27. August 2020

Gilt der Überholabstand auch bei Radfahrstreifen?

Radfahrstreifen Möhringen
Auf Twitter ist im Juli eine Diskussion darüber entstanden, ob Radfahrstreifen Teil der Fahrbahn sind und mithin der Überholabstand gilt. 

Der ADFC vertritt die Ansicht, dass er überall gilt, auch für Radfahrende auf Radfahrstreifen. Nach Ansicht des Bundesministeriums für Verkehr handelt es sich bei Radfahrstreifen um Sonderwege, die nicht Teil der Fahrbahn sind, weshalb aus rechtlicher Sicht kein Überholvorgang vorliegt. (VwV-StVO zu § 2 StVO zu Abs. 4 Satz 2 unter I. 3)

Dazu hat der  Grünen-Bundestagsabgeordneten Gelbhaar  eine Anfrage an das Verkerhsministeirum gestellt, aber keine Antwort erhalten. Es gibt aber eine Antwort von der Unfallforschung der Versicherer.
Radfahrstreifen Karlsruhe: perfekt.
Ein Rechtsgutachten diskutiert diese Frage sehr ausführlich (Seite 12 f.)  und kommt zu dem Schluss, dass es zwar stimmt, das ein Schutzstreifen Teil der Fahrbahn ist und ein Radfahrstreifen nicht, dass aber auf Fahrstreifen einer Fahrbahn nicht nur nebeneinander gefahren wird, sondern auch überholt werden kann und mithin der Überholabstand von 1,5 Meter gilt. Zitat: "Diese Auffassung wird gestützt durch eine Argumentation des BGH, wonach bei der notwendigen Gesamtbetrachtung der das Aneinandervorbei- bzw. das Nebeneinanderfahren regelnden gesetzlichen Bestimmungen nicht zweifelhaft sein kann, dass auch beim Nebeneinanderfahren überholt werden kann, und zwar rechts oder links (BGH, Beschluss vom 13. Februar 1975 – 4 StR 508/74, BGHSt 26, 73-79, Rn. 10). Daher gilt auch ein Vorbeifahren an einem sich auf dem Radfahrstreifen befindendem Radfahrer de facto als ein Überholvorgang, bei dem im Ergebnis der notwendige Seitenabstand von mindestens 150 cm einzuhalten ist."

Und grundsätzlich gilt ja immer Pragraf 1 der Straßenverkehrsordnung, wonach niemand belästigt, genötigt oder gefährdert werden darf. Die schlägt ohnehin alles, was sich manche gerne als Ausnahme zurechtlegen würden.

8 Kommentare:

  1. Ändert aber nichts daran, dass bei den Autofahrern (die weder von Entscheidungen des BGH, oder von Rechtsgutachten der Versicherer je etwas hören werden) der 'Spureffekt' eintritt,und die weitaus meisten so dicht vorbeifahren, wie sie wollen.
    Da wo mich auf der Fahrbahn (je nach Verkehrssituation) mindestens jeder 4. Oder 5. Autofahrer zu dicht überholt, sind es bei Schutz- oderRadfahrstreifen über 95%. Und darunter auch Polizeifahrzeuge und Fahrschulwägen.

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  2. Super geschriebener und informativer Artikel :-). Eine sehr gute Aufstellung. In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen ��

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  3. Das ist lustig: Masha Gessen schreibt in einem ihrer letzten Bücher, dass eines der Schlüsselelemente jeder autoritären Gesellschaft die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit ist.
    Zum Beispiel, indem man sie für Interpretationen offen hält.

    Ach, ziehen wir die Regelung doch wegen Formfehlern einfach zurück.

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  4. Der Überholabstand wird weder eingehalten noch durchgesetzt. Hat die Polizeidirektion Stuttgart je einen Strafzettel wegen Missachtung des Abstandes ausgestellt? Ich bezweifele es. Und ein Gesetz, an das sich niemand hält, und welches von der Exekutive nicht durchgesetzt wird, ist das Papier nicht Wert auf dem es geschrieben steht.

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  5. Lustig, dass Sie gerade jetzt darüber schreiben: kam jüngst von einer langen Radtour aus dem Grand Est zurück, auf der ich mir einen anständigen Priapismus geholt habe.
    Der Sattel war tausende Kilometer eingefahren, aber irgendwie saß die Hose falsch oder was weiß ich.
    Retterspitz hilft.

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  6. So gerne ich auch 1,5m Abstand zu KFZ hätte, die Aussagen vom ADFC Hamburg an der Stelle und das Rechtsgutachten des UDV kann ich nicht nachvollziehen.
    Liest man sich die zitierten Urteile durch, so muss man leider feststellen, dass die betroffenen Verkehrsteilnehmer sich in der entsprechend ausgeurteileten Situation weiterhin AUF DER SELBEN FAHRBAHN befanden. Der Radfahrstreifen ist aber per Definition nicht Teil der Fahrbahn, auch wenn sie(wider)sinniger Weiße die Bezeichnung Fahrstreifen trägt und überholen ist nach ständiger Rechtssprechung weiterhin als "sich auf derselben Fahrbahn in derselben Richtung bewegen" definiert.
    Leider hat sich die UDV auf meine Nachfrage per eMail diesbezüglich nicht gemeldet. Schade, aber nachvollziehbar. Habe keinen Doktor, bin kein Jurist, also warum Antworten

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  7. Hm, Bundesdrucksache 591/19 beschreibt, wie der Bundesrat die Novelle auslegt. Wenn man sich daran hält, ist man in guter Gesellschaft und sollte nicht komplett daneben liegen. Da steht eindeutig drin, dass der Mindestabstand auch zu Radfahrern auf dem Sonderweg einzuhalten ist (auch wenn das nach Definition kein Überholvorgang darstellt), ja sogar zu Radfahrern auf Protected Bike Lanes. Betrüblich ist, dass der Bundesrat gemerkt hat, dass er interpretieren und auslegen musste, der Gesetzestext also mißverständlich ist. Murks mit offensichtlichem Geburtsfehler...

    "Dabei gilt der für Kraftfahrzeuge vorgeschriebene Seitenabstand auch für das Überholen von auf Schutzstreifen befindlichen Rad Fahrenden, da sich auch diese auf der Fahrbahn fortbewegen und der Schutzstreifen lediglich einen geschützten Raum der Fahrbahn darstellt. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift kann nichts anderes für Radfahrstreifen gelten;
    auch dann nicht, wenn diese den Radverkehr und den übrigen Fahrverkehr durch bauliche Vorrichtungen voneinander trennen (sog. Protected Bike Lanes)."

    Ähnliches gilt übrigens auch für Radfahrer gegenüber Fußgängern. Man muss mindestens 60cm Abstand beim Überholen oder Vorbeifahren einhalten, selbst dann, wenn man auf der Fahrbahn (mit oder ohne Schutzstreifen) fährt oder auf einem Radfahrstreifen. Das geht so weit, dass man die 60cm Abstand vom Gehweg sogar dann halten soll, wenn gar kein Fußgänger zu sehen ist.

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