Alle Proteste, Argumente und Demonstrationen haben nichts genützt. Die Oper hat begonnen, ihre Außengastronomie auf der Hauptradroute 1 samt Infocontainer einzurichten. Die Fläche für den Rad- und Fußverkehr ist halbiert.
Universitäten machen Reallabore, um Konflikte zu entschärfen und Lösungen für öffentliche Räume zu finden. Nicht so die dramatische Kunst, also Theater und Oper. Kunst sucht die Konflikte in der Gesellschaft, spitzt sie zu und führt sie uns allen schmerzhaft vor Augen. Die Oper tritt auf ihre Außenbühne und ruft dem Publikum zu: "Ihr wollt doch auch keine Radfahrer mehr vor der Oper haben." Und das Publikum applaudiert und ruft begeistert: "Ja, weg mit denen!"
Um uns diesen gesellschaftlichen Grundkonflikt vor Augen zu führen, haben die Württembergischen Staatstheater nun vor ein paar Tagen mit ihrer lange erwarteten Installation einer Außengastro auf der wichtigsten Hauptradroute Stuttgarts begonnen. Tausende Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern haben jetzt nur noch knapp die Hälfte der vorigen Fläche zur Verfügung, um ihre Wege zu gehen oder zu fahren. Sie müssen enger zusammenrücken. So können sich mehr Fußgänger:innen über Radfahrende ärgern und ihren Hass entwickeln oder vertiefen. Und es können noch mehr Radfahrende über die Politik fassungslos und enttäuscht den Kopf schütteln, die sie zwingt, sich auf einer der Hauptpendlerstrecken erneut durch Fußgänger:innen zu schlängeln. Und zwar ohne eigenes Wegerecht.
Denn gemäß der StVO müssen sie alle Schrittgeschwindigkeit fahren (4 bis 7 km/h laut unterschiedlichen Gerichtsurteilen). An allen Einfahrten zur Fläche vor der Oper stehen die blauen Schilder mit dem Fußgängerzeichen und darunter dem Schild "Rad frei".
Da das völlig irreal ist - und alle, die so was anordnen, wissen, dass man nicht auf längeren Strecken Schrittgeschwindigkeit radeln kann (auch die Polizei-Fahrradstaffel tut das nicht, wie ich schon oft beobachten konnte) - ist ein Zweck dieser Beschilderung, dass Radfahrende immer die alleinige Schuld zugewiesen bekommen, wenn es zu einem Zusammenstoß mit Fußgänger:innen kommt, denn die Polizei kann und wird ihnen immer unterstellen, dass sie schneller als Schrittgeschwindigkeit waren. Und Zeug:innen werden immer erklären, der Radler sei gerast, denn nach Einschätzung von Fußgänger:innen fahren Radfahrende immer zu schnell. Der zweite Sinn dieser Maßnahme ist, dass die Stuttgarter Polizeibehörde sagen kann: Hier entsteht kein Sicherheitsproblem für Fußgänger:innen und Radfahrende, denn wir haben ja Schrittgeschwindigkeit angeordnet, und wenn jemand schneller fährt, hat er/sie etwas Verbotenes getan, und für Regelverletzungen können wir natürlich keine Verantwortung übernehmen.
Wir können der Stuttgarter Oper und dem Schauspielhaus nur applaudieren zur meisterhaften Inszenierung des Reallabors "Zuspitzung der Konflikte zwischen Radfahrenden und Fußgänger:innen."
ein frontalangriff auf unsere nicht-fossile lebensweise, die wohlstand und menschlichen fortschritt sicherstellen könnte.
AntwortenLöschenals nöchstes rennt eine nackte frau, (film)blutverschmiert und kreischend über die bühne, äh die "hhr1"
karl g. fahr
Das ist wie immer für die Behörde der "einfachste" Weg. Bloß nicht über Lösungen nachdenken. Der Gesetzgeber hatte das Gehweg Radfahrer frei als Notlösung gedacht und die Kommunen setzen es inflationär ein (Zitat, Quelle weiß ich nicht mehr). Für die Behörden scheinen Radfahrer immer noch sowas wie Fußgänger mit Fahrrad zu sein und keine eigene Verkehrsform. Man stelle sich den Aufschrei vor, wenn auf einer Auto-Hauptverkehrsstraße plötzlich Schrittgeschwindigkeit angeordnet werden würde. Da würden Hunderte zum Gericht rennen, um das wegzuklagen. Heute hält sich ja schon kaum mehr jemand an 30 in einer Baustelle. Kämpft weiter für Eure durchgängig ordentlich befahrbare Hauptradroute.
AntwortenLöschenKarin
Was passiert, wenn Kfz Schrittgeschwindigkeit fahren sollten, sieht man in jeder Spielstraße und auf youtube bei "unsichtbarer Christian"
LöschenGruß, Georg
Radfahrer sind rechtlich KEINE eigene Verkehrsform, seit ziemlich genau 25 Jahren. Nicht auszudenken, wie der Verkehr heute aussehen würde, wenn dieser "gist" der Fahrradnovelle jemals ernst genommen und/oder konsequent eingefordert worden wäre, Deutschlandweit flächendeckend, mit allen Mitteln und Konsequenzen, bis vor die höchsten Gerichte, mit Verkehrssicherheit und Unfallvermeidung an erster Stelle, bei gleichzeitigem Beharren auf die Gleichstellung und faire Platzaufteilung.
LöschenNein, es braucht gar keine "bösen Behörden", es braucht nur den festen Glauben daran, dass man sich mit demokratischer Mehrheit zum Gesetzesbruch verabreden kann.
Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern
Schon doof. Also mittelfristig ist die einzige Lösung dass die Fahrradroute entlang der Konrad-Adenauer Strasse geführt wird, vielleicht mit einer extra Fahrradbrücke die vom Königin-Katharina Stifft in den Mittleren Schlossgarten / Planetarium führt. Also ich fand die Route bei der Oper und über den Ferdinand Leitner Steg schon immer sehr doof, da da zu viele Fussgänger waren, es wohl auch beim FL Steg oft zu fast Zusammenstössen kam. Also eine komplett neue Route ist hier schon angezeigt. Manchmal sind ja auch Events um den Eckensee (letztes Jahr war da mal ein Skateboard Event), dann ist es nochmals doppelt doof. Also jetzt haben wir so viele Argumente für diese neue Route, das sollte sich doch nochmals in den entsprechenden Gremien einbringen lassen?
AntwortenLöschenAndererseits verstehe ich die Oper auch, dass sie diesen Raum nutzen möchte um im Sommer mehr Publikum anzuziehen. Ist ja auch nett wenn man da sich ein Getränk holen kann und dann auf den Treppen des Opernhauses verweilen kann.
Grüsse, Andreas
PS: Also jetzt wenn ich darüber nachdenke, fällt mir ein, dass da ja eigentlich dauernd Events sind vor der Oper / Staatstheater / Eckensee gerade am WE. Am Sonntag war da zuerst eine grosse Menschenmenge die sich vor der Oper für einen Aussenevent der Oper versammelt hat. Anschliessend gab es eine Demo vor dem Staatstheater und die Polizei hat die Fahrradfahrer gebeten über den John-Crank Weg auszuweichen... das ist wohl jedes WE ähnlich. Also echt kein Zustand so.
LöschenDie Hauptradroute auf die B14 zu verlegen ist das Ziel, allerdings ist das noch in weiter Ferne, weil beispielsweise die große Kreuzung vor dem Wageburgtunnel noch umorganisiert und umgebaut werden muss. Wir bräuchten aber jetzt eine Alternativstrecke zum Schlossgarten, um die Ströme wenigstens ein bisschen aufzuteilen. Ist aber halt, wie ja auch die Diskussion über die Außengastro zeigt, in Stuttgart sehr schwierig, sobald der Autoverkehr etwas hergeben müsste.
AntwortenLöschenJörg
AntwortenLöschenStellen wir uns mal den Querschnitt durch das Nesenbachtal vor (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c6/Stuttgart_21_Tiefbahnhof_Laengsschnitt_1.png). Der Talgrund ist gefüllt mit dem Bahnhof/Park, der Heilbronner Straße (B10) und der Konrad-Adenauer-Straße (B14). Da ist einfach kein Platz für Radfahrende. Am Hang gibt es keine durchgängigen Routen, selbst mit Hoch und Runter nicht. Leute sehen wir es endlich mal ein. Kauft und fahrt Autos!
Nur weil Straßen in der Stadt mit Gehweg und Radweg ausgestattet sein müssten gilt das nicht für Stuttgart. Die CDU twittert, jeder soll sein Verkehrsmittel, genannt sind Auto, Bahn, Rad und Fuß, selber wählen können. Schön das sie endlich für Geh- und Wege an der Heilbronner und Konrad-Adenauer-Straße sind.
Jörg
Löschenin dieses Bild könnte man die Radfahrersituation einzeichnen: https://de.wikipedia.org/wiki/Stuttgart_21#/media/Datei:Stuttgart21_Tiefbahnhof_Baustellen.png Der komplette Talboden ist eine Sperrfläche für das Rad. Das Rosensteinquartier ist komplett undurchlässig. Die Bahnhofsüberfahrt im Park wird vielleicht geduldet werden, sicher ist sie nicht. Die beiden großen Straßen sind bereits angesprochen worden. Sie werden eher als Autobahn als den als Straßen in der Stadt gesehen. So ist die Kreuzung Heilbronner Straße, Friedrichstraße Fuß- und Radfahrer frei.
Jörg
AntwortenLöschenSehr schön geschriebener Bloggeintrag, Kunst spitzt zu.
Die Entscheidung verwundert mich nicht. Ein weiteres Hindernis auf der HRR1. Ein weiteres Argument für die absolute Fahrradfeindlichkeit und Verlogenheit der Stadt Stuttgart. @Christine Lehmann: Schicken Sie den Text dieses Posts auch an die Herren Nopper, Hendriks & Co?
AntwortenLöschenIch selber schicke keine Links meiner Posts herum. 😊
LöschenUnd ein freundliches Briefchen an besagte Herren mit ähnlich schönen Text wie oben?
LöschenNeulich war ich im Schauspiel. Es lief Fabian von Erich Kästner.
AntwortenLöschenIn einer Szene läuft eine Gruppe von Personen über einen stadtähnlichen Platz. Von der Seite kommt klingelnd ein Radfahrer und ruft "Fahrradhauptstraße!" Als er auf der anderen Seite verschwunden ist, hört man ein lautes Scheppern und ein einzelnes Vorderrad rollt den Weg zurück, sehr zur Belustigung des Publikums.
Das Stück ist schon länger auf dem Spielplan, neu ist die Szene also nicht.
Den Konflikt gibt es ja auch schon lange. Ich finde es allerdings sehr schade, dass er jetzt mutwillig noch weiter verschärft wird.
Ja nun, Jahrzehntelang haben sich diverse Städte eine Scheibe an der 'Fahrradhauptstadt Münster' abzuschneiden gehabt zu haben.
AntwortenLöschenMünster hatte das was heute in vielen Städten zum Problem wurde bereits vor Jahrzehnten: Platzmangel und Flächenkonkurrenz.
Das Erfolgsrezept zur Bewältigung des Problems der widerständig stur weiter Fahrrad fahrenden westfälischen Bevölkerung, die die für den 'modernen' Autoverkehr zu präparierenden Fahrbahnen mit erbissener Hartnäckigkeit mit ihren tausenden 'Leezen' blockierten war so einfach wie bestechend:
Die Gehwege halbieren und die der Fahrbahn zugewandte Seite den Fahrrädern zuschlagen und - Kern der Sache(!) - ein Fahrbahnbenutzungsverbot überall dort aussprechen wo diese halbierten Gehwege vorhanden waren, was just überall dort geschah wo dem 'modernen' Automobil der 'notwendige' Platz eingeräumt werden sollte.
Abseits der Kernstadt wurde dann der Radverkehr mittels 'Radwegenetz' quer durch Wald und Wiesen auf holprige 'Pättkes' verwiesen, wo seitdem spannende Duelle mit dem landwirtschaftlichen Verkehr stattfinden, und wo durch die zwangsweise eingefangenen platten Reifen, die kaputtgerappelten Schutzbleche, Lampen und Gepäckträger immerhin die Fahrradreparaturbranche einen gewissen Vorteil erzielen konnte. Dadurch war es dann auch möglich die Hauptsrassen den Autos vorzubehalten um die stark ansteigenden Autoverkehrslawinen aus dem Umland stauarm abwickeln zu können.
Und siehe da, die Stadt blühte auf: beeindruckend hoher 'Radverkehrsanteil' in der Kernstadt (60.000 Studierende) und nach und nach über 300.000 tägliche Pendlerfahrten mit den allgegenwärtig gewordenen quer durch die Stadt metastasierenden 'modernen' Blechkisten.
Die MIV Fahrleistung der 'Pendler' liegt mittlerweile an jeden einzelnen normalen Werktag bei ca. 7mal Mond und zurück plus einige Erdumrundungen.
Nächstes Stadium war dann die Eroberung der kleinen verbliebenen Restflächen der Gehwege fürs 'notwendige' Parken dieser allgegenwärtigen Blechkisten.
Belohnt wurde diese Taktik durch regelmässigen Beifall - auch seitens des ADFC - wegen des ja so vorbildlich hohen 'Radverkehrsanteils'. Die hohe meist durch Radwege induzierte Unfallquote konnte den Jubel nur wenig trüben: 'Kollateralschäden' halt.
Kein Wunder, dass dieses Erfolgsrezept nach und nach von anderen Städten kopiert wurde. Stark steigender Autoverkehr plus das für den 'Städtewettbewerb' so einträgliche Logo einer als umweltgerecht vermarktbaren 'Fahrradhauptstadt' haben halt 'Strahlkraft'.
Gibt es wirklich Gründe diesen autogerechten Wahn des Aufeinanderhetzens von Fuß- und Radverkehr jetzt auch in anderen Städten zu kopieren?
Haben wir nicht eh schon VIEL zu viele Blechkisten?
Alfons Krückmann
Funfact: In Fürstenfeldbruck wird ein komplett neuer Stadtteil geplant, ein "historisches" Ereignis. Mir kamen kürzlich die Verkehrsplanungsunterlagen zur Hand und beim Thema Radverkehr ist praktisch alles als gemeinsamer Geh/Radweg eingezeichnet. Nun ist es ja lt. STVO §45 verboten, ein flächendeckendes Fahrbahnverbot auf öffentlichen Strassen einfach mal so zu "planen", solchen Verboten stehen ja "hohe Hürden" gegenüber und sie dürfen nur in "Ausnahmefällen als Ultima-Ratio" ausgesprochen werden.
LöschenNichtsdestotrotz ist die Planungsgruppe begeistert, auch die Herren und Damen Stadträte, die ja dem Radverkehr immer und überall sehr aufgeschlossen gegenüberstehen (wegen Klimawandel und so...). Ich habs aufgegeben, mich zu Wort zu melden, ich blicke dann immer in leere Kuhaugen und das Thema ist schnell abgehakt.
Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern
Auch im vermeintlich fortschrittlichen Tübingen ist es im Prinzip ganz genauso. OB Palmer hat sich schon vor Jahren damit gebrüstet, der autofahrerfreundlichste OB zu sein, den Tübingen je hatte. Und damit hat er leider bis heute recht.
LöschenEin Jammer
Thomas
Die aktuelle Situation vor der Oper ist auch für Fußgänger unerträglich- müssen schließlich alle durch durch die schmale Gasse, die geblieben ist, nachdem man die Bestuhlung abgesperrt hat.
AntwortenLöschenDer Mob diniert gern in der Öffentlichkeit. Und trotz Schrittgeschwindigkeit konnte ich es gestern nicht vermeiden, jene Absperrung mit dem Lastenrad umzufahren- sie sprang einfach nicht zur Seite, als ich klingelte. Tja Pech gehabt, was bestand sie auch auf ihre Rechte.
Wenn das eh langfristig das Ziel ist die Hauptradroute auf die B14 zu verlegen, dann fahre ich wenn ich Richtung Unteren Schloßgarten fahren muss ab sofort gleich ab Charlottenplatz die Konrad-Adenauer-Straße und Willy-Brandt-Straße bis zum Neckartor hinunter. Da umfahre ich dann die Fußgänger-Geschwindigkeitenm, die Oper und andere von Fußgängern behinderten Wege. Mittig auf der rechten Fahrbahn dürfte es nicht mal so gefährlich sein, allein das Gehupe wird es auszuhalten sein... :-]
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