18. Juli 2017

Radwege helfen dem Autoverkehr

Nimmt man den Autos eine Fahrspur weg und legt stattdessen einen Radweg oder Radstreifen an, dann bremst das den Autoverkehr nicht aus, sondern beschleunigt ihn.

Das hat sogar der größte Automobilverband, der ADAC, erkannt, wie die Welt bemerkt. Denn Studien in den USA, über die auch der ADFC berichtet, zeigen das. Die Forscher haben verschiedene Szenarien durchgerechnet. Dabei kam heraus, dass Autofahrer schneller vorwärts kommen, wenn der Radverkehr auf einer getrennten Spur unterwegs ist. Je höher der Anteil der Radfahrenden ist, desto schneller kommen Autos vorwärts. Logisch. Denn fahren viele Radler im Verkehr mit, dann bremsen sie Autos aus, die hinter ihnen sind. Trennt man die beiden Geschwindigkeiten (Auto und Fahrrad), dann kommen die Schnelleren schneller vorwärts und die Langsameren auch.

Es zeigte sich bei einer Untersuchung in New York, dass gleichzeitig die Sicherheit von Radfahrern stieg. Obwohl nach dem Umbau 50 Prozent mehr Radler unterwegs waren, sank die Zahl der Verkehrsunfälle mit Verletzten um 27 Prozent.

Sicherheit für Radfahrende ist in Deutschland übrigens der einzige Grund, warum man Radwege mit Benutzungspflicht anlegen darf. Man darf sie nicht bauen, weil der Autoverkehr den Radverkehr loswerden will. Radsteifen und Radwege dienen aber gleichzeitig auch dazu, diejenigen aufs Fahrrad zu bringen, die sich das Radeln zwischen Autos auf Fahrbahnen nicht zutrauen. Sie vermehren letztlich den Radverkehr. Was dann auch wieder den Autoverkehr und den ÖPNV entlastet. Und die Sicherheit von Radlern im Straßenverkehr erhöht.

Übrigens bleibt die Fahrzeit für Autos auch auf Strecken stabil, wo eine Spur für den Radverkehr weggenommen wurde. Auf Entfernungen von rund zwei Kilometern stehen Autofahrer rund 12 Sekunden länger im Stau, zu anderen Zeiten aber geht es schneller, weil Autos ja nicht hinter Radfahrenden hängen.

Ich wundere mich schon lange, warum unsere Stuttgarter Autolobby nicht längst vehement Radwege und Radstreifen fordert, damit Autos die Radler neben sich und nicht mehr vor sich haben. Derzeit fahren immer mehr Radler auf Fahrbahnen, weil die Radinfrastruktur nicht durchgängig ist und sich viele Radler nicht mehr freigegeben Gehwege schicken lassen. Und das ist erst der Anfang, denn dank der Pedelecs (E-Räder) boomt der Radverkehr in Stuttgart. Das ist nicht aufzuhalten. Man kann nur jetzt noch entscheiden, ob man Radler in Bahnen lenken will oder eben nicht.

Radfahrer sind nicht die Feinde des Autoverkehrs, sondern seine Freunde. Ein Radler ist einer, der nicht im Autostau steht und gleichzeitig viel weniger Platz braucht. Viele Radler machen Staus kürzer. Die politische Gegenwehr gegen Radstreifen kann eigentlich nur noch ideologischer Natur sein. Oder reiner Hass. Klug ist sie jedenfalls nicht. 

In diesem Jahr feiern wir 200 Jahre Fahrrad. Das hat dazu geführt, dass in Zeitungen sehr viele Artikel erschienen sind, die versuchen das Wissen über den Radverkehr und seine Nützlichkeit für Städte und auf Pendlerstrecken zu vermehren. Wissen, dass offenbar dringend gebraucht wird, damit die Diskussion über die dringend nötige Radinfrastrukturplanung nicht mehr emotional und ideologisch, sondern rational geführt werden kann.

Dann passiert nicht mehr das, was in Ludwigsburg passiert ist. Dort hat der zuständige Ausschuss des Gemeinderats in einer turbulenten Sitzung Radstreifen an der Marbacher Straße gekippt, weil die Konservativen meinten, sie würden den Autoverkehr, der dort mehr als genug Platz hat, behindern. Es bedurfte einer zweiten Sitzung, wo die Entscheidung für den Radweg dann mit knapper Mehrheit fiel.

Marbacher Straße, Ludwigsburg
Hier sieht man Radler in Ludwigsburg auf der Marbacher Straße. Sie fahren bei Regen auf der rechten von zwei Autospuren. Das ist Stress für die Autofahrer, die sie überholen müssen (einige werden hinter ihnen ausgebremst) und für die Radfahrer.

Ist es das, was ihr Autofahrenden wollt?

Ein Argument war bei dem Streit in Ludwigsburg - wie anderswo übrigens auch immer -, Radfahrende hätten doch gar kein Interesse, neben einer Autostraße zu fahren. An diesem Radlertrupp sieht man, dass es doch welche gibt. Vielleicht Ortsunkundige. Außerdem regnet es, und sie wollen möglichst schnell an ihrem Ziel ankommen. Ohne Wegromantik. Auch das ist Radfahren. Ankommen wollen auf kürzestem Weg.

Wenn ich wieder mal im Radio höre "Achtung, Radfahrer auf der Autobahn", dann denke ich: Wer sich in einer Gegend gar nicht auskennt, fährt entlang der Hauptverkehrsachsen, weil dort auch Wegweiser stehen. Manche landen in ihrer Verzweiflung dann sogar auf Schnellstraßen und Autobahnen.

Hauptstraßen heißen Hauptstraßen, weil sie die Hauptverbindungen zwischen wichtigen Orten darstellen. 

Früher ging man dort zu Fuß, dann fuhr man mit Kutschen und Karren, dann mit Fahrrädern. Dann kamen die Autos. Und jetzt sollen dort keine Fahrradfahrer mehr fahren dürfen? Die schickt man über verschlungene Wege, Anstiege und durch Wälder, ohne Wegweiser.

Hier einige Links von Artikeln, die zu 200 Jahre Radverkehr so erschienen sind:
Dem Fahrrad gehört die Zukunft (Wirtschaftswoche)
Die Fahrradinfrastruktur ist grotesk unterdimensioniert
Radfahren boomt
Fahrräder sind schon da, die Politik fährt hinterher
Erobert das Fahrrad die Städte zurück?
OB Kuhn denkt über Nahverkehrsabgabe nach
Umsteigen bitte - du stehst im Stau? Du bist der Stau
Die Stadt war von Autos überschwemmt - Jan Gehl im Interview
Fahrradstau in Kopenhagen
Was macht Kopenhagen besser?
Gefährliche Luftverschmutzung. Interview mit einem Kinderarzt
Radikale Abkehrt vom motorisierten Individualverkehr nötig
Berlin plant die Fahrradrevolution
Berlin bekommt ein Fahrradgesetz
Berlin fängt an mit der Verkehrswende
Radwege an Nebenstrecken oder Hauptstrecken? 
Der Fahrradkrieg (Hamburg)
Umsatteln tut nicht weh. Auf dem Weg zur Velostadt (Schweiz)
Zürich autofrei - eine Initiative (Schweiz)
Radfahren wie eine Königin
Mathias Gastel: Alternativen zur Pendlerpauschale
Dokumenta setzt aufs Fahrrad
Lastenfahrräder statt Dieseltransporter
Zu eng für alle - gefährliche Radstreifen
Stress pur - zu enges Überholen
Wenn der Radler vom Sattel geholte wird - Konflikte im Straßenverkehr 

31 Kommentare:

  1. Letztes Jahr besuchte ich Mexico. Dort fahren insbesondere Rennradfahrer gerne auf dem Standstreifen der Autobahn. Das ist für die dünnen Rennradreifen über Land der schnellste Belag und für die Autofahrer relativ unproblematisch, da es Platz und ein vernünftiges Tempolimit gibt.
    In Mexico-Stadt (nicht nur verkehrstechnisch exponentiell komplexer, als der Stuttgarter Kessel) war es erstaunlich einfach und bequem mit dem Rad zu fahren. Es gibt dort viele innovative und effektive=simple Lösungsansätze, und der MIV steht sowieso im Gridlock.

    In Stuttgart erklärte mir jüngst der FDP Politiker Bullinger, dass er (es ging um Infrastruktur, nicht etwa Drogenbanden) auf keinen Fall Mexikanische Verhältnisse in Baden-Württemberg haben möchte. Stattdessen redete er als Alternative einer hemmungslosen, automobilbasierten Zersiedelung das Wort.

    Hochmut kommt vor dem Fall.

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  2. Christine Bitte nicht die Urheberrechte vergessen, das zweite Bild 'Radfahrstreifen Waiblinger Straße, Höhe Seelbergstraße' habe ich dir 2013 mit meinem Bericht über das Radfahren entlang der Waiblinger Straße mit der Auflage überlassen (wie bei allen meiner Medien), bei Weiterverwendung meinen Vornamen zu nennen.

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    1. „Ich wundere mich schon lange, warum unsere Stuttgarter Autolobby nicht längst vehement Radwege und Radstreifen fordert, damit Autos die Radler neben sich und nicht mehr vor sich haben.“

      Solche Überlegungen sind nicht Bestandteil des betriebswirtschaftlichen Kalküls der Hersteller. „Automanager“ wollen ausschließlich Autos zu einem höchst möglichen Preis und mit einem höchst möglichen Gewinn verkaufen. Was die „Kunden“ damit machen oder erleiden ist ihnen völlig wurscht. Aufgabe der Hersteller ist es nicht, eine akzeptable Verkehrspolitik zu verwirklichen, sondern ausschließlich möglichst viele Autos zu verkaufen. Der Rest ist externalisiert und somit Politik. Und das ist auch logisch so, denke ich mal so vor mich hin :-))

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    2. Sorry, ich habe den falschen Antwort-Button erwischt.

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    3. Dankeschön Christine ;)

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  3. Danke für den schönen Beitrag. Ich fahre tatsächlich meist auf den Hauptachsen, weil das Fahrrad für mich kein Freizeitgerät ist sondern ein Alltags-Verkehrsmittel: da will ich möglichst schnell ans Ziel kommen, wie die Motorisierten auch. Radinfra (v.a. Rad-Wegweisern) traue ich seit längerem nicht mehr, weil sie mich vor wichtigen Terminen schon oft auf bildschöne und ewig lange Panoramastrecken geleitet hat. Vgl.die Radwege auf den Fildern. Eigentlich benötigen wir zwei Radwegweiser: “schnell“ und “touristisch“. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

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    1. Das sehe ich ähnlich. Wenn ich mich wo nicht auskenne, radle ich den direkten Weg entlang der Hauptstraßen. Ich bin aber auch bei mir gut bekannten Strecken nicht mehr so die "grün und schön"-Radlerin, sondern will unkompliziert ankommen, nicht über Borsteine und enge Kurven radeln.

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    2. Die Richtungsanzeiger für Radrouten sind über die Jahre ohne Zweifel sehr viel besser geworden. Dafür meine Anerkennung. Die Entwicklung verläuft zwar unsäglich langsam, aber wenigstens in die richtige Richtung. Aber auch heute noch gilt: Man sollte beschilderte Radrouten einteilen in die Kategorien "zielführend" oder "irreführend.

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  4. Liebe Christine,

    Radwege sind nur dann gut, wenn sie sicher gestaltet werden. Und dann werden sie auch akzeptiert.

    Ich bin gestern auf einem Schutzstreifen mit Tempo 50 (es ging halt bergab und ja: ich habe nicht gebremst, sondern bin gerollt) an parkenden Autos vorbei. Dabei wurde ich von einem Kampfpiloten überholt. Abstand weit unter einem Meter.

    Die zuständigen Behörden wissen seit ca. 2 Jahre Bescheid. Ist schließlich nicht das erste Mal. Reaktion: Kann halt schon mal eng werden.

    Die Bilder schicke ich dir bei Gelegenheit. Viele Grüße aus Pirmasens

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    1. Haben wir in Stuttgart auch, bestes Beispiel ist da die Böblinger Straße im Bereich Kaltental: hier suggerieren die Radschutzstreifen einen paradoxe Sicherheit, da man hier locker schneller als 30km/h unterwegs sein kann und man zwangsläufig voll in der Dooring-Zone fährt, als auch potentiell von irgendwelchen Vollpfosten mit baulich bedingt mit maximal einen Meter Abstand nach Links überholt wird.
      Diese Sicherheits-Streifen gehören durch Radfahrstreifen, wie im oberen Teil oder der Waiblinger Straße, ersetz oder einfach ganz weg.

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  5. "[Radwege]...bauen, weil der Autoverkehr den Radverkehr loswerden will."

    Genau das ist der Punkt, aber leider die herrschende Denke. Und genau deswegen sind Radwege, wie sie sind. Eng, unsicher und zerstückelt, mal am Straßenrand, mal über den Gehweg und immer wieder plötzlich auch gar nicht mehr.

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  6. Hallo Christine, alles richtig, was Du schreibst. Das Foto von der Marbacher Str. in Höhe Favorite Schloss stammt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Demo der Radinitiative LB für den Ausbau bzw. gegen die erste Ablehnung. An dem total verregneten Freitagmorgen (ich war nicht dabei) wären dort nie so viele Radler (auf der Straße) unterwegs, aber ich bin sicher, dass auch in LB mehr Radler diesen Weg nutzen werden, wenn das Angebot stimmt.

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  7. Ich bin ja ein Fan dieser Radstreifen, wenn sie gut gemacht sind!
    Lieber fahre ich auf der Straße zwischen/neben den Autos als mich
    durch Fußgänger durchschlängeln zu müssen. Und ein solcher Streifen
    hat auch den Vorteil, dass ich nicht mit den Autos im Stau stehen
    muss und ganz bequem an der Blechschlange vorbeirollen kann.

    Ein immer wieder kehrender Kritikpunkt meinerseits an der Stuttgarter
    Fahrrad-Infra (sofern den vorhanden), ist die Tatsache das ich eigentlich immer zusammen mit Fußgängern Wege teilen muss.Sei's als gemeinsamer Geh-/Radweg oder ganz schlimm als freigegebener Gehweg. Den muss ich freilich nicht benutzen. Versuche ich auch wo es geht zu vermeiden. Aber oft habe ich gar keine Wahl, weil die Wegeführung nichts anderes zulässt. Ein Beispiel der Fuß-/Radweg entlang der Augsburgerstraße in Untertürkheim. Der wird Streckenweise urplötzlich zum freigegebene Gehweg, ohne eine Chance den irgendwie verlassen zu können.

    Ich bin mir bewusst, dass diese Streifen auf der Straße nicht jedermanns Sache sind. Aber ich als Radpendlerin möchte direkte und schnelle Verbindungen an mein Ziel. Das geht nicht auf engen, holprigen Fußwegen!

    Grüße, Sandy

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    1. Radsreifen (mehr noch Sicherheitsstreifen) sind derzeit gängige Maßnahmen, allemal in einer engen Stadt wie Stuttgart. Radwege sind ja eher gefährlich. Ist der Radler dagegen immer für den Autofahrer sichtbar, ist er auch sicherer. Leider lockt man damit nicht wirklich viele Neue aufs Fahrrad, weil die meisten Wiedereinsteiger auf dem Rad verkehrsferne Flächen bevorzugen. Die würde man mit baulich getrennten Radwegen aufs Fahrrad holen. Das ist ein bisschen das Dilemma.

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    2. Ich persönlich habe im Grundsatz immer weniger Bock auf das Fahren auf der Straße. Es ist weniger die Gefährdung, sondern vielmehr der nervtötende Krach und die archaische Aggressivität der immer größer werdenden und immer schneller fahrenden Autos. Inzwischen bevorzuge auch ich getrennte Netze. Ich habe schlichtweg kapituliert. Ich will sie - die Autos - einfach nicht mehr sehen. Es ist eine Pest. Die fortschreitende Degeneration vom homo erectus zum homo automobilensis möchte ich einfach nicht mehr ertragen müssen. :-))

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    3. Kann mich Stefan nur anschließen. Ich kann wunderbar und sicher auf der Fahrbahn fahren, egal was da fährt. Aber nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag habe ich darauf schlicht keinen Bock, keine Energie. Darum bevorzuge ich für meinen Arbeitsweg auch inzwischen getrennte Infrastruktur. Es sind also nicht nur die Neuen, die solche Infrastruktur ungern benutzen. Und zum Sicherheitsaspekt: In den NL und DK fahren Radfahrende soweit ich weiß ähnlich sicher wie hier - trotz komplett separierter Infrastruktur, auch an Kreuzungen.

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  8. Das Zentrum der Radverkehrsdiskussion ist derzeit Berlin.

    Wohl auch deswegen, weil dort Aussagen wie diese

    "Radwege sind ja eher gefährlich. Ist der Radler dagegen immer für den Autofahrer sichtbar, ist er auch sicherer." (Christine)

    von einer grausamen Realität erbarmungslos ad absurdum geführt werden.
    http://adfc-berlin.de/radverkehr/sicherheit/aktionen/62-geisterraeder/328-getoetete-radfahrende-2016.html

    Der Auflistung des ADFC Berlin "Getötete Radfahrende 2016" lässt sich Folgendes entnehmen:
    Von 17 Radfahrenden wurden 5 auf der Fahrbahn getötet, 'Radweg' ist einmal verzeichnet, 'Radfurt' zweimal und 'Gehweg' dreimal (Gehwegradeln erfolgt zumeist dort, wo keine den Sicherheitsanforderungen entsprechende Radinfra vorhanden ist).

    Das trotz solcher Zahlen, und damit wider besseres Wissen, von den Parteien von schwarz bis grün, Administrationen, 'Unfallforschung' etc an dem von Grund auf falschen und für Radler lebensgefährlichen Konzept 'Sichtbar sein bedeutet Gesehen werden'(kaum ein Radunfallbericht kommt ohne das Wort 'übersehen' aus) festgehalten wird, hat ganz eindeutig keine Sicherheits-, sondern politisch-wirtschaftliche Gründe.
    Mir ist jedenfalls kein zweites Sicherheitskonzept bekannt, mit dem das Risiko durch das herstellen der größtmöglichen Nähe zum Gefährder vermindert werden soll.

    Erfreulich ist, dass zumindest in den Medien dieses 'Sicherheitskonzept' aus der sicheren Windschutzscheibenperspektive zunehmend kritisiert und als Hindernis für die Entwicklung eines stadtverträglichen Verkehrs gesehen wird.

    Wie es gehen kann, und zwar weitgehend raumneutral, das zeigt das Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln.
    http://fahrradfreundliches-neukoelln.de/blog/bvv-ausschusssitzung-12-07-17

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    1. Ja, die Niederländer zeigen: Wo es gesicherte Radwege mit sicheren Kreuzungslösungen gibt, durchängig, fahren so viele mehr Fahrrad, dass die Sicherheit für Radfahrende zunimmt. Mein Artikel "Die uneingeschränkte Macht auf der Straße" zeigt: Radfahrer werden von Autofahrern nur ungern gesehen, weil sie finden, die gehören nicht auf die Straße. Bei uns in Stuttgart gab es die meisten schweren Unfälle auf Radwegen auf Gehwegen beim Abbiegen. Einen gab es auf der Fahrbahn an einem Kreisverkehr. Stuttgart ist für gesicherte, also breite Fahrradwege, im Kessel zu eng und der Widerstand der Autofahrerlobby ist noch viel zu groß. Da sind dann, so meint die Stadt - ich weiß selber nicht, was ich meinen soll, weil der Streit für und wider so groß ist - dass Radstreifen besser sind als Radfahrer über Gehewege und Fußgängerfurten zu schicken. Für breite Radstreifen gibt es hin und wieder Platz, für Radwege auch, aber eben nicht dort, wo die Verkehrswege auch für Autos eng sind. Ich weiß nicht, was der beste Weg ist. Ich denke nur immer: So schnell wie möglich möglichst viele Aufs Fahrrad und mit dem Fahrrad auf die Straße bringen, das hilft am meisten. Und da muss eine Infrastruktur her, die zeigt: Man kann in Stuttgart auch mit dem Fahrrad fahren. Und für mich bedeutet das: Radstreifen an alle Hauptstraßen, Radstreifen überall. Vorgezogene Aufstellplätze an Ampeln etc. Oder hat jemand eine bessere Idee?

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    2. Ne bessere Idee? Wenn ich den Stein der Weisen hätte...

      Mir fällt auf, dass immer gerne auf NL oder DK verwiesen wird. Aber auch dort ist die Infrastruktur nicht über Nacht vom Himmel gefallen. Von NL habe ich gehört, dass in den 70ern auch auf Druck der Bevölkerung ein Wechsel eingeleitet wurde. Heißt hier: eine demokratische Mehrheit gewinnen.

      Kein Klein-Klein. Oft geht es um Einzelfälle. Wo ist der große Plan auf Stadt-Ebene? Ich habe den Eindruck, dass sich im kommunalen Alltag die Zuständigkeiten überschneiden.

      Wer für diese beiden Mammut-Aufgaben (Mehrheit finden und Effizienzsteigerung im Ausbau von Radwegen) anbieten kann, hat dann die bessere Idee.

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    3. Matthias schrieb: "Von NL habe ich gehört, dass in den 70ern auch auf Druck der Bevölkerung ein Wechsel eingeleitet wurde."

      Das stimmt, da konnte aber auf die schon bis zu den 1920er Jahre geschaffene Struktur zurückgegriffen werden. Hier der lange Artikel "Das Fahrrad und die Niederlande":
      http://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/freizeit/vertiefung/fahrrad/index.html

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  9. Christine schrieb oben: " Ich weiß nicht, was der beste Weg ist. Ich denke nur immer: So schnell wie möglich möglichst viele Aufs Fahrrad und mit dem Fahrrad auf die Straße bringen, das hilft am meisten. Und da muss eine Infrastruktur her, die zeigt: Man kann in Stuttgart auch mit dem Fahrrad fahren. Und für mich bedeutet das: Radstreifen an alle Hauptstraßen, Radstreifen überall. Vorgezogene Aufstellplätze an Ampeln etc. Oder hat jemand eine bessere Idee?"

    Wie wäre es dann zum Beispiel sich nicht nicht auf Nebenschauplätze zu fixieren, wie zum Beispiel die "Sperrung der Hofener Straße" - dies ist zum einen durch den auch relativ neu errichteten Radweg auf der anderen Neckarseite eine doppelt angebotene Lösung (so ein Luxus kann sich Stuttgart im Grunde momentan nicht leisten) als auch mit ihren Konzept einer Sperrung an sich schon isolierte Insellösung, da eine Fortführung mit diesem Konzept nicht stadtweit möglich ist.
    Bringt also nix, weil sowieso nur temporär und mit dem Aufwand und vor allen den Geldern einer mittlerweile gescheit ausgeführten Sperrung, hätte man schon längst die nahe der Hofener Straße liegende Gnesener Straße mit durchgängigen Radschutz- oder gar Radfahrstreifen ausstatten können und somit eine vielleicht nicht ideale aber durchgängige Route von Mühlhausen bis Untertürkheim geschaffen.

    Momentan hat Stuttgart ehr das Problem, dass es zu viele Stückchen von Radwegen gibt und wenig durchgängige und einfach zu folgende Routen gibt: Wenn die Innenstadt gut über durchgängige Routen, befreit von Brennpunkten und Irrgärten erreichbar ist, werden sich sicherlich mehrere aufs Rad begeben.
    Aber momentan höre ich von vielen die sich einen Umstieg überlegen zunächst mal: "Ja, ich guck mir das mal am Wochenende oder erst in den Ferien an, wie ich am besten mit dem Rad ins Geschäft komme."
    Demnach sollte man nicht anfangen neue Prestigeprojekte außerhalb der Innenstadt wie geschenkte Gutsle zu verschlingen, sondern lieber die Stadt auf ihrer Fehler bei schon bestehenden, dürftig umgesetzte Projekten hinzuweisen und diese motivieren sie zu beheben (Tagblattturmampel, Slalom-Radwege, Routenführung auf/in Fußgängerzonen, Mängel beim Sicherheitsabstand, usw.).
    Man muss zunächst mal lernen wie es geht, um ein dann praktikables Konzept fortzuführen. Momentan erhalten wir zwar viel neue Infrastruktur, welche aber in fast jedem Fall massiv nachgebessert werden muss, warum bloß?

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  10. Es heißt immer wieder gebetsmühlenartig, in Stuttgart (allgemein: in deutschen Städten) wäre kein Platz für Radwege. Kessellage und so. Hier noch ein kleiner Vergleich mit den Niederlanden:

    Stuttgart hat eine Bevölkerungsdichte von rund 3000 Einwohner pro Quadratkilometer.

    Amsterdam: rund 3800 Einwohner, rechnet man die Wasserflächen (Grachten u.a., etwa ein Viertel der Stadtfläche) raus, so kommt man auf rund 5000 Einwohner pro Quadratkilometer.

    Die Stadt Leiden kommt auf 5300 Einwohner pro Quadratkilometer.

    Kein Platz oder kein Wille in Deutschland?

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    1. Selbstverständlich gibt es Platz auch in Stuttgart, wenn die Autos weg sind oder weniger fahren. Aber es gibt in Stuttgart derzeit keine Mehrheit im Gemeinderat, die beschlösse, den Autos etwas wegzunehmen und es den Fahrrädern zu geben. Das ist der Punkt. Im beschließenden Ausschuss zu Radthehmen, dem UTA, haben Grüne, SPD und SÖSLI-Plus nur eine Stimme Mehrheit. Leider stimmt der Stadtist, der zu SÖSLI-Plus gehört, gegen alle Maßnahmen, die den Autoverkehr nicht mehr privilegieren, auch wenn er sich sonst als Radfahrer geriert. Deshalb verlieren wir Abstimmungen, bei denen es darum geht, Autos eine Fahrbspur wegzunehmen oder Parkplätze einzuziehen, also den Platz auf Stuttgarts Straßen umzuverteilen. (Leider werden meist die Grünen dafür beschimpft, dass es beim Radfahren nicht weitergeht. Aber wir haben halt nicht die absolute Mehrheit.)

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    2. Grünen-Bashing ist viel zu billig und dient nur zur Ausrede. "Ich würde ja gerne, aber die -ausgerechnet die - kriegen es nicht hin".

      Viel interessanter ist, wie eine Mehrheit gewonnen werden kann. Hat der Stadtist reale Motive für sein Verhalten? Sind die bekannt? Oder ist er Fundamental-Oppositioneller und sagt aus Prinzip nein?

      Dann wäre er aber eher Sadist oder Statist als Stadtist.

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    3. Er ist gegen Maßnahmen, die Autofahrer betreffen, also gegen Parkraummanagement, gegen den Wegfall von Parkplätzen oder Fahrspuren für Autos. Das ist die Logik dahinter, die ich erkenne. Ist aber auch egal. Die nötigen Mehrheiten für echte, gute und mutige Radinfrastrukturmaßnahmen zu finden, ist im Stuttgarter Gemeinederat nicht einfach. Man muss Kompromisse machen, die auf uns Radlfahrer so wirken, als geschähe im Grunde nicht viel.

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  11. Radstreifen an Hauptstraßen motivieren mich nicht, mit dem Rad zu fahren, und auch niemanden aus meinem Bekanntenkreis. Getrennte Radwege mit Unterführungen oder Brücken bei kreuzenden (Haupt-)Straßen sind das einzig richtige. Natürlich nur dann, wenn die Wege auch vorschriftsmäßig geplant und realisiert werden. Da geht es in erster Linie um die Mindestbreiten (2.5m bei wenig befahrenen Gegenverkehrswegen). Nur falsch (illegal/unprofessionell) gemachte Radwege sind gefährlich. Da kippst Du, Christine, gerne das Kind mit dem Bad aus. Hier gibt es auf den Rad-Hauptverkehrsrouten in Stuttgart noch extrem viel zu tun, z.B. die häufig angesprochene Kreuzung am Rosensteinbunker mit ihren mindestens 9 Mängeln muss m.E. komplett neu konzipiert werden.

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    1. Fährst du nicht Fahrrad oder fährst du? Der Gedanke einer sichtbaren Radinfrastruktur ist der, dass Leute, die im Auto im Stau stehen, sehen, dass man auch Rad fahren kann. Sie sehen Radstreifen, sie sehen Wegweiser für Radfahrer, weil sie ja Zeit haben, sich die Umgebung anzuschauen, während sie im Stau stehen. Es ist ein allgemeiner Erfahrungswert, dass eine vom Auto aus sichtbare Infrastruktur für Räder Leute auf den Gedanken bringt, dass man in der Stadt Radfahren kann. Wenn man nur Autostraßen sieht und nur wenige Radler, weil die auf Nebenstraßen unterwegs sind, dann funktioniert das nicht. Dann denken Autofahrer immer nur: "In Stuttgart kann man nicht Rad fahren. Das ist lebensgefährlich." Dabei kann man sogar ganz gut Rad fahren.

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    2. Na ja Holger spricht ja nicht von sich als Autofahrer oder Staugeplagter. Mit seinem Vorschlag von Brücken oder schlicht nur getrennten Radwegen sind die Radler doch durchaus sichtbar.
      Geht ja in den Radler-Metropolen auch so, hier gibt es ja überwiegend eine bauliche Trennung - auch bei parallel verlaufenden Wegen.

      Ich stimme ihm hier auch zu, dass so wie ich oben schon meinte, man zunächst versuchen sollte, die baulichen Mängel bei bestehender Infrastruktur massiv zu verbessern oder völlig neu aufzuziehen. So motiviert man Leute, denn um deine Staubeobachtung aufzugreifen - irritierte Radler die sich auf viel zu kleinen Verkehrsinseln drängen sind auch nicht gerade motivierend.

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    3. Separierte Infrastruktur und für Autofahrende gut sichtbare Infrastruktur sind keine Gegensätze. Kopenhagen z.B.:

      http://blog.wawzyniak.de/wp-content/uploads/2014/07/Kopenhagener-Fahrradwege.jpg

      Das ist ein "Halb-Hochbord". Reicht als Trennung sowohl zu KFZ (Fahrbahnniveau) und Zufußgehenden (Hochbord) völlig aus und ist sehr gut sichtbar für Autofahrende. Bzgl. KFZ-Parkplätzen: Ich sehe die Möglichkeit, zu testen, ob streckenweise das Halb-Hochbord auf Fahrbahnniveau runtergeführt werden kann. Bordstein kann ja, versenkt im Boden, da bleiben. Also im Prinzip eine Mischung aus klassischem Radfahrstreifen (bei Parkplätzen) und baulicher Trennung, außer dass der Radfahrstreifen zusätzlich einen versenkten Bordstein hat. Das habe ich mir allerdings nur zusammengereimt. Es wäre wohl gut, einfach mal in Kopenhagen nachzufragen, was sie an Stellen mit KFZ-Parkplätzen machen.

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  12. Der Unterschied zwischen den Niederlanden und hier ist nicht nur die Infrastruktur. Die unterschiedliche Infrastruktur ist vielmehr das Ergebnis des unterschiedlichen Herangehens.

    Man wird in den Niederlanden bei Radcampaignern lange nach Autofahrer-Bashern suchen müssen, bis man mal einen findet. Es geht dort nicht um "Wir oder die", um "Die sind böse (damit wir gut sind) oder um 'Autofahrern etwas wegnehmen'.
    Der Erfolg des Radverkehrs bemisst sich dort nicht, wie hier üblich, im täglich aktualisierten Bodycount der vernichteten (bzw. 'geretteten') Parkplätze und auch nicht im ohnehin meist nur propagandistischen Geländegewinn mittels Straßenmalereien.

    Es geht in den Niederlanden, ganz im Gegensatz zu vielen Radcampaignern hier, um gesellschaftlichen Zusammenhalt, nicht um das 'Othering' von Autofahrern.('Othering' beschreibt den Prozess, sich selbst und sein soziales Image hervorzuheben, indem man Menschen mit anderen Merkmalen als andersartig, „fremd“, böse, als Feindbild klassifiziert, gegen das man vorgehen, aber zumindest umerziehen müsse.)

    Othering (aufgrund des Geschlechts, der sozialen Stellung, der Ethnie, der Religion, der sexuellen Orientierung, usw) mag gegenüber einer zahlenmässig kleinen Gruppe ohne allzu großen Einfluss ein probates Mittel sein, nicht nur den eigenen Wert zu erhöhen, sondern sich ihrer zu entledigen.

    Gegenüber einer zahlenmässig überlegenen Gruppe mit höherem politischen Einfluss (Autofahrer) taugt Othering, von menschlich-moralischen Erwägungen auch weiterhin abgesehen, gar nichts. Es fördert den Zusammenhalt dieser Gruppe. Das weiß jede(r), der oder die auch nur in Ansätzen mal in Sachen Politik unterwegs war.

    Das gezielte Othering von Autofahrern führt dazu, dass sich Autofahrer (noch) mehr mit den Interessen der Kfz-Industrie (gemeinsames Merkmal Kfz) solidarisieren.

    In den Niederlanden ist der Radverkehr kein Instrument gegen den Autoverkehr. Er ist ein Instrument für Mobilität die, als Grundvoraussetzung für eigenständige gesellschaftliche Teilhabe, allen offen steht.
    Betonung auf allen. Radverkehr wird dort als Ausdruck gesellschaftlichen Zusammenhalts inszeniert, nicht als Ausdruck der gesellschaftlichen Spaltung.

    Folgerichtig spielt im Monitoring des Radverkehrs nicht die Zahl der vernichteten Kfz-Parkplätze eine Rolle, sondern der Anteil der sozial und politisch Schwächsten, nämlich der Kinder, die eigenständig mit dem Rad an ihrer Gemeinde teilhaben können indem sie ganz einfach mit dem Rad zur Schule, zu Spiel und Sport gelangen können.
    Das MUSS städtische Infrastruktur gewährleisten: Die Teilhabe aller an ihrer Gemeinde/an ihrer Stadt zu ermöglichen.
    Kindermobilität ist dafür eine Chiffre.
    Allerdings eine politisch wirkmächtige Chiffre.
    Sie ist die Grundlage der niederländischen Infrastruktur.

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