17. April 2020

Gesund, bequem und ungefährlich - Radfahren

Warum fährst du nicht mit dem Rad zur Arbeit? Viel zu gefährlich! Ich bin doch nicht lebensmüde!

Das ist eine der häufigsten Antworten, die ich zu hören kriege. Menschen, die nur selten Rad fahren oder nur gelegentlich mal einen Wochenendausflug per Rad mit der Familie machen, schätzen die Gefahren im Stadtverkehr viel höher ein als sie sind.

In Glasgow haben schottische Wissenschaftler über zehn Jahre untersucht, welche Risiken Radfahrende tatsächlich eingehen und welchen Gewinn sie vom Radeln haben. Ihr Ergbnis: Die positiven Effekte des Radfahrens auf die Gesundheit überwiegen bei weitem das leicht höhere Unfallrisiko gegenüber Fußgänger/innen.


Von den über zehn Jahre untersuchten 200.000 Proband/innen (davon 52 Prozent Frauen, Durschnittsalter 52 Jahre) sind gerade mal 2,5 Prozent regelmäßig Rad gefahren. Die anderen gaben als Grund an, nicht Fahrrad zu fahren, es sei zu gefährlich wegen des Autoverkehrs. Es zeigte sich aber, dass nur sieben Prozent die radelnden Studienteilnehmer/innen in diesen zehn Jahren einen Unfall erlitten und deshalb ins Krankenhaus mussten. Bei anderen (Fußgängern, Öffentliche Verkehrsmittel, Autofahrende) lag der Wert bei drei Prozent.

Was fast alle dabei unterschätzen: Der positive Effekt des Radfahrens auf die Allgemeingesundheit übersteigt das etwas höhere Unfallrisiko um ein Vielfaches. Im Vergleich zum zu Fuß Gehen fördert das Radfahren den Gleichgewichtssinn und die Koordination  von mehr Muskelgruppen. Das Herz-Kreislauf-System kommt besser in Schwung, sogar während einer kurzen Radfahrt. Das Risiko an Herz-Kreislauf-Problemen oder an Krebs zu erkranken, sinkt. Radler profitieren gesundheitlich mehr von ihrer Bewegung als sie durch Unfälle Schaden erleiden.

Ich habe über die gesundheitlichen Vorteile des Radfahrens hier hoft geschrieben. Auch darüber, dass sie andere Gesundheitsrisiken ausbügeln. Schön, dass Die Welt jetzt diesen Artikel veröffentlich hat. Er beginnt mit dem inneren Schweinehund, den man überwinden muss, wenn es draußen regnet. Nach meiner Erfahrung überlegt man immer weniger, je länger man Rad fährt. Anfangs bin ich bei Regen noch mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Doch mit der Zeit empfand ich es als immer stresiger, einen Parkplatz zu finden, wohingegen das Radfahren stressfrei war. Also habe ich das Fahrrad bevorzugt. Auch bei Regen.

In dem Maß nämlich, wie man das Leben mit dem Fahrrad organsisiert, verliert das Auto den Nimbus der Bequemlichkeit.
Ich kenne mich irgendwann mit dem Fahrrad besser aus als mit dem Auto, ich komme mit dem Fahrrad direkt an mehr Orte als mit dem Auto, ich weiß mit dem Fahrrad, wie lange ich unterwegs bin, mit dem Auto weiß ich das nicht und so weiter. Wenn die Strecken, die man mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zum Einkaufen oder zum Sport fahren muss, nicht zu lang sind (unter rund sechs Kilometer), dann verliert das Auto innerhalb von schätzungsweise einem Jahr (einen Winter muss man geradelt sein) an Attraktivität als Problemlöser in Mobilitätsfragen, vor allem übrigens dann, wenn die Parkplatzsuche Zeit braucht.

4 Kommentare:

  1. stimme dir komplett zu liebe Christine... wie bekommen wir die Leute, die immer noch ängstlich sind aufs Rad...… reden mit den Leuten um einen herum (privat und Arbeit) UND vor allem eine noch bessere Infrastruktur... es ist schade, dass wir uns oft mit den Fußgängern Wege teilen müssen, denn leider sind nicht alle Teilnehmer so umsichtig - ich meine damit Radler, die zu nah an Fußgängern vorbei fahren.. ich habe eine Freundin, die da schon einige schlechte Erfahrungen gemacht hat und wir müssen einfach alle rücksichtsvoller miteinander umgehen, aber eine bessere Trennung hilft da schon sehr. Ich hoffe, der Ausbau der Radwege wird trotz der Krise weiter gehen. Ich fände es schön, wenn man die erfolgreichen Schritte was im Stadtgebiet und drum herum vor sich geht irgendwo lesen könnte. So als Motivation :-)
    danke für all deine Mühen, ich lesen deinen Blog immer sehr gerne, sehr informativ.
    herzlichen Gruß
    Uschi - Cannstatt

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  2. "nur" sieben Prozent? Das sind 14000 in zehn Jahren, die ins Krankenhaus mussten. Von den Verletzten, die nicht ins Krankenhaus mussten, ganz zu schweigen. Ich finde das eine Menge. Hätte ich jetzt nicht gedacht.

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  3. Christine, das redest Du schön: 7% gegenüber 3%, das sind weit mehr als DOPPELT so viele Unfälle.

    Die Unfallzahlen in Stuttgart werden in der Presse, in der politischen Öffentlichkeit und in der Verwaltung auch deutlich unterschätzt. Einmal wegen der Dunkelziffer derjenigen, zu denen keiner die Polizei ruft. Dazu diejenigen Unfälle, die von der Polizei aufgenommen werden und bei denen der Radfahrer ins Krankenhaus gebracht wird (also per Definition schwere Unfälle), über die die Polizei keine Pressemitteilung verfasst und die sie nicht an die Verwaltung meldet. Dann diejenigen, die in der Verwaltung versanden.

    Das private Umfeld und die Kolleg:innen bekommen das andererseits schon mit und ziehen die entsprechenden Schlüsse.

    Von 5 Mitarbeiter:innen in meiner Abteilung, die regelmäßig oder unregelmäßig mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, hatten vier einen (bzw. mehrere) schwere Fahrradunfälle, die meisten davon in Stuttgart Zentrum (einer Fellbach oder Weinstadt, einer bei Göppingen).

    Nach meinen beiden letzten Unfällen in Stuttgart, bei denen mich eine Autofahrerin angefahren hat und wegen denen ich mehrere Tage krank geschrieben war, bedrängen mich Kollegen und Vorgesetzte, nicht mehr mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Sie werten das als Risiko für unsere Projekte.

    Zu keiner meiner eigenen und der mir bekannten Unfälle gab es übrigens eine Pressemitteilung der Polizei, geschweige denn irgendeine Verbesserung seitens Verkehrsbehörde oder Tiefbauamt an den bekannten baulichen Mängeln.

    Ach ja, dazu kommen noch mehrere "Vorkommnisse" im Polizei-Jargon: Kollisionen mit illegal abbiegenden Kraftfahrzeugen, deren Aufnahme die Polizei verweigert, weil weder Personenschaden noch nennenswerter Sachschaden entstanden ist. Die tauchen dann garantiert in keiner Statistik auf. So etwas entsteht, wenn man abgedrängt an der Seite des Transporters bzw. Autos "klebt", aber
    nicht stürzt (2x in Remseck auf dem Weg zur Arbeit).

    Mit dem Fahrrad nach Stuttgart zu pendeln, davon muss man - ehrlich gesagt - jedem abraten, solange die Infrastruktur derart miserabel ist und Radfahrer nicht besser vor unaufmerksamen und aggressiven Autofahrern (und Fußgängern) geschützt werden. Das sage ich als Alltags-Radfahrer, der im Schnitt über 10000km pro Jahr (ca. 500 Stunden) im Sattel sitzt.

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  4. Für die "Radfahren ist doch gefährlicher als nicht"-Antworten:
    Im Bezug auf Unfälle ja.
    Im Bezug auf Gesundheit ist aber Autofahren gefährlicher, und zwar mehr als das Radfahren bei Unfällen. Das hat ja die Studie untersucht und herausgefunden.

    Kurzum: Angefahren werden oder Krebs/Herzinfarkt/etc.
    Die Wahl ist dein.

    Menschlich ist, dass man die sichtbare gefahr schlimmer einschätzt, als die unsichtbare. Einen Unfall kann man sich auch kognitiv gut vorstellen und hat es oft gesehen. Wovon der Herzinfarkt kommt, weiss man zwar, aber die kausale Kette ist nicht zu fühlen. Daher sagt dir dein Bauch, fahr Auto, auch wenn die Daten klar sagen, fahr Fahhrad.

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