10. Juli 2020

Zeitgewinn ist kein Gewinn

"Fahrbahnen sind nichts anderes als Prothesen zur Kompensation unserer Unfähigkeit, bei hohen Geschwindigkeiten rechtzeitig Informationen wahrzunehmen und zu verarbeiten." Das sagt Hermann Knoflacher in seinem Buch "Virus Auto" (2013).

Und das Auto ist natürlich auch eine Prothese: eine, um ganz schnell einen Weg zurücklegen zu können. Mit diesen beiden Prothesen, so die Grundthese, haben wir unsere Städte zerstört, unsere Landschaften, unsere Luft, unsere Sozialstrukturen im Viertel oder Dorf und unsere eigene Gesundheit.

Fahrräder sind im Grunde auch Prothesen für ein schnelleres Vorankommen.
Allerdings brauchen sie weniger Platz und emmitieren keine Atemgifte. Und man fährt mit ihnen meistens nicht so schnell, dass man die Informationen auf oder am Rand der Strecke nicht mehr wahrnehmen kann und Strecken deshalb komplett entrümpelt und so gerade wie möglich angelegt werden müssen. Manchmal aber doch. (Und nebenbei sind unsere Fahrradwegweiser so kleinteilig, dass wir anhalten müssen, um sie zu entschlüsseln.)

Geben wir es zu: Auch wir wollen mit dem Fahrrad so schnell vorankommen wie wir treten und Geschwindigkeit erzeugen können. Wir wollen Stopps und Starts vermeiden. Radschnellwege scheinen da eine gute Lösung für Pendlerstrecken. Aber in der Stadt sind sie es nur für Radfahrende, aber schon nicht mehr für die Zufußgehenden. Die erschecken vor rasenden Radlern und dürfen womöglich Radschnellwege nicht mehr queren oder trauen sich nicht, es zu tun. Auch wenn Radfahrer:innen sehr viel ungefährlicher sind als Autos, so erzeugt ihre Geschwindigkeit bei Fußgänger:innen auch Angst vor Unfällen.

Mal im Ernst gefragt: Wollen wir Radfahrende wirklich einfach so auf dasselbe Prinzip setzen wie Autofahrende: Eigene Fahrbahnen, auf denen wir so schnell wie es uns möglich ist durchrollen. Ganz aufs Ziel, aufs Vorne fixiert, ohne Augen für die Ränder, die Menschen. Kinder am Rand des Radwegs müssen sich dann genauso in Acht nehmen wie am Rand der Autofahrbahn, und wir fluchen, wenn sie auf unsere Fahrbahn treten. Wir pfeifen die Menschen an, die auf unseren Radwegen laufen ... Ist das wirklich das, was wir wollen? Das kleine gute Auto sein, von der Stadtplanung behandelt werden wie der motorisierte Individualverkehr, nur eben als der unmotorisierte, der gute, der umeweltfreundliche?

Für die Menschen, die bei uns in Stuttgart zu Fuß unterwegs sind, ist es jedenfalls keine gute Aussicht, dass wir durch unsere City Radschnellverbindungen legen könnten, auf denen das Hin und Her der Radler das Hin und Her der Autos begleitet oder irgendwann einmal ablöst.  

Wenn Radwege ganauso schwierig zu queren sind wie unsere Autoschneisen, dann haben wir was falsch gemacht. Ich denke manchmal, wenn ich mich durch die Innenstadt schlängle: Das kann's auch nicht sein, dass wir Radler/innen uns mit einer Autofahrermentalistät durchbimmeln, weil wir nicht aufgehalten werden wollen. Wir müssten willens sein, dort langsam zu fahren, wo viele Menschen zu Fuß unterwegs sind. Radfahren ist doch was anderes als Autofahren. Wir wollen doch gerade nicht ähnlich links-und-rechts-blind überall durchbrettern.

Natürlich sind solche Überlegungen etwas provkant in einer Situation, wo wir Radfahrenden uns vor allem im Nachteil dem Autverkehr gegenüber befinden: Der gefährdet uns, der bremst uns ans Querungs- oder Linksabbiegeampeln aus, der drängt uns ab und zwingt uns auf kurvenreiche Umleitungsstrecken. Dem Autoverkehr gegenüber hätten wir schon den Anspruch, bequemer und auf durchgängigen Radrouten durchzukommen. Aber den Stress, den uns die Autofahrenden machen, sollten wir nicht eins zu eins an die Fußgänger:innen weitergeben wollen, indem wir in den Städten Autoschnellwege durch Radschnelltrassen ersetzen. So schön Radbrücken in Kopenhagen auch sind, ein Traum für uns Radfahrende, so nachdenklich dürfen sie uns vielleicht einen Moment mal stimmen. Vielleicht sind wir doch anders: Wir sehen die Welt ja noch, durch die wir fahren.


27 Kommentare:

  1. I
    Knoflacher ist natürlich immer lesenswert, und die u.a. von ihm vertretenen Theorien bzw. empirischen Befunde zu induzierten Verkehren auf Grundlage des konstanten Reisezeitbudgets bilden zu Recht ein zentrales 'Rückgrat' ökologischer Verkehrswissenschaft, aber:
    Schlüsse daraus für konkrete Situationen zu ziehen sollte niemals 'freischwebend' erfolgen und ohne die Kontextualisierung in Bezug auf zentrale ökologische, verkehrliche, soziale Schlüsselprobleme.
    Wo stehen wir?
    Wo wollen wir hin?
    Welche Zeitachse setzen uns die planetaren/physikalischen Gegebenheiten (Klimaumbruch, Artensterben, ...)?
    Welche Massnahmenpakete sind im Hinblick auf die Erreichung der Zielsetzungen hilfreich, welche sind kontraproduktiv?

    Das ist in Zeiten 'multipler Krisenprozesse' nicht gerade trivial, weil neben den erhofften Wirkungen zahlreiche 'Nebenwirkungen' und Rebounds zu berücksichtgen sind, sowie die Folgewirkungen auf gesellschaftliche, ökologische, okonomische und soziale Gesamtprozesse.
    Knoflachers 'Fußgänger auf Rädern' ist innerhalb der Prämissen und der Theorie durchaus schlüssig, nur muss dabei zwingend berücksichtigt werden wie die Zielsetzungen 'Reduktion des Autoverkehrs' und 'Regionen der kurzen Wege' innerhalb des ökologisch vorgegebenen Zeitrahmens zu realisieren sind.
    Hier braucht es dann anhand der Hierarchie
    - Verkehrsvermeidung
    - Verkehrs(mittel)verlagerung
    - Effizienzoptimierung
    gangbare Entwicklungspfade.
    Knoflacher hat vollkommen Recht, wenn er auf Basis des konstanten Reisezeitbudgets die menschengerechte und ökologisch verträglche Verlangsamung propagiert, zumal die Empirie (NL, DK u.a.) ja klar zeigt, dass die ganze auf Separation beruhende Radwegbauerei und Radschnellwegbauerei parallel läuft mit weiteren durchaus drastischen Steigerungen von Autodichte und Autofahrleistung.
    Bei genauerer Betrachtung von Siedlungsstuktur, verkehrsmittelspezifischen Erreichbarkeitsradien und der ökologisch notwendigen Zeitachse von CO2 und Ressourcenverbrauchsminimierung wird es m.E. nicht gänzlich ohne Punkt 2 (Verkehrsmittelverlagerung) funktionieren können.
    D.h. die Erreichbarkeitsradien innerhalb der bereits gebauten automobilen Siedlungsstruktur brauchen durch push&pull eine Verschiebung weg vom Auto und hin zu ÖPV und Fahrrad. Bei genügend starken 'push'-Maßnahmen führt dies dann im Nachgang auch zur Verkehrsvermeidung und zur Verkürzung von Wegen. Die Raumentwicklung hinkt dabei natürlich hinterher und verschiebt sich erst langsam unter den Bedingungen je individueller Kosten-Nutzen Entscheidungen der Menschen, welche aber dank vollzogener Habituationen und längerfristig wirksamer automobilorienterten Entscheidungen (Wohnen/Arbeiten usw. -> 'Mobilitätsbiografie') erst verzögert wirksam werden können.
    Im Binnenverkehr ist natürlich die Fußläufigkeit der 'Radfahrigkeit' vorzuziehen, aber die ökologisch- und klimarelevanten Belastungen kommen ja gerade NICHT aus dem Binnenverkehr, sondern EINDEUTIG aus den Mittel- und Langdistanzen.


    Alfons Krückmann

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  2. Was auf jeden Fall stimmt:
    separierter beschleunigter Radverkehr kann den Autoverkehr weiter steigern 'helfen', ABER gerade Radverkehr kann auch - abhängig von den Rahmenbedingungen und den regional anzupassenden Massnahmepaketen - dazu beitragen die Weichen in die richtige Richtung zu stellen.
    Leider ist (auch und vor allem in der 'Radwegebubble') viel zu wenig Wissen um die Zusammenhänge vorhanden und es dominieren meist billige Slogans plakativ-populistische 'Rezepte' und diverser PR-Scheiss von den sach- und fachfremden 'Profi-Campaignern' bzw. Marketingfuzzis aus Radentscheiden und 'Lets go dutch' Zusammenhängen.
    Mit Förderung und Segen des Scheuerministeriums wird dann das NL-Modell incl. steigendem Autoverkehr kopiert. am Ende gibts dann gentrifizierte Kernstädte mit weiter steigemdem Autoverkehr durch Stadt/Umland Pendeln.

    Das wars dann wohl mit dem 1,5 oder 2° Ziel.

    Die bloße Beschleunigung des Radverkehrs OHNE konsequente mindestens komplementäre Verlangsamung des MIV auf den mittleren und langen Distanzen führt am Ende vom Regen in die Traufe. Steigende Entfernungen, steigende Zersiedelung, erhöhte MIV-Fahrleistung usw. sind die nahezu zwangsläufigen Resultate.

    Lesetipp zu diesen ziemlich antiintuitiven Tatbeständen und quasi 'Knoflacher in kompakt':
    http://www.verkehrswissenschaftler.de/pdfs/Pfleiderer%20-%20Das%20Phaenomen%20Verkehr.PDF

    p.s.:
    Die stete Zunahme des Autoverkehrs in den Radwegeländern lässt sich mit Knoflacher u.a. übrigens sehr gut und schlüssig herleiten.

    Alfons Krückmann

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    1. Super Inhalte. Ziemlich logisch. Antiintuitiv ist es nicht.

      Wenn Du freundlicher schreibst, liest es sich allerdings leichter. (Tipp von einem, der selbst im Glashaus sitzt...)

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  3. Der große Unterschied zwischen Auto und Fahrrad bzw. zwischen ÖPNV und Fahrrad? Das Fahrrad verbraucht zu seinem Betrieb keine fossilesn Brennstoffe, es emittiert kein CO2 in die Atmosphäre. Und es verursacht keinen Lärm.
    Ich glaube nicht, dass eine Welt, in der das Fahrrad das Hauptverkehrsmittel wäre, genauso aussähe wie die aktuelle Auto-Welt.

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  4. Jörg
    Wir brauchen uns nicht über zunehmenden Verkehr beklagen. In S-Vaihingen wird z.B. das Industriegebiet auf einem zukünftig ehemaligen Sportplatz erweitert. Eine so hohe Anzahl von Arbeitsplätzen bedeutet viele Pendlern mit weiten Wegen.
    Glauben wir wirklich wenn man den Radverkehr (jetzt mickrigen 6%, in der relativ ebenen Gegen) durch weitere Schikanen z.B. mit Fußgängern auf Radwegen ausbremst, die Pendelei mit dem Auto zu Unterbinden? Grundsätzlich kann uns nur eine Stadt der kurzen Wege helfen. Doch ob die Wege so kurz werden, das die Mehrheit zu Fuß geht? Wie soll man das Erreichen?
    Eine viel befahren Radstrecke ist leise, Abgasfrei und kann viel viel besser überquert werden als eine gut befahrene Straße mit Autos. Aber klar vor dem Bahnhof in Amsterdam laufen nur mal ein paar Touristen auf dem Radweg. Sie werden klar weg gemobt. Dennoch ist die Straße für Autos dort viel breiter als der Radweg. Das ist das holländische Probleme. Breite Autobahnen von denen die deutschen Dieselfreunde nur träumen können.

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    1. Ich höre das auch immer, Stadt der kurzen Wege, nur haben wir diese Stadt nicht. Bis die Wohnungen neben den Arbeitsplätzen liegen, werden Jahrzehnte vergehen, und da heute Leute eigentlich auch nicht mehr ihr Leben lang denselben Arbeitsplatz am selben Ort haben, die Wohnung aber nciht aufgeben, wenn sie sie haben, ist es für mich illosorisch zu glauben, kurze Wege zur Arbeitsstelle seien tatsächlich stadtplanerisch zu garantieren. Die meisten Fahrten zur Arbeit sind allerdings kürzer als 10 km und damit geeignet für Fahrräder allemal Pedelecs. Und dass die Letue Fahrräder oder öffentliche Verkehrsmittel bnutzen (zwei Drittel der jetzt Autofahrenden könnten das tun) erreicht man damit, dass man die Parkplätze rund um die Arbeitsplätze reduziert, also Autofarhen unbequemer macht. Was das Industriegebeit im Vaihingen betrifft, auch Synergiepark genannt, hat sich die Mehrheit im Gemeinderat mit den Stimmen der SPD und gegen die der Grünen und Links- und Pulsfraktion dafür ausgesprochen, einen Ausbau der Nord-Süd-Straße nicht gänzlich auszuschließen. Gleichzeitig plant die Stadt allerdings Radschnellverbindungen, bei denen die Radverbände noch mitreden.

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    2. Um ein wenig auf den Busch zu klopfen... Bitte nicht übel nehmen, kritisieren ist immer viel leichter, als selbst zu machen, vor allem, wenn man nur eine Interessenslage vertritt. Das weiß ich.

      Den Firmen die Anzahl der Tiefgaragenplätze zu limitieren, in der Landesbauordnung die Zahl der privaten Abstellplätze zu verringern und gleichzeitig über einen Ausbau der Nord-Süd-Straße nachzudenken - was will man mit dieser Kombination erreichen? Eine Zunahme des Parkplatz-Suchverkehrs vielleicht? Vielleicht denke ich aber auch zu geradlinig und nicht vernetzt genug.

      Anders herum würde ich es verstehen: Viele private Parkplätze und Firmenparkplätze fordern (nicht fördern), die sollen die Öffentlichkeit nichts kosten. Dann können die Privatleute Wirtschaftsförderung betreiben, und sich immer den neuesten Daimler und Porsche kaufen und in die Garage stellen. Rumfahren damit sollte aber nicht attraktiv gemacht werden.

      Was ich wiederum nicht verstehe: die Begeisterung für Carsharing (übrigens das Hauptanliegen der StVO-Novelle gemessen an den Seitenzahlen). Die Hersteller verkaufen weniger Autos, die dann aber trotzdem viel rumfahren, um doch jeweils nur 1 Person von A nach B zu bringen. Also wenig Wirtschaftsförderung und immer noch viel Verkehr. Immerhin weniger Parkplatzbedarf - man rechnet wohl damit, dass jedes Carsharing-Auto 2-3 Parkplätze einspart (nicht viel gegenüber 7 Parkplätzen, die man nicht braucht, wenn 8 Leute nur noch ein Fahrrad abstellen müssen).

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    3. Grüne, Linksfraktion und Puls wollten nciht über einen dreispurigen Ausbau der Nordsüdstraße nachdenken, SPD, CDU, FW, FDP und AFD aber leider eben doch. Dabei hatten die Verkehrsplaner längst nachgewiesen, dass es diesen Ausbau nicht braucht. Aber die Autoverliebten glauben immer noch, dass es eine dreißigprozentige Verkehrszunehme bei Pkw geben wird, wenn man vom derzeitigen Verhalten extrapoliert. Tja. Altes Denken. Ich habe mir die Trasse angeschaut, wo man die Nordsüdstraße verbreitern würden, das erfordert jede Menge Enteigungen, da würde Ackerland geopfert, sowas dauert Jahrzehnte, ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass künftige Gemeinderäte da mitmachen, es sei denn, unsere Wählerschaft wählt in fünf und zehn Jahren rechts und rechtskonservativ. Dann aber haben wir eh die Zukunft unserer Kinder und kindeskinder verspielt und die Natur diktiert uns, was wir tun dürfen und was nicht.

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    4. Du hast sooo recht.

      Lassen wir den Autoverliebten ihre billigen Versuche nicht durchgehen, mit "Zwiesprech" und "Zwiedenk" ihre Diktatur zu festigen. Ignoranz gegenüber Vorschriften und noch schlimmer, Ignoranz gegenüber Messungen, Zählungen, wissenschaftlichen Studien und Erkenntnissen sind weit verbreitet.

      Legen wir so etwas offen, prangern es an und lassen wir uns nicht mit verlogenen Argumenten über den Tisch ziehen.

      Noch ist das ein Kampf gegen Windmühlen, überall. Auf der anderen Seite von Stuttgart gibt es eine ähnlich gelagertes Beispiel: Zur Neubau-Planung einer Quasi-Autobahn über das Schmidener Feld, dem sog. Nordostring, weisen die Verkehrswissenschaftler Prof. Friedrich (Uni Stuttgart) und Prof. Becker (TU Dresden) auf das Phänomen "induzierter Verkehr" hin. Waiblingens OB A. Hesky ignoriert solche objektiven und sachlichen Argumente und versucht, sie mit Worten wie "verteufelt" und "ideologiegeprägt" abzuwerten. Klar er hat es auch nicht leicht, wenn ihm R. Stihl im Nacken sitzt und ihn beharrlich bedrängt "ich will, ich will, ich will die Ringautobahn, am liebsten noch mit Tunnelbauwerk für 1400000000 (dem Gegenwert von 8,2 Mio Elektro-Kettensägen). Gut, dass Winne Hermann sich nicht benebeln lässt und dagegenhält. (siehe Waiblinger Kreiszeitung vom 11.7.2020, Seite C2)

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  5. Was Du als Übertragung vom Auto zum Fahrrad beschreibst, hat nicht nur mit dem Verkehrsmittel zu tun. Als Fussgänger kann das passieren einer Schlendermeile auch nervig sein und man wünschte sich einen "Schnelllaufweg". Natürlich sind die Untetschiede und Gegahren geringer.
    Christoph.

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  6. @ Christine, auf Deine "mal im Ernst" gestellte Frage "Ist das wirklich das, was wir wollen?" antworte ich mit einem klaren JA!

    Aber natürlich nicht als ein pauschales "überall", sondern differenziert nach Routen mit unterschiedlichen Rollen im Radverkehrsnetz und unterschiedlichen Verkehrsstärken.

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  7. Zur ausführlichen Begründung hole ich etwas aus.

    Die erste Frage, die Du nicht ausdrücklich stellst, ist: Welche Wegstrecken-Verteilung müssen wir in den nächsten 20-50 Jahren als quasi unumgänglich ansehen, und zwar getrennt nach Güververkehr und Personenverkehr? Mit Wesgstrecken-Verteilung meine ich eine Art Diagramm oder Matrix, die für jedes Verkehrsmittel ungefähr so eine Zeile enthält: "7% unter 1km, 10% bis 2km, 3% bis 5km, 12% bis 10km usw.

    Das gibt uns die Raumplanung vor, z.B. wie weit Arbeitsplatze von Wohnbereichen entfernt sein soll, was die Rolle der City sein soll, wo Wohnen, Kultur, Ausbildung, Freizeit und Erholung stattfinden sollen. Eben, wie alle menschlichen Bedürfnisse auf die Fläche verteilt werden. Konkretes Beispiel in Stuttgart ist die Verlagerung von tausenden Arbeitsplätzen aus der Kernstadt nach Vaihingen, in die Peripherie. Durch den wachsendem Gewerbegebiet-Schwerpunkt verlängern sich beispielsweise die durchschnittlichen Berufsverkehrs-Wegstrecken gegenüber einer Ansiedlung zentral im Großraum. Überlagert wird das durch Arbeitsorganisation in den Betrieben und regional, national und international tätigen Konzernen. Z.B. Spezialistentum, das erfordert, dass Berater und Mitarbeiter zwischen Stuttgart und Karlsruhe, Heidelberg, Frankfurt, München, Hamburg, Bratislava, Paris, Barcelona, Trivandrum, ... reisen müssen. Änderungen in der Raumordnung wirken sich so langsam aus, dass ich das für die kurzfristige Verkehrsplanung (Horizont 10 Jahre) als stabil und konstant ansetzen würde.

    Dann geht es darum, welche Verkehrsmittel für welche Streckenlänge (bzw. Zeitbedarf) überhaupt in Frage kommen (als Zeitgrenze würde ich als Anhaltswert pauschal die 90 Minuten Wege-Dauer aus dem Steuerrecht ansetzen. Natürlich gibt es eine große individuelle Streuung, was zumutbar ist. Bei den Verkehrsmitteln hast Du übrigens ÖPNV und ÖPFV nicht erwähnt und den Warentransport auch komplett ausgeklammert (von Fahrradkurier, Lastenrad über Transporter, 40-Tonner-LKW, Güterzüge, Luftfracht, Schiffe, die den Hafen anfahren). Dieser Verkehr mit seinem Güteraufkommen muss m.E. sinngemäß analog auf die möglichen und gewünschten Transportmittel verteilt werden.

    Ungefähr so dürfte das aussehen:
    Fußgänger 0-8 km
    eScooter 0-20 km (so weit halt der Akku reicht)
    Radfahrer 0,3-30km
    Kfz 0,3-100km
    Bus 0,5-80km
    S-Bahn 1-100km
    Bahn 5-250km
    ... (bis hin zu Exoten wie Lufttaxi, Hubschrauber, Seilbahn, mit denen sich manche Politiker wegen des Nachrichtenwerts gerne vor der Presse in Szene setzen)

    Dann muss die Frage beantwortet werden, welches Verkehrsmittel aus Gründen wie Unfallgefahr (Unfallkostenquote), Infrstrukturkosten pro Personenkilometer, Energiebedarf, Klimaauswirkung, Flächenbedarf pro Person, Schadstoffbelastung, Lärmerzeugung etc. (und allen möglichen anderen Randbedingungen) welchen Anteil am Modal Mix erhalten soll (die oben angesprochene Matrix).

    Deshalb halte ich den Modal Mix (und zwar auf alle Verkehrsteilnehmer bezogen, die sich im Stadtgebiet bewegen, nicht nur für die Einwohner) für das zentrale Ergebnis des ersten Teils eines Verkehrswentwicklungskonzepts. Daraus ergibt sich durch Vergleich mit dem Status Quo, welche Verkehrsmittel gefördert und welche zurückgedrängt werden sollen. Die entsprechenden Einzelmaßnahmen bilden dann den zweiten Teil eines Verkehrsenwicklungskonzeps.

    Das VEK 2030 von Stuttgart ist leider in beiden Teilen unsystematisch, unvollständig, unübersichtlich, intransparent und widersprüchlich. Ich vermisse darin etwas wie die oben skizzierte systematische Herangehensweise und eine Bewertung der Maßnahmen nach erwartetem Effekt/Beitrag.
    Daher bekommen wir die Grundsatz-Diskussionen auch nicht vom Tisch, weil eben kein tragfähiger Kompromiss im Konsens als Zielvorgabe geschaffen wurde.
    Wenn ein gutes VEK vorliegen würde, wäre nicht zuletzt Dein Blog-Beitrag unnötig (und auch die Diskussion, ob die Milliarden gut angelegt sind für S21 als eine Maßnahme, um mit Öffis ein paar -zig Minuten schneller von/nach Karlsruhe, Frankfurt, München, Zürich und Paris zu kommen) ;-)

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  8. "Zurückdrängen" heißt aus meiner Sicht "verlangsamen" und "behindern", aber nicht komplett verbieten (freiheitlicher Ansatz) - vor allem, weil es immer individuelle Spezialfälle geben wird, wo ein bestimmtes Verkehrsmittel "alternativlos" ist. Die sollte man auch nicht einzeln als Ausnahme regeln müssen. Es reicht ja, die anderen, die nicht zwingend darauf angewiesen sind. zu vergrämen und positive "Mitnahmeeffekte" unerwünschter Verkehrsmittel tunlichst zu vermeiden. Separierter soll ausdrücklich auf Kosten des Kfz-Verkehrs gehen und diesen gerade nicht steigern helfen, soweit es Kfz-Verkehr in konkurrierenden Entfernungsklassen betrifft.

    Entscheidet man sich beispielsweise dafür, dass man Fußgänger für optimal in jeder Hinsicht hält für alles unter 2km und Radverkehr als das geringste Übel für alles oberhalb der Fußgänger-Reichweite bis zu einem Radius von 25km oder 30km, dann muss man die Infrastruktur für den Radverkehr konsequent so ausbauen, dass die entsprechende Quote am Modal Mix in dieser Entfernungsklasse induziert wird, indem die Rad-Infrastruktur auch für diese Reichweiten und die entsprechenden Geschwindigkeiten ausgelegt. Dann gehört ein konsequenter Ausbau von Radschnellverbindungen auf den Hauptrouten erster und zweiter Ordnung zwingend dazu. Und wenn sich viele gesunde Autofahrer ohne Gepäck und Beifahrer für 4km ins Auto setzen (und zwar egal was für eine Antriebstechnik und egal ob besessen, geshared oder gemietet), weil das für sie immer noch die attraktivste Alternative ist, dann hat man was falsch gemacht.

    Entscheidet sich Stuttgart beispielsweise dafür, Radverkehr ausschließlich als Alternative zum Fußverkehr im Entfernungsbereich von 0-1km zu etablieren und alles darüber incl. dem gesamten Pendlerverkehr auf MIV und Öffis zu verteilen, dann setzt man am besten konsequent auf Fußgängerzonen, einzelne Strecken mit "Gehweg-Radfahrer frei" und ein bisschen Shared Space für einen auf Schrittempo verlangsamten Radverkehr. Fahrradstraßen und gar Radschnellverbindungen wären dann komplett überflüssig. Hauptradrouten bräuchte man keine zu benennen und zu trassieren usw. Dieses Alternativ-Beispiel entspricht zwar nicht meinen persönlichen Vorstellungen, aber ich habe ja nichts zu sagen.

    Eine Trennung der Verkehrsströme mit unterschiedlichen Geschwindigkeitsniveaus ist grundsätzlich unerlässlich. Warum wohl lässt man die Stadtbahnen nicht auf Gehwegen laufen und legt die ICE- und TGV-Transsen nicht auf Wanderwege und Kreisstraßen? Die gleiche Überlegung gilt auch für den Radverkehr, wenn man ihn nicht auf die Sichtweise "Fußgänger auf Rädern" reduziert.

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  9. In 10-15 Jahren haben wir mit ziemlicher Sicherheit die ersten massiven Krisen durch die Klimakatastrophe, wenn wir weiterhin so betulich weitermachen. Dann baruchen wir uns um Verkehrsmittel keine Gedanken mehr machen. Insofern ist die Fahrradpolitik der aktuellen Stadträte, Regierungen etc. nur konsequent.

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    1. Christine scheint es verstanden zu haben. Sie ist "Mobilitätswende für Baden-Württemberg" beigetreten. Siehe auch https://mobilitaetswende-bw.de/home/ und rechts oben auf der Blog-Seite.

      "Klimaneutralität in Baden-Württemberg bis 2035" und "Der Kfz-Verkehr wird in den Städten bis 2035 halbiert." in Kombination mit Christines eigener Einschätzung, "bis die Wohnungen neben den Arbeitsplätzen liegen, werden Jahrzehnte vergehen" und es wäre "illosorisch zu glauben, kurze Wege zur Arbeitsstelle seien tatsächlich stadtplanerisch zu garantieren":

      Damit ist klar, dass der Verkehr insgesamt nicht weniger wird. Daher geht es um eine Verlagerung.

      ÖPNV ist zu unflexibel (insbes. wenn schienengebunden), zu teuer und - je nach Auslastung - höchstens halb so umweltschädlich wie MIV. (Was hat die X1-Busspur in der Herstellung gekostet und was kostet der jährliche Betrieb? Setzt man das noch in Relation zum Fahrgastaufkommen, wird der Irrsinn offensichtlich.)

      Beim Langstreckenverkehr ist der Radverkehr natürlich raus. Bei Kurz- und Mittelstrecke oberhalb der Fußgänger-Reichweite bietet sich der Radverkehr aber als perfektes Verlagerungsziel an. Sieht jemand eine Alternative?

      Für den verlagerten Radverkehr braucht es die ungeliebten Radfahrschneisen auf allen Verkehrsstrom-Hauptrouten als Ersatz für bzw. Ergänzung zu den verbleibenden Kfz-(Güter-)Verkehrsschneisen.

      Es hilft halt nichts, auch wenn es ihr in der Seele wehtut.

      Am Fernziel einer Neuordnung der Gesellschaft und einer entsprechenden Raumplanung der Region Stuttgart, die Mittel- und Langstreckenmobilität unnötig macht, kann und sollte sie festhalten. Ein realistisches Konzept dafür würde mich - nebenbei - brennend interessieren. Bestandteil der Raumplanung ist es natürlich, bestimmte Areale schneisenfrei zu halten und von Beginn an am Querungsverkehr der Schneisen zu arbeiten. Natürlich muss man beim Radverkehr nicht die Fehler wiederholen, die man beim Kfz-Verkehr gemacht hat.

      Leider ist bis 2035 nicht mehr viel Zeit, nachdem betulich Jahre vertrödelt wurden. Jetzt muss man sehen, auf was in der Hektik noch Rücksicht genommen werden kann.

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  10. liebe Christine,

    wie recht Du hast - nur leider scheint das
    schwer zu verstehen zu sein - obwohl das
    Fahrrad nach meiner Erfahrung minutengenaue
    Fahr-und Ankunftszeiten erlaubt, was sonst
    nur Fussgängern möglich ist.

    Gruss Thomas

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  11. Liebe Frau Lehmann,
    grundsätzlich stimme ich ihrem Artikel voll und ganz zu. Vor allem in der Innenstadt müssen wir das Miteinander lernen.

    Ich fahre seit meinem 22ten Lebensjahr Fahrrad. Bei jedem Wetter. Ich liebe es mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, keine Staus und wenn der Kampf um das Recht auf der Straße nicht wäre, es wäre eine entspannende Sache.

    Ich finde deswegen eine Fahrradschnellstraße gut. Eigentlich brauche ich ca. 40 min zur Arbeit, allerdings werde ich jeden Tag auf Trab gehalten. Baustellen die sich nicht ankündigen ich also erst an der Absperrung es bemerke, also muss ich mir einen anderen Weg suchen. Groll kommt hoch.

    Parkende Autos, Anlieferfahrzeuge die grundsätzlich lieber auf dem Fahrrad und Gehweg parken und lieber die Benutzer dieser behindern, als dass der Autoverkehr ausgebremst wird. Der Verkehr muss ja fließen! Auch ich war so, dass haben wir so gelernt, das kann heute so nicht mehr sein.

    Berufsbedingt fahre ich auch Auto, und das mache ich wirklich sehr gerne. Privat besitzen wir selbst kein Auto mehr, in der Stadt ist das nicht nötig. Doch wir mieten uns für die Ferien beim Stadtmobil eines. Ich liebe diese Fahrt in den Urlaub, auf der Autobahn, alles fließt in eine Richtung. Eben eine Autobahn.

    Ich fahre jeden Tag die gleiche Strecke, ich kenne sie in und auswendig. also finde ich es gut die Strecke auch in kürzerer Zeit zurückzulegen. Auf einer Fahrradschnellstraße gibt es keine Autofahrer die mich ständig gefährden, natürlich nicht immer wissentlich, doch alleine durch seine Größe und PS Stärke.
    Wenn ich Zeit habe kann ich die Fahrradschnellstraße auch langsamer fahren, und sehen kann ich immer etwas, alles zu seiner Zeit.
    Maria

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    1. Liebe Maria, ja, natürlich finde auch ich Schnellwege für mich als Radlerin toll. Das Geschlängel durch die Innenstadt nervt. Anderseits sehe ich das inzwischen eben als Innenstadt, als Ort, wo sich viele Leute mit vielen unterschiedlichen Zielen und Interessen treffen. Und ich finde, der Autoverkehr genießt genau dort, im Stuttgarter Kessel, noch viel zu viele Privilegien, er ist der einzige, den wir (die Verkehrsbehörde aufgrund gesetzlicher Grundlagen) immer noch ständig fließend halten, währen Radverkehr und Fußverkehr ständig anhalten, warten, Umwege in Kauf nehmen müssen. Das empfinde auch ich nicht mehr als zeitgemäß. Ich wollte hier nur auch mal einen Denkanstoß geben und infrage stellen, ob an jedem Ort in Stuttgart sozusagen für jeden und jede das möglichst schnelle persönliche Durchkommen wirklich ein gutes Kriterium für eine lebendige und volle Innenstadt sein sollte. Ohne Frage täten dem Stuttgarter Radverkehr breite Radstreifen oder Radwege entlang der Verkehrsachsen, die man für den Autoverkehr gebaut hat, gut. Sie sind nötig. Nur der Schlossgarten taugt halt im Grunde nicht als Schnellverbindung.

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    2. Liebe Christine, Du hättest durchaus auch bei den umweltfreundlichen Verkehrsarten auf die Gesetze und Verordnungen hinweisen können, etwa so:

      "(…) während Radverkehr und Fußverkehr ständig anhalten, warten, Umwege in Kauf nehmen müssen (auf Veranlassung der Verkehrsbehörde UNTER MISSACHTUNG DER SELBEN GESETZLICHEN GRUNDLAGEN)."

      Zudem bitte ich Dich, die demokratisch getroffenen Entscheidungen zu beherzigen. GR und Verwaltung haben nun einmal auf die Route für die HRR1 durch den Schlossgarten festgelegt. Dann muss eben auch diese Route ausgebaut werden. Dann trage bitte auch die Konsequenzen mit. "Wasch mich, aber mach mich nicht nass", so funktioniert das nicht.

      Was dagegen funktioniert, ist der gut ausgebaute, vom Fußverkehr getrennte Radweg durch den Englischen Garten in München. Warum in Stuttgart nicht auch so?

      https://www.muenchen.travel/artikel/sport-freizeit/englischer-garten-tour-mit-dem-fahrrad
      https://www.isarradweg.de/de/route/muenchen

      Die Route durch den Schlossgarten ist für schnelle Radfahrer geeignet und kann mit wenig Aufwand sicher und attraktiv ausgebaut werden.

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    4. Klar, es ist immer sinnvoll, weiter über Alternativen und Optimierungen nachzudenken.

      Verliere dabei bitte aber die Sicherheit nicht aus den Augen. Ein- und Ausfahrten sowie Kreuzungen führen zu ungefähr 10-facher Unfallhäufigkeit als auf kreuzungsfreier Strecke, weil ein Viertel der Autofahrer die Vorfahrtsregeln nicht kennt und manche Verkehrsteilnehmer (Autofahrer wie Radfahrer wie Fußgänger) sie trotz Kenntnis missachten und obwohl ein Drittel aller Radfahrer vorsorglich auf ihr Vorfahrtsrecht verzichtet.

      Schillerstraße, Kernerstraße, Sängerstraße, Neckarstraße, Hauffstraße, Cannstatter Straße/Heilmannstraße, Autohaus, Tankstelle, Heinrich-Baumann-Straße, Villastraße: wie stellst Du Dir das denn an diesen Kreuzungen und Ein-/Ausfahrten vor?

      Optimierungen können doch auch intelligent sein. Darauf hatte ich schon einmal hingewiesen und Ansätze solcher intelligenten Lösungen mit aktiv gesteuerten Verkehr gibt es in Stuttgart doch ansatzweise schon.

      Im Tagesverlauf und im Wochenverlauf gibt es unterschiedlichen Bedarf mit unterschiedlichen Verkehrarten und Verkehrsmitteln. Elektronische Schilder, die von der IVLZ gesteuert werden, können das angepasst regeln, beispielsweise: Zu Berufsverkehrszeiten wird die HRR1 durch den Schlosspark exklusiv den Radfahrern vorbehalten und in der Nacht, wo sich sowieso kaum flanierende und erholungssuchende Fußgänger im Park aufhalten. Tagsüber Zusatzschild "Fußgänger frei". Am Wochenende "Gehweg-Radfahrer frei". Solche leuchtenden Schilder kennt man vom Kfz-Verkehr. Sie sind auffallend und werden kaum übersehen.

      Es muss ja nicht wie in der Hofener Straße mit einem unsäglich unübersichtlichen Schilderbaum gemacht werden. Aber die Grundidee dort ist doch bestechend.

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    5. Liebe Christine, Kopenhagen hat doch auch das Ziel einer lebenswerten Innenstadt. Dort ist m.W. auch nicht alles dem Radfahren untergeordnet.

      Ich habe aber keinen eigene persönliche Erfahrung dort, das ist nur angelesen. Wie schätzt Du die Situation dort ein? Ist dieser Anspruch in gelungener Form umgesetzt? Wenn ja, wie wurde das erreicht und lässt sich was auf Stuttgart übertragen?

      Wird oder wurde vom Verkehrsbudget einmal z.B. Copenhagenize als Beratungsunternehmen angeheuert? Wenn nicht, was war deren Schwäche?

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  12. Fahrrädet sind leicht - wie wäre es mit einer erhöhten Fahrbahn? Die Konstruktion wäre aufgrund der geringen Lasten auch nicht so teuer. Fussgänger und Kurzstreckenverkehr würde unten kreuzen.

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    1. Ja, die kann man vergleichsweise filigran und billig bauen, jedenfalls im Vergleich zu den Tunnelbau-Vorhaben für Kfz-Straßen (1,4 Milliarden werden für 11km zusätzlichen induzierten Verkehr auf der Ostumfahrung diskutiert) und mit höherer Leistungsfähigkeit und geringeren Betriebskosten als die witzige Seilbahn-Idee (wie viele Jahre war die Seilbahn über den Rhein in Köln nach einer kräftigen Windbö ausgefallen?). Nur 5,1 Mio Euro für die 190m Fahrradschlange (+ Rampen) in Kopenhagen. Einen Kfz-Tunnel mit gleicher Leistungsfähigkeit bekommt man selbst für das 10-fache nicht.

      Wegen der geringen Geräuschentwicklung ist die ungebremste Schallausbreitung auch kein Problem. Mit der Seilbahn-Idee teilt der Brücken-Ansatz den kleinen Nachteil, dass Leuten in Obergeschossen ins Fenster geschaut werden kann, die das vorher nicht gewohnt waren (auch mit 35km/h "rasende" Radfahrer nehmen nämlich durchaus was wahr neben der Strecke...).

      Und die Marketing-Gesellschaft von Stuttgart würde neue Impulse bekommen. Nicht Jahr für Jahr "das-ist-Stuttgart" mit Autos und Autofahrern als Foto-Leitmotiv, "Entdecke die Automobilmuseen" usw.

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  13. Liebe Christine, mal im Ernst zurückgefragt, meinst Du wirklich, Radfahrer, die so schnell wie möglich vorankommen wollen, hätten Scheuklappen, ohne Blick für die Ränder und die Menschen? So wirst Du uns nicht gerecht.

    Zu diesem Aspekt ein klares NEIN! :

    Schnelle Rad-Pendler sind nicht pauschal ignorant, Tunnelblick ist nicht. Aufmerksamkeit in alle Richtungen, auch mit 30-35 km/h auf freier Strecke hat man keine Scheuklappen.

    So fühlt sich Rad-Pendeln nach Stuttgart an:

    Man führt gute Gespräche mit anderen Radpendlern - manche trifft man zufällig wieder, mit anderen verabredet man sich. Manchmal ist auch einer mürrisch. Einer kommt aus Heilbronn - wow, ich dachte, ich hätte eine weite Strecke. Bekanntschaften knüpfen und Freundschaften schließen bei Dauer-Rot am Tagblattturm (das soll kein Argument für die Wieder-Einführung der katastrophalen Ampelregelung sein :-) ).

    Man genießt die Landschaft drumherum, z.B. die Weinberge an der Arnoldstraße und den Blick zum Neckar. Den Rhythmus spüren, regelmäßig atmen, rund pedalieren, in "Flow" geraten. Keuchen bei 16% Steigung, Kraft in den Beinen spüren, Krämpfe nicht aufkommen lassen. Mal ein paar Worte mit einem trainierenden Inlineskater beim Keefertal wechseln, von dem man überholt wird. Kurze Zurufe und Scherze mit Fußgängern, Autofahrern, Polizisten und Kehrmaschinenpiloten. Windschatten lutschen von einer Gruppe Fixie-Fahrer mit mega-schmalem Lenker und ohne Bremsen.

    Viele Eichhörnchen, gelegentlich ein Igel, Hase oder Kaninchen, seltener eine Gruppe Rehe am Szillawald. Eine Ratte huscht aus dem Gulli ins Gebüsch.

    Unauffällige Holz-Skulpturen von der Gartenschau, gelegentlich bemalte Bären oder leuchtende Installationen auf dem Schlossplatz. Nach Gewitter-Sturzregen angeschwemmte Kartoffeln auf dem Wirtschaftsweg. Wegen einem angefahrenen Tier im Straßengraben 110 anrufen.

    Anhalten und einem Klavierspieler am Eckensee zuhören. Im Vorbeifahren einer Müttergruppe bei Beckenbodengymnastik im Schloßpark zusehen. Gärtner pflegen Pflanzen im Park. Bin spät dran, runterbremsen, erwartungsfrohe Schülerhorden strömen zur Wilhelma. Die ausgebüxten Vögel aus der Wilhelma schreien in den Bäumen im Schlosspark.

    Sonne auf der Haut, brütende Kessel-Schwüle, luftig-warm außerhalb. AKW-Dampfwolke neckarabwärts, irgendwie fehlt sie mir. Ist die Luft klar, sieht man über den Stuttgart-Kessel hinweg den Engelbergturm und das Windrad auf dem Grünen Heiner in der Ferne. Bissige Kälte, Eiszapfen an der Nase und im Bart, Eisplatten auf dem Neckar. Duft von dicken Sommer-Regentropfen. Dramatische Wolkenformationen, davor flattert ein Hexe-Drachen. Bremsender Gegenwind, beflügelnder Rückenwind. Verwunschene Nebelstimmung am Neckar beim Zuckerberg. Grillduft und dümpelnde Segelboote, olivgrün getarnte Angler und Vogel-Fotografen am Max-Eyth-See. Ein paar Brombeeren direkt vom wilden Strauch am Wegrand.

    Ohne diese Qualitäten wären ich (und manch anderer Pendler) doch nicht motiviert, 2x täglich über eine Stunde Rad zu fahren!

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  14. Auf den Boden starren müssen (statt auf Verkehr und Umgebung achten zu können) wegen Schlaglöchern, Längsrillen und Fugen, in denen man stürzt, rumeiern auf Schotter, stur geradeaus auf monate-altem Blätter-Glitsch. Wegen frischer Entenscheiße endgültig kein Halt mehr auf den roten Rutsch-Pflastersteinen. Nachts weder Straßenlampen noch reflektierende Markierungen am Wegrand, unsichtbar reinragende Äste auf Gesichtshöhe oberhalb vom Scheinwerferlichtkegel, quergespannte Hundeleine. Trostlos eingeklemmt und bedrängt zwischen Kolonnen von fahrenden und parkenden Autos. Alarm, alle 20m eine Einfahrt, Ausfahrt, Zufahrt, manchmal mit Autofahrer im Blindflug. Abgedrängt, beschimpft und bedroht vom Zuhälter im Protz-Coupé. Auto überholt eng und Beifahrer beschmeißt dich mit glimmender Zigarettenkippe. Gästehandtuchschmaler Radfahrstreifen auf HRR1. Angst vor den 25% Autofahrern, die weder Vorfahrtsregeln noch Schulterblick und Blinker kennen, nicht schon wieder ein Unfall! - Das sind dagegen Sachen, die einem das Rad-Pendeln verleiden.

    Also, überlegt euch in Verwaltung und in den Parlamenten, ob mehr solcher (durchaus anspruchsvollen) Radfahrer zu ertragen doch das kleinere Übel wäre, als immer weiter Autofahrer-Massen anzulocken durch Lockmittel wie teure Tunnelbauten, Verflüssigen des Kfz-Verkehrs usw.

    Noch mal der Wink mit dem Zaunpfahl: Autoverkehr hat einen viel höheren Flächenverbrauch für die gleiche Leistungsfähigkeit und auch sonst ein paar gravierende Nachteile gegenüber Radverkehr.

    Ihr steuert, was ihr lieber habt, was ihr durch gute Infrastruktur induziert, was ihr ausbremst und zurückdrängt, und wie ihr die Verkehrsströme kanalisiert. Ganz weg bekommt ihr den lästigen Verkehr nicht. Wenn ihr Verkehrsströme nicht sinnvoll in Bahnen lenkt und unterstützend Verstöße überwachen lasst, dann machen sich Autos und Fahrräder gleichermaßen gleichmäßig überall breit, auch dort, wo ihr sie eigentlich nicht haben wollt.

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  15. Wenn ich schnell unterwegs bin, radel ich mit 25kmh und bin damit genauso schnell wie der privilegierte Autoverkehr. Trotzdem brauche ich viel länger zum Ziel, weil ich als Radfahrer stets und ständig ausgebremst werde.
    Natürlich haben Radfahrer das Recht, ihr Ziel ohne groben Unfug zu erreichen und es ist quatsch, einen Radfahrer mit einem Autofahrer zu vergleichen. Der Verkehr dürfte sich auch erheblich reduzieren, weil viele Bequemlichkeits- und Spaßfahrten, die Autofahrer heute so absolvieren, dann wegfallen.

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