8. April 2022

Wäre die Halterhaftung besser für Radfahrende?

Jetzt mal ganz juristisch: Was würde uns Radfahrenden bei Konflikten mit Autofahrenden die Halterhaftung bringen? Denn erfolgversprechend anzeigen können wir derzeit nur den Autofahrer, dessen Gesicht wir gesehen haben. 

In Frankreich werden Raser von hinten geblitzt, und der Halter des Fahrzeugs bekommt den Bußgeldbescheid. In Deutschland blitzt man sie von vorn, weil man das Gesicht des Fahrers oder der Fahrerin braucht, die bezahlen müssen. 

Ist das Gesicht nicht erkennbar oder will der Halter des Fahrzeugs den Fahrer nicht nennen, was er nicht muss, dann läuft der Bußgeldbescheid ins Leere (und etliche Anwälte sind darauf spezialisiert, dem Raser dabei zu helfen). Denn für Verstöße im fließenden Verkehr gilt die Halterhaftung nicht. Sie gilt aber sehr wohl, wenn Menschen bei einem Unfall zu Schaden kommen, egal, wer gefahren ist, wegen der Betriebsgefahr, die generell von Kraftfahrzeugen ausgeht. Und sie gilt im ruhenden Verkehr, also für das im öffentlichen Raum abgestellte Fahrzeug und damit auch wenn ein Auto falsch geparkt worden ist. Denn Falschparker werden in der Regel nicht am Fahrzeug angetroffen, das Knöllchen geht deshalb an den Halter. 

So kann man auch, wenn ein Zeuge oder eine Zeugin die Polizei ruft, auch die auf dem Gehweg abgestellten Mopeds, Motorräder und Sharing-Mopeds mit einem Verwarngeld (hier 40 Euro) belegen. Das Foto entstand am 20. März, das Knöllchen ist vom 3. März. Wenn die Firma, in diesem Fall Zoom, nicht kommt, steht das Moped dann halt noch ein paar Wochen auf dem Gehweg. Irgendwann bekommt der Halter den Bescheid dann vermutlich per Post.

Weil wir keine Halterhaftung haben, hat es auch keinen Sinn, Fahrräder - wie oft von Autolobbyisten gefordert - mit Kennzeichen auszustatten. Begeht ein Radfahrer Unfallflucht, müssten Unfallopfer und Polizei dem Besitzer des mit einem Kennzeichen ausgestatteten Fahrrads immer noch nachweisen, dass er oder sie auch damit gefahren ist. Und das ist im Zweifelsfall nicht möglich, wenn es kein Foto von seinem Gesicht gibt und er bestreitet, es gewesen zu sein. 

Fahrräder sind außerdem keine Kraftfahrzeuge, deshalb greift die Halterhaftung bei Personenschäden hier nicht. Das gilt auch für Pedelecs, die rechtlich Fahrrädern gleichgestellt sind. Stoßen ein Pedelec und ein Normalrad zusammen, kann der Normalradfahrer keine Ansprüche auf Schadensersatz daraus ableiten, dass das Pedelec eine Tretunterstützung, also einen Motor, hat, das hat 2015 das Landgericht Detmold festgestellt. Der Motor eines Pedelecs hat nicht mehr als 250 Watt, der Motor eines E-Bikes (eines E-Motorrollers) hat schon 500 Watt und es wird außerdem per Knopfdruck gefahren, also ohne eigene körperliche Anstrengung, und erfordert deshalb einen Führerschein und eine Versicherung (im einzelnen hier nachzulesen).  Dabei spielt es keine Rolle, dass man mit einem E-Mofa nur 20 km/h fahren darf, während man mit einem Pedelec bis 25 km/h Tretunterstützung bekommt, wobei man damit, genauso wie mit einem Normalfahrrad, auch schneller fahren kann. S-Pedelecs sind wiederum ebenfalls Kleinkrafträder, für die eine Helmpflicht, eine Versicherungspflicht mit Versicherungskennzeichen an Rad gilt und eine Führerschein der Klasse M erforderlich ist. Sie dürfen wie Krafträder nicht auf Radwegen gefahren werden. 

Ohne Halterhaftung ist die Verfolgung bestimmter auch gravierender Verkehrsverstöße schwieriger, etwa das enge Überholen von Radfahrenden. Auch wenn ein Radfahrer das mit einem OpenBikeSensor dokumentiert hat, fehlt ihm immer noch das Gesicht des Fahrers oder der Fahrerin, der/die zu eng überholt hat. Da muss sich schon die Polizei hinstellen und die Fahrenden rauswinken. Es nützt auch nichts, wenn man sich das Nummernschild eines Autos gemerkt hat, das verkehrtherum durch eine Einbahnstraße gebrettert oder durch eine Fußgängerzone gefahren ist, man muss immer auch den Menschen hinterm Steuer identifizieren können. Solche gefährlichen Verkehrsverstöße können von privat leichter erfolgreich angezeigt werden, wenn es eine Halterhaftung gäbe. 

Aber wollen wir wirklich eine Halterhaftung? Im ersten Moment sagen wir vermutlich ja. Dann könnten wir Helmkaneravideos mit Nummernschildern direkt an die Polizei weitergeben und erwarten, dass die Halter dafür gerade stehen müssen, dass sie uns geschnitten, ausgebremst, genötigt, gefährdet oder zu eng überholt haben. (Allerdings ist es verboten, beim Radfahren (wie beim Autofahren) ständig eine Videokamera (Dashcam) laufen zu lassen. Widerrechtlich gemachte Videoaufzeichnungen dürfen dennoch im Fall eines Unfalls herangezogen werden, wenn anders der Sachverhalt nicht geklärt werden kann. Abstandsmessgeräte wie der OpenBikeSensor sind hingegen wohl erlaubt (die interessanten Einzelheiten sind hier nachzulesen).)

Und wenn ich genauer darüber nachdenke, erscheint es mir nicht sinnvoll, dass wir Radfahrende uns auch noch die Aufgabe aufbürden, polizeiliche Aufgaben zu übernehmen, also die Beweise zur Strafverfolgung selber zu sammeln und an die Polizei weiterzugeben. Ich möchte nicht gern in einer Gesellschaft leben, in der Menschen mich bei der Polizei anzeigen, ohne dass ich überhaupt mitbekommen habe, dass mein Verhalten dokumentiert wurde. Theoretisch könnte ja ein grimmiger Nachbar mich fotografieren, weil ich von meiner Einfahrt immer 10 Meter über den Gehweg radle, ehe ich auf die Fahrbahn komme oder wie ich bei Rot über eine Ampel fahre. Wollen wir wirklich in so einer Gesellschaft leben, wo die Polizei mit Beweisfotos von Nachbarn zu uns kommt und ein Bußgeld verlangt? Es ist ja nicht so, dass wir Radfahrende keine Regelverstöße begingen, über die sich wiederum Fußgänger:innen so ärgern und bei denen sie ebenso erschrecken wir wir bei engen Überholvorgängen. 

Die Halterhaftung bei Verstößen im fließenden Verkehr würde auch die Diskussion über Kennzechen für Radfahrende wieder befeuern. Ob mit Erfolg, wage ich zu bezweifeln, aber die Erklärungen, warum Fahrradkennzeichen nichts bringen, würden schwieriger. Es ist aber nicht so sehr die Frage, ob wir selber Nachteile hätten, weil auch wir leichter in Haftung genommen werden könnten, als vielmehr die Frage, ob wir Bürger:innen uns gegenseitig dazu animieren wollen, selbst Polizei zu spielen und Beweise für Regelverstöße anderer (die nicht zu einem Unfall mit Personenschaden geführt haben) der Polizei zu übergeben. Meine Antwort darauf ist: Nein. Die Gesetze und Regeln sollen von der Polizei überwacht werden. Auch wenn das nicht so perfekt läuft, wie wir uns das wünschen, solange wir nicht selbst ohne Licht oder beim Radeln in einer Fußgängerzone erwischt werden.  

 


6 Kommentare:

  1. Ich fände Halterhaftung generell besser. Die Ausrede "weiß nicht wer gefahren ist" kann nicht für alles herhalten. Wenn so viele Leute mit dem Fahrzeug fahren, dann muss man ein Fahrtenbuch führen. Es ist nicht ganz richtig, dass der Halter den Fahrer nicht benennen muss. Er braucht ihn nur nicht zu nennen, wenn er dem Fahrer gegenüber ein Zeugnisverweigerungsrecht hat (z.B. Ehepartner), sonst muss er ihn nennen. Dann kann die Polizei aber auch ermitteln, z.B. Nachbarn befragen, ob man gesehen hat, wer wann mit dem Fahrzeug gefahren ist. Das ist in den meisten "Bagatellfällen" der Polizei zu viel, aber bei Unfällen wird das gemacht.
    Halterhaftung hätte den Vorteil, wei in Frankreich, dass von hinten geblitzt werden kann, denn dann bekommt man auch die Motorradfahrer. Das geht bei uns nur bei sofortigem Anhalten des Motorrads.
    Fahrradkennzeichen fände ich auch nicht gut. Es verkompliziert Radfahrer, so wie Helm. Radfahren sollte möglichst einfach sein. Das einzige, worauf ich bestehe, ist eine regelkonforme, funktionierten Ausstattung des Fahrrads.
    Karin

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  2. Im Grunde ein erfolgreiches Konzept:
    "Ich stelle doch nur die leere Hülle bereit und habe mit den Inhalten nichts zu tun!"

    Tut auch mit Google und Kinderpornos.

    Klar, dass die Autolobby was gegen Halterhaftung hat.

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  3. Auch bei Parkverstössen gibt es keine Halterhaftung. Es gibt nur eine in §25a StVG begründete Kostentragungspflicht des Halters für das Verwaltungsverfahren, wenn der Fahrer nicht festgestellt werden kann.

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    1. Da ist dann direkt Abschleppen und Abholen nur gegen Bares eine gute Lösung. Wer das Auto vermisst hat es vermutlich auch hingestellt.

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  4. In Diskussionen mit Nicht-Radfahrern* wird schnell klar, dass die meisten von den Problemen beim Radfahren im Alltag absolut keine Ahnung haben, schlimmer noch, es ist Ihnen wurst.

    Und mir fehlt immer mehr die Energie, irgendetwas zu erklären. Wir drw5hen uns hier endlos im Kreis...

    Alles keine guten Zeichen für unsere Demokratie.

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  5. Mit im Schnitt 27 km /h auf Parkplatzsuche. Alle Achtung!

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