3. Oktober 2023

Kommt in die Pötte mit dem Radverkehr, es eilt!

Fancy Women Bike Ride im Schwanenplatzunntel
Wenn wir für 35 % all unserer Fahrten ein Fahrrad statt Auto, Bus oder Bahn nutzen würden, könnten wir den Earth Overshoot Day um 9 Tage nach hinten verschieben.

Das hat Earthovershoot-Day errechnet. Damit die Leute Fahrrad fahren statt motorisiert, fügt die Seite an, braucht es allerdings eine einladende und durchgängige Radinfrastruktur. 

Dieses Jahr war der Weltüberlastungstag der 2. August. Ab diesem Tag verbrauchen wir mehr Ressourcen als die Erde hat. Der Deutsche Erdüberlastungstag liegt im Mai, wir verhalten uns so, als hätten wir 3 Erden zur Verfügung, die Weltbevölkerung verbraucht im Jahr 1,7 Erden. Dabei schlägt vor allem der CO2-Fußabruck zu Buche. Paradoxerweise können die Folgen der Klimaerhitzung in Deutschland dazu führen, dass mehr Menschen länger im Jahr Fahrrad fahren, denn das Fahrrad ist bei uns (noch) ein Schönwetter-Fahrzeug.

Aber die Sommer werden ja länger, die Winter bleiben meistens warm und schneefrei, also wird mehr Rad gefahren. Und damit tragen wir wiederum etwas zur CO2-Reduktion bei. Allerdings, so stellt auch das Helmholtz-Institut fest, müsste die Politik - vor allem auf lokaler Ebene - jetzt mal endlich in die Pötte kommen mit dem Ausbau der Fahrradinfrastruktur. Der ADFC-Fahrradklimatest zeigt, wie wichtig den  Menschen ein gutes Sicherheitsgefühl, die Akzeptanz durch andere Verkehrsteilnehmende und das konfliktfreie Miteinander von Autos und Fahrrädern sind, und wie unzufrieden sie mit der kückenhaften Radinfrastruktur sind. Dr. Anton Galich vom Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) stellt in dem Artikel fest: „Schon heute würden mehr Menschen mit dem Rad fahren, wenn es mehr und sicherere Radwege geben würde. Der Klimawandel könnte diese Diskrepanz noch vergrößern, wenn die Politik nicht rechtzeitig gegensteuert und Städte fahrradfreundlicher gestaltet.“

Aber uns Menschen, auch in Deutschland, von einer Verhaltensänderung zu überzeugen, ist leider immer schwierig. Im Prinzip machen wir uns Sorgen wegen der Erderwärmung, aber wenn wir selber etwas dagegen tun könnten, ist es uns zu teuer oder zu unbequem oder es kommt uns als ein Verzicht vor (Ferien-Flugreisen zum Beispiel), den wir jetzt gerade nicht leisten wollen. Dann deuten wir gern auf die anderen: Sollen die (China, die USA etc.) doch erst mal anfangen, ich allein kann die Welt sowieso nicht retten, und ich will es auch nicht. Nach mir die Sintflut. Das führt dazu, dass niemand anfängt und wir gemeinsam und störrisch auf einen Abgrund zu rasen, der unsere Zivilisationen, wie wir sie kennen, verschlingt. Wir werden nicht morgen am Klimawandel sterben, aber allmählich - das sehen wir ja jetzt schon -, wird unser Alltag unsicherer, gefährlicher, unberechenbarer: Stürme, Regen, Hitzewellen, neue infektiöse Insekten und Krankheiten auch bei uns, globale und regionale Wirtschaftskrisen mit Lieferengpässen, auch verursacht durch Verteilungs- oder Wasserkriege woanders, weshalb immer mehr Menschen nach Europa flüchten. Das macht was mit uns: Wir fühlen uns ausgeliefert, unsicher, reagieren depressiv oder aggressiv, demonstrieren oder machen dicht, wollen nichts mehr wissen, schauen keine Nachrichten mehr, ziehen uns in private Idyllen zurück und konstruieren Verschwörungsmythen, weil wir Schuldige brauchen. Das stellt auch eine noch so gefestigt wirkende Gesellschaft wie die deutsche sehr schnell vor Herausforderungen, auf die wir gar nicht vorbereitet sind. Schon jetzt sehen wir ideologische Spaltungstendenzen, Diskurse werden zu hasserfüllten Polemiken, die Anbieter vereinfachender Lügen erhalten Zulauf, politisch vernünftiges Handeln wird durch öffentliche Aufregung torpediert und die Reaktionären (Gestrige, Faschisten, Nationalisten, Separatisten, Diktatoren) gewinnen an Einfluss oder sogar die Macht. 

Das ist natürlich jetzt hier vergeblich gesagt. Die einen wissen es, die anderen wollen es nicht wissen. Ich hatte auf dem CSD ein Gespräch mit zwei jungen FDP-Wählern, die mich fragten: Und wenn die deutsche Autoindustrie abwandert, weil die Energie der hier zu teuer ist? Wenn alle E-Autos fahren, dann bricht unser Stromnetz zusammen. Und Windräder, die töten doch Vögel. Außerdem müsse China was tun, wir hier können die Welt nicht retten. Ich habe geantwortet: Es ist eure Zukunft, ihr müsst in dreißig Jahren mit den Folgen der Erdüberhitzung leben. Wieso haltet ihr am Verbrenner-Auto fest und setzt nicht darauf, dass Deutschland zum Exportland von Umwelttechnologie wird? (Und nebenbei, an Glasfenstern sterben jährlich Millionen Vögel.) Und wie kommt ihr darauf, dass wir nicht bessere E-Autobatterien, leichtere und effizientere Solarmodule und Speichertechniken für Strom aus Wind und Sonne entwickeln könnten? Die Welt wird nicht so bleiben, wie sie jetzt gerade ist. Niemand konnte sich vor vierzig Jahren vorstellen, dass wir Smartphones als Taschencomputer haben. Ihr seid die Generation, die jetzt Zukunft schafft, ihr mit eurer Kraft und euren Ideen. Wieso seid ihr so verzagt? Wieso brecht ihr nicht auf? Dem einen schien es einzuleuchten, dem anderen nicht. 

4 Kommentare:

  1. Diese zwei wählen erstmal schon FDP, das hat einen Grund, besonders wenn es sich um junge Menschen handelt.
    Die Radikalität des nötigen Wandels können sie sich noch schlechter vorstellen als der Durchschnittsbürger ohnehin schon.

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  2. Jörg
    Das die Radwege besser werden müssen lese ich auch beim Helmholtz-Institut. Die Rahmenbedingungen insbesondere die StVO werden beim Bund gesetzt. Das hat den größten Hebel, ohne Änderungen dort werden Fahrradstraßen, Durchfahrtssperren von Autos, Entfall von Parkplätzen weg geklagt. Gemeinden wie Stuttgart sind vorsichtig und lassen lieber die Finger von irgendwelchen Dinge die den richtigen Verkehr irgendwie eindämmen könnten. Selbst wenn die Flächenaufteilung noch so ungerecht ist. Kein Fussgänger hat das Recht auf direkte Wege, kein Recht auf Gehwege nach Regelmaß. Kein Fahrradfahrer hat das Recht in der Stadt entlang jeder Straße sicher fahren zu können (Friedrichstraße - Heilbronner Straße). Das Wegerecht ist dem Auto vorbehalten.

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  3. "Wenn wir für 35 % all unserer Fahrten ein Fahrrad statt Auto, Bus oder Bahn nutzen würden, könnten wir den Earth Overshoot Day um 9 Tage nach hinten verschieben."

    Ich weiss ja nicht auf welcher Berechnungsgrundlage diese populäre aber falsche These erstellt wurde, aber es dürfte doch mittlerweile klar sein, dass nicht etwa eine Verlagerung der Kurzstrecken auf separierte Rad-Infrastruktur sich quasi automatisch in verbesserter CO2 Bilanz niederschlägt.
    Vielmehr gilt es die Fahrleistung und Zahl der PKW deutlich und stabil zu verringern.
    Innerstädtische Kurzstreckenverlagerung dabei einfach mal als Reduktion des Autoverkehrs zu verbuchen entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft, da zwingend Reboundeffekte der i.d.R. zusätzlich induzierten MIV-Verkehre (Anti-Stau-Effekte durch separierten Radverkehr) auf den ökologisch zentralen mittleren und längeren Distanzen gegengerechnet werden müssen.
    Zwar machen die Kurzstrecken unterhalb von ca. 5-7Km ca. 50% der Wege aus, aber entscheidend ist die Tatsache, dass selbst bei einer 100% Verlagerung dieser kurzen Strecken aufs Fahrrad lediglich max.8% der Fahrleistung eingespart werden würde, während aber gleichzeitig Verkehrsinduktion beim MIV auf den längeren Distanzen eintritt, wodurch im günstigen Fall erhebliche Reboundeffekte gegengerechnet werden müssen. Im (nicht unwahrscheinlichen Fall) vom Backfire-effekt werden die MIV Fahrleistungen sogar noch zusätzlich zunehmen.
    Leider haben sich ja große Teile der 'Radszene' darauf verlegt das separierende NL-Konzept zu kopieren, also auf 'push gegen den MIV' weitgehend zu verzichten und stattdessen ggf. eintretende Steigerungen beim berüchtigten 'modal-split' zu bejubeln ohne auch nur einen Blick auf den weiter steigenden Autoverkehr zu werfen.
    Da braucht es zwingend einen Paradigmenwechsel um die ggf. steigenden Radverkehre auch in Gewinne für Klima und Umwelt wenden zu können, statt als staureduzierende Garnierung des wachsenden Automobilismus.
    Ich zitiere mal aus dem großen radverkehrspolitischen Vorbild Houten (Vorstadt von Utrecht):

    "Wir streben eine optimale Erreichbarkeit der Gemeinde Houten mit dem Auto an. Dazu gehört eine Straßeninfrastruktur mit zugehörigen Einrichtungen, die in Bezug auf Funktionalität und Qualität den Bedürfnissen der PKW-Nutzer und des Güterverkehrs unter Berücksichtigung von Verkehrssicherheit, Lärmqualität und Luftqualität gerecht wird. Auch in den Spitzenzeiten ist es unser Ziel, einen guten Verkehrsfluss auf der Ringstraße zu gewährleisten“ (zitiert nach Randelhoff/Holz-Rau)

    Was kommt am Ende dabei heraus?
    Der Einwohner-Wege-modal-Split verschiebt sich in Richtung Radverkehr bei - immerhin - gleichzeitig autoärmerer Kernstadt, während der regionale Autoverkehr (Umland-Stadt) weiter deutlich ansteigt.
    Insgesamt geht so die Dichte und Fahrleistung des MIV in die Höhe, während zugleich sehr erfolgreich dieses Öko-Desaster als zukunftsgerechte Verkehrsplanung weltweit erfolgreich vermarktet wird (zB 'lets go dutch' - Label).
    Merke:
    steigender Radverkehrsanteil und Verlagerung der Kurzstrechen auf separierten Radverkehr überträgt sich im Regelfall keineswegs in eine Reduktion des Autoverkehrs (leider).
    Es braucht ganz definitiv push-Maßnahmen gegen den MIV, wenn der Earth-Overshoot-Day tatsächlich nach hinten geschoben werden soll, was ja eine existentielle Notwendigkeit für den fortbestand der Zivilisation des homo-'sapiens' darstellt.
    Die autogerechte Fehlausrichtung auf das Motto "mehr Radwege werden's schon richten' ist hochgradig kontraproduktiv.
    Wir brauchen kein populistisches autogerechtes Rad-Marketing, sondern eine 'echte' ökologische Verkehrswende, also eine deutliche Reduktion von Autoverkehr (und Flugverkehr, etc.).
    Alfons Krückmann

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    1. Bei guter Radinfrastruktur können und werden auch mittlere Strecken von 10-15-20 km (bis ca. 45-60min Fahrtzeit) mit dem Rad gemacht. Das sollte schon einen Beitrag leisten.

      Generell gilt aber tatsächlich, dass es ohne einen echten (politisch gewollten) Wandel beim Lebensstil nicht gehen wird. Auch der Zug ist beim aktuellen Strommix nicht klimaneutral, bei schlechter Auslastung schon gleich gar nicht.

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