Und wenn nicht, ist es dann eigentlich ein Problem, wenn sie sich nicht an die Regeln halten? Diese Frage stellt ein Bike-Journalist des Guardian in einem Video (auf Englisch) und bemerkt sinngemäß, Radfahren rettet die Welt, doch die Medien fokussieren sich auf sogenannte Kampfradler und lenken uns von den wahren Todesgefahren im Straßenverkehr ab. Im Video sind hübsche Beispiele zu sehen von Radfahrernden, die verboten wüst fahren, und wie die Medien solche Fälle skandalisieren.
Radfahrer würden immer aggressiver, heißt es da, sie seien total unberechenbar. Radfahrende glaubten, sie stünden über dem Gesetz. Aber ... macht das eigentlich was?, fragt der Journalist des Guardian.
Videoausschnitte |
Das ärgert dann vielleicht manche, aber eine ernsthafte Gefahr stellen Radler dabei nicht dar.
Autofahrer fährt bei Rot weiter |
Egal, ob auf dem Fahrrad oder zu Fuß oder im Auto, Menschen brechen Regeln. Wenn Autofahrende das tun, kann es jedoch sehr gefährlich werden. Jeden Tag sterben fünf Menschen auf britischen Straßen und 63 werden so scher verletzt, dass ihr Leben nicht mehr so ist wie vorher. Und meistens waren es Autofahrende, die diese Unfälle verursachten, und zwar weil sie vom Handy abgelenkt oder zu schnell gefahren waren. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung wird nicht als Limit gesehen, sondern auch als eine Zielmarke, die man erreichen muss. Wo 50 gefahren werden darf, muss auch 50 gefahren werden, so denken manche Autofahrende.
Der Journalist führt an, 2016 seien im UK 448 Fußgänger/innen im Straßenverkehr getötet worden, in zwei dieser tödlichen Unfälle waren Radfahrer verwickelt. Auch für Deutschland gibt es da eine Zahl. An ungefähr 15 Prozent der Unfälle, bei denen Fußgänger/innen einen Schaden erleiden, waren Radfahrende beteiligt (Quelle: Forschung Radverkehr, S.2). Zu tödlichen Unfällen mit Fahrradbeteiligung kommt es etwa zwei Mal im Jahr. Auch in Großbritannien hat sich die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Menschen gesenkt, aber am meisten profitiert haben davon wie bei uns auch die Insassen von Autos, nicht etwa Fußgänger:innen oder Radfahrende. Übrigens, bei 6 Prozent der Zusammenstöße, die Radfahrende erleiden, waren Fußgänger:innen beteiligt. Und sehr oft stürzen Radfahrende beim Ausweichen vor Fußgängern oder bei einer Kollision mit ihnen selbst und verletzen sich mehr oder minder schwer, während Fußgänger:innen nur wenig passiert.
Wenn man also den Straßenverkehr wirklich sicherer machen will (und zwar vor allem für zu Fuß gehende Frauen, Kinder, Männer und Rollatorengänger:innen und so weiter), so das Fazit, dann müssen die Medien (und wir mit ihnen) ihren Fokus vom Radfahrer oder der Radlerin nehmen und auf den Autofahrer oder die Autofahrerin richten.
Übrigens: Ich bin nicht dafür, dass wir Radler:innen uns nicht an Regeln halten. Ich bin dagegen, dass wir auf verbotenen Gehwegen radeln oder bei Rot fahren. Ich möchte hier nur zum Nachdenken anregen, ob wir und die Medien uns nicht über die harmlosere Varante des Individualverkehrs unangemessen oft aufregen, während wir die tödlichen Regelverstöße durch Autofahrende relativ resigniert hinnehmen. Es wird übrigens auch viel leichter, Regeltreue bei Radfahrenden durchzusetzen, wenn sie erleben, dass Autofahrende besser und konsequenter kontrolliert werden. Ich sehe an fast jeder Ampel immer noch ein Auto bei schon Rot durchfahren. Manchmal ist der Fußgänger nur deshalb nicht erwischt worden, weil er noch gewartet hat.
Der Hauptgrund dafür, dass Radfahrer so viel negativer gesehen werden als motorisierte Verkehrsteilnehmer, ist die sog. Outgroup-Diskriminierung, also die Tatsache, dass eine Gruppe, der man sich selbst zugehörig fühlt augewertet wird, Gruppen, die als 'die Anderen' wahrgenommen wird, abgewertet werden. Die Outgroop wird überdies als homogen angesehen, das heißt, individuelles Verhalten wird auf alle Mitglieder der Gruppe projiziert. Wenn ein Radfahrer über eine rote Ampel fährt, dann tun das natürlich alle und überall...
AntwortenLöschenIn unserem Fall fährt die Mehrzahl der Leute Auto und geht zu Fuß, wenn sie nicht im Auto sitzt, Radfahrer sind dagegen eine Minderheit. Autofahren ist etwas, das gesellschaftlich als normal angesehen wird und auch per se ei Gefühl der Stärke und Überlegenheit verleiht. Autofahrer als Mitglieder der Ingroup sehen ihren Weg per se als wichtiger als den des Radfahrers. Daher darf man den sicher ein bisschen bedrängen und auf seinen Platz (auf keinen Fall da vor mir) verweisen.
Und weil die Mehrzahl der Leute sich also auch in den Radfahrer nicht hineinversetzen kann und Radfahren im Alltag selten wirklich aus eigener Anschauung kennt, kann man auch nicht erkennen, dass viele der Regelverstöße von Radfahrer ihren Grund in einem für Radfahrer ungeeigneten Verkehrssystem haben. Christine Lehmann hat hier schon oft beschrieben, wie Radfahrer etwa bei Ampelschaltungen über endlose Umwege geleitet werden, an ungeeigneten Stellen warten müssen etc. während der Autoverkehr rollt... Oder aber der Radfahrer steht mitten im Autoverkehr und muss mit diesem von der Ampel losfahren. Dass manche dann schon vorher losfahren, ist vielleicht nicht ganz unverständlich.
Wie gesagt, genügt aber auch ein intellektuelles Verständnis des Radfahrens nicht um Radfahrer korrekt zu sehen und zu behandeln, man muss sich auch der sozialen Reaktionen (und der eigenen Teilnahme daran) bewusst sein.
Jörg
AntwortenLöschenSeit dem wir einen Führerschein Neuling im Haushalt haben, wird bei uns verstärkt über Regeltrue im Straßenverkehr gesprochen. Erschreckend wurde es für mich seit dem wir mit einem Telematik Tarif unterwegs sind. Eine BlackBox bewertet unseren Fahrstil. Wer also konsequennt die "Ziegeschwindigkeit" von 50, 30 oder 70 und 100 nicht überschreitet, wird im Auto ähnlich bedrängt, als ob man auf dem Fahrrad säße. Die Masse des Autos läßt mich das bis zu 70 km/h entspannt aushalten. Mehr regeltrue und niedrigere Gewschwindigkeiten würden uns viel Blutzoll ersparen. Dabei sagt man doch heutzutage die Gesundheit ist das wichtigste Gut. Sollte man die Regeln nicht doch effektiver mit modernen technischen Möglichkeiten kostengünstig überwachen? Ich glaube, dass würde viel Leid ersparen.
Jörg
AntwortenLöschenUnd dann gibt es noch die Regeln die nicht für Radfahrer gemacht sind. Wieso soll man nicht werktags morgens durch den Killesberg Park? Aus Prinzip halt. Dann glauben noch einige, der Radfahrer dürfe hier und dort nicht auf die Fahrbahn oder nebeneinander fahren. Das sieht wie ein Regelverstoß aus, ist aber keiner. Im Gegenzug schneiden und hupen einige Autofahrer daraufhein. Das ist wirklich gefährlich. Leider hat der Radfahrer keine durchsetzbaren rechtlichen Möglichkeiten. Die ActionCam Videos zählen nicht. Die Aussage des Radkumpels ist auch irrelevant. Hier schützen Polizei und die Gesamtautofahrerschaft wirklich die Rowdys und schwarzen Schafe. Es wäre schön wenn wir die schlimmen Finger mal rausfischen könnten und ihnen den Gruppenschutz entziehen würden. Die Mehrheit fährt ja vernünftig.
Christine, Du hast einen wirklich wichtigen Punkt angesprochen. "Die Autofahrer" verschwinden in ihrer Masse, und diese Masse ist wirklich bereit, Regelverstöße "ihrer" Gruppe eher zu tolerieren als die anderer Gruppen.
AntwortenLöschenSelbst wenn sich Autofahrende rücksichtsvoll gegenüber Radfahrenden verhalten, überschreiten sie tagtäglich Regeln ohne das geringste Gefühl von Unrecht. Ich wohne in einer ländlich geprägten Region. Autofahrende überholen die Radfahrenden in den allermeisten Fällen sehr rücksichtsvoll und mit genügend Seitenabstand. Sowohl innerorts als auch außerorts. Was aber dabei fast grundsätzlich ignoriert wird sind Fahrbahnmarkierungen wie Sperrflächen, durchgezogene Linien oder auch Überholverbote. Und damit begeht der Autofahrende einen Regelverstoß, der geahndet werden könnte.
Ich schreibe ausdrücklich "könnte": In der Praxis werden diese Regelverstöße nicht nur selten, sondern NIEMALS geahndet solange sie nicht zu einem Unfall führen. Denn auch die von Amts wegen mit der Durchsetzung der Regeln betrauten Menschen (Polizei, Ordnungsämter) begehen diese Verstöße ebenso leichtfertig und ohne jedes Unrechtsbewusstsein.
Bei roten Ampeln ist das ein bisschen anders. Da gibt es in vielen Fällen ein Unrechtsbewusstsein. Aber "es ist doch nichts passiert" ist dann die gängige Ausrede. Oder "habe ich zu spät gesehen". Oder beim Falschparken im absoluten Halteverbot "ich habe doch nur schnell die Kontoauszüge geholt".
Mit Radfahrenden hat man so viel Nachsicht nicht. Schließlich kann der doch das Fahrrad einfach auf den Gehweg stellen. Ach so, das war ja ein anderes Thema ...
Vielleicht tolerieren wir Regelverstöße in unserer eigenen Gruppe generell leichter als in einer anderen Grupper, höchstwahrscheinlich sogar. Was ich hier eigentlich nur sagen wollte: Wenn Fu0gänger:innen bei Rot über den Überweg gehen, gefährden sie niemanden außer sich selbst. Radfahrende sind für andere deutlich weniger gefährlich als Leute, die in Straßenpanzern sitzen und sich nicht Geschwindigkeitsbegrenzungen und rote Ampeln halten. Und wir Radfahrenden gehören zu einer Minderheit und werden auch so behandelt (ein Radler steht für alle, von einem wird auf alle geschlossen, er/sie muss die Radfahrenden rechtfertigen, wenn einer von einem rücksichtslosen Radler erzählt). Das habe ich hier schon mal beschrieben:https://dasfahrradblog.blogspot.com/2018/06/ich-habe-ja-nichts-gegen-radfahrer-aber.html#more
AntwortenLöschenViele sagen ja: Radfahrer haben keine Sonderrechte. Das stimmt zwar nicht ganz, einige haben sie schon.
AntwortenLöschenAber die Aussage zeigt, dass die meisten denken, Radfahrer müssen dieselben Sicherheitsregeln beachten, wie ein 40 t Lkw.
Naja, die Argumentation erscheint zwar schlüssig, deckt sich aber nicht mit meiner täglichen Radlerfahrung. Ich mache 90% meiner Wege mit dem Rad, die meisten davon unter 5km in München, einer radltechnisch mittelgut aufgestellten Stadt. Ich bin sehr ortskundig und kann mir meine Strecken so organisieren, dass die klassischen Autofahrer-Gefahren (Rechtsabbiegen, Dooring, Konkurrenzsituationen) weitgehend wegfallen. Die weitaus größte persönliche Gefahr geht für mich von anderen Radlern aus, die sich teils, sagen wir mal, sehr unberechenbar verhalten. Knappes Überholen ohne sich durch ein Klingel-Bim anzukündigen, rechts überholen (besonders scheußlich), irgendwo rausgeschossen kommen, einen 80cm Radlweg für eine Tour de France-Strecke halten… Die Mit-Radler sind der Hauptgrund, warum ich konsequent mit Helm fahre und mir nach ein paar sehr gefährlichen Situationen angewöhnt habe, bei wirklich jedem Abbiegen Handzeichen zu geben.
AntwortenLöschenAutofahrer hingegen empfinde ich als weitgehend berechenbar - was aber auch an meiner eigenen Vorsicht und Ortskenntnis liegt. Klar, auf der Maximilianstraße muss man mit Scheichs in Maseratis rechnen, die noch nie ein Rad gesehen haben; Touristen generell sind ziemlich gefährlich, aber zum Glück nicht überall.
Diese Verstöße werden allerdings nicht so sehr von außen wahrgenommen; die meisten begehen sie vermutlich eher aus Gedanken- statt Rücksichtslosigkeit,ä. Aber für mein persönliches Sicherheitsempfinden spielen sie die größte Rolle. Hält mich nicht vom Radeln oder vom Agitieren fürs Radl ab, aber ein schöner Sommertag bringt schon viele Deppen auf die Straße.