25. August 2020

Es ist noch nichts geschwätzt

Oder anders gesagt: Autofreie Innenstädte lösen Panik in unserer autoverliebten Gesellschaft aus und scheitern immer wieder an der Angst der Politik.

Was der neue grüne OB von Hannover erlebt, ist durchaus typsich und gilt auch für Stuttgart. Sobald Straßrenrandparkplätze im Innenstadtbereich reduziert und einzelne kleine Straßen für den Autoverkehr gesperrt werden sollen, treten die Händler:innen und deren Verbände auf den Plan und beschwören den Untergang des Innenstadthandels. Die Gedankenwelt, in der sie und die ihnen verbundenen politischen Parteien leben, sieht aus wie in den Neunziger Jahren und beinhaltet die Sehnsucht nach den siebziger Jahren. Das heißt: Man fährt mit dem Auto in die Innenstadt und stellt es am besten mitten auf einem Marktplatz ab, zumindest aber am Straßenrand vor der Drogerie, wo man ein Schampoo kaufen möchte.

Wenn das nicht geht, wird das Schampoo im Internet bestellt, so die Dauerdrohung.
Wenn ich nicht mit dem Auto parken kann, dann lasse ich alles mit dem Auto kommen, so die Überlegung. Dabei geht es nicht um die vielen tausend Parkplätze, die wir in Parkhäusern bereitstellen, die meist gar nicht ausgelastet sind, sondern um dieses Abstellen des Autos am Straßenrand mitten im Konsumbereich, sodass man nicht mehr als fünfzig Meter laufen muss, um in den Laden zu kommen, in den man will.

Alle Erfahrungen und auch ein Blick in die Königstraße oder das Milaneo zeigen: Wo keine Autos sind, sind viele Menschen zu Fuß unterwegs. Würde man die Königstraße wieder für Autos öffnen, würden sich die Gehwege wieder auf zwei Meter reduzieren und weniger Fußgänger:innen hätten Platz. Da Autos den Platz von mindestens sechs Menschen einnehmen, würde sich pro geparktem Auto die Zahl der Kund:innen um fünf reduzieren. Und da Autos auch Fahrbahnen brauchen (ca 150 Meter braucht ein fahrendes Auto um sich herum), würden pro Auto ca. 30 Menschen verdrängt. Die alle würden der Königstraße und ihren Läden fehlen, allein dafür, dass dort Autos fahren und parken. Niemand möchte die Königstraße dem Autoverkehr zurückgeben, andererseits wehren sich Händler:innen dennoch massiv dagegen, dass ihre Straße zur Fußgänger- und Fahrradzone gemacht wird. Sie glauben, dass der eine Mensch, der aus einem geparkten Auto steigt (oder fünf pro halber bis einer Stunde bei fünf Parkplätzen) sie rettet.

Nun leiden die Königstaße und das Gerber trotzdem unter einem veränderten Kund:innen-Verhalten. Die Ursache dafür ist aber nicht der Mangel an einfachen Parkgelegenheiten. Wer aus Böblingen, Ludwigsburg oder sonstwo nach Stuttgart fährt (auch als Familie) hat jede Menge Parkhäuser zur Verfügung, und die verschwinden auch nicht, wenn in der Eberhardstaße oder in der Kronprinzenstraße ein Dutzend Straßenrandparkplätze verschwinden. Genau das aber behaupten die Gegner von fußgängerfreundlichen Innenstädten immer wieder. Sie tun so, als hinge ihr Geschäft von den wenigen Menschen ab, die vor dem Laden aus einem Auto steigen. Und als seien diejenigen nichts wert, die dort zu Fuß gehen würden, wo jetzt Autos parken. In der Tübinger Straße beim Gerber stören zudem die Autos, die immer noch durch fahren, teils im Posing-Stil.

Der Grund, warum der Konsum nicht mehr so brummt wie früher, muss aber - abgesehen von Corona - ein anderer sein.  Ich kaufe mehr in lokalen Läden, seitdem ich Fahrrad fahre. Ich bestelle nur das online, was ich in Läden nicht kriege. Ich sehe auch, dass das Angebot in Läden reduziert ist, äußerst reduziert. Und so manches Mal frage ich nach einem Produkt, bekomme gesagt, das man das nicht führe (bestellen will man es auch nicht), und muss es dann im Internet bestellen, wenn ich es unbedingt haben will (oft will ich es dann gar nicht so unbedingt). Wer Massenware möchte, kriegt sie in sie in den großen Konsummeilen, wer spezielle Dinge sucht, muss wirklich suchen. Als Radfahrerin kenne ich mich gut aus in der Stadt und kenne auch Läden mit speziellen Angeboten in Seitenstraßen und Stadtteilen. Und ich kann immer halten, absteigen und reingehen. Ich muss nie Parkplatz suchen. Auch zu Fuß Gehende kommen an kleinen Läden vorbei und gehen rein. Autofahrende kennen sich lange nicht so gut aus. Sie kennen nur das, was in der Nähe von Parkplätzen ist. Und sie sehen auch die kleinen Läden nicht. Sie fahren vorbei.

Grundsätzlich nimmt der Publikumsverkehr dort zu, wo es Gastronomie gibt, Straßencafés und Imbiss-Angebote. Essen geht immer. Das kann man zur Mittagszeit schön in der Tübinger Straße beim Gerber beobachten. Grundsätzlich leer bleiben die Fußgängerzonen, wo es ungemütlich ist, beispielsweise im Dorotheenviertel, wo die Sonne auf ein schattenloses viel zu helles Pflaster brennt und die Gastronomie so aussieht, als sei sie teuer und exklusiv. Dort ist auch der Publikumsverkehr in den Läden nach meiner Beobachtung eher gering. Konsumfreie Bänke und vor allem Schatten würden vermutlich helfen. Und was auch imemr hilft ist: Fahrräder rein- und durchlassen. Das würde auch der Königstraße noch ein paar Kund:innen mehr verschaffen.

Was nicht hilft, ist ständig öffentlich zu skandalisieren, es gebe keine Parkplätze und die Kundschaft aus dem Großraum werde deshalb nicht mehr anreisen. Das führt nämlich zu entsprechenden Zeitungsartikeln, die dann abschreckend wirken. Wohingegen es anziehend wirken würde, wenn der städtische Handel die Fußgängerzonen mit ihrer Aufenthaltsqualität feiern würde als speziellen Erlebnisraum einer modernen Innenstadt. Sodass Neugierde entsteht. Es wird nämlich kein Zurück mehr geben in die autogerechte und fußgänger- und radfeindliche Stadt. Der Handel wandelt sich, er hat sich immer gewandelt. Nostalgie hindert die Geschäftetreibenden daran, die Herausforderung anzunehmen und postiv zu nutzen.

Das Beispiel Madrid zeigt übrigens, dass die Leute dort mehr shoppen, wo keine Autos fahren. Die autofreie Innenstadt zu Weihnachten bescherte den Händler:innen in Madrid einen Boom.



13 Kommentare:

  1. warum immer in die Ferne schweifen?? In Freiburg ist das Ziel der autofreien Innenstadt schon fast vollständig umgesetzt.... und die Stadt ist pickepackevoll, da wo vor ein paar Jahren noch Autos fuhren, gibt es jetzt Cafes und Aufenthaltsmöglichkeiten, und trotzdem gibt es ein mögliches Bürgerbegehren zur Verkehrswende...außerdem zig Fahrradstraßen, Radvorrangrouten,Grünphasen auf mehreren Straßen für die Geschwindigkeit für Radfahrer (20 km/h) an Ampeln, ein beinahe komplett umgesetzter Radweg von Freiburg bis nach Frankreich, u.s.w......

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  2. Es stimmt schon, um die Königstraße radele ich herum. Wenn ich mal mit der Stadtbahn komme kaufe ich dort auch, mit dem Fahrrad eher nicht. An der Tübinger finden sich kleine Läden, die mich öfters als Kunden begrüßen können. Die habe ich entdeckt, weil sie vom Fahrrad aus sichtbar und erlebbar sind. Zum Beispiel kam mein Siebträger nicht per Post, sondern wurde im Espressoladen in der Sophienstraße gekauft. Ursache war, das ich den Laden entdeckt hatte, als er Sonntags geschlossen war. Ich bin kurz abgebogen, und habe das Schaufenster angesehen. Die Auslage hat mich eingeladen, noch einmal zurück zu kommen. Und dank guter Beratung, habe ich auch dort gekauft. Die Tübinger Straße hat insgesamt eine erstaunliche Wandlung hinter sich, seit sie von den Fahrradfahrern erorbert wurde. Sie war vorher ein Schandfleck, und ist nun irgendwie kultig mit ihren vielen Cafes. An der Eberhardstraße sieht man so eine Wandlung noch nicht, vielleicht auch weil die Läden von der Straße abgesetzt sind.
    Was das Dorothenquartier angeht, so bin ich nachhaltig sauer das die Hauptradroute deswegen in die Tiefgaragen-Einfahrt verlegt wurde, und ich werde dort nichts kaufen solange dies so ist. Wenn ich den Artikel nirgendswo anders bekomme, bestelle ich lieber online.

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  3. Volle Zustimmung. Die Erfahrung, dass autofreie Straßen zu mehr Besuchern und Verkäufen in den dortigen Geschäften führen, machen alle Kommunen. Es gibt zahlreiche Studien dazu. Und trotzdem fängt das Geschrei bei jedem Beruhigungsprojekt von vorne an. Vielleicht wäre es eine Hilfe, eine Sammlung aller entsprechenden Studien und Medienberichte anzulegen.

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  4. Paradoxerweise ist es eigentlich umgekehrt: Wo Autos fahren, bleiben die Menschen weg. Und wo ich nicht mit dem Fahrrad hinkomme, bestelle ich im Internet. Und in Stuttgart kann man nicht einfach so losradeln, um mal eben was zu besorgen. Man überprüft vorher immer die Route auf mögliche Konfliktpunkte mit dem MIV und ob man sich diesen Stress antun möchte. Radfahrer wollen sicher ans Ziel kommen, Autofahrer wollen vor jedem Laden bequem parken.

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    1. Interessant, stimmt nämlich. In der Innenstadt prüfe ich keine Route, bevor ich irgendwo hinradle, im Kessel komme ich überall hin mit dem Fahrrad, schwieriger wird's, wenn ich beispielsweise einen Laden in Waiblingen aufsuchen will, das weiß ich in der Tat nicht, ob ich das auf halbwegs angenehmen Wegen tun kann und die Radwege finde, ob ich mir also diesen Stress antun möchte. Allerdings würde ich auch nicht das Auto nehmen, Konsumautofahrten kommen mir irgendwie blödsinnig vor. Aber das ist persönlich.

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  5. Ich kenne eigentlich nur weitestgehend Auto-freie Städte und liebe die Konzepte! Biberach an der Riss hat eine schöne Altstadt, einige nette Kaffees und einen Parkring. Parkhäuser um die Innenstadt, alles innen ist Fußgängerzone. Erste Stunde kostenlos parken...Und das funktioniert. Ulm eigentlich auch...außenrum gut erreichbare Parkhäuser, innen Autofrei..Und das lädt zum gemütlichen flanieren ein. Man kennt nicht nur die Läden in der Hauptstrasse, sondern auch die in der Seitenstraße. Es entschleunigt, da ist es ruhig. Es gibt schöne Flecken zum verweilen, Spielplätze, Kaffees und und...Stuttgart hat sicher was den Absatz angeht ein anderes Problem als die Nähe zu einem Parkplatz....als positives Beispiel muss ich auch Carsten recht geben...auf dem Fahrrad finde ich mich immer häufiger in der Tübinger Straße oder eben dort wo ich gut zu Fuß oder mit dem Rad hinkomme..

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  6. Und was braucht man da als (grüner oder sonstiger) Bürgermeister ? Den politischen Mut, Dinge, die man selbst als richtig erkannt hat, durchzusetzen.
    Sollte doch nicht so schwer sein, wenn sich die Opposition gegen das Projekt, wie immer sicher auch hier in Wahrheit nur eine kleine aber lautstarke Minderheit, auf offensichtlich falsche Grundlagen beruft, oder in Wirklichkeit gar kein belastbares Material zur Argumentation hat.

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    1. Wenn die Mehrheit dagegen stimmt, hilft halt alles nichts. Wir leben in einer Dempkratie, deshalb müssen wir diejenigen unermüglich überzeugen, die noch im 20. Jahrhundert leben.

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    2. Der Einzelhandel ist selbst schuld.

      Meinen Freunden und mir geht es da ähnlich: für uns liegt es nicht daran, dass man jetzt besser oder schlechter in die Stadt kommen würde, wenn ein paar Parkplätze wegfallen oder ein paar Radständer hinzukommen würden.
      Das Problem ist meiner Meinung nach nicht die Erreichbarkeit, denn das ist eine Placebo-Diskussion, die am wirklichen Problem des Einzelhandels vorbeigeht.

      Wie läuft es denn oft? Man begibt sich in die Stadt, sucht drei oder vier Läden auf, von denen man denkt, dass sie den Artikel führen könnten. Das sind dann meist auch die bekanntesten, die ganzen kleinen Läden kennt man ja nicht mal. Man gibt auch gerne etwas mehr aus und sucht nicht den Billigst-Preis, denn man kann es sich ja vor Ort anschauen und Porto zahlt man auch keines.
      Jetzt hat man drei Stunden Zeit investiert, bekommt das Gesuchte nicht und fährt erfolglos wieder nach Hause und? Bestellt frustriert im Internet! Dabei fragt man sich: wie oft möchte ich das noch machen?
      Wenn man das ein paar Mal mitmacht, geht man irgendwann gar nicht mehr in die Stadt, nicht mal für Kleinigkeiten.
      Schaue ich mein Konsumverhalten an, stelle ich fest: ich wüsste nicht, wo ich ein Großteil meiner Internetbestellungen in der Stadt bekommen soll. Wenn ich mal was bekomme, ist es Zufall.
      (Beispiel: Sheabutter. Ich war in vier Naturkostläden, die hatten das alle nicht. Fündig wurde ich durch einen Tipp im Basic an der Liederhalle)
      Ich habe auf sowas einfach keine Lust!

      Wie sollte es sein, damit Kunden wie ich wieder zurückkehren?
      Es braucht eine professionell betriebene Webseite, auf die ALLE Händler eine Übersicht ihres Sortiments hochladen inklusive Beschreibung und Bestand der Artikel. Viele Händler haben diese Daten ja bereits vorliegen, da sie selbst Onlineshops betreiben.
      Wenn ich jetzt etwas bestimmtes suche, gebe ich es auf der Webseite ein inklusive Kaufort + Umkreis.
      Plötzlich werden mir verschiedene Geschäfte angezeigt, die ich zuvor noch gar nicht kannte, die den Artikel vorrätig haben und das vielleicht sogar in meiner Größe! Wenn ich dort hin fahre, kann ich mir den Artikel wirklich anschauen und dank Bestandsauskunft stehe ich auch nicht vor einem leeren Regal.
      Und wenn es den Artikel in keinem Laden geben sollte, spare ich mir das Fahren in die Stadt.

      Diesen Vorschlag habe ich vor Jahren dem Handels- und Gewerbeverein unterbreitet - ohne Antwort.
      Ja, natürlich ist das aufwändig und mit Kosten verbunden. Da bleibt man lieber passiv und klagt über das böse Internet oder über die Parkplätze, die weggenommen werden.

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    3. Auch wenn man keine Sheabutter (von der ich allerdings auch schon regelmäßig gelesem habe, und wohl auch im Naturkostladen danach suchen würde), sondern in einem Radladen 20 Lagerkugeln 1/4", ja dann kann man durchaus hören, haben wir nicht, müssen wir bestellen !
      Als ich dann zum genannten Termin dort wieder erschien, ja, da waren die Kugeln nicht da.
      Da das nur der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte, bestelle ich Fahrradteile nur noch im Internet.

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  7. Ralph Gutschmidt25. August 2020 um 20:23

    Eine Traumhafte Einkaufsstraße war früher die Karlsruher Fußgängerzone. Die Straßenbahn fuhr direkt hindurch und hielt an vier Haltestellen. Ich habe immer erst von der Bahn aus in die Läden geschaut um dann, wenn's was Interessantes gab, auszusteigen und ins Geschäft zu gehen. Und nachher konnte man einfach schauen, ob eine Bahn nach Hause kommt und die Wartezeit noch zum dem Kauf eines Taschenbuchs nutzen.

    Aber es beschwerten sich immer wieder Menschen, die vermutlich mit dem Auto angereist waren, man sei seines Lebens nicht mehr sicher. Denn es kämen immer wieder plötzlich Bahnen von allen Seiten. Leider hatte niemand denen erklärt, dass man den Fahrweg dieser Bahnen anhand der im Boden eingelassenen Stahlstränge relativ zuverlässig vorausahnen kann (sog. "Schienen"). Ob diese Menschen sich ebenso beschweren, wenn Straßen auch durch Autos befahren werden, ist nicht bekannt.

    Jedenfalls konnten sie sich durchsetzen, die Einkaufsstraße für hunterte Million Euro schienenfrei zu machen. Jetzt muss man unterirdisch durch die Fußgängerzone, eine Haltestelle ist weggefallen und man verliert Zeit durch treppenlaufen oder Warten auf einen hoffentlich funktionierenden Aufzug.

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  8. Ob Stuttgart oder Berlin. Ich denke, der Artikel sagt alles: https://www.n-tv.de/politik/Wie-die-Verkehrswende-der-Gruenen-scheitert-article21986526.html

    Regina Schmidt

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    1. Ja, ist leider hier in Stuttgart nicht anders. Kann mich noch an das Wettrennen zwischen Herrn Schlauch auf dem Fahrrad und einem Mercedes erinnern. Alles Show. Den habe ich weder vorher oder nachher auf einem Fahrrad gesehen. Ich hoffe Frau Kienzle kann es besser machen, falls sie gewinnt.
      Edgar J

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