Der Stadtgeograf und Zukunftsforscher Stefan Carsten sagt in einem langen Interview mit der Onlineplattform Utopia: "Ein Parklatz ist der widersinnigste Ort, den sich eine Stadt leisten kann." Gerade dem Einzelhandel, der bei uns verbissen um jeden Parkplatz vor dem Laden kämpft, schadet der Parkplatz und nützt jeder Fahrradstellplatz und jeder Fußgängerweg vor der Tür. Parkplätze am Straßenrand im Konsumbereich einer Stadt bedeuten nämlich auch Parkplatzsuchverkehr, der ungefähr 30 bis 40 Prozent des Autoverkehrs in Straßen ausmacht, wo Leute eigentlich flanieren und sich aufhalten wollen. Der Umsatz einer Einkaufsstraße wird zu 91 Prozent mit Fußgänger:innen (ÖV-Nutzer:innen) und Radfahrenden gemacht. Autofahrende kaufen vielleicht bei einem Besuch mehr, aber Fußgänger:innen und Radfahrende kommen öfter und geben in Summe mehr Geld im Einzelhandel aus. Auch Carsten geht es nicht darum, alle Autos aus den Städten zu verbannen. Derzeit aber belegt der Autoverkehr in unseren Städten rund 50 bis 60 Prozent des öffentlichen Raums. Wie man auf dem Foto sieht, sind die Autos in dieser Einkaufsstraße einer Kleinstadt so dominant, dass kaum ein Mensch mehr zu Fuß unterwegs ist. Aber nur die zu Fuß kaufen ein, Autos nicht. Die paar Menschen, die hier aus ihren Autos ausgestiegen sind, um schnell was abzuholen oder zur Apotheke zu gehen, machen die Menge an Menschen nicht wett, die sonst hier schlendern und in die Läden gehen würden. Carstens Grundthese ist, dass künftig keine Straße mehr als eine Autofahrspur in jede Richtung braucht, der Rest gehört Radfahrenden und Fußgänger:innen, darunter auch den vielen Kindern und Alten, die nicht im Blechpanzer sitzen und die wir heute kaum auf unseren Straßen sehen. Er glaubt, dass auch wir das noch lernen, denn beispielsweise Stuttgart steht in Konkurrenz zu München, München zu Berlin und Berlin zu Paris. "Und nun wissen wir", sagt er, "dass je mehr Fahrräder in einer Stadt unterwegs sind, die Stadt wirtschaftliche erfolgreicher ist. Je mehr Autos, desto weniger."
Paris sei von seinen historisch-kulturellen Wurzeln gut vergleichbar mit einer deutschen Stadt, weil es nämlich auch eine Stadt ist, die in der Ära des Autos groß wurde. Auch Frankreich hat mit Citroën, Renault und Peugeot eine Autoindustrie. "Paris war immer: Auto, Auto, Auto." In Paris werden Carsten zufolge nach dem Umbau zur Velostadt in den letzten 15 Jahren jetzt nur noch vier Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt, 30 Prozent mit dem ÖV, 11 Prozent mit dem Fahrrad und 50 Prozent zu Fuß. Carsten: "Daten aus allen Städten, die Autostraßen zurückgebaut haben, zeigen, dass die Menschen sich innerhalb kürzester Zeit anpassen, ihr Verhalten verändern und auf alternative Mobilitätsmittel zurückgreifen. Und dass es eben nicht zu Stau und zu Unzufriedenheit kommt."
Ich meine, wenn wir das in Deutschland - auch in Stuttgart - nicht sehr schnell lernen, dann werden wir wirtschaftlich gegenüber dem wacheren Ausland ziemlich ins Hintertreffen geraten. Schon jetzt verschwinden aus Stuttgart etliche Marken aus den Läden oder samt ihren Vertriebsfilialen. Und das liegt nicht daran, dass es in Stuttgart an Parkplätzen fehlt, denn daran fehlt es nicht, im Gegenteil. Man darf in der City am Straßenrand parken und hat eine Parkhauskapazität, die bestenfalls zur Hälfte genutzt wird. In der Eberhardstraße, die weitgehend autofrei gemacht wurde, aber eine Fahrradstraße ist, sind viele Menschen zu Fuß und mit Rädern unterwegs, die ich in Läden hineingehen sehe. Die Radabstellanlagen sind tagsüber voll. Würde man die Königstraße, die Fußgängerzone ist, fürs Radfahren freigeben, würde das den Geschäften dort auch gut tun.Grundsätzlich wollen ja auch die Fachkräfte, die wir für unsere Industrie in Stuttgart dringend brauchen, in einer Stadt mit hoher Freizeitqualität und einer entspannten Atmosphäre leben. Was aber bieten wir denen eigentlich? Einen viel zu vollen Schlossgarten, in dem Radler:innen sich durch Spaziergänger:innen schlängeln (was stresst), weil wir es nicht schaffen, die Hauptradroute 1 und meist befahrene Pendelstrecke dort raus auf die Fahrbahnen zu verlegen. Und zwar weil es uns extrem schwer fällt, auf der B14 dem Autoverkehr Platz wegzunehmen. Von Autos beherrschte Zuwege zum Citybereich, was auch heißt, lange an Ampeln herumstehen und den Autos beim Fahren zuschauen. Es fehlen die freien und schattig grünen Plätze zum Verweilen. Von der Treppe am Stadtpalais schaut man auf die B14. Und gerade macht der Autoverkehr in der Esslinger Straße (beim alten Breuninger Parkhaus) die dortigen Läden platt, weil Fußgänger:innen kaum noch Platz haben und man mit dem Fahrrad auch nicht mehr durchkommt. Und wir schaffen es nicht, die Parkverbotszonen von wirklich Falschparkern freizuhalten. Auch auf der Bolzstraße (zweites Foto) beherrschen die Autos alles, man sieht nur zwei Fußgänger. Wie schön könnte die Straße eigentlich sein!
Im Ausland finden wir autofreie Innenstädte toll, wie atmen freier, wie sitzen in Straßencafé, wir schlendern durch Gassen, ohne auf Autos achten zu müssen. Wir wissen eigentlich, was uns gut täte. Warum gönnen wir uns das nicht auch in Stuttgart?
Ich habe vislang nier verstanden, warum man sich den Stress antut, in der Stadt am Fahrbahnrand einen Parkplatz haben zu wollen.
AntwortenLöschenSeit ich Auto fahre, steuere ich mit dem Auto in der Stadt (egal welcher) direkt ein Parkhaus an. Ein gescheites Parkleitsystem ist hier echt von Vorteil. Problem sind die Vororte, da gibts meist keine Parkhäuser. Ich würde auch dort im Parkhaus parken, dann ist die Kiste weg von der Strasse.
Ich fände es in der Stadt wirklich von Vorteil, wenn es nur noch Lieferverkehrstellplätze gäbe und alle übrigen im Parkhaus parken. Man könnte auch noch Aussteigezonen markieren. Aber jeder der länger als 10min steht, kann doch ins Parkhaus. Bei manchen Parkhäusern gibts sogar eine kostenfreie Kurzparkzeit (15min) oder einen Billigtarif für die erste halbe Stunde.
Ich finde Fußgängerbereiche ohne Autos und Fahrräder total entspannt. Den Stress verursachen immer die, die sich nicht an die Regeln halten.
Karin
"Ich habe bislang nie verstanden, warum man sich den Stress antut, in der Stadt am Fahrbahnrand einen Parkplatz haben zu wollen."
AntwortenLöschenWeil man glaubt, das wäre billiger und bequemer als das Parkhaus.
Wenn man in der Woche so morgens um 10:30 Uhr einen Supermarkt besucht, dann kann man leicht nachvollziehen, warum ein Auto geparkt direkt vor einem Eingang so zentral wichtig ist: Viele Einkäufer zu dieser Zeit sind nicht mehr gut zu Fuß, der Einkaufwagen dient als Rollator. Und Rückwärts einparken, gar in einer Tiefgarage mit den engen Auf- und Abfahrten? Das bekommen die meisten auch nicht mehr hin.
LöschenWir leben in einer alternden Gesellschaft und sollten uns darauf einstellen und nicht weiter Konzepte propagieren, die großen Gruppen der Gesellschaft ausschließen.
Grüße
Mercedes Testa Rossa
Es kann auch nicht angehen, dass Personen, die aufgrund ihres Alters kognitiv oder aus anderen gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sind, ein Fahrzeug zu führen, das weiter tun. Dürfen oder müssen. Alternative Mobilitätsformen kommen auch diesen Personen zugute, damit sie nicht mehr ans Auto gefesselt sein müssen. Es ist nicht die alternative Mobilität oder die Mobilitätswende, die solche Personengruppen "ausschließt", es ist eine seit Jahrzehnten ausschließlich auf das Auto fokussierte Mobilitätspolitik durch Bund, Länder und Kommunen, die Alternativen verunmöglicht und so die Illusion der Alternativlosigkeit des Autos erschafft. Wie es anders und besser geht zeigen zahllose Beispiele in europäischen und außereuropäischen Ländern. Dass es hier nicht besser ist liegt daran, dass Lobbybediener in der deutschen Politik die Autoindustrie die Gesetze schreiben lassen. Gegen dieses politische Versagen sollte sich Ihre Wut richten, nicht gegen lebenswerte Innenstädte.
LöschenLiebe Mercedes,
Löschendu bist dafür, dass Menschen, welche durch jede Fahrprüfung und jeden Sehtest rasseln würden, Kraftfahrzeuge führen dürfen. Da kann ich dir leider nicht zustimmen. Wer nicht geeignet ist, darf kein Kfz führen.
Thomas
Lieber Thomas,
Löschenich beschreibe nur die Relität. Ob ich das gut finde, habe ich nicht gesagt!
Und nicht nur Volker Wissing ist gegen verpflichtende Gesundheitschecks für Autofahrer ab 50. Wie soll ich sonst in einer Gerontokratie Mehrheiten organisieren?
Grüße
Mercedes Testa Rossa
Liebe Mercedes,
Löschendoch, du hast geschrieben, dass fahruntaugliche Personen ihre Pkw auch zukünftig direkt am Supermarkteingang abstellen können sollen.
Thomas
Das Argument, dass Menschen, die nicht gut zu Fuß sind, einen Parkplatz am Straßenrand brauchen, ist doch eigentlich ein Nebenthema. Das sind ja nun wirklich nicht wirklich viele. In der Regel gibt es Behindertenparkplätze, so auch in der Stuttgarter Innenstadt. Unmittelbar an der Markthalle gibt es ein Parkhaus. Und dass während der EM und der Sperrung dieses Parkhauses und der Straßen am Karlsplatz für Autos und übrigens auch für Radfahrende die Markthalle nicht gut besucht war, hängt sicherlich auch damit zusammen, dass sich viele Leute entschieden haben, während der EM überhaupt nicht mit dem Auto in die City zu fahren (übrigens auch mit dem Fahrrad nicht). Und auch viele, die sonst mit Öffis und zu Fuß in die City gehen, sind weggeblieben wegen des Fußballtrubels. Ich finde, man sollte bei der Diskussion um Straßenrandparkplätze nicht immer wieder bewusst die falschen Schlüsse ziehen. Autofahrende machen nur 9 Prozent des Umsatzes aus, und diese 9 Prozent werden um ein vielfaches ausgeglichen, wenn Menschen zu Fuß und mit Fahrrädern Spaß daran haben, in die Innenstadt zu kommen, weil es schön und friedlich, ruhig und stressfrei ist, sich dort aufzuhalten.
LöschenHallo in die Runde
LöschenOft wird das Auto als essentiell für mobilitätseingeschränkte Personen dargestellt. In diesem Kontext wird immer impliziert, es müsse der eigene Privat-PKW sein, der natürlich Nahe an Start und Ziel einen Parkplatz haben soll, damit man nicht weit bis zum Endziel kommen kann. Soweit ein klares Bedürfnis. Der Fehler liegt darin eben den Privat-PKW als einzig denkbare Mobilitätsform festzuschreiben und darum herum zu planen und zu diskutieren. Was ist mit Taxen, Carsharing, Ruf-Bussen, E-Ritschkas, etc. also Systemen der Eigenmobilität oder der Mobilitätsdienstleistungen? Sind es wirklich die Kosten oder doch ehr Vorbehalte oder die Unlust sich anpassen zu wollen? Letztendlich können Städte sehr entlastet werden, wenn Autobesitz in Autonutzung umdefiniert wird. Weniger Parkblech durch weniger Privat-PKW würde automatisch viel Raum freigeben OHNE dass irgendwelche Personenkilometer eingespart werden. Diese verteilen sich halt auf andere Mobilitätsformen. Und wenn wir das Auto erstmal wegdenken, dann wird die Kreativität angeregt und es entstehen neue Mobilitätsformen und -dienstleistungen. Wir Menschen tun uns schwer Eigentum abzugeben, weil wir das als Verlust und Rückschritt empfinden. Auch wenn es total vernünftig ist und wir im Ausland autofrei ganz toll finden, sind wir hier in D sehr verkrustet in unserem Mobilitätsdenken.
Parkplätze im öffentlichen Raum müssen durch Flächen u.a. für Fusswege, Ladezonen, CarSharing Sonderflächen, Taxistände, Bus &Tram&Fahrrad-Spuren ersetzt werden. Dann kann man all die nicht mehr benötigten Verkehrszeichen, Ampeln, Poller, Lärm, Abgase einsparen und wegen drastisch reduzierten Unfällen Feuerwehr, Ärzte & Sanitäter, Ordnungsamt- und Polizeikräfte massiv entlasten. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind nicht unerheblich und auch die Lebensqualität durch weniger Lärm, Abgase, Angst um das Leben der Kinder, nicht mehr Elterntaxi sein müssen, endlich ohne Angst die Straßen queren, keine sicht- und freiheit-behindernde Falschparker in Kreuzungen und auf Gehwegen, etc. wird enorm gesteigert.
Das einzige Argument, dass Kritiker entgegenbringen, ist die alte, längst widerlegte Lüge von den verwaisten Innenstädten und dem toten Industriestandort Deutschland, dass uns arm und bitter wie im 19 Jhd. macht. Abwertend wird das Konzept auch Bullerbü genannt, wobei wir Deutschen vom Leben wie in Bullerbü im Inneren unseres Herzens träumen.
Grüße
Michael
Lieber Michael, vielen Dank für diese schöne Darstellung ganz einfacher Lösungen. Und wenn dann autonom Fahrende Autos verkehrstauglich sind, können auch sie Menschen, die nicht gut laufen können, zu ihren Arztterminen und Einkaufsläden fahren. Auch in Deutschland würde die Kreativität und der Erfindungsgeist wieder erwachen, wenn man das parkende Auto mal beseitigt.
LöschenHallo Michael,
Löschenwunderbarer Beitrag!
Leider stützen sich viele Entscheider nicht auf Wissen, sondern auf überkommene Glaubenssätze. Es ist noch ein langer Weg.
Thomas
an Mercedes
LöschenLiebe Mercedes, Ich glaube auch, dass wir die Mobilitätsfragen einer alternden Gesellschaft lösen müssen. Nur ich bin davon überzeugt, dass der MIV in der heutigen Form dafür eben nicht die Lösung ist.
KFZ sind viel zu gefährliche Maschinen um sie von Menschen mit eingeschränkten sensorischen Fähigkeiten und schlechter Reaktion in einem nicht abgeriegelten Bereich betreiben zu lassen.
Schon heute ist es so, dass Taxifahren oft billiger wäre als das eigene Auto. Sobald man einen Teil der Wege öffentlich zurücklegen kann dürfte das für viele ältere Menschen gelten. Lieferdienste wie es sie vor 40 Jahren gab (Eiermann Biermann, Kartoffel direkt vom Anhänger des Bauern) oder eben modernere Varianten reduzieren den Bedarf an Besorgungsfahrten.
Und wenn es um Parkplätze im öffentlichen Raum geht, die sind im Gegensatz zu denen vor dem Supermarkt eben meist nicht vor dem Hauseingang in den man will, sondern oft weiter weg als die nächtse Bushaltestelle.
Ist mir zu einseitig. Die Welt ist komplex und vieles hängt mit vielem zusammen. Die Formel keine Parkplätze gleich alles ist super, finde ich zu einfach. Andere Städte haben vielleicht auch einen funktionierenden und sicheren ÖPNV. o.ä.
AntwortenLöschenVg Niko