14. Januar 2020

Des Radlers 7. Sinn - Haben Straßenbahnen immer Vorfahrt?

Auf die Frage, die sich mir gar nicht gestellt hat, bin ich gestoßen, als ich einen online-Test für den Fahrradführerschein für Kinder gemacht habe.

Da wird eine Kreuzung gezeigt, ohne jegliche Beschilderung, und die Frage gestellt, ob ein Radler, der geradeaus will, nur die Bahn, die von rechts kommt, passieren lassen muss, oder auch die, die von links kommt. Antwort: Eine Straßenbahn habe aus beiden Richtungen Vorfahrt. Auf den zweiten Blick habe ich gemerkt, dass dies ein österreichischer Fragebogen ist.


In der Tat, im Ausland haben Straßenbahnen oft generell Vorrang. In Deutschland ist das nicht so.
Für unsere Stadtbahnen gelten die Verkehrsregeln, die auch für uns gelten. Wichtig für alle, die auf Fahrbahnen parallel zu Stadtbahnschienen unterwegs sind: Auch wenn man Grün hat, darf man nach meinem Dafürhalten nicht links über die Schienen hinweg abbiegen, wenn eine Straßenbahn fährt, denn der Geradeausverkehr hat ja immer Vorrang vor Abbiegern. Das gilt bei Radfahrenden, die rechts von Autos geradeaus wollen, genauso wie bei einer Straßenbahn links vom Verkehr. Üblicherweise sind Ampeln aber nicht so geschaltet, denn das erhöht das Risiko, dass Autofahrende (Radler und Fußgänger) Stadtbahnen übersehen, wenn sie abbiegen oder U-Turns machen. Ohnehin kracht schon beinahe jede Woche ein Auto beim verbotenen Linksabbiegen in eine Stadtbahn.

Stadtbahnen haben ausdrücklich Vorrang. In der StVO § 2 (3) findet sich der Satz: Fahrzeuge, die in der Längsrichtung einer Schienenbahn verkehren, müssen diese, soweit möglich, durchfahren lassen. Damit ist gemeint, dass Autofahrer und natürlich auch Radfahrende die Stadtbahn nicht zum Bremsen zwingen sollen, wenn sich die Straße verengt oder zu eng ist für zwei Fahrzeuge. Wie etwa in der Böblinger Straße in Heslach. Das mag auch der Grund sein, warum manche Stadtbahnfahrer bimmeln, wenn man mit dem Fahrrad vor ihnen zwischen den beiden Schienensträngen fährt. Sie erwarten, dass man ihnen als Schienenfahrzeug (wenn möglich) den Vorrang gewährt, auf den sie gesetzlichen Anspruch haben.

Und Achtung: An Zebrastreifen müssen Straßenbahnen nicht halten. So steht es recht unauffällig in der StVO *. Ich kenne allerdings in Stuttgart keine Stelle, wo ein Zebrastreifen über Stadtbahnschienen gelegt ist. Die Missverständnisse, die das bei Fußgänger/innen erzeugen würde, wären im Zweifelsfall tödlich. An der Alten Weinsteige hat man das Warnschild am Ende von Staffeln am Sperrgitter angebracht. Einen Zebrastreifen gibt es hier nicht. Aber offensichtlich kann vor Stadtbahnen nicht genug gewarnt werden. Sie werden nicht nur von Autofahrenden, sondern auch von Fußgänger/innen oft übersehen.

Ein größeres Grübeln hat bei mir die Aussage erzeugt, die die die Welt in "Irrtümer im Verkehrsrecht" macht: Vorrang habe eine Stadtbahn nur, wenn das Vorfahrt-gewähren-Schild mit einem Schild kombiniert ist, das eine Straßenbahn zeigt. Damit dürfte nicht die Vorfahrt von Straßenbahnen auf Vorfahrtsstraßen gemeint sein, über die man aus einer Nebenstraße fahren möchte. Auf solchen Straßen hat ja alles, was rollt, Vorfahrt gegenüber der nachrangigen Straße, auch der Radverkehr. Wo aber müsste das Schild dann stehen? Tatsächlich kenne ich keine solche Schilderkombination in Stuttgart.

Bei uns in Stuttgart steht ein anderes Schild dort, wo wir als Fußgänger/innen oder Radfahrer/innen über die Bahnschienen geleitet werden. Beispielsweise beim Flora und Fauna im Schlossgarten. Hier gilt nicht Rechts vor Links, die von links kommende Stadtbahn hat auch Vorrang. Das wird aber nur durch ein Warnschild mit Symbol und Text mitgeteilt, nicht etwa durch ein Vorfahrt-gewähren-Schild. Hier sieht es also tatsächlich so aus, als habe die Stadtbahn qua Gesetz immer Vorrang gegenüber dem querenden Fuß- und Radverkehr und als müsse man dies mit diesem Warnschild vor einer Gefahr nur noch mal bekräftigen.

Den Vorrang von Straßenbahnen vor dem Fußgverkehr auf Zebrastreifen kennen wir ja schon. Hier wird diese Regelung der grunsätzlichen Nachrangigkeit von Fußgängern der Bahn gegenüber implizit auf Radfahrende ausgeweitet. Fußgänger/innen müssen nämlich immer warten, wenn sie ein Fahrbahn überqueren wollen. Radfahrende müssen das nicht tun, sie dürfen sich verhalten wie Autofahrende. Für Autofahrende stehen Andreaskreuze an Bahnlinien, für Fußgänger nicht. Was also gilt jetzt für Radfahrende? 


Das Schild im Bild ganz oben im Pfaffenweg, wo die Zacke die die Alte Weinsteige hoch und runter fährt, ist auch kein Vorfahrt-gewähren-Schild, sondern nur ein Warnschild, das allerdings für Autofahrende eine Regelung bekräftigt, die hier aber durch ein Andreaskreuz bereits gesetzt ist. Das Andreaskreuz bedeutet immer, dass querende Bahnen Vorrang haben. Das Gefahrenzeichen macht darauf nur zusätzlich aufmerksam.

Das Warnschild oder auch Gefahrenzeichen weist immer nur auf eine Gefahr hin, ist aber keine Anordnung, also kein Vorschriftzeichen.

Eine Verkehrsregel, die der Stadtbahn generell Vorrang einräumt, ist beim Übergang des Geh- und Radwegs über die Stadtbahnschienen weder im Schlossgarten ersichtlich, noch bei allen anderen Z-Übergängen oder anderen Übergängen über Stadtbahnschienen. Die Beschilderung mit Warnschildern erweckt den Eindruck als hätten Stadtbahnen damit also gegenüber Fußgänger/innen und Radfahrerinnen generell Vorrang.

Wir verstehen diese Warnschilder auf jeden Fall intutitiv richtig. Nur wenn wir anfangen darüber nachzudenken, dann offenbart sich, finde ich, eine Lücke in den Verkehrsregeln für Radfahrende.


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*(1) An Fußgängerüberwegen haben Fahrzeuge mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen den zu Fuß Gehenden sowie Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Dann dürfen sie nur mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren; wenn nötig, müssen sie warten.

8 Kommentare:

  1. Ich möchte eine Anmerkung machen zum Vorrang. Vorrang bezieht sich auf Querungen. Es bedeutet nicht Wegerecht (Blaulicht und Martinshorn) Man muss als langsameres Fahrzeug eine Straßenbahn im Mischverkehr nicht durchlassen. Wenn sie bimmelt ist das Nötigung. Man kann sie aus Rücksicht vorbeilassen, aber ein Anrecht darauf hat sie nicht. Sie muss auch beim Überholen entsprechend Seitenabstand halten und wenn ein Linksabbieger auf den Gleisen steht, warten. Da ist sie ganz normaler Verkehrsteilnehmer.
    Wenn einem die Straßenbahn auf der eigenen Seite entgegenkommt, muss man natürlich ausweichen, aber auch nur unter entsprechender eigener Vorsicht. Wenn man Gegenverkehr hat und warten muss, dann muss die Straßenbahn halt auch warten.
    Gruß
    Karin

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    1. Ich vermute, es gibt in Stuttgart keine einzige Stelle, wo es dem Radfahrer überlassen bleibt, ob er eine Stadtbahn durchlässt oder nicht. Theoretisch hat Rechts vor Links wohl auch bei Stadtbahnen Vorrang, allerdings kenne ich keine Stelle, wo das real so organisiert ist. Hingegen habe ich in der StVO gelesen, dass man im Längsverkehr Stadtbahnen Vorrang gewähren muss, also etwa, wenn die Fahrbahn enger wird. Das ist in de Hohenheimer Straße der Fall, dort allerdings regelt eine Ampel, das die Autos auch wirklich warten, bis die Stadtbahn auf die linke Spur der Fahrbahn gefahren ist. Und es gibt ein Gerichtsurteil, wo eine Stadtbahn auf einen Linksabbierger aufgefahren ist, der auf den Gleisen stand. So wie ich das verstanden habe, ging es zum Nachteil des Autofahrers aus. Es gibt allerdings Straßen, wo die Stadtbahn zusammen mit den Autos im Stau steht, etwa in der Hackstraße, wo die Gleise auf der Fahrbahn liegen. Ich finde das alles nicht so eindeutig wie du, Karin. Ohnehin empfiehlt es sich, als Radfahrerin eine tatsächliche oder auch nur geglaubte Vorfahrt gegen eine Stadtbahn durchzusetzen. Ich habe übrigens auch Verständnis dafür, dass die Stadtbahn fahren soll, statt wegen Kleinigkeiten zu bremsen. Und es gibt eine Regel im Staßenverkehr, dass langsamere Fahrzeuge den nachfolgenden Verkehr auch mal durchlassen sollen, wenn das zumutbar und zu bewerkstelligen ist.

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    2. Die Situation in der Hohenheimer ist etwas anders. Die Fahrbahn wird dort nicht bedeutend enger, sondern die Stadtbahn fährt von einem anderen Straßenteil auf die Fahrbahn ein. Nach §10 StVO hat sie dabei Nachrang, deswegen steht die Ampel da.

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  2. Wie man als Verkehrsteilnehmer eine riesige orange Stadtbahn "übersehen" kann, ist mir ein Rätsel. Es liegt jedenfalls ein grober Verstoß gegen Paragraph 1 Absatz 1 der StVO vor.
    Die Z Übergänge der Stadtbahn sind Gehwege, und dürfen mit dem Fahrrad nicht befahren werden (ja, ich rolle auch regelwiedrig rüber). Daher erübrigt sich meines Erachtens ein Andreaskreuz bzw. ein Vorfahrt-Achten-Schild.

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    1. Dass Fahrzeuge in solchen Situationen „übersehen“ werden, lässt sich zwanglos mit der unüblichen Kreuzung der Verkehrsströme erklären. Die sinnvolle Regel ist, dass der Verkehr vor Kreuzungen nach Fahrtrichtung sortiert wird, um den Fahrerinnen und Fahrern die Arbeit zu erleichtern und sie nicht zu überlasten.

      Ein viel größeres Rätsel ist, warum man die Gefahr des „Übersehens“ im Fall von Straßenbahnen ernst nimmt und ihr häufig mit stationären Abbiegeassistenten und Phasentrennung begegnet, während diese Sicherheitsmaßnahmen in der analogen Verkehrssituation mit Radfahrern anstelle der Bahn unüblich sind.

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  3. "Wo aber müsste das Schild dann stehen? Tatsächlich kenne ich keine solche Schilderkombination in Stuttgart." Kreuzung Heuglinweg/Jahnstraße gibt es ein sehr ähnliches. Ist wohl wirklich nur als Hinweisschild gedacht.

    "Radfahrende müssen das nicht tun, sie dürfen sich verhalten wie Autofahrende. Für Autofahrende stehen Andreaskreuze an Bahnlinien, für Fußgänger nicht. Was also gilt jetzt für Radfahrende?"

    Für Radfahrende gilt: "Wer einen Fuß-, Feld-, Wald- oder Radweg benutzt, muss sich an Bahnübergängen ohne Andreaskreuz entsprechend verhalten." Keine Regelungslücke, ist nur etwas versteckt!

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    1. Danke für diesen Hinweis: Kannst du mir den Paragrafen in der StVO nennen?

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    2. Das steht unter §19.

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