7. April 2019

Revolution auf der Straße - die E-Scooter kommen

Elektro-Tretroller werden in wenigen Wochen bei uns legal gefahren werden dürfen. Das Bundeskabinett hat eine entsprechende Verordnung beschlossen. Der Bundestag wird wohl zustimmen.

Entgegen der ersten Pläne ist kein Mofaführerschein dafür nötig. Einen Helm muss man auch nicht aufsetzen. Mit E-Scootern, die bis zu 20 km/h schnell sind, muss man auf Radwegen und Radstreifen fahren und, wo keine sind, auf der Straße (allerdings außerhalb geschlossener Ortschaften darf man nicht auf der Straße rollern). Gehwege sind verboten außer für solche, die nur bis zu 12 km/h schnell sind. Fußgänger/innen dürfen aber weder erschreckt noch behindert werden. An Ampeln gelten die Fußgängerzeichen. Ich nehme mal an, aber ausdrücklich geregelt ist das nicht, die langsamen E-Scooter haben dann auch auf Zebrastreifen Vorrang vor Autofahrern. Und man braucht eine Haftpflichtversicherung dafür und den entsprechenden Aufkleber, der irgendwo angebracht sein muss. Das wird lustig auf unseren Straßen.

Die Stuttgarter Zeitung stellt das hier ausführlicher dar. Die Dinge funktionierens so: Man tritt einmal an und dreht dann am Lenkergriff, die Elektrik übernimmt die weitere Fahrt. Sobald man loslässt, muss der Drehgriff sofort auf Null zurückspringen.

E-Tretroller werden die Mobilität auf Kurzstrecken revolutionieren.
Diese kleinen Geräte werden sehr schnell sehr weit verbreitet sein, weil man damit zu jeder Zeit in die Stadtbahn kann. Das ist attraktiv für alle, die die Fußwege zur Haltestelle und von dort zum Ziel nicht gehend zurücklegen wollen, sondern stehend und dennoch schnell. Das wird viele Leute bewegen, aufs Auto zu verzichten, und das ist gut. E-Scooter gehören damit aber eher nicht zur selbstaktiven Mobilität, denn sie erlauben es Bewegungsfaulen, sich schneller zu bewegen als ein Fußgänger, ohne sich dabei konstant bewegen zu müssen. Es ähnelt dem Mopedfahren. Und das wird auf viele eine große Anziehungskraft ausüben.

Unsere Radinfrstruktur ist darauf nicht vorbereitet.
Lustig wird es in Stuttgart, wo wir nur 23 km Radwege haben und nur 36 km Radfahrstreifen, dafür aber 133 km gemischte Geh-/Radwege. Das heißt, die E-Scooter werden vorwiegend  zwischen Fußgänger/innen auf dem Geh(Rad)weg und zwischen Autos auf der Fahrbahn unterwegs sein, dort manchmal auch auf einem der schmalen so genannten Schutzstreifen. Es gibt bislang keinen Hinweis, dass für sie der Gehweg freigegeben ist dort, wo er für Fahrräder freigegeben ist. Ich vermute aber, dass das Bundesverkehrsministerium diesen für Stuttgart so extrem häufigen Sonderfall (123 km) gar nicht bedacht hat und dass alle davon ausgehen werden, dass die Scooter auch auf für Räder freigegebenen Gehwegen fahren dürfen. (Wo sie nicht auf der Fahrbahn fahren dürfen, ist beispielsweise die Hofener Straße an den Weinbergen, denn da befinden wir uns mal kurz außerorts. Gilt das aber auch, wenn die Hofener Straße im Sommer an Sonntagen für den Autoverkehr gesperrt wird und der Gehweg für Radler?)

Ganz neue Player im System Auto, Fahrrad, Fußgänger/innen.
Da diese Scooter übrigens vermehrt von den Menschen angeschafft und gefahren werden, die nicht Fahrrad fahren wollen (sonst täten sie es ja, oder deren Weg fürs Fahrrad zu weit ist), dürfte es in den nächsten Monaten in Stuttgart immer mehr Verkehrsteilnehmer/innen auf E-Tretrollern geben, die weder unsere Radinfrstruktur kennen, noch die Regeln, noch Routine haben in der Auseinandersetzung mit dem Autoverkehr. Auch E-Scooter-Fahrer/innen werden vor dem Autovekrehr erschrocken auf die Gehwege fliehen, so wie das immer noch viele Radfahrende machen.


So einige dürften anfangs auch noch mit der Technik kämpfen: beschleunigen (Huch!), bremsen (Ups, sorry!) und balancieren (Äx, Shit!). Und mit dem Untergrund, also mit Schlaglöchern, Bordsteinen und Gullideckeln (Au!).
Derzeit ist die Einführungsschulung für ältere Pedelecfahrer ein Thema, die nach langer Zeit wieder auf ein Fahrrad streigen. Mir scheint, eine Schulung für E-Scooter-Fahrer nicht abwegig, die nach Jahren des Autofahrens umsteigen auf ein kleines, recht schnelles Gerät, das hohe Anforderungen an Balance, Reaktkonsfähigkeiten, (kleiner Lenker, kleine Reifen, Füße hintereinander auf schmalem Brett), Übersicht und Regelkenntnisse stellt und auf dem man genauso verletzlich ist wie auf einem Fahrrad.*

Ich sehe das trotzdem positiv. 
Denn so beginnt auf kürzeren Strecken ein Austausch des Autos gegen eine kleinere, leisere und umweltschonenderer Foretbewegungsform. Das bedeutet weniger Autos auf den Straßen und mehr Selbstbewusstein der Zweirad-Fahrer (Räder und E-Scooter). Die Menge der Menschen, die eine gute Radinfrastruktur brauchen, wächst. E-Scooter-Fahrer befinden sich von vorn herein nicht in der Hass-Nische der Öko-Radler (Ramboradler), sie stehen nicht unter Ideologieverdacht. Sie sind neu, technikaffin, modern und hipp. Sie sind womöglich oft auch in Führungspositionen (vermutlich mehrheitlich zunächst männlich). Sie sind die Autofahrer, die auf einmal zu Zweiradfahrern werden. Sie sind es gewohnt, dass man ihre Fahrbahnen intuitiv verständlich gestaltet, dass sie akzeptable Ampelphasen haben und respektiert werden. Vielleicht hört die (konservative) Politik ja auf die. Das könnte dann sehr interessant für uns werden.


Es wird in jedem Fall die alte Diskussion neu starten darüber, wie wir unseren Straßenraum aufteilen und künftig aufteilen müssen. Die Fußgängerverbände sind nicht begeistert über E-Scooter (12 km/h) auf ihren Wegen. Wir werden darüber reden müssen, viel E-Zweiradverkehr eigentlich unsere Gehwege vertragen, wo eigentlich die geeignete Radinfrastruktur ist und was man unbedingt wird tun müssen, um die Begegnungsfelder an den Kreuzungen sicher zu machen. Denn E-Scooter-Fahrer kommen für rechtsabbiegende Autofahrer noch überraschender aus dem Nichts angesaust als Radfahrende. Sie sehen aus wie Fußgänger (aufrecht), sind aber nicht so langsam wie Fußgänger, sondern so schnell wie Fahrräder.


Diese E-Scooter dürfen übrigens ohne Fahrer bis zu 55 kg wiegen. Das werden sicherlich die wenigsten wiegen. Aber das ist enorm viel und entfaltet (mit dem Zusatzgewicht von 70 kg oder mehr für den Fahrer) auch viel Wucht bei einem Zusammenprall mit Tempo von 20 etwa mit einem Fußgänger. (Pedelecs wiegen meist um die 25 kg.)

Wir brauchen eine neue Sicherheitsdebatte für Radinfrastruktur.
Und eines ist auch klar: Die Diskussion über eine Helmpflicht für Radfahrer können wir vorerst mal suspendieren. Sie könnte allerdings wieder beginnen, wenn man wegen der zahlreichen Stürze der E-Scooter-Fahrer über eine Helmpflicht für sie nachdenkt. Es könnte aber auch sein, dass wir anfangen darüber nachzuedenken, dass man Fahrräder und E-Scooterfahrer nicht über diese welligen Untergründe, den Straßenrandbereich mit den Gullideckeln und über 3-cm-Bordsteine schicken kann, die man den Fahrrädern mit den großen Reifen zumutet. Und dass der Dooring-Bereich, in dem so manche Radfahrstreifen, vor allem aber Schutzstreifen liegen, auch für E-Scooterfahrer extrem gefährlich ist. Sie werden vermutlich zunächst noch seltener als schnelle Verkehrsteilnehmer/innen erkannt als Radfahrende. Jedenfalls entbehrt es jeder Logik, Radfahrenden einen Helm aufzusetzen und den wackligen E-Scooter-Fahrer/innen nicht.

*Nachbemerkung: Ich habe mich kürzlich mit einer Frau unterhalten, deren Mann gehbeindert ist und sich nun überlegt, sich einen E-Scooter zuulegen, um mit seiner Frau in der Stadt unterwegs zu sein. Nein, das ist nicht gut. Man unterschätze die Balanceleistung nicht, und man darf eben nicht durch Fußgängerzonen fahren, außer mit den langsamen. Besser ist hier ein E-Dreirad. Bei großen ist klar, dass sie nicht auf Gehwegen fahren dürfen. Aber was ist eigentlich mit einem kleinem, wie diesem hier? Alles, was einen Drehgriff hat und nicht schneller als 6 km/h ist, darf, soviel ich weiß, in Fußgängerzonen fahren. Elektro-Rollstühle dürfen das ja auch.  


Nachtrag, 8.Mai 2019: Der Verkehrsminister will nun doch nicht mehr das Scooter-Fahren (das der langsamen) auf Gehwegen erlauben. Die Proteste der Fußgänger/innen hatten offenbar Erfolg.



7 Kommentare:

  1. Jörg
    Wie die rechts-konservativen Parteien die E-Scooter aufnehmen bin ich auch gespannt. Ich wette, dass sie diese nicht mögen werden. Von der Religion heiliges Bleches abrücken ist sehr schwer.
    Mehr Benutzer auf Radwegen: Auch hier ein Verweis auf Holland. Rollstühle dürfen in Holland auf Radwegen fahren. Fußgänger dürfen, wenn keine Fußwege da sind auf Radwegen gehen. Also ich bin bereit kurz hinter einen Rollstuhl langsam zu fahren und ihn dort zu überhohlen wo es geht. Ich finde es unsozial den Rollstühlen den Radweg zu verwehren.
    E-Scooter, wir werden mit ihnen leben. Sorgen machen mir die Bremsen und das Vorderrad was leicht wegrutscht. Daraus resultieren viele gebrochene Arme. Man springt ab, stolpert und fällt auf Arme.
    Das schlechte Bremsverhalten macht das gemeinsane fahren (Rad & E-Scooter) schwierig, doch nicht unmöglich.

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  2. Ja, die Bremsen sind das, was beim Rad nicht erlaubt ist: nur eine Bremse mit geringer Bremswirkung. Aber mit den kleinen Rädchen bleibt man auch viel schneller in irgendwas hängen zusätzlich zu dem Effekt, dass sie quasi kein stabilisierendes Kreiselmoment haben.

    Der größte Vorteil aber ist in der Tat, dass es mehr nicht-KFZ oder Krads gibt und somit die Sicherheit durch Masse erhöht wird.

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    1. Die E-Scooter müssen nun allerdings zwei unabhängig von einander wirkende Bremsen haben, außerdem Beleuchtung und Klingel. Sehe ich aber auch so, dass die kleinen Räder zumindest bei jedem, der/die anfängt, zu Stürzen führen wird. Und natürlich mache auch ich gern langsam, wenn ein Rollstuhlfahrer irgendwo fährt, auch auf dem Radweg. Ist doch klar. Ich freue mich, wenn die unterwegs sind, denn das ist wegen der vielen Bordsteine in Stuttgart ja eh schon schwierig.

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  3. Ich finde diese Spielzeuge nicht gut. Vor Jahren gab es mal den Hype um diese "Kickboards" oder Segways oder auch Inlines, die dann unbedingt auf der Fahrbahn fahren wollten. Man muss nicht jedem Trend hinterherrennen.
    Wenn dann auch noch eine Regelung kommt für langsamere und schnellere und wer dann damit fahren darf und wo, dann fahren zum Schluss eh alle auf dem Gehweg damit rum. Ich finde alles was in irgendeiner Art und Weise fährt und nicht Kinderspielzeug ist, hat auf dem Gehweg nichts zu suchen. Meine strikte Meinung kommt von ausreichend schlechten Erfahrungen mit Fahrzeugen auf Gehwegen und in Fußgängerbereichen.
    Wenn die Teile zugelassen werden, dann fahren die in ZUkunft garantiert auch in Bahnhöfen und auf Flufhäfen rum. Ich gebe zu, dass ich als Fußgänger im Fußgängerbereich gerne einfach mal entspannt herumirren möchte, ohne ständig darauf zu achten, ob da jetzt wieder irgendein schnelles Gefährt unterwegs ist. Das "Fußgänger dürfen nicht gefährdet, belästigt oder wie auch immer" funktioniert ja noch nichteinmal in der Fußgängerzone mit Lieferverkehr oder auf dem freigegebenen Gehweg.
    Es scheitert überall an der gegenseitigen Rücksichtnahme. Also bitte nicht schon wieder so eine Regel, die auf Rücksichtnahme basiert und keine Fahrzeuge auf Gehwege.
    Gruß
    Karin

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  4. Möge das Chaos für uns sein 😂. Sicher wird die ungezügelte Erollerei für zu Fuß gehende gefährlich werden, aber der Erollernde (oder die?) hat bei einem Unfall mindestens das gleiche Risiko sich zu verletzen wie wir Radfahrende. Daher gehe ich davon aus, Erollernde tun Zu Fuß gehenden nichts, die bekommen höchstens ein Schreck. Aber die Erollernde stellen sich, erst Mal völlig planlos auf unsere Seite gegen den MIF, aus deren Reihen sie ja vermutlich stammen. Die Erollernden werden genauso selbstverständlich wie sie vorher in der Dose ihren Platz verteidigt haben jetzt den gleichen Platz wieder haben wollen.
    Mögen die Spiele beginnen, mir bitte Bier und Popcorn, ich werde es genießen.
    Viel Spaß
    Thomas

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  5. Persönliche Erfahrung aus Paris vor wenigen Wochen: da fahren haufenweise E-Roller überall rum und Verkehr in Paris ist für einen Schwaben praktisch Anarchie ;-) Dennoch hat mich als Fußgänger kein einziger fahrender Roller gestört, behindert oder erschreckt.
    Manche der Leih-Roller waren völlig hirnfrei abgestellt aber es hat keinen groß gestört, man macht eben einen Bogen drumrum, wie um Schmutz oder ähnliche Dinge, die auf dem Boden liegen... Man könnte sich natürlich auch trefflich drüber aufregen, dass damit das Stadtbild verschandelt, der freie Fußgängerverkehr behindert und der Untergang der abendländischen Kultur herbeigeführt wird...

    Nebenbei bemerkt: wenn ich (nicht "die Rollerfahrer") auf so einen Ding stehe, ist mir bewusst, dass es mich komplett wickelt, wenn ich am Einkaufskorb von Omi hängen bleibe... Allein das nötigt mir schon eine gewisse Fahrweise auf und wird mich davon abhalten, mit den möglichen 25km/h durch eine Gruppe Fußgänger zu brettern.

    Und: die Dinger kann man nicht nur in der Stadt fahren, sondern auch im Umland, wo das VVS-Netz dünn wird: Wenn ich als S-Bahn-Ergänzung die Wahl habe zwischen 30 Minuten Bus, der an jeder Milchkanne hält, fährt wie ein Henker und trotzdem notorisch Verspätung im zweistelligen Minutenbereich hat oder ich fahre zwei Stationen weiter und rollere dann noch 3km über Feldwege, fällt mir die Wahl leicht. Und, ja: 3km Feldweg lassen sich auch prima mit einem Faltrad bewältigen, was aber im gefalteten Zustand dennoch deutlich sperriger ist, als so ein Roller...

    Egal, wir sind hier in einem Land, in dem alles neue erst mal per Definition schlecht ist. Während andere Kulturen neues erst mal mit Neugier und vielleicht einem gewissen Entdeckergeist ausprobieren und Erfahrungen machen, steht man hierzulande gerne erstmal argwöhnisch daneben, schwadroniert über all die Nachteile und wartet auf den ersten Zwischenfall (oder die ersten Meldungen über Verletzte auf E-Rollern), um dann ein Konzept, das man selbst nie real erlebt hat (was nicht gleichzusetzen ist mit "einmal in der Hand gehabt", "selber mal 4m damit gefahren", "einen Artikel drüber gelesen", "gehört, dass mein Nachbar einen kennt, der erzählt hat...") totzureden.

    Hätten Bertha Benz damals schon dieser Missmut und die Skepsis entgegengeschlagen, müssten wir uns wohl heute um die Ammoniak-Emissionen von Pferdeäpfeln am Neckartor kümmern und auch dieses Teufelszeug, dass der Herr von Drais erfand, wäre wohl im Keim erstickt worden...

    PS: ich weiß, dass der Ausgangsbeitrag bei weitem nicht so negativ ist, wie ich hier die allgemeine Stimmung zusammenfasse, die dem E-Roller in D entgegenschlägt

    Gruß
    Chris

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  6. Was sagen Sehbehinderte?
    https://www.dbsv.org/aktuell/demonstration-gegen-elektrofahrzeuge-auf-gehwegen-am-13-12-in-berlin.html
    Sehbehinderte haben zwar keine starke Lobby, aber das ist m.E. kein Grund ihnen kein Gehör zu schenken und ihre (berechtigten) Interessen zu übergehen.
    Alfons Krückmann

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