12. Oktober 2019

Die Ästhetik des E-Scooter-Abstellens

Man wundert sich. Man fragt sich. Was ist im Kopf des Rollermieters vorgegangen, als er den E-Scooter abstellte?

Rücksicht auf Fußgänger/innen spielt dabei keine Rolle. Es scheinen vor allem ästhetische Kriterien zu gelten.

Bei allem, was wir tun, wirken Kriterien, meist unbewusst. Wenn es im Raum gechieht, sind es die Kriterien der Gemometrie. Ordentlich und schön soll es aussehen. Rechte Winkel und parallele Linien müssen hergestellt werden. Könner/innen drücken mit Abweichungen vom rechten Winkel darüber hinaus ästhetisches Feingefühl aus. Einfach so an die Wand gequetscht, sieht der E-Scooter jedenfalls nicht gut aus. Das wirkt ängstlich, beflissen und defensiv. Fahrräder werden so hingesellt, aber E-Scooter sind keine Fahrräder und ihre Lenker/innen sind auch keine Radfahrer/innen.

Bei der Raumgestaltung durch das Abstellen des E-Scooters steht der Mieter oder die Mieterin nun allerdings vor diversen ästhetischen Herausforderungen.
Die Ecke ist der leichteste Fall.
Sie erlaubt es, das Gerät parallel zu einer Wand und im rechten Winkel zu einer weiteren Wand zu stellen, am besten in Gemeinschaft. Das sieht top aus. Geometrisch eingeordnet, traulich gepaart. Man geht weg mit einem Gefühl tiefer Zufriedenheit.
Im Bild unten hat der einsame Scooter ein ähnlich nettes Plätzchen gefunden. Wieder gibt es zwei gerade Begrenzungen, an denen man sich parallel und rechtwinklig ausrichten kann. Im Raum verankert wird das Gerät noch durch einen Schildermast auf Hinterradhöhe.

Schwieriger wird es, wenn es nur eine Begrenzungslinie gibt, einen Bordstein oder eine Hauswand, und ansonsten Fläche. Hier fällt die Wahl (unserer halbbewussten Gestaltungskriterien) vozugsweise auf senkrecht zur Begrenzungslinie oder mit dem Kopf (Vorderrad) an die Wand. So sieht das Ganze ordentlich aus. Und weil man kein Pedant ist, kommt eine lässige Abweichung vom rechten Winkel dazu. Das Hinterteil des E-Scooters ragt in die Fläche. (Das Auto im Bild oben parkt übrigens auch mitten in der Fußgängerfurt.)







E-Scooter mögen aber auch die Gesellschaft anderer Verkehrsmittel, zu denen sie sich parallel ausrichten können. So wie dieser neben dem Fahrrad: blockparken, parallel nebeinander (so wie Autos auf einem Parkplatz). Ausgewogen ist der Abstand, den der Roller zum Fahrrad hält. Auch das Gestänge einer Radabstellanlage schafft klare Raumverhältnisse.  Und wenn man das Glück hat, dass man die E-Scooter gruppenweise parallel zu Radständern mit dem Kopf senkrecht zu einer Treppe abstellen kann (Foto rechts unten in der Collage), dann herrscht geometrische Seligkeit: parallele Linien, rechter Winkel und Hordenordnung.

Schwieriger ist das Abstellen auf Gehwegen mit gebogenen Linien (also in Kurven). Parallel zur Wand oder zum Bordstein geht nicht, denn gebogene Linien sind nicht parallel zu einem geraden Gerät. Für das Problem haben diese beiden je eine Lösung gefunden. Der eine nimmt wieder die Wand für den Kopf (Lenker) und wählte einen coolen schrägen Winkel. 
Der andere stellt rigoros Symmetrie her. Er oder sie hat den E-Scooter längs auf den Gehweg so gestellt, dass links und rechts gleich viel Raum zu den beiden Begrenzungsbordsteinen bleibt. Sauber! 
  
Nun gibt es aber Flächen mit weniger simplen gemometrischen Verhältnissen als Gehwege oder Radbügel. Beispielsweise ein Rechteck, das in die Fahrbahn hinauskragt. Der Mieter (die Mieterin) dieses E-Scooters beweist Sinn für eine besonders elaborierte Ästhetik. Nichts ist parallel oder rechtwinklig. Das Vorderrad verankert sich allerdings in der Ecke, und das Hinterrad steht im Goldenen Schnitt zwischen den beiden Langseiten des Rechtecks. So wirkt das Ganze ausgewogen und schön.
Was aber tun, wenn einen das Bedürfnis, mit dem Rollern aufzuhören, mitten in der Fußgängerzone trifft: Da ist viel unstrukturierter Raum. Immerhin bietet das Bodenpflaster ein Orientierungsgitter. Und die Fahrbahn (Bolzstraße) mag auch hier wie eine Wand oder ein Bordstein gewirkt haben, zu dem man sich rechtwinklig ausrichet, mit viel Mut zum großzügig leeren Raum rundherum.
Wie sehr Parallelität und rechter Winkel beim Abstellen von E-Scootern die Aktionen bestimmen, sieht man auch auf diesem Foto, das aus Berlin stammt. Während sich die Fahrräder schäbig an Parkzaunketten hängen und um Masten und Bäume wickeln, zeigen die Fahrer/innen der E-Scooter, dass sie Sinn für Raumaufteilung haben. In Berlin stehen übrigens auch die nicht stationsgebundenen Leihräder wie E-Scooter herum. Man beachte, dass das eine parallel zum diagonalen Pflastermuster ausgerichtet ist, das andere parallel symmetrisch zu den beiden Gehwegpbegrenzungen aufgestellt wurde.

Übrigens geben sich auch Stella-Fahrer/innen in einer Straße mit vielen flächenschön aufgestellten E-Scootern gleich mehr Mühe mit der Ästhetik. Diese Standtortwahl und Ausrichtung ist an Eleganz kaum noch zu übertreffen.

Auch bei Motorradfahrern kann man man generell das tief in unserem Gehirn verankerte Bedürnis beobachten, ein längliches Fahrzeug brav an Linien, rechten Winkeln und Flächenmitten zu orientieren, wenn man es abstellt. (Die beiden Fotos stammen von Blogleser Peter.) Im unteren Bild sieht man, wie hübsch E-Scooter, Motorrad und Stella-Roller aufeinander bezogen sind. Sie bilden ein ausgewogenes raumgreifendes Gatter, an dem sich nun auch Fußgänger/innen gut orientieren können. 

Nachbemerkung: Auch wenn hier Ironie den Ton angibt, lustig ist es nicht.
Gehwege und Fußgängerzonen werden bei uns immer mehr zur Abstellfläche von motorisierten Fahrzeugen. Und die Polizei duldet das nach eigenen Angaben (StZ), wenn auf dem Gehweg eine Restbreite von 1,20 Meter bleibt. Die vielen kleinen, aber auch die hochmotorisierten Zweiräder, würden sonst auf den Flächen stehen, die Autofahrer als ihre Parkplätze betrachten. Und so reihen sie sich, schön parallel und senkrecht in Horde aufgestellt, beispielsweise auf dem Marienplatz (und dorthin sind sie durch die Fußgängerzone hingefahren).

Radfahrende stellen ihre Räder entlang von Wänden, Geländern oder an Masten auf, weil sie sie anbinden müssen und schon lange wissen, dass man Räder nicht quer zum Fußgängerverkehr aufstellt. Das sieht übrigens - seien wir ehrlich - extrem unordentlich aus, gar nicht schön, ästhetisch extrem unbefriedigend. Aber es gehört zum Status von Radfahrenden, dass sie, wenn möglich, nirgends stören dürfen.

Bei Sharing-Nutzer/innen von E-Scootern und E-Mopeds wirken weniger die Kriterien der Bescheidenheit und Rücksicht auf andere, als viel mehr die der Schönheit, also einer ästhetisch befriedigenden Einordnung in einen Raum, damit das Fahrzeug gut zur Geltung kommt. Weil das unbewusst geschieht, werden wir sozusagen auf Granit beißen mit allen Versuchen, den E-Scooterfahrer/innen (die ja meist im Fun-Modus unterwegs sind, gerne auch betrunken), beizubringen, dass sie platzsparend und bescheiden entlang von Wänden aufgestellt werden müssen, damit sie keine Stolperfallen werden. Denn ans Unterbewusste kommt man mit Apellen kaum heran.

Das spricht übrigens sehr dafür, dass es wie bei unserem Fahrradleihsystem Regiorad von Vorteil für Fußgänger/innen ist, wenn die Sharing-Fahrzeuge in Stationen zurückgestellt werden müssen. Da haben die Zweiräder nämlich ihr Gatter, in dem sie ausgerichtet werden können.

Im Rahmen eines Mobilitätskonzepts für den Uni-Campus ist übrigens kürzlich ein selbstfahrender E-Scooter vorgestellt worden. Er fährt mit 4 km/h  (Bremsweg 10 cm) zur Stationzurück, wo er aufgeladen werden kann. Damit kann man die Zahl der E-Scooter auf dem Campus den Faktor 10 reduzieren.

Und hier noch ein paar Bilder, auf auf denen wir das Bemühen erkennen, die Scooter im leeren Raum schön an Ecken, Kanten, Wänden, Pflastermustern und Pfosten zu verankern. Wenn sie mitten auf dem Gehweg stehen, dann orientieren sie sich ordentlich mit dem Vorderrad an der Verlängerung einer Mauerkante oder Pflasterlinie und Torbegrenzung.







11 Kommentare:

  1. Im Satz "Und die Fahrbahn (Bolztraße) mag auch hier wie eine Wand oder ein Bordstein gewirkt haben" fehlt bei der Bolzstraße ein S

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  2. sehr schön beobachtet, frau lehmann!

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  3. Liebe Christine, danke für den Artikel. Roller in Bewegung sind ein Thema über dass wir nochmal sprechen müssen. Die Benutzer sind völlig überfordert, wenn ihnen auf dem Radweg ein Fahrrad in zügiger Fahrt entgegenkommt. Gestern kam mir an einer der Brücken im Schlossgarten ein Paar auf Leihrollern entgegen, ich fuhr von der Brücke runter. Sie kamen mir auf meiner Seite der Fahrbahn entgegen, die Dame ist vor Schreck mit ihrem Roller links in die Botanik gefahren und ihr Begleiter wäre bei dem Versuch zu bremsen fast zu Fall gekommen. Offenbar haben beide nicht verstanden, dass hier nicht wie in England links gefahren wird, sie haben keine Kontrolle über ihre Fahrzeuge in Gefahrensituationen, und sie sind generell nicht auf Fahrräder eingestellt die nicht mit 20 km/h herumgurken.

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  4. Kann ich bestätigen, ich sehe ständig solche Roller im Weg herumstehen. Genau genommen steht er fast immer im Weg herum, wenn ich einen sehe. Da kann man nur hoffen, dass es nicht irgendwann 100 mal so viele Roller gibt wie im Moment.

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    1. War heute unterwegs. Habe 2 dieser Roller gesehen. 2 von ihnen standen im Weg rum.

      Aus Radfahrersicht kann ich sagen: Wenigstens triffs immer nur die Fußgänger. Aus Fußgängersicht muss ich sagen: *** selbst zensiert wegen unfreundlicher Worte ***

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  5. Das Abstellen von Rollern scheint den Großteil der Nutzer zu überfordern, aber das sind wir ja von KFZ-Führern gewohnt. Aber warum zum Geier kommt jemand auf die Idee, mitten im Stadtwald, mitten auf einer Brücke oder mitten in einer Unterführung sein Gefährt abzustellen und seinen Weg zu Fuß fortzuführen? Das macht doch überhaupt keinen Sinn.

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    1. @Michael Sche

      "Das macht doch überhaupt keinen Sinn."

      Doch, das macht dann Sinn wenn sich der Akku mangels Ladung verabschiedet hat!

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    2. @e-man: Auf der Brücke am Gaskessel, wo früher die Eidenbahn fuhr, stehen aktuell 3 Roller von zwei verschiedenen Firmen, natürlich im Weg. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass just an dieser Stelle 3 Rollern der Strom ausgeht?

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    3. Man kann die Dinger nicht überall hinstellen. Es gibt ausgewiesene Parkzonen, ansonsten muss man extra zahlen. Und wahrscheinlich war hier das Ende der Parkzone. Also hinstellen und weiterlaufen.

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  6. Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Roller zumindest teilweise bewusst so abgestellt wurden. Als Fußgänger stolpert man im wahrsten Sinne des Wortes darüber und überlegt sich, seinen weiteren Weg "angenehmer" zu gestalten. Gerade die Roller die mitten auf dem Weg stehen haben etwas einladendes. Vielleicht werden die nach dem Aufladen absichtlich in den Weg gestellt?

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    1. Ich glaube nicht, dass die von Juicern so aufgestellt wurden. Wenn sie in der Stadt zu mehreren raumgreifend stehen, dann sind sie sicher von der Frima so einladend aufgestellt. Aber in den Wohngebieten, das lassen die die Nutzer/innen einfach so stehen. Veilleicht auch mit einem gewissen Spaß-Gefühl, so einer bewussten Verantwortungslosigkeit. Aber vielleicht kriegen wir das mit der Zeit raus, wer die so hinstellt.

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