11. September 2020

Gericht verbietet Pop-up-Radwege in Berlin

Kaum sind sie da und zaubern ein Lächeln in die Gesichter der Radfahrenden, sollen sie schon wieder weg? So will es zumindest das Berliner Verwaltungsgericht.

Es bestehe "ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit" für die acht temporären Radwege, hat das Verwaltungsgericht auf Eilantrag eines AfD-Abgeordneten entschieden. Die Verkehrsverwaltung müsse die Beschilderung abbauen. Das meldet der Spiegel. Selbstverständlich wird die Stadtverwaltung Widerspruch einlegen, berichtet der Tagesspiegel und zugleich aufschiebende Wirkung beantragen.


An Ansicht des Gerichts sind die nötigen Voraussetzungen für eine zusätzliche Radinfrastruktur nicht gegeben. Von der Staatskanzlei dürften befristete Radwege nur dort angeordnet werden, wo die Verkehrsbelastung konkret auf eine "Gefahrenlage hinweise". Eine solche konkrete Gefahrenlage habe die Stadtverwaltung nicht dargelegt. Die Verwaltung hatte argumentiert, während der Pandemie sei es erforderlich, systemrelevante Mobilität zu gewährleisten, und viele Berliner hätten nun mal kein Auto, wollten aber wegen des Risikos keine U-Bahn oder Busse benutzen. Deshalb sei es nötig gewesen, provisorische Radwege zu schaffen.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshof ist nicht das Ende der Radverkehrspolitik in Berlin (auch nicht in Stuttgart), denn jetzt muss das Oberverwaltungsgericht in nächster Instanz entscheiden. Solange werden die Radstreifen vermutlich bleiben können.

Für die Berliner Radfahrenden, die in den Genuss der mittlerweile an die 30 km schnell errichteter Radwege auf Autofahrstreifen gekommen sind, ist das deshalb besonders bitter, weil in keiner anderen deutschen Stadt, so viele Radfahrende von Autofahrer:innen und Lkw-Fahrer:innen getötet werden wie in Berlin. Die Straßen Berlins sind übrigens nicht einmal dort sicher für Radfahrende, wo es bereits Radwege gibt, die aber oft zu schmal und zu weit weg von den Autostraßen verlaufen.

Das Foto oben stammt übrigens von unserem eigenen Pop-up-Radweg in der Theodor-Heuss-Straße, der wiederum einer Baustelle zum Opfer gefallen ist, ohne dass die Beschilderung Klarheit schafft. Die Autos fahren hier auf dem Radweg, obgleich genau das nach StVO verboten ist.

6 Kommentare:

  1. Der Beschluss ist im Prinzip richtig. Wie fast immer begründet die Straßenverkehrsbehörde ihre Maßnahmen politisch, aber nicht gemäß StVO mit einer besonderen Gefahrenlage. Auf deutsch: sie sind einfach zu blöd.

    Das ist in Stuttgart nicht anders.

    Normalerweise ist das für uns Radfahrer vorteilhaft, will wir praktisch immer erfolgreich gegen
    - Verbote (rote Lollis)
    - benutzungspflichtige Radwege
    - noch freigegebene Einbahnstraßen
    erfolgreich klagen können.

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  2. (dies ist der Richtige)
    Der Beschluss ist im Prinzip richtig. Wie fast immer begründet die Straßenverkehrsbehörde ihre Maßnahmen politisch, aber nicht gemäß StVO mit einer besonderen Gefahrenlage. Auf deutsch: sie sind einfach zu blöd.

    Das ist in Stuttgart nicht anders.

    Normalerweise ist das für uns Radfahrer vorteilhaft, weil wir praktisch immer erfolgreich gegen
    - Verbote (rote Lollis)
    - benutzungspflichtige Radwege
    - nicht freigegebene Einbahnstraßen
    erfolgreich klagen können.

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  3. Inzwischen habe ich ddie gerichtliche Entscheidung gelesen und festgestellt, dass ich wieder mal auf Pressemeldungen hereingefallen bin.

    Nein, die Behörde war diesmal nicht so dilletantisch, wie wir es hier gewohnt sind. Eine besondere Gefahrenlage ist für Radfahrstreifen nicht notwendig. Das hat das Gericht auch zugegeben. Aber dann trotzdem der Behörde vorgehalten, dass sie keine Gefahrenlage dargelegt habe.

    Tatsächlich sind Verkehrszeichen (wie etwa ein Radfahrstreifen) nur zulässig, wenn sie "zwingend erforderlich" sind. Gemeint ist damit, dass sich die Regelung nicht schon von selbst erklärt. Man darf also kein Verkehrsschild "Vorsicht Kurve" aufstellen, wenn die Kurve ohnehin gut sichtbar ist oder kein Schild "rechts vor links" wenn dies selbstverständlich ist. Verkehrsschilder die nur die ohnehin geltenden Verkehrsregeln wiedergeben sind verboten.

    Für einen Radfahrstreifen ist dies natürlich nicht anwendbar. Er ergibt sich nicht von selbst aus der StVO. Er gilt nur, wenn er tatsächlich angeordnet und entsprechend aufgemalt und ausgeschildert wird. Gleiches gilt für Parkplätze oder Abbiegespuren etc.

    Der Fehler liegt hier also in einer eigenwilligen Interpretation der StVO durch das Verwaltungsgericht. Ich gehe davon aus, dass dies vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Bestand hat.

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    1. Das sehe ich genauso. Es gibt die Vorschrift, dass die *Benutzungspflicht* von baulich *getrennten* Radwegen nur unter einigen Voraussetzungen angeordnet werden darf: u.a. eine besondere Gefahrenlage, die an dieser Stelle über das übliche Maß hinausgeht, dazu müssen die baulichen Voraussetzungen wie Mindestmaße und Zustand den Vorschriften entsprechen. Baulich getrennte Radwege anzulegen, die nicht benutzungspflichtig sind, ist eigentlich nie verboten.

      Welche Führungsform (d.h. die Auswahl aus Mischverkehr mit Kfz, Mischverkehr mit Fußgängern, baulich getrennter Radweg, Radfahrstreifen, Schutzstreifen) den Behörden anlegen müssen, hängt in erster Linie von den jeweiligen Verkehrsstärken ab. So die Vorschriften.

      @ Ralph: eine kleine Korrektur: Bei Radfahrstreifen gehört der blaue Lolli allerdings zwingend dazu, denn ohne ihn wäre es ein simpler Seitenstreifen (den Fußgüänger benutzen dürfen und den man nur befahren darf, wenn man dadurch niemanden gefährdet, aber nicht befahren muss) und eben kein Radfahrstreifen (der per Definition benutzungspflichtig ist).

      Auf die kombinierte Bus- und Radspur auf der Theo kann das alles keine Auswirkungen haben.

      Was mir missfällt, ist, dass AfD in Berlin und CDU in Stuttgart Politik per Gerichtsurteil betreibt und dass sie dabei auch noch das Erreichen der verpflichtenden Klimaziele aus den Augen verloren haben.

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  4. Richter sind halt auch nur Autofahrer ...

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  5. dann nahmen sie uns unsere radwege...

    (siehe auch: https://dasfahrradblog.blogspot.com/2020/09/polizei-kontrolliert-radler-auf-der.html?showComment=1599912034128#c1769462252190924129)

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