8. Juli 2021

Des Radlers 7. Sinn - aus der Fußgängerfurt auf die Fahrbahn einbiegen

Wer vom Gehweg auf die Fahrbahn runterradelt, guckt, ob was kommt, und fährt dann. Ganz einfach. Aber kompliziert wird es, wenn man auf eine beampelte Fußgängerfurt stößt. 

Das ist echtes Grübelmaterial, denn wir werden mit zwei inkompatiblen Verkehrssystemen konfrontiert, dem Fußgängersystem und dem Autosystem, und haben es demzufolge mit beiden Ampelsystemen zu tun. Wenn für Fußgänger:innen grün ist, dann haben Autofahrende Rot und umgekehrt. Wir aber wollen ja vom Gehweg runter auf die Fahrbahn. Nach welcher Ampel müssen wir uns da jetzt richten? 

Situation 1: (Bild oben) Man kommt aus einen Fußgängerbereich (hier Alexanderstraße, Neue Weinsteige) und stößt auf einen Fußgängerüberweg mit Fußgängerampel. Dann ist das Problem nicht ganz so unlösbar, denn Fußgängerampeln (nur Fußgänger auf den Steuscheiben) gelten für uns Radfahrende nicht. Sie müssen nicht beachtet werden. Der Autoverkehr auf der Fahrbahn muss aber natürlich sehr wohl beachtet werden, und wenn nichts kommt, kann ich aus dem Aufstellplatz für Fußgänger nach rechts auf die Fahrbahn fahren oder die Fahrspuren queren und drüben nach links auf die Fahrbahn schwenken. Am ungefährlichsten ist das, wenn man es tatsächlich bei Fußgängerrot macht. 

Denn wenn man abwartet, bis die Fußgänger:innen Grün bekommen und losradelt, dann Vorsicht! Es könnte sein, dass eine Straßeneinmündung (roter Pfeil)  im weiteren Verlauf kommt. Autofahrende sehen Fußgängergrün uns denken, da kann ich jetzt rausfahren, denn die Autos stehen ja. Noch gefährlicher wird das, wenn sie eine Ampel haben, die parallel zu den Fußgängern grün wird. Dann radelt man den überraschten startenden Autofahrenden genau vor den Kühler. Das gilt natürlich auch fürs nach rechts auf die Fahrbahn rausfahren. 

Deutliche Handzeichen sind extrem hilfreich bei solchen Manövern, bei denen man zwischen Fußgänger- und Autoverkehrsanlagen wechselt, denn für andere ist das Manöver nicht vorhersehbar, weder für andere Radfahrende noch für Autofahrende. 

Situation 2: Die Fußgängerampel zeigt auf der Streuscheibe auch ein Radzeichen, ist also auch für den Radverkehr gedacht. Dann sehe ich  Rot und muss warten. Allerdings möchte ich ja entweder gleich nach rechts auf der Fahrbahn weiterradeln, also gar nicht rüber, und bin in der nächsten Sekunde ein Fahrzeug, das hier gerade Grün hat und fahren darf. Würde man beim Rechtsabbiegen hier warten, bis die Fußgänger:innen und Radler:innen grün bekommen und dann gleich nach rechts auf die Fahrbahn schwenken, würde man Autos, die auf einer nachfolgenden Kreuzung gerade mit den Fußgängern parallel grün haben, wiederum direkt vor den Kühler fahren. Dieses Dilemma ist nicht lösbar. Hier ist höchste Vorsicht geboten. Das gilt auch fürs Linksabbiegen aus einer Fußgänger-/Radfurt, wo man bei grün losradelt. Man wechselt ja komplett das System, aus dem Fußgängermodus wird ein Automodus, und plötzlich sind andere Ampeln gültig. 

Insofern ist es auch bei einer Ampel mit Rad-Zeichen auf der Streuscheibe unter Umständen tatsächlich ungefährlicher, wenn wir bei Rot nach rechts oder links auf die Fahrbahn einschwenken, nachdem wir uns vergewissert haben, dass der Autoverkehr auf der Fahrbahn das zulässt. 

Situation 3: Die Fußgängerfurt überquert eine vierspurige Fahrbahn. Dann gibt es eine Mittelinsel. In dem Fall gilt völlig zweifelsfrei, dass wir uns zunächst nach der Radampel richten (wenn kein Radzeichen auf der Fußgängerampel ist, dann kann man fahren, wenn frei ist) und dann auf der Mittelinsel anhalten. Wenn wir jetzt nach links auf die Fahrbahn einschwenken wollen, müssen wir wieder entscheiden, ob wir Fußgängergrün abwarten (Vorsicht bei nachgeordneten Einmündungen) oder uns eher wie Fahrzeuge verhalten, die wir sind, sobald wir auf der Fahrbahn in Fahrtrichtung unterwegs sind. 

Wenn wir losradeln sind wir noch Radfahrende, die sich unbedingt nach der Radampel richten müssen, biegen wir nach links ab, sind wir Autofahrende, die eigentlich noch nicht fahren dürften, weil sie wegen Fußgängergrün Rot haben. Das ist ein nicht lösbares Dilemma, das große Vorsicht erfordert, auch wenn wir hinter der weißen Haltelinie für Autos auf die Fahrbahn gefahren sind. 

Situation 4: Wir sind auf dem Radstreifen einer Fahrbahn unterwegs und wollen an der nächsten Fußgängerfurt nach links in den Fußgängerbereich (der für Radler freigegeben oder ein Radweg ist) abbiegen. Blogleser Alex hat diese Situation am Beispiel der Rembrandtstraße in Möhringen ins Bild gesetzt. Der Radler kommt aus Sonnenberg, fährt auf dem Schutzstreifen und will nach links auf den für Radler freigegebenen Weg fahren. Wie geht das jetzt aber regelkonform und ohne sich selbst in Gefahr zu bringen? Eine Möglichkeit (blaue Linie) ist, auf den Gehweg hochfahren, das Rad um 90 Grad drehen und auf Fußgängergrün warten. Ist sicher die unkritischste Variante. 

Aber auch darin steckt ein unlösbares Problem. Haben die Autos und man selbst nämlich gerade Rot, dann darf auch ich die weiße Haltelinie nicht überfahren. Die Fußgänger und Radler hätten dann aber auf der Querung gerade Grün (rote Linie), und es liegt nahe, vor den stehenden Autos auf die Furt einzuschwenken und bei bequemen Grün rüberzuradeln. Das werden die meisten auch genau so tun. Es bleibt aber eine Grauzone, denn solange ich im Automodus auf der Fahrbahn unterwegs bin, was dasselbe ist wie im Fahrradwegmodus mit Fahrradampel auf einem Streifen, darf ich die Haltelinie nicht überfahren, wenn für mich Rot ist. Eine Sekunde später aber bin ich Fußgänger und Radfahrer, der eine Furt benutzt. 

Haben Autos und ich gerade Grün, kann ich vom Radstreifen aus nicht nach links abbiegen. Ich kann ich aber rechtzeitig vorher nach links auf die Autofahrspur einordnen und aus ihr heraus links abbiegen. Dabei halte ich allerdings Autos hinter mir auf, um so mehr und länger, je mehr Gegenverkehr ich abwarten muss. Autofahrende würden nicht auf die Idee kommen, hier links abzubiegen, sie rechnen also auch nicht damit, dass ein Radler das tut und dabei anhält. Würde allerdings ein Autofahrer in diesen Fußweg abbiegen wollen (etwa der Wagen eines Bauarbeiterteams, das dort hin muss), würde der Fahrer das genau so machen. 

Solche Übergänge sind für Radfahrende eine Herausforderung, weil er/sie eben nur selten durchgängige eigene Wege hat, sondern sich immer wieder in zwei verschiedene Mischverkehre begeben muss, mal mit dem Fußverkehr, der anders organisiert wird als der Autoverkehr, und mal mit dem Autoverkehr. Und an solchen Stellen ist unser Pfadfindersinn gefragt, wir müssen eine für uns passende und ungefährliche Lösung finden, der Gesetzgeber lässt uns hier allein. Aus der Perspektive von Fußgänger:innen oder Autofahrer:innen sehen wir Radfahrende dann immer so aus, als würden wir uns an keine Regeln halten und unberechenbar überall langradeln. 

6 Kommentare:

  1. Ich habe meine Route so angepasst, dass ich so wenig wie möglich Kontakt zu Ampeln habe, bei denen ich ausgebremst werde und suche gezielt Querungen ohne Radler-Streuscheibe oder mache es wie beim Milaneo- meide die Ampel komplett und quere die Fahrbahn auf höhe der Polizeiwache- das ist sehr viel Komfortabler und man kann den Verkehr sehr gut analysieren.

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    1. Jörg
      An Dir sieht man den Ampeleffekt. Wir weichen aus. Der klügere (schwächere) gibt nach. Du kannst Dich mal an die IVLZ (https://www.stuttgart.de/leben/mobilitaet/verkehrsleitzentrale/technische-moeglichkeiten.php) wenden. Die sagen: "Die IVLZ kann ... unterschiedliche Ampelprogramme schalten, um die Verteilung der Grünzeiten zu verändern und damit den Verkehrsfluss zu optimieren." Wenn sie gut drauf sind optimieren sie deinen Verkehrsfluß.

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  2. Jörg
    Die Rechtslage ist das eine, die ungefährlichere Fahrt und die Leichtigkeit der Radfahrt sind die anderen Punkte.
    Das Linksabbiegen ist für Radfahrer nicht vorgesehen. Es gibt ein paar Stellen wo es tatsächlich baulich geplant ist. So ein paar Meter weiter zu Bild 3 an der Sigmaringer Straße. An Bild 3 hätte ich gerne eine Linksabbiege Spur für Radfahrer mit großzügiger Aufstellfläche. Die Ampel für Autos wird regelmäßig rot, schon allein wegen der Stadtbahn. Früher gab es eine Sperrfläche die man als Abbiegespur nutzen konnte. Das hier keine Abbiegespur für die Schüler ist begründete der ausgeschiedene Fahrradbeauftragte mit der Gefährlichkeit des Linksabbiegens an dieser Stelle. Wie gesagt Radfahren Ja, Linksabbiegen lass es sein.

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  3. Wär ja auch zu blöd, wenn man schauen würde, wo gibt es denn eine Fahrradinfrastruktur, wo sowas funktioniert, ach sieh' da, die Holländer haben all sowas schon gelöst, machen wir es auch so.

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  4. Alles schon der Reihe nach. In Deutschland kümmern wir uns bezüglich Radinfrastruktur zuerst einmal darum, wie der Radverkehr auf der geraden, freien Strecke organisiert wird. Für die Behörden ist das schon kompliziert genug. Für die Politiker ist das ausreichend, um zu zeigen, dass "etwas für den Radverkehr getan wird". Wenn da etwas erreicht wird (gerne auch nur temporär und am besten als Leuchtturmprojekt mit irgendeiner Besonderheit, als Testfeld mit einer originellen Verkehrsführung oder wenigstens als Beginn der Festlegung eines Korridors, in dem dann später eine Planung begonnen werden könnte oder auch nur als völlig vage und unverbindliche Idee in den Raum geworfen. Ein wenig Medienecho, dann flaut das Interesse schon wieder deutlich ab. Beharrliche und hartnäckige Ausnahmen wie Christine gibt es natürlich und sind ungerechtfertigt im Topf gelandet.

    Erst weit danach an zweiter Stelle beschäftigt man sich mit Knotenpunkten (Kreuzungen, Einmündungen, Kreisverkehr, Brücken, Unterrführungen. Oder gar noch Übergänge zwischen gemischter Verkehrsführung und baulich getrennter. Der Klassiker sind die "im Nichts" beginnenden und endenden Radwege. Nochmal später dran ist die Abbiege-Problematik, die Christine inzwischen mehrfach aufgegriffen hat.

    Beim ADAC, dessen politischer Einfluß immer noch um Größenordnungen wirkungsvoller ist als der des ADFC und anderer Verkehrsclubs und Interessenvertretungen, ist das Problem auch noch nicht angekommen: In der Stichprobem-Studie, in der der ADAC der Radinfrastruktur in Stuttgart ordentliche Noten vergeben hat, wurden die Kreuzungen auch ausgeblendet und nur der gerade aus fließende Radverkehr in einer Richtung bewertet, d.h. eine Kreuzung zweier Straßen nur zu einem Zwölftel untersucht. Klar, die Autofahrer-Lobby hat Interesse daran, zu "beweisen", dass für den Radverkehr kein Handlungsbedarf besteht.

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  5. In Winnenden gibt es vergleichbare verkorkste Kreuzungen und Einmündungen.

    An einer ist kürzlich erst ein Unfall passiert. Es wurde betont, dass das radfahrende Kind bei Rot gefahren ist. Nicht erwähnt wurde, dass das nur eine Fußgängerampel ist.

    Dazu sind die Winnender Problem-Ampeln an zentralen Stellen im Radverkehrsnetz plaziert: links und rechts vom Bahnhof, direkt vor dem Bildungszentrum (Schulgelände), auf Schulweg-Routen.

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