14. Juni 2015

Stoppen ist ganz schön anstrengend

Zum Video geht es hier
Aber wir haben es geschafft. Wir haben den ersten Stuttgarter Radlerstau erzeugt. Und zwar bei Deutschlands erster Stoppschildparty. 

Schön war's. Fünfzig Radler/innen haben sich beteiligt am Protest von Radfahren in Stuttgart, ADFC, und Critical Mass am Freitagabend  gegen ein Stoppschild für Radfahrer/innen in der Tübinger Straße auf der Hauptradroute 1.  Wir meinen, das Stoppschild muss weg. Es kann nicht sein, dass Radfahrer anhalten müssen, damit der Autoverkehr nicht stoppen muss. Und es macht die Situation für Radfahrer gefährlicher. Außerdem ist das Stoppschild hier wohl rechtswidrig aufgestellt (Siehe Kommentare).

Das Schild steht nach Aussagen des Ordnungsamts dort, um Radfahrer vor einer großen Gefahr zu schützen. Eine Verkehrszählung soll - so der letzte Stand - herausfinden, ob wirklich so viele Autos vom Gerber her in die Feinstraße einbiegen und aus der Feinstraße Richtung Gerber abbiegen, wie man annimmt.

Ich habe von unserer Stoppschildparty wieder ein Video gedreht. Es ist weniger spektakulär als das erste, auf dem man sah, dass weder Radler noch Autofahrer noch Motorradfahrer hier irgendwelche Regeln beachten (natürlich nicht alle, aber doch mehr als vermutet). Diesmal war die Polizei eine Stunde lang da. Solange fuhren weder Autos noch Motorräder über die Radspuren durch die Absperrung für den motorisierten Verkehr. Davor und danach sah es gleich wieder anders aus.

Dieses Video zeigt aber vor allem schön, warum ein Stoppschild für Radler nicht nur ungeeignet ist, sondern die Gefahr erhöht, einen Unfall zu erleiden. Wir haben nämlich das Stoppen geübt, akkurat und so wie es sein soll: Räder stehen still, Fuß auf den Boden oder eine Sekunde Balanceakt. Stoppen und Starten versetzt die Radler/innen jedes Mal in einen beachtlich instabilen Zustand. Zweiräder kippen, wenn sie stehen. Also muss man runter vom Pedal. Beim Start holt man Schwung und sucht mit einem Fuß das Pedal. Die meisten verreißen den Lenker, und bis so ein Rad die gerade Linie gefunden hat, hat es bereits die Hälfte der Fahrbahn überquert. Das Pedalsuchen und Antreten verzögert zudem den Start. Da sind die Autos, vor denen man noch rüber zu kommen meinte, bereits da.

Dass ein rollender Stopp die stabilere und kontrolliertere Lösung ist, sieht man auch an allen Radlern, die sich nicht an unserer Übungs-Aktion beteiligt haben. Ranrollen, abbremsen, nach links und rechts und wieder links und wieder rechts schauen, dann aus dem Rollen antreten, wenn frei ist. Der Radler bleibt stabil und ist vollständig auf den Verkehr konzentriert und nicht auf den Start aus dem Stillstand.

Natürlich wird es viele entsetzen, wenn sie sehen, wie schnell manche Radler da fahren. Ich finde das auch zu schnell. Allerdings sieht man wirklich sehr gut in beide Straßen hinein. Wer sich mal aufs Fahrrad setzt und dort fährt, merkt selber, dass dies eine Kreuzung ist, die für Radfahrer vergleichsweise übersichtlich ist, weil man schon beim Heranfahren tief in beide Straßen hineinsehen kann.  Was aus der Feinstraße kommt, sieht man sogar im Spiegel eines Schaufenster, lange bevor man an der Haltelinie ist. Die Situation hier ist so übersichtlich und die Autofahrer sind so langsam unterwegs, dass hier von Rechts wegen gar kein Stoppschild stehen dürfte.*

In den USA gibt es für solche Situation den nun schon oft erwähnten Roll-Stopp (Idaho-Stopp, Rolling Stop), der es Radler erlaubt, im Rollen zu bleiben, so wie es hier die meisten Radler/innen tun, die nicht mit uns das Stoppen üben. Was übrigens alles in Stocken bringt und den ersten Stuttgarter Radlerstau erzeugt.


Was die Fahrradmetropole Kopenhagen kann, können wir in Stuttgart auch, wir nehmen halt ein Stoppschild zu Hilfe

Da hier keine Autofahrer gestoppt werden müssen, hätte für Radfahrer in Vorfahrt-achten-Schild vollständig gereicht. Tatschlich aber erwarten wir hier Vorrang für Radfahrer (wenigstens aber eine Rechts-vor-Links-Regelung) auf der Hauptradroute 1.
Denn entweder man will den Radverkehr fördern oder man will es halt nicht.

Und hier noch der Bericht der Stuttgarter Zeitung vom Montag, den 15.6.2015

*Was bedeutet ein Stoppschild für Radfahrer/innen?
Radfahrer/innen müssen sich an Verkehrsregeln halten und Verkehrszeichen beachten. Ein Stopp-Zeichen ist allerdings ein Verkehrszeichen, das speziell auf die Verkehrsart Auto zugeschnitten ist. PkW-Fahrer haben einen Kühler vor sich und sitzen tiefer als Radfahrer. Sie können eine Kreuzung später und weniger gut einsehen als Radfahrer. Außerdem brauchen Autos für jedes Manöver die gesamte Fahrbahnbreite, Radfahrer nicht. Stoppschilder sollen laut Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO, Nov. 2014 zu § 40 Zu Zeichen 206 Halt! Vorfahrt gewähren) nur dort stehen wo es die Sichtverhältnisse zwingend erfordern, weil es wegen der Örtlichkeit (Einmündung in einer Innenkurve oder eine besonders schnell befahrene Straße) schwierig ist, die Geschwindigkeit der Fahrzeuge auf der anderen Straße zu beurteilen. Das ist hier nicht der Fall. Wir befinden uns in einer Tempo-30-Zone und die T-Kreuzung ist übersichtlich.

16 Kommentare:

  1. Wenn ich mir die Argumentation vom Ordnungsamt so durchlese, könnte man das Argument auch umkehren und die Autofahrer anhalten lassen, damit die Radfahrer geschützt werden! Dies zeigt wieder: Die Autolobby hat Vorrang. Ganz klar: Autofahrer sitzen im Ordnungsamt und sehen aus dem Autofenster und beschließen eine Änderung zugunsten des Autofahrers. Ich habe zwar nicht mit verfolgt, ob es eine Ortsbegehung gab, aber ganz klar: Keiner im Ordnungsamt fährt Rad! Noch erschreckender sind aber die Autos, welche dort durch fahren!

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    1. Das sage ich ja auch immer. Was ist das auch für eine Denke, die die Bewegungsfreiheit des zu Schützenden einschränkt, damit er nicht Opfer wird und den Schützenden bestraft, wenn er doch Opfer wurde, weil er das Verbot missachtet hat, statt denTäter in Haftung zu nehmen. Gell.

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  2. Zählt die Radfahrerschleuse eigentlich noch als/zur Straße? Oder wurde dieser Abschnitt teilentwidmet ?
    Die Frage ziehlt darauf ab, dass die Tübinger, Fein- und Furtbachstraße doch 30ger Zonen sind? Dort gilt generell rechts vor links. In Ausnahmefällen darf die Vorfahrt laut VwV (nur) durch Z301 geregelt werden. Aber Z301 darf widerum nicht bei abknickenden Vorfahrtsstraßen verwendet werden.
    Also gilt dort der Grundsatz das abbiegender Verkehr (Kfz) den Gegenverkehr (Radfahrer) durchlassen muss. Der wird wiederum durch das Stoppschild zum Vorfahrt gewähren verpflichtet.
    Falls die Vermutung Zutrifft ist somit ja die ganze Lösung dort nichtig.

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  3. Guter Hinweis. Ich weiß es nicht. Für uns stellt sich das so dar, dass die Straße an dieser Stelle für Autos gesperrt wurde. Radler haben an den Rändern Spuren zum Durchfahren. Davor und danach ist alles Tempo-30-Zone. Auf der Radspur in den Schranken (ca 10 Meter) gibt es keine Schilder, die etwas zum Tempo sagen würden, also keine Wiederholung von Tempo 30 oder so.
    Vermutlich würde es zu ganz ekligen Gerichtsprozessen kommen, wenn hier ein Radler von einem Auto angefahren würde, weil die gesamte Organisation dieser Stelle rechtswidrig ist. Oder?

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    1. Also auch keine Ende der 30ger Zone. Es sei den, die Z237 haben einen Effekt, den ich hier als interresierter Laie gerade aber nicht erkennen kann. (Ich kenne aber auch nicht die komplette aktuelle Rechtssprechung dazu).
      Nach den hier (inbesondere durch Rolf unten) und in der anderen Threads ausgetauschten Argumenten, müsste man das Stoppschild aus meiner Sicht aber ganz leicht wegklagen lassen, da die zur Anordnung erforderlichen Vorschriften nicht erfüllt werden.
      Mal abgesehen davon, dass schon das "gegenseitige Vorfahrtgewähren" (Linksabbieger, Stoppschild) nach §44 VwVfG Absatz 1 nichtig ist, da "er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist." (Eins meiner Lieblings Gesetzte)

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    2. P.S.: "Ein nichtiger Verwaltungsakt ist von Anfang an unwirksam und entfaltet deswegen auch keinerlei Rechtswirkungen." (JuraForum).
      Also muss man nur noch bei einem Bußgeld Wiederspruch einlegen, dann weiß man mehr.

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  4. Zunächst mal: ein mit Zeichen 237 beschilderter Radweg ist ein Sonderweg aber Teil der Straße. Auch der Gehweg und die Fahrbahn sind nur ein Teil der Straße. Nur weil es in einem Abschnitt einer Straße keine Fahrbahn gibt, heißt das nicht, dass es keine Straße mehr wäre. Verkehr von der Tübinger- in die Feinstraße biegt also links ab, da die Tübinger geradeaus durch die "Schleuse" durchgeht.

    Der Gedankengang der Straßenverkehrsbehörde (StVB) scheint mir hier folgender zu sein:
    Für die Radfahrer entlang der Hauptradroute gilt in der Tübinger Straße überall Rechts vor Links. Nur an dieser Stelle soll man dem entgegenkommenden, linksabbiegenden Verkehr Vorfahrt gewähren. Deshalb glaubt die StVB, dass sie die Radfahrer an dieser Stelle zu besonderer Vorsicht mahnen muss. Das wäre laut VwV-StVO ein Grund für ein Stoppschild. Das ist auch so üblich, Stoppschilder sieht man an Zufahrten zu abknickenden Vorfahrtsstraßen sehr häufig.

    Das Problem an dieser Stelle: die Tübinger- Richtung Feinstraße ist eben KEINE abknickende Vorfahrtsstraße! Wie erwähnt gilt hier für Linksabbieger Rechts vor Links, sie müssen dem Gegenverkehr (Radverkehr) Richtung Innenstadt Vorfahrt gewähren. Um es nochmal klar zu sagen: aus Sicht der Linksabbieger (Autos) hat der Geradeausverkehr (Fahrräder) hier Vorfahrt, daran ändert das für die Linksabbieger (Autos) unsichtbare Stoppschild nichts!

    Die StVB hat hier nicht vergessen ein Vorfahrtsschild aufzustellen, sie darf es nicht! Denn die VwV-StVO sagt:

    "Die StVB bedarf der Zustimmung der obersten Landesbehörde [...] zur Anbringung und Entfernung folgender Verkehrszeichen: [...] des Zusatzzeichens 'abknickende Vorfahrt'"

    Wegen der Zustimmungspflicht gibt es für die StVB also kurzfristig keine Möglichkeit hier dem Verkehr Richtung Feinstraße Vorfahrt zu gewähren.

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    1. Was sind die Voraussetzungen um eine abknickende Vorfahrt anzuordnen? In der VwV-StVO heißt es:
      "Die abknickende Vorfahrt ist nur anzuordnen, wenn der Fahrzeugverkehr in dieser Richtung erheblich stärker ist als in der Geradeausrichtung."
      Hier ist es wichtig genau zu lesen: Der Fahrzeugverkehr in die abknickende Richtung muss "erheblich stärker" sein. Erheblich stärker! Und "Fahrzeugverkehr" beinhaltet auch Radverkehr, da Fahrräder Fahrzeuge sind.
      Die Voraussetzung, dass die oberste Landesbehörde der abknickenden Vorfahrt zustimmt ist also, dass hier mehr Fahrzeuge links abbiegen als geradeaus fahren. Aus diesem Grund plant die StVB nun Verkehrszählungen an dieser Stelle.

      Aber selbst wenn hier erheblich mehr Fahrzeuge in der abknickenden Richtung unterwegs sind, gibt es noch weitere Hürden für das anordnen der Vorfahrt. So sollen laut VwV-StVO "als Vorfahrtstraßen [..] nur Straßen gekennzeichnet sein, die über eine längere Strecke die Vorfahrt haben und an zahlreichen Kreuzungen bevorrechtigt sind." Von "längere Strecke" und "zahlreiche Kreuzungen" kann hier nicht die Rede sein. Es geht nur um eine Kreuzung, denn ich glaube nicht dass die benachbarten Kreuzungen Fein-/Hauptstätter Straße und Tübinger-/Sophienstraße geändert werden. (Außerdem soll es eh keine Vorfahrtsstraßen in Tempo-30-Zonen geben.)

      Solange aber die abknickende Vorfahrt nicht angeordnet werden kann gilt hier für Linksabbieger, dass sie dem Geradeausverkehr (Radverkehr) Vorfahrt gewähren müssen. Radfahrer Richtung Innenstadt haben also Vorfahrt!

      Ein Stoppschild darf hier nicht stehen, denn die VwV-StVO sagt: "Jede Kreuzung und Einmündung, in der vom Grundsatz 'Rechts vor Links' abgewichen werden soll, ist sowohl positiv als auch negativ zu beschildern".
      Negativ wäre das Stoppschild, positiv wäre die abknickende Vorfahrt. Da die positive Beschilderung aber nicht möglich ist, kann hier auch nicht vom Grundsatz Rechts vor Links abgewichen werden.

      Die StVB müsste die Stelle baulich so anlegen, dass die Vorfahrt des stadteinwärtigen Radverkehrs klar erkennbar ist. Eine Möglichkeit dafür wäre eine Aufpflasterung auf der stadteinwärtigen Spur über die die Linksabbieger drüber fahren müssten sowie eine ordentliche Beschilderung mit Hinweisen für linksabbiegende Autofahrer (z.B. "Vorfahrt für entgegenkommende Radfahrer" oder ähnliches)

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    2. Dachte ich mirs doch das die Beschilderung für die Autos fehlt. Jetzt wissen wir ja dann auch warum.

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    3. Vielen Dank für diese erhellenden Hinweise, Rolf. Das erklärt nicht nur die seltsam widersprüchliche Beschilderung an der Stelle, sondern auch, warum sie dazu noch rechtswidrig ist hier genau die Verwirrung schafft, die an der Stelle herrscht. Weil die Autofahrer nicht recht einschätzen können, ob sie den Radlern Vorfahrt lassen müssen oder nicht, sind sie immerhin sehr langsam unterwegs. Ein Stoppschild für Radler als "Achtung-aufpassen"-Hinweis ist jedenfalls das grottenfalsche Schild.

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  5. Ich denke nicht das die Verwaltung das Stop-Schild dort halten kann wenn jemand gerichtlich dagegen vorgeht. Allerdings gibt es noch andere Möglichkeiten jemanden die Vorfahrt zu nehmen. So eine kleine Aufplasterung mit Bordsteinen war der Verwaltung vielleicht zu teuer, aber wenn man sie ausreichend ärgert...

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  6. Seit wann nimmt mir etwas das auf der Fahrbahn ist die Vorfahrt? Nichtmal eine aufgemalte Haltelinie ohne Schild hat irgendeine Bedeutung für die Vorfahrt.

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  7. § 10 StVO Einfahren und Anfahren:
    ...oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist...

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    1. Also meinst du das ein Temposchweller die Vorfahrt nimmt?

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    2. Nein, aber die beschriebene Aufplasterung mit Borstein schon. Die kann man auch schön gebogen der gewünschten abknickenden Vorfahrt folgen lassen. Das wäre natürlich schon relativ aufwendig.

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  8. Stimmt schon, aber hier geht es um Fahrbahnmalerei. An dieser Stelle war früher für Autofahrer, die vom Gerber her kamen und nach links in die Feinstraße fahren mussten, eine weiße Stopplinie auf die Fahrbahn gemalt, dort, wo die Radfahrer aus der Absperrungschleuse kamen. Auch hier stand kein Schild, weil es sich im Grunde um eine Grundsituation handelte, Radler kamen für die Abbiegenden von rechtes und hatten Vorrang. Ich habe inzwischen gelernt, dass in Stuttgart die Beschilderung keineswegs in sich stimmig ist, hier und anderswo.

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