21. März 2023

Der Höllentunnel unterm Flughafen

Unter der Landebahn des Stuttgarter Flughafens führt ein Tunnel hindurch, der  Filderstadt/Bernhausen mit Plieningen verbindet. Und zwar für Menschen, die in Autos fahren. 

Radfahrenden und Fußgänger:innen steht nur ein einziger Gehweg auf einer Tunnelseite zur Verfügung. Da die Fahrbahn für Fahrräder gesperrt ist, müssen sie unter der Bedingung der Gehwegfreigabe (Schrittgeschwindigkeit!) den Gehweg benutzen, dessen Verkehrsfläche so knapp bemessen ist, dass Fährräder nicht aneinander vorbei kommen, ohne dass sich die Lenker verhaken, Satteltaschen bleiben aneinander hängen, einem Fahrrad mit Anhänger darf niemand entgegenkommen. 

Wird der Tunnel für Autos gesperrt, fragte die Stuttgarter Zeitung Anfang März.

Radrouten (rot) westlich
Oh ja, das wäre schön! Dann könnte er endlich stressfrei von Radfahrenden genutzt werden und ein wichtiges Element der Radinfrastruktur für alle Radfahrenden sein, die von Filderstadt nach Plieningen, Degerloch oder bis nach Stuttgart reinpendeln. Er ist ca. 500 Meter lang. Will man ihn vermeiden, muss man einen Umweg der zehnfachen Länge radeln, also 5 km, entweder straßenbegleitend westlich über Leinfelden oder über die Feldwege östlich um die Landebahn herum. 

Der Flughafen und der Tunnel liegen auf Leinfeldener Gemarkung und das Gelände ist im Besitz des Landes.
Radrouten (rot) östlich

Wir in Stuttgart haben da nichts zu entscheiden. Das Land hat geprüft, ob man unterhalb der Landebahn einen parallelen Fahrrad- und Fußgängertunnel bohren könne, hat dies aber als nicht machbar verworfen, weil zu teuer, zu tief und steil und für einsame nächtliche Radler:innen angstmachend. Jetzt prüft das Verkehrsministerium, ob der Autoverkehr diesen Tunnel eigentlich braucht. Das Ergebnis könnte im Sommer vorliegen. 

Es kam auch die Idee ins Gespräch, dass man per Ampel den Verkehr je nach Richtung getrennt abwickelt.  Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass Autofahrende die Wartezeiten von zwei bis drei Minuten an roter Ampel gut finden. Trennt man eine der beiden Fahrspuren als geschützten Radfahrestreifen auf östlicher Seite ab, könnten Rettungsfahrzeuge nicht mehr durchfahren, wenn der Gegenverkehr gerade Grün hat, und müssten warten. Auch das möchte man eigentlich nicht. Ließe man den Rad- und Autoverkehr jeweils gleichzeitig fahren (Autofahrende würden dann Radler:innen überholen können), dann verlängern sich die Wartezeiten an der Ampel, denn bei einem halben Kilometer Länge, braucht man für Radfahrende eine Räumzeit von mindestens zwei Minuten, zusätzlich zu Grün/rot-Phasen, die den Autoverkehr abfließen lassen. Scheint mir nicht praktikabel, weder dass man Radfahrende zusammen mit Autofahrenden an einer roten Ampel vier Minuten stehen lässt, noch dass man den Tunnel auf eine Autofahrspur verengt und aus dem Wegenetz der Rettungsfahrzeuge rausnimmt. 

Also doch für den Autoverkehr sperren? Natürlich finden einige die Idee nicht gut, mit dem Auto einen Umweg fahren zu müssen. In diesem Zusammenhang lese ich in den Leserbriefen in der Stuttgarter Zeitung das Argument, das dann immer kommt: ein Umweg erhöhe auch den CO2-Ausstoß (was den Autofahrer andererseits nicht von ihrer kürzeren Strecke abhält), weshalb Radfahrende den Umweg kriegen, Autofahrende aber davon verschont werden müssten. Die Frage, wie viel mehr Menschen für die Strecke das Auto stehen lassen und das Fahrrad nutzen würden, wenn man dort angenehm radeln könnte, stellen sie sich ungern. Meistens argumentieren sie so: Da radle ja niemand. Was kein Wunder ist, so unangehm wie es auf dem Gehweg ist. 

Sehr oft erweist es sich in der Simulation und dann in Realität, dass man nadelöhrartige Autoverbindungen, die unerlässlich erscheinen, nicht braucht. Nimmt man sie weg, entspannt sich die Verkrehrssituation rund herum, ohne nennenswerte Staus an anderer Stelle zu erzeugen. Der Autoverkehr verpufft regelrecht. Bei der viel befahrenen Rosensteinbrücke in Cannstatt hätte man auch nicht gedacht, dass es gar nichts macht, wenn sie dem Autoverkehr nicht mehr zur Verfügung steht. Rund um den Flughafen gibt es jede Menge sehr gut ausgebauter teils kreuzungsfrei organisierte Autostraßen. Es gibt also keinen Grund, den Autofahrenden aufkosten des Rad- und Fußverkehrs die vier-Kilometer-Entfernung zwischen Bernhausen und Plieningen exklusiv zu überlassen. Für diese Strecke könnten sie entweder das Fahrrad nehmen, oder, wenn sie das nicht können, dann fahren sie eben außen rum. Das Radbündnis Filder und der ADFC haben mit Hilfe von Routenplanern für diverse Ersatzstrecken bereits festgestellt, dass sich für Autofahrende die Strecken zwar verlängern, die Fahrzeiten aber kaum, im Einzelfall werden sie sogar kürzer. Nur eine Ausnahme gibt es: Für die Verbindung von der A8 aus Richtung München in Richtung Frachtzentrum verdopple sich die Fahrzeit bei vierfacher Länge. Wobei es sich nach meiner Rechnung um eine Fahrzeit von 6 oder eben 12 Minuten handelt, sie sich also um 6 Minuten verlängert, was, wenn man vorher eine halbe bis zwei Stunden Autobahn gefahren ist, unerheblich ist. Der ADFC schlägt dennoch vor, dass man dann eben den Tunnel für Autos Richtung Bernhausen offen lässt, in Gegenrichtung aber sperrt, sodass der Zweirichtungsradverkehr eine Fahrspur bekäme und der Fußverkehr den Gehweg hat. Bleibt noch die Frage, wie wichtig die Busverbindung der Linie 74 zwischen Bernhausen und Degerloch ist, die durch den Tunnel verläuft, und ob der Bus Richtung Degerloch außen herum fahren kann. Und wie man die Einsatzfahrzeuge abwickelt. 

Sperrt man den Tunnel ganz für den Autoverkehr, dann wäre das eine zeitgemäßer Dienst an der Mobilitätswende, die wir dringend brauchen. Allerdings muss man auch etwas tun, um den Tunnel so zu gestalten, dass Menschen (vor allem Frauen), die da gegen Mitternacht durchradeln, sich nicht gruseln und keine Angst zu haben brauchen. Da wir aber Radtunnel (beispielsweise in alten Bahnröhren) ohnehin interessant finden, könnten wir hier gleich mal anfangen, uns Gedanken zu machen, wie man isolierte Strecken (also solche, wo niemand in Rufentfernung ist) sicher und angenehm macht: nicht nur mithilfe von Licht und freundlichen Anstrichen, sondern auch ohne jegliche Vorsprünge, hinter denen jemand stehen kann, mit Notrufknöpfen und einer campagnenartig beworbenen Kameraüberwachung mit Standtleitung zu einem Polizeirevier zum Beispiel. 


12 Kommentare:

  1. Bei uns gibt es auch so einen Tunnel (stadtintern: Suezkanal, offiziel Tunnelstraße). Er geht unter dem Bahnhof durch. Früher konnte man mit dem Auto durch, heute ist er eigentlich nur noch für Fußgänger und Radfahrer. (Und Vollpf.., die die Sperrungen beiseite schieben und sich durch den Tunnel druchdrücken). Er ist die kürzeste Verbindung zwischen der Innenstadt und dem Stadtteil auf der anderen Seite der Gleise/Bahnhof. Der Tunnel war eine Zeit für alle wegen Bauarbeiten gesperrt. Da mussten sich die Radfahrer einen Weg suchen und die Fußgänger direkt durch den Bahnhof durchlaufen.
    Mit dem Auto ist es eigentlich kein Problem auch anders zu fahren. Man muss es nur früh genug wissen, dass der Tunnel zu ist, sonst wirds wirklich ein ordentlicher Umweg.
    Karin

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  2. Man könnte auch den Tunnel nur für Busverkehr freigeben (Busspur) und Fahrrad frei. Dann wird der Busverkehr nicht behindert, denn der wird im Tunnel bei wenig Radverkehr Radfahrer überholen können, bei viel Verkehr halt nicht, aber dann steckt er halt im Verkehr fest, das passiert ja sowieso häufig.

    Einsatzverkehr ist auf Sonderspuren ja sowieso frei, da gibt es keinen Konflikt. Nur für den Verkehr des Frachtzentrums ist es dann halt nicht möglich.

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  3. Ich frage mich, ob der Tunnel als reine Radröhre genug Frequenz haben wird, um eine ausreichende soziale Kontrolle zu erreichen. So ein langer Tunner erzeugt ja ohnehin schon gewisse klaustrophobische Assoziationen. Wenn dann noch hinzu kommt, dass man allein hindurch muss und einem eine Gruppe entgegenkommt oder eine Person folgt, dann stelle ich mir das selbst als Mann nur mäßig entspannt vor..

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    1. Da wir ja auch andere Tunnel umwandeln möchten (und das durchaus ein gutes Modell für Radverkehr ist), könnten wir genau an diesem ausprobieren, was die Angst nimmt. Licht ist ein Faktor, ich muss als radelnde Frau weit nach vorn blicken können und sehen könne, ob da einer herumsteht. Es darf deshalb keine Knicke oder Vorsprünge geben, hinter denen jemand stehen könnte. Sähe ich einen Menschen, der mir Angst macht, könnte ich im Tunnel umkehren. Insofern wäre das ein Experiment. Der Radpendel-Verkehr morgend und abends würde sicher keine Probleme sehen und er könnte zunehmen, wenn der Weg endlich frei ist.

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    2. Zum Potenzial des Tunnels für den Radverkehr gibt es Zahlen im Abschlussbericht der Machbarkeitsstudie zu Radschnellverbindungen auf den Fildern (https://radschnellweg-fildern.de/wp-content/uploads/2023/03/Abschlussbericht_MST_Radschnellweg_Fildern_Gesamt.pdf). Dort wird für die Querverbindung in Tabelle 1 ein Potenzial von 4800 Radfahrenden/Tag genannt. Das ist mehr als auf allen anderen Abschnitten, und weit jenseits der Mindestanforderung von 2000 für Radschnellverbindungen.

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  4. Analysen zu Fahrradtunnels in den Niederlanden (und ihrem Vorzug ggü Brücken) finden sich bei David Hembrow:
    http://www.aviewfromthecyclepath.com/2014/08/why-tunnels-are-better-than-bridges-for.html?m=1

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  5. ne Brücke wäre in diesem Fall auch wenig vorteilhaft, weil man dann ständig mit Flugzeugen kollidieren würde.....

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    1. ... na gut, dann eben ein Zebrastreifen (Spässle ;-)

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  6. Die Verlängerung der Autoreisezeiten ist Teil der klima- und umweltgerechten Lösung, und nicht etwa, wie von IHK/Arbeitgeberverbänden und Autolobby gern mal behauptet Teil eines Problems.
    Ohne die schnelle, wirksame und längst überfällige Deattraktivierung des MIV wird das nichts mehr mit der - angeblich - von allen gewünschten 'Verkehrswende'.
    Siehe in diesem Zusammenhang die gut gesicherte Theorie und Empirie vom 'konstanten Reisezeitbudget'.
    Alfons Krückmann

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  7. Über "gefühlte Sicherheit" möchte ich jetzt nicht reden, die gibt es und das ist für unser Überleben seit Jahrtausenden auch gut so. Aber hast Du Studien/Statistiken, die eine tatsächlich erhöhte Unsicherheit in solchen Tunneln belegen? Ich kenne im In- und Ausland sehr viele ehem. Bahn- und Kanaltunnel, die sogar schlecht bis gar nicht beleuchtet sind, um Kurven gehen und auch noch kilometerweit von der nächsten Ortschaft entfernt sind. Bisher habe ich aber noch nie davon gehört, dass diese Tunnel Schwerpunkte für Überfälle oder sonstige kriminelle Tätigkeiten seien.
    Wie gesagt, ich verstehe die von Dir aufgeführte 'gefühlte Unsicherheit', kenne aber in diesem Fall keine Belege dafür. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich im Flughafentunnel jemand Nachts auf die Lauer legt um auf ein Zufallsopfer zu warten.
    Wenn Deine Argumente von Entscheidern aufgegriffen werden, besteht ggf. gar die Gefahr, diesem Unterfangen eine Absage zu erteilen, weil man weder das Geld noch das Personal für eine 24/7-Video-Überwachung hat.
    Versteh mich bitte ich nicht falsch, aber ich halte nichts davon, in der Entstehungsphase dieses Projekts heute schon einen unbelegten Teufel an die Wand zu malen.

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    1. Gefühle wiegen schwerer als Fakten. Mit "da passiert schon nix" wirst du niemanden überzeugen können.

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  8. Keine Sorge, mir ist ja bekannt, dass erstens Frauen im öffentlichen Raum seltener Gewalt ausgesetzt sind als Männer und dass die größte Gefahr für Frauen von ihren Familienmitgliedern ausgeht. Das Risiko in dunklen Wäldern vegewaltigt zu werden ist eher gering. Leider kenne ich aus meinem persönlichen Umfeld aus den 80er Jahren einen Fall, wo eine Radlerin in einsamer Dunkelheit von einem Serienmörder überfallen und getötet wurde. Ist natürlich ein Einzelfall, ich weiß, hängt mir aber nach. Und die Ängste vor dunklen Wäldern und dunklen Tunneln sitzen halt auch tief. Das mit der Polizeiüberwachung könnte man sicher lassen, wenn das Ding hell und übersichtlich ist. Es geht bei solchen Strecken schon auch darum, dass sie allen sicher erscheinen (der 14-Jährigen genauso wie ihrem Vater, der sie nachts von der Party heimradeln lässt), damit das Fahrrad zu einem Alltagsvehikel wird, das wirklich alle nutzen, die radeln können. Angst ist in Stuttgart ein großer Hinderungsgrund fürs Radfahren, meistens ist es die Angst vor den Autofahrenden, es ist aber auch die Angst vor einsamen dunklen Strecken über Felder oder durch Wälder

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