-und-VW-4320699.html
https://www.auto-motor-und-sport.de/tech-zukunft/mobilitaetsservices/bmw-x2-city-e-scooter-marktstart-preis/
Alfons Krückmann
Ich denke auch, dass sich das hier verbreiten wird. Anderswo werden für die letzte Meile Leihfahrräder genutzt, aber in Stuttgart gibt es leider kein richtiges Leihfahrradsystem.
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