24. Juni 2021

Autofahrende wünschen sich Radstreifen in der Lenzhaldenstraße

Glaubt ihr nicht? Ich auch nicht. Aber sie müssten sie sich wünschen. Wer mit dem Auto die Lenzhaldenstraße hoch fährt, hängt über etliche hundert Meter hinter Radfahrenden und kann nicht schneller als 20 km fahren. 

Gäbe es hier Radfahrstreifen, könnten Autofahrende die Straße mit 40 km/h rauffahren. Es ist eine alte Weisheit, dass Radwege und Radstreifen eigentlich nur Autofahrenden nützen, weil sie die Radfahrenden auf die ihnen zugewiesenen Plätze und Räume verweisen und die Fahrbahnen freiräumen. In der Lenzhaldenstraße radelt man ohne jegliche Infrastrukturhilfe hoch, das ist nicht einmal unangenehm, allerdings hat man eben immer wieder Autos hinter sich, die beim besten Willen nicht überholen könnnen und es dann an ungeeigneten Stellen, etwa am Zebrastreifen, tun. 

Radfahrstreifen in der Lenzhaldenstraße werden im Bezirk Nord heftig diskutiert, denn im oberen Teil müssen für einen Bergaufradstreifen Parkplätze wegfallen.

Das stört vor allem hier ansässige Arbeitgeber. Die wollen Kundenparkplätze und Stellplätze für ihre Arbeitnehmer:innen und meinen der öffentliche Raum, nämlich der Straßenrand, sei für ihre Interessen da und sie hätten einen Anspruch darauf. (Die stört natürlich alles: die Tempobeschränkung auf 40 km/h, die Bushaltestellennasen,  die Sperrung des  Herdwegs als Schleichweg bergauf.

Im Grunde stellt sich an so einer Straße beispielhaft die Frage: Behalten wir die Parkplätze und bremsen den Autoverkehr aus oder finden wir die Autofahrenden wichtiger, die hier einen Parkplatz suchen werden? Ein Radfahrstreifen passt hier nur hin, wenn man Parkplätze wegnimmt. Wenn man das nicht macht, dann fahren die Fahrräder halt auf der Fahrbahn und Autofahrende müssen langsam fahren und geraten in Überholstress und verbreiten den Radfahrenden gegenüber auch Überholstress. Wollte man darauf beharren, dass kein Parkplatz weggenommen werden darf, weil Anlieger sonst in Parkplatznot geraten, dann müsste man hier das Parkraummanagement einführen, und dann könnten hier nur noch Anwohner:innen kostenfrei parken, sonst niemand. Der Parkdruck ist aber gar nicht so hoch, ich sehe hier vormittags viele freie Parkplätze. 

Radstreifen machen aber natürlich auch das Radfahren hier schöner. Als Radfahrende:r muss ich nicht immer damit rechnen, von einem Auto mehr oder weniger riskant und knapp überholt zu werden. Ich fühle mich auch  nicht gestresst, weil ich über 500 Meter einen Autofahrer zum Langsamfahren zwingen muss, das machen nämlich viele Radler:innen nicht gern. Für Fußgänger:innen ist es wiederum schöner, wenn der Verkehr sich auf dieser Straße deutlich langsamer als mit 40 km/h bewegt, und sie hätten vielleicht die Radfahrenden auch wieder gern als Verkehrsverlangsamer. 

Abgesehen davon, gehört es sich heutzutage einfach, dass wir in Stuttgart an solchen langen Verbindungsstraßen vom Kessel hinauf Radstreifen haben, die ein angenehmes Radeln erlauben. Eigentlich sollte man darüber gar nicht mehr diskutieren, man muss es machen. Wobei sich an so einer Straße wie der Lenzhaldenstraße eben auch sehr deutlich zeigt, dass eigentlich die Autofahrenden von Radstreifen profitieren, falls sie fahren und nicht parken. Und wenn ich es mal spöttisch formulieren darf: Es kann aber auch sein, dass gerade an der Lenzhalde die Autofahrenden gerne hinter Radfahrenden hängen und die sportliche Herausforderung suchen, eine Überhollücke zu finden, ohne dabei Radfahrende zu gefährden.Warum sonst sollten sie gegen Radstreifen sein?

10 Kommentare:

  1. Hier sollte auch der Herdweg bis zur Lenzhalde nicht vergessen werden. Das ist täglich meine Horrorstrecke, da ich nicht motorisiert radle und einfach so gut wie kein Abstand gehalten wird und Autofahrenden auch unbedingt kurz vor der roten Ampel oder dem Abbiegen vorbei müssen. Und der traurige Fußweg mit Rad frei am Klinikum endet an der Ampel im Nirvana. Das ist keine Infrastruktur sondern fiese Bremse. Für mich ist dieses Eck in Nord grausam und da habe ich noch nicht mal von der Verbindung vom Hölderlinplatz über die Hölderlinstr zum Herdweg gesprochen. Es gibt 0 sichere Infrastruktur für Radelnde. Autofahrenden parken alles zu und drängen mich täglich ab.

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  2. Du redest gerne von Stress in Verkehr. Dabei geht es um Aggression und um Demonstration von Macht.

    Erlebe ich regelmäßig, Abdrängen, enges Überholen, Schneiden, wusste Beschimpfungen, Beleidigungen,... Dieses Jahr wurden mir 3 mal Schläge angedroht.

    Ich habe übrigens vor einigen Jahren unsere örtliche Autozei angeschrieben und gefragt, wie sie für Sicherheit schwächerer Verkehrsteilnehmer sorgen möchte bzw. diese erhöhen möchte. Sinngemäße Antwort: "In Rahmen unserer täglichen Aufgaben... Wir können uns nicht um alles kümmern,"

    Danke für nichts.

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  3. Naja momentan bleiben Autofahrende ja nicht hinter den Radfahrenden, es wird einfach trotz Überholverbot einfach ohne Abstand überholt. Insofern wünschen sich Autofahrende auch keinen Radstreifen. Sie wollen weiterhin parken und ohne Abstand überholen, also einfach den Istzustand beibehalten.

    Jan

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    1. Nicht alle Autofahrer sind so, es gibt genug, die geduldig hinter dem Radfahrer zuckeln und es halt total nervt- aber eben nicht überholen.

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    2. Da hat du natürlich recht. Und in meiner Wahrnehmung ist auch die Mehrheit geduldig und gelassen - mehr oder weniger. Diesen Typus Mitmensch nenne ich auch gerne "meinen automobilen Freund".

      Aber es reichen halt ein paar Autoidioten. Weil du dich an die Situationen, in denen dein Adrenalin aus den Haarspitzen tropft, viel besser und intensiver erinnern kannst.

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  4. Das Problem: Der schnelle Autoverkehr möchte keine Radfahrer in seiner Schusslinie. Will der Autoverkehr dann ruhen, will er überall sofort einen Stellplatz. Das ist halt wie mit kleinen Kindern, denen man alles erlaubt. In Holland hätte diese Straße übrigens entweder:
    -Mindestens einen baulich getrennten Zweirichtungsradweg in ausreichender Breite
    oder:
    -Tempo 30, Radfahrer im Mittelpunkt, Autofahrer zu Gast, Sperren für den Durchgangsverkehr.
    Aber abkucken ist unerwünscht, Hierzulande müssen erst alle Fehler gemacht werden, die die Holländer in den 70ern gemacht haben.

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  5. Hm, die Lenzhalde ist oben knapp 15m breit. Abzüglich 2x 2,50m Gehweg bleiben 10m Fahrbahn. Die Bergauf- und Bergab-Fahrstreifen (jeweils incl. Parkplätzen) sind ungefähr gleich breit, jeweils 5m. Reichen denn 5m zum legalen Überholen eines Radfahrers? Ja, es reicht - zumindest zum ÜBerholen eines normalen erwachsenen Radfahrers, da die Lenzhalde nach juristischen Maßstäben noch als eben gelten könnte.

    60cm Abstand Radfahrer zum Gehweg (Vorschrift)
    60cm Breite Radfahrer (Normradler, kein Lastenrad)
    20cm Schlinger-Spielraum
    150m Überhol-Abstand (oder sind es schon 2m wegen des Gefälles? Die von den Gerichten festgelegte Grenze liegt m.W. bei 3 oder 4% Steigung.)
    200cm Kfz-Breite (Kleinwagen - ein Golf ist mit Außenspiegeln breiter)

    Die Parkplätze müssen also unbedingt entfallen, wenn das Überholen legalisiert werden soll - unabhängig davon, ob die Radinfrastuktur dann als Radweg, protected bike lane oder als Radfahrstreifen realisiert wird.

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  6. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  7. Das übliche Dilemma für die Radverkehrsförderung: Ein Radfahrstreifen würde zwar vielleicht als sicher aussehende und geschützt wirkende Fahrradinfrastruktur etwas mehr Radverkehr induzieren, weil das Fahrrad-Einsteiger "anlockt".

    Für selbstbewusste Radfahrer hat die aktuelle Verkehrsführung dagegen sogar einen Vorteil:
    Da
    - die Fahrgasse nur 500cm breit ist
    - Radfahrer 100cm bis 150cm Abstand zu den parkenden Autos halten dürfen (bergauf wegen des geringeren Tempos eher im unteren Bereich dieser Bandbreite)
    - Radfahrer 60cm breit sind
    - Autofahrer einen Überholabstand von 150cm bis 200cm einhalten müssen
    - typische Autos 200cm oder mehr breit sind
    reicht für einen Überholvorgang die Straßenbreite sowieso nicht aus. Radfahrer können hier also ganz legal nebeneinander hochfahren, ohne den übrigen Verkehr zu behindern.

    Wie immer gilt es abtuwägen, ob es empfehlenswert ist für Radfahrer, ein ihnen zustehendes Recht auch wahrzunehmen. Für Radfahrer als eine unterdrückte Minderheit ist es eine heikle Sache, Rechte auch einzufordern, so lange Machtanspruch und Aggressivität der Mehrheit, die im Straßenverkehr immerhin mit einer gefährlichen Waffe unterwegs ist, nicht wirksam eingedämmt werden.

    "Verkauft" wird einem das "wohlwollend" und "mitfühlend" als Beitrag zum Eigenschutz: "Das ist doch gefährlich, wenn Du mitten auf der Straße fährst (oder mitten im Schwabtunnel). Das ist gefährlich, wenn Du hoffst, dass Dir als geradeaus fahrender Radfahrer kein rechtsabbiegender Lkw-Fahrer die Vorfahrt nimmt. Verzichte lieber auf Deine (Vorfahrt-)Rechte und überlasse die Straße dem Kfz-Verkehr!"

    Wenn sich dennoch ein paar mutige Pioniere trauen, können wir ihnen dankbar sein, dass sie den übrigen Radfahrern den Weg bereiten.

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    1. "Für Radfahrer als eine unterdrückte Minderheit ist es eine heikle Sache, Rechte auch einzufordern, so lange Machtanspruch und Aggressivität der Mehrheit, die im Straßenverkehr immerhin mit einer gefährlichen Waffe unterwegs ist, nicht wirksam eingedämmt werden.

      "Verkauft" wird einem das "wohlwollend" und "mitfühlend" als Beitrag zum Eigenschutz: "Das ist doch gefährlich, wenn Du mitten auf der Straße fährst (oder mitten im Schwabtunnel). Das ist gefährlich, wenn Du hoffst, dass Dir als geradeaus fahrender Radfahrer kein rechtsabbiegender Lkw-Fahrer die Vorfahrt nimmt. Verzichte lieber auf Deine (Vorfahrt-)Rechte und überlasse die Straße dem Kfz-Verkehr!""

      Exakt!
      Eine gute Seite hat diese Situation allerdings, als Radfahrer können nämlich auch (weiße) Männer mal erleben, wie es Frauen, ethnischen oder sexuellen Minderheiten und anderen Diskriminierten ergeht, wenn sie ihrer Rechte beraubt und obendrein noch mit Victim Blaming und/oder guten Ratschlägen überschüttet werden.

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