23. November 2019

Perspektivwechsel kann helfen


Damit Radfahrende sicherer unterwegs sind, müssen wir (vermutlich sind Autofahrende gemeint) mal die Perspektive wechseln.

Das ist die These von Hatice Akyün in ihrem Artikel für den Tagesspiegel. Die Autorin erzählt, wie man sich früher gegen den Sicherheitsgurt im Auto wehrte, irrational und heftig, und zwar weil sein Anlegen verdeutlicht, dass Autofahren gefährlich ist. Das wollten viele nicht jedes Mal mitdenken. Ein ähnliches Signal sendet der Fahrradhelm aus. Wer ihn aufsetzt, zeigt damit sich und der Welt, dass Radfahren gefährlicher ist als zu Fuß Gehen (oder E-Scooter-Fahren). Vom Angst-Signal, das von gelben Schutzwesten ausgeht, will ich hier gar nicht reden.
Dass Sicherheitsgedgets wie Gurt, Airbag, Spurassistenten, Bremsassistenten das Autofahren sicherer gemacht haben - nur für deren Insassen - ist offentichtlich. Auch Geschwindigkeitsbegrenzungen und die allgemeine Verringerung von Geschwindigkeiten durch Staus haben dazu beigetragen, dass die Zahl der in Autos Getöteten sinkt. Die Posing-Raserei in den Städten verletzt und tötet im Gegenzug gerade wieder zunehmend Fußgänger/innen, auch ein Ergebnis der technischen Hochrüstung von Autos mit Fahrhelfern, die den Eindruck erzeugen, das Autos sei immer beherrschbar.

Auch die Zahl der getöteten Radfahrenden steigt. Deshalb, so die Schlussempfehlung des Artikels, müssen wir nun die Sicherheit mal aus der Perspektive der Radfahrenden denken. Was nicht hilft: keine Abbiegeassitenten für Lkw festschreiben oder keine Radwege bauen. Und nicht die Autofahrenden disziplinieren (über Kontrollen von Falschparken) hilft auch nicht. Was dieser Perspektivewechsel aber bedeutet, sagt sie nicht.

Deshalb mache ich das jetzt hier. Denn der Perspektivwechsel kann nicht analog zum Autoverkehr lauten, das Fahrrad aufrüsten. Man kann Fahrräder nur unwesentlich sicherer machen. Und jeder Rückspiegel, jedes Antiblockiersystem für Bremsen, jede Lenkhilfe, die das Schwanken reduziert (gibt es alles schon) erhöht das Gewicht des Fahrrads. Doch das fahren wir mit unserer Muskelkraft. Und auch Pedelecs sollten nicht immer noch schwerer werden, sonst könnte man gleich Moped fahren. Abgesehen von den nicht gerade wenigen Alleinunfällen, die auf Fahrfehler zurückzuführen sind, droht uns die Gefahr weniger von der Schnelligkeit des Fahrrads, auf dem wir selbst sitzen, als vielmehr durch den Autoverkehr.

Der Perspektivwechsel muss also zweifach sein. Wir müssen uns aus dem Auto heraus bewegen und aufs Fahrrad setzen und mal losradeln. Und zugleich müssen wir uns klar machen, dass wir unser Fahrrad und uns selbst nicht panzern können. Der Helm ist ein Versuch, uns einen kleinen lokalen Panzer aufzustzen. Doch er verhindert keinen Unfall. Er kann die Folgen eines Unfalls für den Kopf vielleicht auch mal abmildern, aber nicht die für den Rest des Körpers. Mit dem Blech, das den Autofahrer und die Autofahrerin umgibt, ist er nicht vergleichbar.

Vollzieht man den Perspektivwechsel vom Auto aufs Fahrrad, merkt man schnell: Radfahrende sind um so sicherer unterwegs, je weniger sich ihre Wege mit denen von Autofahrenden kreuzen oder auch nur berühren. Tödliche Unfälle sind in den meisten Fällen auf eine Kollision mit dem Auto zurückzuführen, wobei mehrheitlich der Autofahrende die Schuld trägt.

Würden wir Fahrradunflälle verringern wollen, muss der Autoverkehr diszipliniert und verlangsamt werden. Radfahrende müssen auf breiten eigenen Spuren unterwegs sein können. Und Kreuzungen müssen so mit Ampeln geregelt werden, dass Autos und Fahrräder nicht gleichzeitig fahren, vor allem dann nicht, wenn Autos über Radwege hinweg abbiegen. Eine gute Radinfrastruktur vermindert außerdem das regelwidrige Verhalten von Radfahrenden und damit ihr Unfallrisiko.

Ist alles nicht neu, wissen wir längst, wir, die wir Fahrrad fahren.Es nützt übrigens auch nichts, wenn man Politiker/innen mal aufs Fahrrad setzt. Dann fahren sie meist in einer Gruppe und kriegen von Radfahrenden was erklärt. Sie sind aber nicht, wie wir täglich, alleine unterwegs und den Mängeln der Radinfrastruktur ausgesetzt. Ihnen fehlt die Erfahrung der Schreckmomente, die wir auf jeder Strecke erleben.

Übrigen schadet es nichts, wenn wir Radfahrenden auch mal die Perspektive wechseln und uns in ein Auto setzen. Dann erschrecken auch wir zu Tode, wenn ein Radler unversehens aus der Finsternis auftaucht - er fuhr ohne Licht. Wenn wir selber im Auto sitzen, sehen wir, dass man Radfahrende ohne Licht nicht sieht, oder erst sehr sehr spät.

Und wer einmal hinter einem Radler um einen Kreisverkehr refahren ist, weiß, dass man wirklich nicht abschätzen kann, ob ein Radfahrer, der außen am Rand herumfährt, bei der nächsten Ausfahrt raus oder eben, überraschenderweise, doch weiter herum fährt.

Auch werden wir feststellen, dass man manchmal überhaupt nicht vorhersehen kann, wohin ein Radler fahren will. Plötzlich biegt er ab, ganz ohne Handzeichen. Und wenn wir selber rechts abbiegen, dann Schrecksekunde: "Verdammt, wo kam jetzt der Radler her? Ich hab ihn gar nicht gesehen."

Und vielleicht fluchen wir sogar ein klein wenig hinterm Lenker, wenn wir einen Radler diagonal über die Straße schlingern sehen.







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