12. April 2024

Marburger:innen stimmen über Autoverkehr ab

Sollen 2035 nur noch die Hälfte der Autos nach Marburg reinfahren oder nicht? Darüber ist die Stadtbevölkerung zerstritten. 

In der hessischen Universitätsstadt Marburg wohnen 77.000 Menschen, Tendenz steigend. Steigend auch der Autoverkehr, Lärm und Abgase. Größter Arbeitgeber ist die Universität und die Einzelhandelsbetriebe in der Stadt. Es gibt eine Stadtautobahn, die den Autoverkehr anzieht und ins Zentrum spült. Die negativen Auswirkungen des Autoverkehrs wurden in Marburg kontrovers diskutiert. Die Stadt hat in umfangreicher Zusammenarbeit mit Bürger:innen deshalb das Mobilitätskonzept MoVe 35 erarbeitet, das als pdf hier direkt runtergeladen werden kann. 

Mehr Radwege war die wichtigste Forderung. 

Das ist auch dringend nötig, vor allem sichere und bequeme Radwege braucht es dort. Ebenfalls wichtig war die bessere Taktung des öffentlichen Verkehrs.

Als Ziel wurde eine "zukunftsorientierte, klimafreundliche und vielfältige Mobilität in Marburg durch Gestaltung der Mobilitswende für Alle" festgelegt. Es wird anerkannt, dass das Auto dort wichtig bleibt, wo es an öffentlichem Nahverkehr fehlt. Es sollen aber mehr Menschen zum Umstieg auf den Umweltverbund (Busse, Bahnen, Fahrrad) motiviert und der Autoverkehr reduziert werden. Bis 2035 soll der Autoverkehr von derzeit 42 Prozent auf 21 Prozent halbiert werden. Der Radverkehr soll von 11 Prozent am Modal Split auf 20 Prozent gesteigert werden, vor allem aber soll der öffentliche Nahverkehr zulegen, von derzeit 15 auf 23 Prozent. Das ist alles sehr gründlich und bis in viele Details hinein durchdacht (und ähnelt dem, was auch Stuttgart und andere Städte diskutiert und sich ebenfalls als Ziele gegeben haben). 

Dagegen regte sich Widerstand, die Autofraktion startete ein Bürgerbegehren, es konnte aber aus rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden. Im Februar gab es eine online-Umfrage, die mit 55,5 % zu 44,5 % knapp für die Umsetzung des MoVe35-Konzepts ausging. Die Angst derer, die sich aufs Auto angewiesen fühlen oder es tatsächlich sind, dass sie mit dem Auto nicht mehr so bequem wie gewohnt überall rein- und vorfahren können, dominiert die Diskussion. Es wird wohl heftig gestritten. Deshalb sollen nun die 58.000 Wahlberechtigten in Marburg am 9. Juni, dem Tag der Europawahl abstimmen, wobei es ausschließlich um Frage geht, um die es immer geht, wenn es um konkrete Änderung zugunsten Klimaneutralität geht, um die Frage: "Sind sie dafür, dass im Rahmen von Move 35 beschlossenen Ziels einer Halbierung des Pkw-Verkehrs zugunsten anderer Verkehrsmittelnutzungen weiterhin verfolgt wird?" 

Ich bin gespannt, wie es ausgeht.



6 Kommentare:

  1. Da ich nicht in Marburg wohne, kann ich nicht mit abstimmen und auch nicht an der Diskusion teilnehmen. Wenn ich es könnte würde ich aber auf den gut recherchierten Artikel über die Situation in Dresden beitragen:
    https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/stau-nach-verkehrsversuch-gruene-staugeplagte-sollen-frueher-losfahren-87835948.bild.html

    So etwas sieht nicht gut aus!

    Grüße
    Mercedes Testa Rossa

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    1. „Gut recherchiert..“. Das ist ein Bild online Artikel wtf

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    2. Das in Dresden mit der Brücke wird sich regeln. Autofahrende haben ja ganz viele andere Straßen zur Verfügung, die fahren sie dann. Radfahrende haben meistens gar keine Infrastruktur oder nur eine. Sehr viele Städte machen die Erfahrung, dass es nichts macht, wenn man Autofahrenden ein bisschen Fläche wegnimmt, der Autoverkehr wird dann auch in den Umliegenden Gebieten deutlich weniger. Man nennt das Phänomen "Verkehrsverpuffung" https://dasfahrradblog.blogspot.com/2021/09/die-seltsame-verkehrsverpuffung.html

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    3. logisch, stringent, empathisch, altruistisch und weitsichtig...

      mind blown.

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  2. Was den verlinkten Endbericht angeht, wäre es wirklich wünschenswert, wenn derartige Ansätze verstärkt Einzug in Verkehrsplanungen halten würden.
    Auch wenn (leider) die populäre/populistische Zielsetzung von Einwohner Wege Mocal-split prominent platziert ist, wird immerhin im Fließtext korrekterweise auf die Tatsache hingewiesen, dass diese Messgröße weitgehend irrelevant für die Belange von Ökologie und Klima sind.
    Das ist zwar seit langem Forschungsstand, es ist aber immer noch selten genug, dass sowas mal öffentlich ausgesprochen wird.
    Die weitestgehende ökologische Unwirksamkeit des populären/populistischen Ansatzes von 'Alternative fördern' (Niederlande-Modell) kommt fachlich richtig zum Ausdruck, ebenso wie die sehr beschränkten Wirkungen einfacher push&pull Szenarien, die sich nach dem Motto 'Wasch mich aber mach mich nicht nass' auf dem Entwicklungspfad 'Greenwashing' verbleiben.
    Es liessen sich zwar auch diverse Haare in der Suppe finden, aber insgesamt wäre es ein erheblicher Fortschritt, wenn ein 'follow the science' langsam mal in den Bereich der Radverkehrsplanung und der VEP bzw. Mobilitätsplanung bzw. Raumplanung Eingang finden würde.
    Schade, dass sowas für die 'Fahrradhauptstadt Münster' nicht vorliegt, sondern stattdessen ein Produkt der PTV (mittlerweile 100%ige Porsche Tochter) die Grundlage bildet.
    Alfons Krückmann

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  3. Ach so, was ich noch scheiben wollte:
    die Interpretation des Endberichtes sollte doch bitte(!) nicht selektiv im Hinblick auf den unseligen 'modalSplit' als Zielsetzung und eine Forderung nach 'Mehr Radwegen' reduziert werden.
    Das ist nicht nur eine hochselektive Rezeption, sondern eine konträre inhaltliche Entstellung der entscheidenden Inhalte des verlinkten Marburger Endberichtes.
    Liebe Christine Lehmann, da wäre vielleicht eine kleine Richtigstellung bzw. inhaltliche Vertiefung und Einordnung in Hinblick auf den tatsächlichen fachlichen Kern-Inhalt hilfreich?
    Wir wollen doch (hoffentlich) eigentlich alle, dass sich der Mobilitätssektor klima- und umweltgerecht entwickelt, statt lediglich das alte Ergebnis von 'Mehr Autoverkehr plus Radwege' wieder und wieder als 'Zukunftsvision' vorzuschlagen?
    Kern des Endberichtes im Hinblick auf den Radverkehr ist vor allem die Notwendigkeit der Erweiterung der Erreichbarkeitsradien des Radverkehrs (Distanzen ins Umland hinein) bei gleichzeitigen harten und wirksamen Restriktionen gegen den Autoverkehr, nicht nur im Hinblick auf ein Blockieren des weiteren MIV-Wachstums, sondern im Hinblick auf die zwingend notwendige Reduktion der MIV-Fahrleistungen, was ja voraussetzt, dass nicht (bzw. nicht nur) auf den innerstädtischen Verkehr (Binnenverkehr) geschaut wird, sondern auf die für's Klima relevanten mittleren und längeren Distanzen, die durch Vermeidung und Verlagerung sehr deutlich zu reduzieren sind.
    Zudem ist durch 'push' gegen den Autoverkehr eine Situation des Drucks zum Umweltverbundverkehr herzustellen, statt bloß wieder und wieder auf die alten klimapolitisch wirklosen FDP/NL Ideologien vom 'Alternativen und Angebote schaffen' zu setzen.
    Alfons Krückmann

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