2. September 2022

Mehr Fahrrad auf dem Land ist möglich

Auch auf dem Land geht viel mehr mit Fahrrädern, als man immer denkt. Zur Arbeit hat man vielleicht einen Weg von 20 bis 90 km. Andere Wege sind dagegen kürzer als in der Stadt. 

Dass auch längere Arbeitswege oftmals mit Pedelecs zu schaffen sind - und mit deutlich mehr Vergnügen und Wohlbefinden als mit dem Auto - schildert eine Familie aus Bayern hier B24. Die fährt Rad, auch weit und hat eins von zwei Autos abgeschafft und das Auto nur noch für Notfälle. 

Auf dem Land fällt der Umstieg manchen erstaunlich schwer, denn, weil man meint, ohne Auto gehe nichts, stehen (je nach Alter der Kinder) oftmals zwei bis drei Autos auf dem Hof, in der Straße oder auf dem Grundstück. Und dann nimmt man es auch für die kurzen Fahrten in den Ort zum Bäcker oder für Einkäufe. 

Jetzt, wo die Benzinpreise steigen, entdecken aber auch viele auf dem Land das Fahrrad für ihre Besorgungen.

Und wenn sie sich ein Pedelec gönnen, dann macht ihnen Radfahren schnell mehr Spaß als Autofahren. Man spart nicht nur Benzin, sondern auch Parkplatzsuche und Parkplatz bezahlen. Und man fühlt sich besser. Meist sind es die Eltern oder Älteren, die dann lieber mit dem Rad fahren, der Sparsamkeit und der Fitness wegen. Die ländliche Jugend (vor allem die männliche) mag das anders sehen, für die ist oftmals das Auto ein Unabhängigkeits- und Statussymbol, und sie sucht Fahrpraxis und Gruppenerlebnisse. Denen wollen wir hier nicht dreinreden. 

Es ist alles eine Frage der Bequemlichkeit, behauptet der bayrische Vater in der Reportage von B24. Aber das klingt jetzt wieder so, als machten Radfahrende sich das Leben unbequem und schwer, als brächten sie ein Opfer der Umwelt zuliebe oder weil sie Geld sparen wollen. Das ist aber nicht so. Im Auto sitzt man vielleicht wie auf dem Sofa, aber kein Mensch ist glücklich damit, sein Leben die meiste Zeit auf dem Sofa zu verbringen. Bewegung mach glücklich. Rad fahren klingt vielleicht zunächst anstrengend, aber an sich strengen wir uns ja gern ein bisschen an, weil wir das Erfolgserlebnis hinterher lieben. Und Radfahren macht ziemlich schnell Kopf und Sinne frei. Man spart sich den Ärger, den Autofahrende oft und schnell empfinden (Stau, Verzögerungen, blöde andere Autofahrer:innen etc.) und auf den können wir gern verzichten. 

Das aber merken nur Leute, die tatsächlich die meisten Alltagswege mit dem Fahrrad fahren. Wer das bisher mit dem Auto tut, kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass das Fahrrad das bessere Verkehrsmittel ist. Deshalb ist es auch so schwierig, Menschen zum Umstieg aufs Fahrrad zu bringen, deren seit Jahren eingeübte Perspektive die durch die Windschutzscheibe ist, nicht aus Überzeugung, sondern aus Gewohnheit. Sie sehen Radfahrende aus dieser Perspektive und denken: Oh ne, das ist doch viel zu gefährlich. Und das muss dann als Begründung dienen, dafür, dass man sich selbst sowas nicht zumutet. Und natürlich das Wetter, auch das sieht vom Autosofa schrecklicher aus als es sich für den Radler anfühlt. 

Umstiegsprogramme mit Begleitung helfen da enorm, die Sorgen zu überwinden. Man kriegt ein Rad und darf probieren. Und schnell merken die Radelnden dann, dass ihre größte Sorge, das Wetter, eigentlich kein so großes Problem ist. Gerade auf dem Land hat man oft angenehmere Wege fürs Fahrrad als in der Stadt, mehr Grünwege, mehr verkehrsferne Wege, und oftmals haben Landstraßen begleitende Radwege. Die aber die netten oder ungefährlicheren Wege entdeckt man erst, wenn man Rad fährt. Vom Auto aus sieht man die Chancen und Möglichkeiten nicht. 

Auch auf dem Land geht es nicht um alles oder nichts, sondern um ein mehr oder weniger. Mehr Fahrrad, weniger Auto. Der Gewinn ist groß: Mehr Freude, mehr Gesundheit, mehr Freiheitsgefühle, mehr echte Mobilität, weniger Kosten, weniger miese Gefühle. Was mit dem Fahrrad nicht geht, macht man dann halt mit dem einen Familienauto, das man noch hat. Und man muss ja auch nicht bei jedem Wetter das Fahrrad nehmen, wobei: Bei Schnee und Eis Auto zu fahren ist im Grunde genauso unangenehm und gefährlich wie Rad fahren. Die meisten fahren auch bei Regen und Kälte Fahrrad, wenn sie erst einmal gemerkt haben, welche Vorteile das Fahrrad bietet. Und es ist doch zu erhebend, das Wetter wieder zu spüren und sich lebendig zu fühlen. Zumal man von allen bewundert wird, die sich vor Regentropfen in Autos verstecken. 



9 Kommentare:

  1. in meiner kindheit auf dem dorf bin ich fast alle wege mit dem rad gefahren. das hatte v.a. was mit bullying zu tun: nur weicheier fuhren mofa oder bus.
    das tat damals schon und hat sich, was die radinfrastruktur angeht, in den folgejahrzehnten nur marginal verbessert.
    die stadt, in der das dorf eingemeindet ist, war kürzlich mobilitätspiltostadt und wurde mit steuermillionen überschüttet. ergebnisse kenne ich keine, außer einem ladecontainer am hbf. aber bis die auswertung vorliegt, bleibt alles erst mal so wie's ist.

    ihr elenden weicheier.

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  2. "Die Menschen sind aufs Auto angewiesen", diese Legende wird von der Politik hartnäckig aufrechterhalten. "Auto" heißt dabei immer: 5-Sitzer, mind. 1 Tonne, meistens leer. Je Premium, desto besser. Deshalb ja auch Tankrabatt.

    Dabei sind sie längst da: Leicht-Autos für eine Person, die dich mit einem Pedelec-Akku in die Stadt und wieder zurückbringen. Kann mir keiner sagen, dass deutsche Ingenieure solche Dinger nicht absolut science-fiction-mäßig machen könnten. Wenn sie dürften.

    Von den 250 Mitarbeitern meines Arbeitgebers fährt genau einer so ein Fahrzeug, weil er Idealist ist. 98% fahren "Auto" (5-Sitzer, Gewicht steigend entsprechend der Hierarchie), 2% fahren Fahrrad, die meisten nur bei Schön-Wetter.

    Politisch nicht erwünscht, nicht gefördert, nicht erhältlich. Dabei seit Jahrzehnten DER potentielle Weg zur "Heilung" des Verkehrs. Deshalb heißt es heute: Entweder naßwerden und "strampeln" oder der Welt beim Untergehen helfen. Politisch so gewollt, seit Jahrzehnten und weiter andauernd.

    Das erklär mir mal einer.

    Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern


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    1. Ist mir auch ein Rätsel, wie die menschliche Gesellschaft so leidenschaftlich am eigenen Untergang arbeiten kann. Ich habe noch keine Antwort darauf gefunden.

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    2. Das ist ein struktureller Teufelskreis Die kapitalistische Selbstrechtfertigung ist die von der Ungleichheit der Menschen, wobei Reichtum und der daraus folgende der Beweis dafür ist, dass man zu den Besseren, Erfolgreichen gehört. Autos, auch wenn sie einem nicht mal gehören sind dabei das Statussymbol par excellence.

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  3. Hey - kommt doch mal in meinem Dorf vorbei! Bärental, am Rande des Landkreis Tuttlingen. Und macht Urlaub. 4 Wochen! Nur mit Fahrrad.
    Mal sehen wer nach der Zeit die Notwendigkeit eines Autos bestreitet. Grüßle Maria

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    1. Hey, Maria, falls du den Artikel gelesen hast, dann hast du ja auch gelesen, dass es nicht um alles oder nichts geht, nicht darum, das Auto abzuschaffen oder ger nicht mehr Auto zu fahren, sondern darum, nicht immer das Auto zu nehmen. Es ist mir ja bekannt, dass der ÖV auf dem Land schlecht ist und dass leider auch oftmals eine Radinfrstruktur fehlt, die das Radfahren erleichtern würde. Ich sage hier nur, dass man auch auf dem Land öfter was mit dem Fahrrad erledigen kann und nicht so oft das Auto nehmen muss. Wenn das in deinem Dorf gar nicht geht, wenn man keinen Meter mit dem Rad fahren kann, dann würde mich brennend interessieren, wie es da aussieht und warum das so ist.

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    2. Nette Einladung, danke! Bin schon öfter unten an der Donau lang gefahren, absolut schöne Gegend.
      Die aktuelle Notwendigkeit eines Autos auf dem Land bestreite ich nicht. Aber ich würde spätestens jetzt anfangen, mit Hochdruck für den öffentlichen Verkehr auf dem Lande zu kämpfen, denn in 10 Jahren kann sich ein Normalverdiener kein Auto mehr leisten.
      Schon heute lebt nur einer von 6 Deutschen in Orten unter 5000 Einwohnern. Das dürften eher noch weniger werden, wenn sich die Mobilität nicht ändert.

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    3. Hey Maria, die Notwendigkeit, für die eigene Mobilitätsfreiheit eine tonnenschwere Bleikutsche mit 150 Pferden vornedran zu benutzen, bestreite ich jetzt schon :-)

      Wenn du ein paar Schritte zum Nachbarn gehst, schleppst du ja auch nicht eine Eichenschrankwand mit, nur so aus Spaß? Stell dir das mal vor, alle schleppen Eichenschrankwände mit sich rum... Es ist die größte denkbare Energieverschwendung, bei Autos kommt noch Umweltverschmutzung dazu.

      Das alles müsste schon längst nicht mehr so sein, du könntest längst regengeschützt und bequem durchs Bärental fahren und dabei kaum Energie verbrauchen, kaum mehr als mit dem Pedelec. Technisch ist das längst möglich.

      Mir ist klar, ich werd das nicht mehr erleben, aber die Behauptung, man bräuchte unbedingt so eine Eichenschrankwand, es geht nicht anders, außer mit dem Fahrrad, die werde ich nicht unterschreiben. Es ist schlichtweg ein politischer Skandal, der immer noch nicht - sogar jetzt nicht - thematisiert wird.

      Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern


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  4. Ausbau von Radinfrastruktur im ländlichen Bereich - insbesondere von KFZ-Verkehr getrennte Radwege in gutem Ausbau- und Pflegezustand (also bessere als der für den Restbedarf an Kfz-Infrastruktur) tut not. Öffentliche Massenverkehrsmittel sind bei geringer Besiedlungsdichte und von wenigen Leuten genutzten Relationen ökologisch und ökonomisch widersinnig. Ein zu 50% besetzter Bus hat eine schlechtere Ökobilanz als wenn die Leute einzeln mit dem Auto fahren. Zum Individualverkehr gibt es im Gegensatz zu Ballungszentren und Innenstädten keine Alternative. Radverkehr und motorisierter Zweiradverkehr muss attraktiver gemacht werden als Auto-Individualverkehr, weil er viel effizienter und ressourcenschonender ist.

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