6. April 2024

Wenn Kinder ihre Verkehrswelt selber richten sollen ...

Dann kommt so etwas heraus wie der EduPin, den die Uni München entwickelt hat. Es handelt sich um ein Ansteckgerät, das Hilfestellung im Verkehr bieten soll und die Bewegungsdaten der Kinder aufzeichnet. 

Dieses Teil hat den ersten Preis der Digital Future Challenge gewonnen, wie das Bundesverkehrsministerium stolz auf der eigenen Seite und auf X (mit Bild) meldet:  "Mehr  Sicherheit für Kinder durch KI: Der EduPin ist ein ansteckbarer digitaler Button, der Kinder in Echtzeit vor Gefahrenstellen warnt und ihnen spielerisch die Verkehrsregeln beibringt." Die Jury fand besonders überzeugend, dass mit den Daten eine kindgerechte Verkehrsplanung in den Kommunen möglich werde, was ja schön wäre. Aber er soll auch die Kinder ermahnen. Die Studierenden haben einen digitalen Ansteckpin entwickelt, der - so der Text - Verkehrsschilder erfassen kann und Kinder spielerisch dabei unterstützt, sich sicher und korrekt im Verkehr zu bewegen. Er warnt auf mehreren Sprachen vor Gefahren. Vor welchen, habe ich nicht herausfinden können. Die Informationen sind dürftig. 

Ich sehe da auch Diskrepanzen zur Lebensrealität von Kindern. Was ist, wenn das Kind sich mit dem Körper gerade woanders hin dreht? Was für Verkehrszeichen erfasst das Gerät dann?  Muss man das Gerät ständig irgendwohin ausrichten und betreuen? Und wie schnell reagiert das Teil auf ein Auto, dessen Fahrer nicht am Zebrastreifen halten will oder schnell abbiegt, obgleich da Schulkinder queren? Schreit es dann: "Vorsicht, Auto!"  

Ich frage mich auch, was für eine Art Bewegungsdaten eigentlich herauskommen, wenn man Kinder mit diesem Button ins Verkehrsgetümmel schickt (allein oder mit Eltern?). Radeln (oder gehen) sie forscher, weil sie sich auf den Warnbutton verlassen? Gucken sie noch selber? Oder gehen und radeln sie zaghafter, weil der sie ständig vor irgendwas warnt und sie verunsichert? Und peinlich ist es doch auch, wenn der Button anfängt zu sprechen und Passant:innen sich umdrehen oder amüsiert zuhören.  Und welches Kind will sich eigentlich so einen elektronischen Aufpasser für den Schulweg aufzwingen lassen? Da haben doch wieder einmal Erwachsene - wenn auch sehr junge - darüber nachgedacht, wie man Kinder  an eine Verkehrswelt anpasst, die keine Lust hat, sich auf Kinder einzustellen. (Helme auf, Leuchtwesten an, elektronische Geräte auf die Brust ... was kommt als nächstes? Pilotdrohnen, die Kindern blinkend und pfeifend den Weg vorschweben?)

Wie zynisch ist das eigentlich? Wir wissen, dass Tempo 30 in Städten die Schwere von Zusammenstößen mildert und Kinder dabei nicht sterben. Warum führen wir es nicht ein? Wir wissen, dass Kinder eine eindeutige, durchgehende und vom Autoverkehr getrennte Radinfrastruktur und sichere Schulwege mit gesicherten Überwegen brauchen. Warum bauen wir sie nicht schleunigst und mit höchster Priorität? Wir wissen, dass unsere Schulwege von Autofahrenden in Eile dominiert werden. Wir wissen, dass Elterntaxis Schulkinder gefährden. Aber wir schaffen es nicht einmal, Kreuzungen von Eckenparkern freizuhalten und Straßen vor Schulen für den Autoverkehr zu sperren? 

Da wir im Herstellen von sicheren, gefahrenfreien Schulwegen und schützender Radinfrastruktur so elend langsam sind - und immer erst einmal um den Erhalt von Autostellplätzen streiten müssen - sollen nun die Kinder die Verantwortung übertragen bekommen, immer alles richtig zu machen, weil die anderen so viel falsch machen. Und wenn sie von einem Auto angefahren werden, heißt es dann neuerdings in der Presse: "Das Kind fuhr/ging ohne EduPin." Das hebt das Victim Blaming auf eine ganz neue Stufe. 

Warum statten wir nicht Autos mit Warnsystemen und automatisierten Bremssystemen aus, wenn deren Fahrer:innen es nicht schaffen, Kinder (aber auch andere Fußgänger:innen,  Eltern mit Kinderwagen oder Menschen auf Fahrrädern) zu erkennen? Warum warnt nicht ein EduPin nicht die Leute hinterm Lenker: "Bremsen, Zebrastreifen, Kinder queren" oder "Achtung, Stoppschild, anhalten!" oder "Schulterblick vor dem Abbiegen nicht vergessen!" oder rügt: "Du bist abgebogen, ohne vorher zu blinken", "du fährst zu schnell!" oder "halte Abstand vom Radfahrer!" Das ist viel leichter als Kindern sprechende Elektronik an die Brust zu heften. 

12 Kommentare:

  1. Natürlich schreit da der technologieoffene Digital- und Verkehrsminister von der Autofahrerpartei, die immer nur am Gemeinwohl sparen will, Hurrah.
    Vereinzelung, Verängstigung, Täter-Opfer-Umkehr, und das alles noch digital, was Wissing man mehr?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Gerade fallen mir die gelben Mützen wieder ein, die wir damals in den 70er Jahen von der Verkehrswacht zur Einschulung bekommen haben...
      Nichts hat sich gebessert seither.

      Löschen
  2. Mit der gleichen Logik kann man auch gegen den Airbag im Auto argumentieren.

    Von daher Ziel verfehlt - so wird das nichts mit der Vision Zero der EU.

    Grüße
    Mercedes Testa Rossa

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich glaube, du weißt, dass das kein gutes Argument ist.

      Löschen
    2. Offensichtlich hat Du den Sinn von Schutztechnik nicht verstanden. Schau Dir mal Formel 1-Rennen an, die können mit 300 gegen die Wand fahren, der Fahrer steigt aus, schüttelt sich kurz und setz sich ins Ersatzauto.
      Fahrradfahrer haben all das nicht, da kann doch ein wenig externe Intelligenz nur postiiv sein.
      Grüße
      Mercedes Testa Rossa

      Löschen
    3. @Mercedes Troll Rossa: Strohmann-Argument

      Löschen
    4. Liebe Mercedes,
      weder in der Formel 1 noch in der Moto GP oder in einer anderen Rennserie kracht irgendeiner mit 300 km/h gegen eine Mauer und fährt dann locker-flockig mit einem Ersatzfahrzeug weiter. Ein Minimum an Faktentreue wäre echt nett von dir.
      Thomas

      Löschen
  3. wie im knast:
    demütige immer erst den schwächsten.

    karl g. fahr

    AntwortenLöschen
  4. Wow, das ist krass!
    Welche Mühen auch dahinter stecken, ist ja nicht so, dass sich so ein System von selbst entwickelt 🤔
    Den einfachsten Weg geht die Politik äußert selten und das ist absolut traurig und für mich nur durch Einflussname wichtiger Lobbyisten zu erklären. Warum zum Teufel, gibt es weder Tempolimit auf Autobahnen noch Zone 30 innerstädtisch? Warum können Paris, Straßburg, Barcelona oder gar Bogota die Autos in Innenstädten reglementieren, in Deutschland weht einem schon bei der Erwähnung einer solchen Ideen ungefilterter Hass und Ideologievorwürfe entgegen. Warum ist Fußgänger und Radverkehr ideologisch und Autoverkehr nicht? Ich kann es alles nicht verstehen 😥

    AntwortenLöschen
  5. Stinknormale Bio-Kinder ohne zusätzliche digitale Kontrollgeräte (bald dann Kontrollimiplantate?) passen halt einfach nicht mehr in 'unsere' hochmobile hochdigitalisierte Welt und schon gar nicht in die Visionen der künftigen noch höher mobilisierten noch stärker digitalisierten Welt unseres Autoministeriums und den diversen Stiftungen der finanzstarken 'Nadelstreifenmafia'.
    Die enormen Beschleunigungsfähigkeiten gerade auch im unteren Geschwindigkeitsbereich der kommenden Grünen 'Verkehrswende' (also des Antriebswechsels auf absurd übermotorisierte Elektro-Blechkisten) werden die Inkompatibilität von Bio-Kindern und Automobiler Welt weiter verstärken.
    Selbstverständlich wird die kommende maximal mobile maximal digitalisierte Welt nicht den altmodischen schlecht berechenbaren Bio-Kindern angepasst, stattdessen werden die defizitären Bio-Kinder 'innovativ' per digitalem update quasi zu 'Verkehrswende' kompatiblen Cyborgs hochgerüstet.
    "Zynisch" ist da durchaus die richtige Einordnung - jedenfalls aus Sicht der wohl bald 'altmodischen' Bio-Menschen und Bio-Kinder (aka Updateverweigerer).
    Das 'Kind 4.0' wird dann wohl, entsprechendes Elternvermögen vorausgesetzt, ganz 'protected' eingehüllt in der digitalen Welt digital betreut werden, mit automatisch per Ki angefordertem 'sicherem' autonomen Transport per Auto oder Flugtaxi, mit Ki berechnetem digital überwachten Schulweg, mit umfassendem digitalisiert zugänglichem Bewegungsprofil und digital überwachten Vitalfunktionen?
    Alfons Krückmann
    (seinerzeit noch als analog-defizitäres 'Kind-1.0' nur ganz unprotected mit unmotorisiertem Fahrrad unterwegs)

    AntwortenLöschen
  6. Jörg
    Es bleibt leider so: Erwachsene leben den Kindern vor, Regeln brechen hat Vorteile und keiner tut was dagegen. Man kann zu schnell fahren, auf der Ecke parken alles easy, Radfahrende bedrängen usw.
    Man muss in Dschungel nur überleben bis man auf der Seite der Starken und Erwachsenen ist.
    Wenn diese Dinger filmten täten und Gefährdet aufzeigen taeten. Will nur niemand.

    AntwortenLöschen
  7. Hallo Christine

    Don't feed the troll. Die StVO und Rechtsprechung definierten den Begriff der Betriebsgefahr. Diese liegt beim MIV gegenüber Radfahrern und Fußgänger weitaus höher. Daher ja die Führerscheinpflicht. Alle rechtlichen Regelungen beziehen sich explizit auf die hohe Verantwortung des Kfz-Fahrers. Diese Regelungen zum Wohle der Schwachen durchzusetzen ist Aufgabe der staatlichen Exekutivorgane. Diese hoheitliche Aufgabe kann und darf der Staat an den Privatsektor und schon gar nicht an Kinder abschieben. Das wäre Verfassungsbruch.

    Michael

    AntwortenLöschen