9. August 2022

Dann klappt das auch mit der Mobilitätswende

Ich finde das Thema so wichtig, dass ich dazu ein paar Worte sagen will, obwohl es nur sehr mittelbar mit dem Radfahren zu tun hat. 

Wir hören und lesen gerade überall, das 9-Euro-Ticket für den Bahnverkehr habe kaum jemanden bewegt, Autofahrten durch Bahnfahrten zu ersetzen, vielmehr seien die Leute mobiler gewesen und hätten mehr Zugfahrten gemacht. Schlagzeile lautet fast immer: Das 9-Euro-Ticket hat mehr Verkehr erzeugt. Das erweckt den Eindruck, es handle sich um das, was mit "Verkehr" assoziieren, nämlich Autoverkehr. Es hat aber mehr Mobilität erzeugt. Leute, die vielleicht kein Auto haben und sich Zugfahrten nicht immer spontan leisten konnten, konnten jetzt mal mit Zügen reisen. Laut der Zusammenfassung auf Tageschau.de ging der Autoverkehr in den drei Monaten nur um rund 3 Prozent zurück. Eine echte Auswertung der Daten hat noch nicht stattgefunden, es sind eher Eindrücke, die die verschiedenen Verkehrsforscher:innen schildern. Fazit: Ohne echten und massiven Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs wird es nicht zu einer Mobilitätswende kommen.  

Ich denke, dass Menschen ihre Mobilitätsverhalten nicht für drei Monate grundlegend ändern. Sie wissen ja nicht, was nach dem 9-Euro-Ticket kommt. Viele, die bislang eher nie Zug oder Bus und Bahn gefahren sind, haben vielleicht erste Erfahrungen mit dem Bahnverkehr gemacht, haben ein mehr oder weniger großes Chaos erlebt, weil die Züge überlastet waren, und sind vielleicht skeptisch geblieben, was die Bequemlichkeit von Bahnreisen betrifft. Die sozialen und anderen Medien haben sehr oft über Bahnchaos berichtet, über Verspätungen und ausgefallene Züge, haben aber nicht im gleichen Maß über gesperrte Autobahnen (die Avus in Berlin ist immer noch wegen des Feuers im Grunewald gesperrt, der Zugverkehr nicht mehr, war es aber auch) oder lange Autobahnstaus berichtet. Auch mit dem Auto kommt man ja nicht immer zu der Zeit an, die man geplant hat. 

Zugleich wurde der Autoverkehr mit einem Tankrabatt gefördert, das Benzin ist nie wirklich teuer geworden. Wenn man das Auto billig und bequem hält - und begünstigt -, dann halten sich die Leute das Auto in Petto und fahren auch damit. Um eine Mobilitätswende herbeizuführen, bei der günstigere Tarife für Busse und Bahnen durchaus helfen könnten, muss das Auto unbequemer und teurer werden. Übrigens nicht zum Spaß, sondern weil wir dringend eine Reduktion von CO2 und anderen Luftgiften brauchen, zur Rettung unseres eigenen Lebens im vertrauten Wohlstand. 

Um das Moniltätsverhalten grundlegend zu ändern, muss an Steuerschrauben gedreht werden. Ernsthaft und planbar für alle, die unterwegs sein wollen oder müssen. Das Dienstwagenprivileg existiert immer noch, und die FDP weigert sich, es abzuschaffen. Es sorgt dafür, dass Menschen Mittelklasseautos fahren können, die sie sich nicht selber anschaffen müssen. 

Die Pendlerpauschaule gilt zwar auch für Fahrten mit Bus und Bahn zum Arbeitsplatz, wird aber meist als eine Finanzierung des Autoverkehrs von Arbteitsnehmer:innen verstanden, die mehr als 20 km zwischen Wohnung und Arbeitsplatz pendeln. Ist jedoch die Zugstrecke (oder eine Kombi aus Auto und Zug) länger als es die kürzeste Strecke mit dem Auto wäre, kriegt man nur die Pauschale für die Autostrecke. Auch wenn ich mit dem Fahrrad zur Arbeit pendle, kann ich in den Werbungskosten die Entfernungspauschale geltend machen, sofern der Weg länger als 20 km ist. Länger als der kürzeste Weg mit dem Pkw sollte die Strecke aber vermutlich nicht sein. Die Pendlerpauschaule ist also schon auf den Autofahrer oder die Autofahrerin ausgelegt. Auch hier könnte man durchaus steuernd eingreifen, indem Bus- und Bahn-, aber auch Fahrradfahrten begünstigt gegenüber Pkw-Fahrten begünstigt werden. 

Außerdem war der Mobilitätsversuch mit billigen Bahnfahrten einfach viel zu kurz, und zu unbedacht. Es fehlten Züge, und es fehlt seit Jahrzehnten der Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs. Menschen, die immer mit der Bahn fahren, ärgerten sich über volle Züge und überlegten, doch wieder das Auto zu nehmen. Man kann einen Versuch bequem zum Scheitern bringen, indem man ihn schlecht vorbereitet und durchführt und auf einen zu kurzen Zeitraum beschränkt. Und der vielleicht klammheimliche Jubel von Teilen unserer Autogesellschaft über sein Scheitern, ist nach meiner Ansicht völlig unangebracht. Man kann es auch darauf anlegen, zu beweisen, dass Menschen lieber Auto fahren, und das war hier der Fall. Es sieht so aus, als sei das 9-Euro-Ticket  eher ein schlecht gemachter Versuch, der scheitern sollte, gewesen. 

Also auf ein Neues. Bleiben wir dran, fordern wir weiterhin und unermüdlich die Verringerung der Privielegien für Autofahrende und mehr Begünstigungen und Bequemlichkeiten für alle, die Fahrrad oder Bus und Bahn fahren. Dann klappt das auch mit der Mobilitätswende. 

9 Kommentare:

  1. Ich glaube es hat auch was mit dem schlechten Image der Bahn zu tun. Ich fahre quasi nur stichprobenhaft Bahn. Trotzdem kann ich von jeder Fahrt alle mögliche Storries erzählen. Zug zu spät, Anschlusszug zu spät, Zug nicht gekommen, anderer Zug gekommen, 2min vor Abfahrt plötzlich Zug verschwunden und anderer Zug auf dem Gleis, mal ohne Hinweis, mal mit 4sprachiger Durchsage (in Brüssel) und dann immer das Gerenne, um den Zug noch zu bekommen, Reservierungssystem ausgefallen, statt ICE ein zusammengestoppelter mit alten Nahverkehrswagons, verspätete Züge, dass man besser zwei Züge davor nimmt, Züge mit Fahrradmitnahme gebucht und keine Fahrradmitnahme vorgefunden, aber dafür Schaffner, die einen am nächsten Halt rausschmeißen wollen, etc.
    Einmal Umsteigen kann man noch riskieren, zweimal schon nicht mehr, das klappt totsicher nicht.
    Und dann Anschlüsse an den Nahverkehr. Busse, die einem vor der Nase wegfahren und der nächste kommt in einer halben Stunde und zwar jedesmal. Einmal bin ich wegen einer liegengebliebenen Straßenbahn fast nicht zum Zug gekommen.
    Also Reisen mit Bahn und ÖPNV ist eher so Abenteuerreisen und für Leute mit viel Langmut. Spricht man mit Pendlern, die regelmäßig, gerade mit der Bahn, fahren, ist da viel Frust zu finden. Meist haben sie keine andere Wahl und müssen fahren, aber gerne und entspannt fahren, ist für Pendler anders.
    Um Leute in den ÖPNV und die Bahn zu bekommen, braucht es Verlässlichkeit und es braucht mehr Fahrzeuge, besonders in den Hauptverkehrszeiten. Mein Mann hat ÖPNV aufgegeben, weil er nicht mehr in poppevollen Bahnen fahren wollte, und mittags nicht drei Bahnen abwarten wollte, bis er mal in eine reinkam. So kann man Leuten nämlich auch ganz aktiv den ÖPNV verleiden.
    Es muss erstmal das Angebot da sein, bevor man versucht mehr Passagiere durch Vergraulen anderer Verkehrsarten zu bekommen. Wenn die Nahverkehrsunternehmen nämlich ehrlich sind, dann geben sie zu, dass sie keine 10% mehr Fahrgäste verkraften. Dann lässt man auf Strecken an manchen Haltestellen die Leute dort einfach stehen, weil keiner mehr reinpasst. Wir brauchen erst mehr Kapazität bei Bahn und ÖPNV und eine gescheite Streckenplanung, dann klappts auch mit mehr Fahrgästen. Das Problem ist nämlich vielschichtig.
    Karin

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    1. Unter dem ganzen anderen Komentargeschwurbel trifft deiner ins Schwarze
      und ist argumentativ klasse, vielen Dank Karin, dem kann man nichts hinzufügen-
      Ich sehe das genau so
      Grüsse Andreas

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  2. Anstatt die Viehtransporter, wie ich liebevoll den ÖPNV bezeichne, auszubauen, sollte man den Menschen mehr die Gelegenheit geben, ihr Ziel aus eigener Kraft zu erreichen. Mit vernünftigen und sicheren Radwegen würden viele Leute aufs Rad umsteigen, die heute nur Bahn fahren, weil sie Angst vorm Autoverkehr haben.
    Und auch das wäre nachhaltig, denn die SSB fährt auch nachts um eins mit nur einem Fahrgast ihre 50 Tonnen Gewicht durch die Gegend und das ist mindestens genauso Umweltschädlich wie das private Auto.

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    1. Ralph Gutschmidt9. August 2022 um 13:02

      Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob das Satire ist?

      Zur Sicherheit: Nein, ein Radweg ersetzt keinen ÖPNV. ÖPNV ist die Grundlage, denn damit haben alle Menschen Mobilität. Zwar können sehr viele Menschen radfahren, sie sind sportlich genug und in der Lage, sich im Straßenverkehr zurecht zu auch finden. Auch die brauchen ein gutes Angebot. Aber auch alle anderen haben ein Recht auf Mobilität und dazu brauchen wir den ÖPNV.

      Übrigens: die Auslastung eines einzelnen Fahrzeugs ist irrelevant. Denn die Menschen fahren nur dann abends mit der Bahn ins Kino, wenn sie sicher sind, dass sie auch wieder heim kommen, selbst wenn sie danach noch etwas trinken.

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  3. Deutschland wird, was die Mobilität angeht, seit Jahrzehnten von extremistischen Splitterparteien regiert.
    Das hat wenig mit Demokratie zu tun und verhindert jeden Fortschritt.
    Oder wie Ulrike Herrmann im Bundestalk zum gleichen Thema neulich so treffend anmerkte:

    "Das Problem heißt Christian Lindner...und [er hat] von nichts 'ne Ahnung..."

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  4. Joerg
    Ja die Gratismentalität des Autofahren auf den Straßen und das Gratis parken sowie die Steuergeschenke für die wohlhabenden Autofahrys sollten ein Ende finden.
    Es war super einfach Verkehrsverbung übergreifend ÖV zu fahren. Fernverkehr mit Nahverkehrszuegen macht wenig Spaß. Da kauft man Sparpreise.
    Es ist Wahnsinn wie minus 3% Autoverkehr die Staus reduzieren. Beim aktuellen Verhältnis ca. 65% Pendler Stuttgart im Auto und 30 % im ÖV bedeutet, 3% weniger Auto einen 6% Zuwachs im ÖV. Ich finde wir sollten, schauen das zu halten.
    Die leichte günstige Fahrradmitnahme ist ein wichtiger Bestandteil der CO2 armen Reisekette. Die brauchen wir dringend. Kaum jemand nimmt sein Rad täglich mit es sind häufig Spezialfahrten raus auf das Land. Oder eine Strecke wird geradelt die ander ÖV gefahren.

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  5. "zur Rettung unseres eigenen Lebens im vertrauten Wohlstand"

    Beides zusammen wird es nicht geben. Aber auch getrennt ist inzwischen extrem unwahrscheinlich. Die Zivilisation ist stark am Bröckeln, vieles nur noch mühsam zusammengehaltene Fassade. Und bereits jetzt sterben jedes Jahr mehrere Millionen.

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  6. Für uns war das 9€ Ticket absolut die Rettung, neuer Job in anderer Stadt, Wohnungssuche und all das damit zusammenhängende Hin und Her wären nach Jobverlust durch Corona kaum zu bezahlen gewesen. Ich bin begeistert von der Möglichkeit das alles mit dem Zug zu erledigen und fände es vollkommen richtig wenn auch weiterhin auch Geringverdienern etwas mehr Mobilität ermöglicht wird. Ja der ÖPNV muss ausgebaut werden damit wirklich Autofahrten wegfallen, das muss er sowieso, denn bei den Normalpreisen ist es auch nicht zuverlässiger aber das eine schließt doch das andere nicht aus.

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  7. Individuelle Mobilitiät zu verbieten, ist m.E. undenkbar. Das ist ein Grundbedürfnis des Menschen, jede Einschränkung ist wie "Corona-Ausgangssperre".

    Was man m.E. allerdings locker einschränken könnte, ist das "Recht", individuelle Mobilität mit enormem, absurdem Energieverbrauch / Schadstoffausstoss zu erreichen. Wie heute üblich mit leeren Autos.

    Jeder möge sich bewegen, wie er will, aber die dadurch entstehende Belastung der anderen darf gewisse Grenzen nicht übersteigen. Eine tonnenschwere Eichenschrankwand zu bewegen, nur um eine einzelne, individuelle Person von A nach B zu transportieren, ist einfach "nicht drin". Alternativen existieren längst, alle diesbezüglichen Hersteller krebsen an der Insolvenz.

    Was ist eigentlich so schwer daran, das gesetzlich umzusetzen? Es wird ja noch nicht mal offiziell gefordert?

    S. Schwager, Fürstenfeldbruck, Bayern

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