19. Mai 2019

Mit den Radstreifen von gestern den Radverkehr von morgen hinkriegen, geht nicht

Die Vorschriften und Empfehlungen für den Bau von Radwegen und Radstreifen sind nicht mehr zeitgemäß. Denn sie berücksichtigen den Überholabstand von 1,5 Metern nicht. 

Darauf hat Andreas Braun im Tagesspiegel hingewiesen. Ich sage schon lange, dass die in den ERA (Empfehlungen für den Radverkehr) festgehaltenen Standart- und Mindestbreiten dem Radverkehr nicht gewachsen sind, den wir mit unserer Radinfrastruktur erzeugen wollen. Sie reichen gerade für den Status Quo, also für vereinzelte Radfahrende, nicht aber für viele und unterschiedlich schnelle einschließlich der E-Scooter.

Sie sind zu schmal und wirken verunsichend, denn sie zwingen Autofahrende nicht dazu, den nötigen Überholabstand einzuhalten. Es gibt keine Verkehrzeichen, die diesen Mindestabstand anordnen würden. Autofahrende müssen quasi wissen, dass sie auch an einem Radler auf einem so genannten Schutzstreifen oder Radfahrstreifen nicht vorbeifahren dürfen, wenn sie keine anderthalb Meter Abstand einhalten können, und das wissen die meisten vermutlich nicht. Diese fürchterlichen Sicherheitsstreifen sind ein Minimalkompromiss, der mir, dem ADFC und vielen Radverbänden und der UDV nicht mehr tragbar erscheinen. Den verzweifelten Stadtverwaltungen erscheinen sie hingegen als Königsweg, damit man überhaupt mal irgendfwas fürs Fahrrad vorweisen kann. Dann liegen überall gestrichelte Linien mit Radzeichen, aber die vielen potenziellen Radler, die man damit einladen will, die kommen nicht, die fahren da nicht.

Der Bau einer auch für besorgte oder ängstlichere Radfahrende (aber auch für Jugendliche und Ältere) geeigneten Radinfrastruktur scheint nicht nur bei uns, sondern in vielen Städten oft gar nicht möglich. Er wäre nur möglich, wenn man von zwei oder mehr Autospuren immer eine zugunsten eines geschützten Radwegs wegnehmen und, wo das nicht geht, die Straßenrandparkplätze einziehen würde. Daran entzünden sich dann ungeheure Konflikte in den Bezirksbeiräten und im Gemeinderat. Genau deshalb ist es so schwierig, überhaupt eine einladende Radinfrastruktur zu bauen.

Und selbst bei standardbreiten Radfahrstreifen, wie sie derzeit in der Stresemannstraße geplant sind, regt sich heftiger Widerstand vonseiten der Radler, die sie für zu gefährlich halten, weil sie zwischen geparkten Fahrzeugen und dem rollenden Verkehr liegen. Der Platz reicht zwar gerade so (nach ERA), aber das Gefühl der Sicherheit stellt sich beim Gedanken an diese Streckenführung nicht ein. Hier müssten zumindest auf einer Seite die Parkplätze weg, damit man auf beiden Seiten einen Radfahrstreifen anlegen kann, der breit genug ist.

Nur eine Fotomontage, kein perfekter Radstreifen
Die Epplestraße zwischen Pressehaus und Degerloch-Zentrum ist so ein Beispiel für eine Straße, die zu schmal für alles außer Autos ist. Die direkte Strecke scheint den Radlern verwehrt, es sei denn sie haben starke Nerven. Der Pfad zeigt, wo die meisten radeln. Hier könnte man einen Radstreifen oder einen schmalen Radweg hinlegen. Selbst ein schmaler Radweg wäre immer noch besser als dieser Spurpfad, aber dann müsste man die Böschung überbauen. Auf der anderen Seite müsste man ebenfalls in die Böschung eingreifen. Kostet Geld. Ruft aber immer auch diejenigen auf den Plan, die keine weitere Versiegelung von Grünflächen wollen. Wollte man für den Radverkehr wirklich was tun, wäre das alles machbar (für Autostraßen ist ja auch quasi alles machbar), aber solange es diesen Willen nicht gibt, scheitern wir immer wieder am Platzargument oder am Umweltschutzargument. Eine Radinfrastruktur entlang der Epplestraße habe ich schon beim letzen Haushalt beantragt. Das hier ist halt der direkte Weg zwischen Möhringen (Daimler, Pressehaus) und Degerloch. Wer sich hier nicht zu radeln traut, muss ziemliche Umwege über Felder radeln (bei Dunkelheit finster, einsam und unheimlich). Wobei wir wieder beim Grundproblem sind: Den Autos die bequemen und direkten Wege, den Radlern irgendwas drum herum, schmal, holprig, finster, winkelig, weitläufig, umwegig, steil. Was anderes scheint noch nicht denkbar.

Wir haben also noch viele Diskussionen und Kämpfe vor uns, damit Stuttgart geschützte Radwege bekommt, die so einladend sind, dass sie unseren Radverkehr wirklich steigern. Auch wenn der Zielbeschluss Fahrradstadt Stuttgart genau das vorsieht und zwar flächendeckend innerhalb von zehn Jahren, werden wir uns noch sehr anstrengen müssen, damit Stadt und der neu gewählte Gemeinderat uns Radfahrende und diesen Beschluss wirklich ernst nehmen und anspruchsvoll umsetzen.


8 Kommentare:

  1. Es sind viele funktionale Lösungen denkbar.
    Ausweisung als Umweltstrasse etwa würde die Nutzung auf Busse, Taxis (natürlich ohne Uber) Fahrräder FussgängerInnen e-scooter usw. beschränken. ...
    Aus realpolitischer Sicht ist so etwas und Vergleichbares natürlich barer Unfug, da das Auto immer noch als feste Größe in Kopf und Eingeweide sitzt, da immer noch 'um das Auto herum' geplant wird, egal ob protected bikelane, Schutzstreifen, Radstreifen, Bordsteinradweg, und was da sonst noch zusammengeschustert wird.
    Wo 'zu wenig Platz' ist muss halt dasjenige raus, das am meisten Platz verschlingt, und es nuss doch ohnehin dasjenige heraus, das nicht kompatibel ist mit Planet/Ökosystem.
    Das wäre dann zu recht 'zeitgemäss' oder 'zukunftsgerecht' zu nennen.
    Diese ganzen an-denRand-Abschiebeanlagen sind es jedenfalls nicht.

    In NL konnte trotz hohen Aufwandes kein Rückgang des Autoverkehrs erreicht werden, um den inneren Kern von Kopenhagen herum nehmen Autobesitz und Fahrleistung zu, in der 'Radwege-hauptstadt' Münster explodiert der Auto-Pendelverkehr mit immer gigantischeren Fahrleistungen, etc.

    Vielleicht ist es sogar besser den Autoverkehr mit seiner hochgradigen Dysfunktionalität sich selbst vor die Wand fahren zu lassen, um den Veränderungsdruck derart offensichtlich werden zu lassen, dass Repressionen gegen den Autoverkehr 'alternativlos' werden?
    Beibehaltung des Systems-Auto und gleichzeitige 'Stärkung des Umweltverbundes' stellt kaum eine angemessene Lösung dar, da die Verkehre, die aus der populären - und von CSU über Radwege-bewegung bis zu BMW/Daimler favorisierten - 'Förderung der Alternativen' resultieren i.d.R. doch einfach nur auf den überbordenden Autoverkehr obendrauf kommen.
    Es gibt hundertfache Erfahrungen mit Streckenstillegungen (dauerhaft oder temporär), wobei nahezu immer das Gleiche passierte: 'Verkehrschaos' blieb aus, der Autoverkehr ging zurück.
    Vermutlich eine Mischung aus Verkehrsvermeidung, Verkehrsmittelverlagerung und Reiseentfernungsverkürzung (Aufsuchen von näher gelegenen Bedürfnisbefriedigungsorten).

    Die a-priori Setzung des Autos bei der 'Radverkehrsplanung' erinnert bisweilen an das Phänomen der Coabhängigkeit im Umfeld von Suchtkranken.
    Fundament einer "zeitgemäßen" Radverkehrsförderung hat m.e. zwingend die gründliche und grundsätzliche Reduktion von Autoverkehr zu sein, ganz gleich ob mit Öl-Antrieb oder Braunkohle/Batterie Antrieb.

    Strassen haben wir definitiv genug, es fahren nur die falschen Verkehrsmittel drauf rum und ruinieren dabei systematisch unsere ökologischen Lebensgrundlagen.

    Alfons Krückmann

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  2. ZEUGENAUFRUF!!!
    Magels besserer Idee halt hier:

    Ich wurde im Rahmen der Fahradsternfahrt an der Ecke Haupstätterstr / Torsstr am dortigen Fußgängerübergang gegen 14:15 beim Rechts abbiegen von einem älteren sehr dünnen A.... mit Anlauf vom Rad geschubst. Erziehungsmaßnahme: ich wäre bei Rot gefahren.
    Er war in Begleitung einer blonden dünnen Frau.
    Ein Polizist war in der Nähe und hat den Schubser angeschnauzt und wegbegleitet, bevor ich prüfen konnte ob ich oder mein Rad was abgekriegt hat. Einsicht hat er nicht wirklich gezeig.
    Das Ende vom Lied: zwei aufgeschlagene Knie und Schäden am Bremshebel und Lenker.
    Anzeige habe ich schon gestellt, allerdings bin ich mir bei der Beschreibung des Schubsers und seiner Begleitung nicht sicher.
    Für Hinweise wäre ich dankbar. Können auch direkt an der Wache Theodor-Heuss-Str. abgegeben werden.

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  3. Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, warum entlang der Stresemannstraße beiden Parkspuren mehr Rechte eingeräumt werden als dem Radverkehr. Dort gibt es nicht mal Anwohner; wer dort parkt, trägt einfach nur seinen faulen Arsch durch den Park oder säuft in der Disko. Der Preis ist dafür viel zu hoch.

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  4. Ich finde die ersten beiden Bilder bezeichnend. Wenn die Breite des Streifens nicht einmal für das Fahrradpiktogramm reicht...

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  5. Ich fände es begrüßenswert, wenn es die 1,5 Meter auch direkt in die Straßenverkehrsordnung schaffen würden. Für jeden nachles- und Überprüfbar. Jetzt muss man immer auf irgendwelche Urteile zurückgreifen, die man nicht so recht zitieren kann.

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  6. Das ist im Vorschlag der Länder für eine Novelle der StVO enthalten. Allerdings hat die CDU daraufhin gleich "Privelegierung der Autofahrer" geschrien. Siehe hier: https://dasfahrradblog.blogspot.com/2019/04/welche-privielgien-denn-der-vorschlag.html

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  7. Ich fahre fast täglich die Stresemannstraße und kann nicht fassen, wie man dort beim Uambau auf beiden Seiten so gefährliche Radstreifen zwischen der Fahrbahn und parkenden Autos anlegen kann. Vorher durfte man sich wenigstens auf einer Seite sicher fühlen - hier gab es zwar einen kombinierten Fuß-/Radweg, was ich auch schlecht finde, aber mit recht wenig Fußverkehr, sodass es einigermaüßen erträglich war. Warum muss ein Neubau die Situation für den Radverkehr weiter verschlechertn?

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