27. Juli 2023

Statussymbol: Auto oder Fahrrad?

Stuttgart Süd
In der Stadt fahren Menschen mit Abitur und höheren Bildungsabschlüssen doppelt so häufig Fahrrad wie noch vor zwanzig Jahren. 

Zugleich sitzen sie dreimal so lang auf dem Rad wie in ländlichen Räumen Menschen ohne Abitur. Das hat der Soziologe Ansgar Hudde an de Universität Köln in zwei Studien festgestellt und dafür mehr als 800.000 Wege ausgewertet, die mehr als 55.000 Befragte zurücklegten. Er führt einen Großteil des Fahrradbooms auf die Bildungsexpansion zurück. Es gibt immer mehr gut gebildete Menschen in Deutschland und sie fahren immer mehr Fahrrad. Einen Teil davon lässt sich damit erklären, dass Menschen mit Uniabschlüssen etwas häufiger in fahrradfreundlichen Städten leben. Aber die Unterschiede in der Fahrradnutzung sieht man auch innerhalb einer Stadt in den Stadtteilen. In Stuttgart wird im Westen und Süden am meisten geradelt, Stadtteile, wo gehäuft das Bildungsbürgertum wohnt. Personen mit Hochschulabschluss nutzen in den Städten das Fahrrad 50 Prozent häufiger als Menschen ohne Hochschulabschluss. Nach Ansicht von Hudde deuten die Ergebnisse daraufhin, dass es der Bildungsstand selbst ist, der zu mehr Radfahren führt.

Und warum ist das so?

Wir ahnen es: Menschen wählen ihre Verkehrsmittel nicht nur nach Kosten oder Reisezeit aus, sondern danach, was sie symbolisieren und welche Botschaft sie nach Außen senden. Ein teures Auto steht tendenziell für Reichtum, beruflichen Erfolg, hohen Status und nebenbei auch für wenig Gesundheits- und Umweltbewusstsein. Beim Fahrrad ist es genau umgekehrt. Personen mit höheren Bildungsabschlüssen laufen aber nicht Gefahr, dass man sie für beruflich erfolglos hält. Wenn sie Fahrrad fahren, können sie damit punkten, dass sie sich als modern und gesundheits- und umweltbewusst zeigen. Menschen mit geringerem Bildungsabschluss demonstrieren hingegen mit einem teuren Auto Wohlstand und Bedeutung. 

Das ist eigentlich fatal, denn gerade diejenigen, die wegen ihrer nicht so guten Ausbildung eigentlich weniger verdienen und im Durchschnitt einen schlechteren Gesundheitszustand haben, könnten vom Radfahren überdurchschnittlich profitieren: Sie geben weniger Geld für Mobilität aus und sind gesünder, so Hudde. 

So aber profitieren vom Ausbau der Radinfrastruktur und dem Umbau der Städte hin zu mehr selbstaktiver Mobilität zunächst einmal die Wohlhabenden und Gebildeten. Hudde resümiert: „Wenn es der Politik gelingt, das Radfahren für alle attraktiv zu machen, bedeutet das: lebenswertere Orte, bessere Gesundheit, mehr Umweltschutz und weniger soziale Ungleichheit.“ 

Stammheim
Die Frage ist allerdings: Wie macht man das? Eine einfache Antwort fällt mir da nicht ein. Solange wir vor allem zeigen wollen, was wir uns leisten können, um damit in den Augen anderer an Ansehen zu gewinnen, wird es schwer sein, Autoposer (oftmals mit geliehenen Autos) vom Fahrrad zu überzeugen. Auch die können sehr teuer sein, aber der Prestigegewinn ist vermutlich nicht groß genug. Allerdings, je üblicher Rad fahren in unseren Städten wird, desto eher entschließen sich vielleicht Frauen, die in nicht gut bezahlten Berufen arbeiten, aufs im Grunde viel zu teure Auto zu verzichten und Rad zu fahren, sofern es die Länge des Arbeitsweges zulässt. Sie müssen sich dafür aber auf unseren Straßen sicher fühlen, das heißt, wir brauchen eine durchgängige und einfach zu befahrende Radinfrstruktur für alle von 8 bis 80, übrigens auch in den Stadtteilen, die damit zögern, weil eben viele Auto und wenige Rad fahren. 


 


8 Kommentare:

  1. Ich glaube nicht, dass mehr Fahrradinfrastruktur zu einem Umdenken bei Autoposern führt. Hier gibt es eine Poserszene, die noch nichteinmal mit den Rad fährt, wenn sie keinen Führerschein mehr hat.
    Für die sind Menschen auf dem Rad "Untermenschen" (entschuldigung für das fürchterliche Wort, aber so denken die). Für die zählt nur ihre Karre und das damit verbundene "Renommee", alle übrigen sind "Loser", besonders Radfahrer. Die sehen nicht den Menschen, sondern nur das Geld drumherum.
    Karin

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    1. Aber die sind ja auch nicht entscheidend, entscheidend sind die vielen anderen, die durchaus dann auch Radfahren gut finden, wenn das Autofahren nicht mehr ganz so bequem ist, und sich sogar freuen, dass sie endlich nicht mehr für alles die Karre nehmen müssen.

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  2. Liebe Christine,
    ... interessante Studie und Artikel.
    Jetzt habe ich fast 8 Jahre in Holland / Amsterdam gelebt und gearbeitet und kann berichten, dass dies dort gänzlich anders gelebt wird. Egal aus welcher Schicht die Menschen dort stammen, Rad wird überwiegend aus Zeitersparnis und Mangels Parkraum gefahren.... und der Parkraum wird von Seiten der Komunen konsequent knapp gehalten, denn Flächen sind in Holland bekanntlich Mangelware.
    Beispiel: Wartezeit für eine Parkgenehmigung als Anwohner im Amsterdammer Inenstadtgürtel ca. 5-7 Jahre ;-)
    Dementsprechend könnte es auch hier ein Ansatz sein, den öffentlichen Parkraum für PKW weiter zu verknappen und nicht einfach nur teuerer zu machen. Aber das grenzt dann in den Köpfen einiger PKW-Lobbyisten ahrscheinlich schon wieder an Enteignung ...
    Darüber hinaus wird bei der Stadtplanung immer darauf geachtet, dass in Bezug auf die zur Verfügung stehende öffentliche Fläche eine gewisse Verhältnismäßigkeit (Ansatz 30%PKW / 25 Rad / 25% Fussgänger / 20% Grün) unter den Verkehrsteilnehmern berücksichtigt wird.... das vermisse ich zumindest in Stuttgart nach wie vor.

    Grüße Jahn

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    1. Was mich bei all dem seit etlichen Jahren allgegenwärtigen NL-Jubel und den allgegenwärtigen wieder und wieder wiederholten Heilsbotschaften des 'let's go dutch' verstärkt wundert:
      wieso wird dabei hartnäckig 'vergessen'(?) darauf hinzuweisen, dass in den Niederlanden (welche übrigens zu den Klima-bad-boys und den Umwelt-bad-boys der EU zählen) der Autoverkehr Jahr für Jahr weiter ansteigt?
      Wieso sollen wir das hierzulande kopieren, wo doch das genaue Gegenteil notwendig ist, nämlich ein Rückgang von Autodichte und Autofahrleistung.
      Und ob sich der Trend zu autoärmeren Stadtkernen a la NL-Randstad (Amsterdam, Utrecht...) und Kopenhagen-Innenstadt incl. der damit verbundenen nochmaligen Anstiege der Wohnkosten (Gentrifizierung) am Ende ökologisch auszahlen wird, darf angesichts der aktuellen Suburbanisierungstrends hinein in das weiter entfernte Umland wohl bezweifelt werden.
      Was in den autoarm gentrifizierten Stadtkernen gewonnen wird kommt ja quasi doppelt und dreifach im ansteigenden Stadt-Umland Verkehr wieder oben drauf, da die gefahrenen Strecken entsprechend länger ausfallen, die Fahrleistung also steigt und auch die Vorhaltenotwendigkeit für Kfz abseits der teuren Kernstädte ansteigt, was, neben Wohlstandsgewinnen von Teilen der Mittelschicht und der Oberschicht, die konstant ansteigende MIV-Dichte zumindest teilweise erklärt.
      Hier würde eine seriöse Einschätzung zwingend die Berücksichtigung von Empirie einschließen müssen, was aber bei all dem NL-Jubel tunlichst und geradezu penibel vermieden wird.
      MIV-Parkraumverknappung ist natürlich dennoch im Prinzip ein wichtiges Teilelement von 'ökologischer Verkehrswende', aber halt nur dann, wenn nicht zugleich (Niederlande) mit altbackenen P&R Konzepten die steigenden MIV-Langdistanzen zusätzlich zum exzessiven NL-Autobahnausbau attraktiviert werden und so den klassischen Backfireeffekt auslösen.
      Alfons Krückmann

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  3. Jörg
    Vielleicht gibt es noch einen Aspekt. Die Studierten sitzen meist im Büro und sind über Bewegung auf dem Rad froh. Wer den ganzen Tag steht und hin und her läuft ist froh im Auto zu sitzen. Pedelecs können da helfen, wenn man sich damit nicht zu alt fühlt.
    Und wer studiert, lebt gewöhnlich in der Studienzeit möglichst günstig und fährt daher auch Rad. Die meisten wohnen obendrein in Universitätsnähe. Die Gewohnheit wird beibehalten.
    Für Auszubildende ist es meist schwieriger morgens zu ihrem Betrieb oder in die Berufsschule zu kommen. Und an diesen Stelle gibt es auch keine Radkultur, dafür anstrengende Tage.

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    1. Das stimmt vermutlich, aber vermutlich auch nicht für alle, die keine so gut bezahlten Berufe haben. Dass die höher bezahlten sitzenden Berufe sich, vor allem, wenn die Menschen älter sind, über Bewegung freuen, ist sicher ein wichtiges Argument. Grundsätzlich gilt immer (jedenfalls meinerseits), es müssen nicht alle Rad fahren, aber es gäbe mehr Menschen, die es könnten, als derzeit Rad fahren. Und das hängt vor allem mit der schwierigen Radinfrastruktur und der Dominanz des Autos in unseren Straßen zusammen.

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  4. Jörg
    Das Lastenrad wird jedenfalls zum Symbol für eine scheinbar falsche politisch-soziale Haltung gesehen. Jedenfalls aus sich der rechten Schweizer. Leider sehe ich nur die Überschrift und die ersten Worte, die es schon unerhört finden Platz für Lastenrädern in der Stadt vor zu sehen.
    https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/hintergrund/das-lastenvelo-emblem-des-kulturkampfs-um-die-staedte-ld.1748101?reduced=true

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  5. Man kann es den Leuten kaum verübeln, dass sie auf die Werbung herein fällt, die ihnen immer wieder das Blaue vom Himmel verspricht. Man kann die Leute ja nicht dazu zwingen, ihren Kopf zu benutzen, um das eigene Tun zu hinterfragen und da wird halt gemacht, was die Werbung verspricht: Das Auto als Statussymbol und Radfahren für die Verlierer.
    Was den Schulabschluss betrifft: Bisher war ich immer der Einzige, der mit dem Fahrrad ins Geschäft kam, egal bei welcher Firma und ich habe kein Abi.

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