Sie sind einfach unterwegs und werden mehr. Sie fahren Rad, weil es bequemer ist, weil sie den Stau vermeiden wollen, weil es ihnen Spaß macht. Die meisten Radfahrenden fahren. Einige machen sich Gedanken darüber, wie es besser gehen könnte. Einige kämpfen.
Leider komme ich um das Wort "Kampf" nicht herum, obgleich genau das - das Kämpfen - den Konflikt zwischen Radfahrenden und Autofahrenden zu einer Auseinandersetzung stilisiert, die nicht auf Einigung zielt, sondern auf Gerangel um Platz. Auch der SWR hat seine sehenswerte Sendung übers Radfahren in Stuttgart mit Alban Manz und anderen so betitelt.
Machtkämpfe kämpfen wir viele in unserer Gesellschaft. Halte ich für so unnötig wie ein Kropf. Es geht nicht um Macht auf den Straßen, sondern um Frieden und sicheres Vorankommen für alle. Der Straßenverkehr darf grundsätzlich keine Konfrontation sein. Konfrontation heißt Unfall! Ist bescheuert. Straßenverkehr muss Miteinander sein, und zwar so reibungslos wie möglich. Doch wir befinden uns in einem Umbruch. Und da knirscht es halt.
In vielen Städten, am deutlichsten in Berlin, wo eine Initiative eine Bürgerabstimmung über eine Förderung des Radverkehrs anstrebt, aber auch hier in Stuttgart geht es derzeit darum, wer die Straßen beherrscht, wer Vorfahrt hat: das Auto oder die Radfahrer? Und wo bleiben eigentlich die Fußgänger? Während der Kampf zwischen Fußgängern und Autofahren vor Jahrzehnten entschieden wurde, zugunsten des absoluten Vorrangs des Autos (der Autoverkehr wird immer nur kurz angehalten, damit Fußgänger queren können) ausgegangen ist, ist das Fahrrad ein Element, für das die Verkehrsgesellschaften keine Lösung haben, dem kein angestammter Platz übrig geblieben ist. Der Kampf der Radfahrer um mehr Raum auf den Straßen verschiebt zugleich die heikle Balance zwischen Auto und Fußgängern. Auf einmal ist nun auch wieder die Rede von einer Stärkung des Fußgängeverkehrs, Fußgängerübergänge mit Drückerampeln werden eingerichtet, Programme aufgelegt.
Wo bleibt dabei dann aber wiederum der Radverkehr? Es fühlt sich an, als sollte der erneut verbannt werden. Irgendwohin, wo er weder Fußgängern noch Autos Platz wegnimmt. Andererseits ist er eben da. Und die meisten Menschen wechseln ja ihren Modus, sind sowohl als Fußgänger, als Autofahrer und als Radfahrer unterwegs.
Das ist jetzt das Problem unserer Städte. Menschen wollen Fahrrad fahren, aber die Infrastruktur passt nicht. Und ihre Anpassung geht nur äußerst langsam und dabei nur sehr unvollkommen voran. Radwege entstehen stückweise und enden entweder auf Gehwegen oder zwischen Autos, und dann tut sich jahrelang nichts mehr (Beispiel: Neckartalstraßen-Radweg nach Münster, endet plötzlich, Schulradweg Wasenbstraße endet plötzlich). Die meisten Radfahrenden nehmen es hin, wie es ist. Spricht man mit ihnen, stellt sich heraus, dass auch sie irritiert sind, ewig an irgendwelchen Ampeln stehen oder sich über Gehwege und durch Bushaltestellen schlängeln zu müssen, aber sie haben andere Sorgen, als sich darüber aufzuregen. Andere aber regen sich auf.
So manche Radfahrt wird dann zur Demonstration der Schwächen unserer Radverkehrspolitik. Ganz bewusst, ganz absichtlich. Ein Radler bimmelt und schreit "Achtung Radweg!" Die Fußgänger erschrecken und registrieren, sie stehen auf der roten Radspur am Wilhelmsplatz an der Fußgängerampel. Wo sollen sie aber auch sonst stehen? Und wo soll der Radfahrer sonst fahren? Er muss sogar den Radweg nehmen. Fußgänger schütteln die Köpfe, der Radfahrer flucht, alle fluchen. Der Radfahrer hat demonstriert, dass die Stadt nicht in der Lage ist, für Radrouten zu sorgen, die als solche funktionieren.
Leidtragende sind die, die gar keine Kämpfe führen wollen. Unter ihnen auch sehr viele Radfahrende, die die dauerrote Ampel über den Fußgängerüberweg umgehen (Ampel Torstraße, Tagblatturm) und auf dem Gehweg schlingern, weil ihnen die Autos zu unberechenbar erscheinen und weil sie sich nicht in den Stellungskampf auf der Fahrbahn einreihen wollen. Autofahrende, die vor Radlern erschrecken und ihnen Vorfahrt gewähren, obgleich sie selbst Vorfahrt hätten. Menschen zu Fuß, die am Zebrastreifen stehen bleiben und den Radler mit großen Augen angucken in der Erwartung, dass er wie ein Auto zum Stillstand abbremst, bevor sie losgehen.
Geschimpft wird allerdings vor allem auf Radfahrende. Auch das ist eine Demonstration. Radfahrende sind die Katalysatoren einer Verkehrspolitik, die so nicht mehr funktioniert, weil sie die Verkehrsteilnehmer in Klassen einteilt: Autos zuerst, dann Fußgänger. Und irgendwo dazwischen Radfahrer, die notorischen Regelverletzer, die Gehwegraser, die Rotlichfahrer, die Kampfradler, die Pedelec-Senioren mit Fallsucht. Fußgänger und Autofahrer begehen genauso viele Regelverstöße, aber die Radfahrer müssen als Wutobjekte herhalten für den Ärger über das eigene Ungemach im Dauerstau oder an roten Fußgängerampeln. Für den Ärger Stadtverkehr überhaupt. Einfach für alles.
Auch weil sie einen Ausweg zeigen. Eine Zukunft mit weniger Autos und mehr Stille. Uns ermahnen. Setzt nicht nur aufs Auto! Setzt auch auf Radfahrende! Weil sie die etwas tun, wozu sich so viele nicht aufraffen können oder vor dem sie Angst haben: Denn "in Stuttgart fährt doch nur Rad, wer lebensmüde ist", höre ich so oft Autofahrende sagen. Wenn sie Radfahrer sehen, dann vom Auto aus. Für so gefährlich also halten sie ihr Fahrzeug und sich selbst als Autofahrende, dass es Radfahrende tötet. Dann wird es aber dringend Zeit, etwas zu ändern. Vielleicht zunächst einmal die Perspektive.
Liebe Autofahrerinnen und Autofahrer, freut euch, wenn ihr einen Radler oder eine Radlerin seht, wenn ihr viele seht, denn die stehen schon mal nicht vor euch im Stau, in dem ihr steht. Radfahrende entlasten den Stadtverkehr von Autos. Ich finde, dafür haben sie auch anständige und bequeme Radrouten verdient. Dann werden sie mehr und das Stadtklima wird besser: leiser, weniger Feinstaub, weniger Stickoxide.
Feine Worte sind das wohl,
AntwortenLöschenkonsensfähig und gut, obwohl,
die Crux schlicht und ergreifend darin liegt:
den Blog zu lesen kein MIV’ler beabsichtigt.
"Wo bleibt dabei dann aber wiederum der Radverkehr? Es fühlt sich an, als sollte der erneut verbannt werden. Irgendwohin, ..."
AntwortenLöschenWohin die Reise gehen soll, kann man in der Pressemitteilung des ADFC vom Ende September nachlesen.
"Bisher mussten Kommunen erst das erhöhte Unfallpotenzial eines Straßenzuges („besondere örtliche Gefahrenlage“) nachweisen, bevor sie dort einen benutzungspflichtigen Radfahrstreifen anlegen konnten. Das führte häufig dazu, dass gar keine oder nur unzureichende Radinfrastruktur geschaffen wurde. Durch die Neuregelung ist es künftig auch ohne Nachweis einer örtlichen Gefahrenlage möglich, Radfahrstreifen innerhalb geschlossener Ortschaften anzulegen."
Wenn diese geplante Änderung der StVO (Paragraph 45.9) in Kraft getreten ist, können ohne Einschränkung qualifizierte, aber eben auch unqualifizierte Radstreifen und dann wohl auch Schutzstreifen angelegt werden. Im Klartext: Zu schmale Wegelchen am Straßenrand werden zunehmen. Zumindest darf das befürchtet werden, wenn man die jetzige Radinfrastruktur betrachtet. Geltende Normen werden ja gerne gedehnt.
Büschen spät, aber trotzdem.
LöschenVorweg: Ich überhaupt kein Freund der Streifchenpolitik.
Es ist aber so: Bisher dürfen die minderwertigsten dieser Streifchen, die "Schutz"streifen überall und ohne "Nachweis" einer Gefährlichkeit angelegt werden.
Schon das Anlegen der etwas 'besseren' Streifen, nämlich der Radstreifen, muss mit "erhöhter" Gefährlichkeit begründet werden.
Die Änderung (meines Wissens abgelehnt) wollte nicht nur "Schutz"- sondern auch Radstreifen von dem Nachweis "höherer" Gefährlicjkeit (ca 30% erhöhte Unfallgefahr) unabhängig machen.
Besser spät als nie. Mir gefallen sie auch nicht, aber ich sehe sehr deutlich, wie sehr sie den Radverkehr unterstützen, etwa die Olgastraße hinauf, wo viele Radler unterwegs sind, seit es dort Sicherheitsstreifen gibt, die den Autoverkehr deutlich machen, dass sie dem Radverkehr so viel Platz lassen müssen. Diese Streifen ermutigen Radler, auch an Autoverkehrsachsen entlang zu fahren, statt sich über Nebenstraßen zu schleichen. Für mich sind sie wichtig im Übergang einer Autostadt zu einer Fahrradstadt. Sie werden unnötig, wenn so viele Radler unterwegs sind, dass Autofahrer jederzeit mit ihnen rechnen müssen, und man anfängt Fahrradstraßen einzurichten, damit die Radler in Massen gut vorwärts kommen.
LöschenIch behaupte dass das Hauptproblem darin besteht dass die meisten Menschen das Fahrrad leider immer noch als Freizeitvergnügen und nicht als Verkehrsmittel sehen.
AntwortenLöschenZu Fuß geht irgenwie jeder. Auto fahren die meisten. Fahrrad fahren viele nur am Wochenende und durch den Stadtpark oder am Neckar entlang. Eine Infrastruktur für Fahrradfahrende wird da zu häufig als Luxus für ein paar wenige gesehen. Es gibt wenige Städteplaner in Deutschland die so langsam begreifen dass das Fahhrad als Verkehrsmittel, zumindest in Großstädten, durchaus mit dem Auto konkurrieren kann.
Mein Eindruck ist leider nach wie vor dass in Stuttgart die Radwegplanung eine reine Alibifunktion ist.
Ich will nicht kämpfen. Schon gar nicht als Radfahrer. Aber ich muß mich überall "durchschlängeln" und werde leider durch die "bescheuerte" Radwegplanung viel zu oft gezwungen die STVO außer Acht zu lassen und mir den "besten" und sichersten Weg irgendwie selbst zu suchen.
Eine sinnvolle Forderung ist, die kommunalen Ausgaben und die Verkehrsflächen dem Anteil der Verkehrsträger entsprechend zu verteilen. Radfahren hat in Stuttgart etwa 7% Anteil am Verkehr, jedoch investiert die Stadt nur 2,9 Millionen Euro und somit etwa 1% ihrer Ausgaben für den Straßenbau. Allein der Rosensteintunnel kostet 274 Millionen Euro, oder 94 Jahre Fahrradinfrastruktur. Das sich die Infrastruktur nur langsam anpasst, hat also einen guten Grund.
AntwortenLöschenVielen Dank für dieses leidenschaftliche Plädoyer. Ich bin begeistert !
AntwortenLöschenich bin radfahrerin in einer kleinstadt und nutze das rad für fast alle strecken bis 10 km. in so mancher großstadt hätte ich angst obwohl ich momentan ca. 3000 bis 4000 km pro jahr radle. in den niederlanden gefällt mir radfahren wesentlich besser.
AntwortenLöschenUnd die meisten Menschen wechseln ja ihren Modus, sind sowohl als Fußgänger, als Autofahrer und als Radfahrer unterwegs.
AntwortenLöschenDas wäre schön, stimmt aber leider nicht. Ich kenne viele Autofahrer, die nie Fahrrad fahren, oder nur am Sonntag im Grünen. Die können sich schlicht nicht vorstellen, wie sich ein Radfahrer im Straßenverkehr fühlt, weil sie es nie selbst erleben.
Schöner Artikel, der einiges auf den Punkt bringt. Den beschriebenen Zustand kenne ich auch genau so aus Hamburg. Hier wird die Verkehrsführung ganz allmählich punktuell besser, aber nur da wo es dem Kraftverkehr nicht weh tut.
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