Die Grundregel ist die Gleiche wie beim Autoverkehr. Wer Straßen baut, bekommt Autoverkehr.
Deshalb ist eine Bedarfsplanung Unsinn, also eine Planung, die auf den derzeitigen Radverkehr schaut. Wir brauchen eine Angebotsplanung. Denn das Angebot erzeugt den Radverkehr, der an dieser Stelle noch nicht ist.
Viele Radfahrende fühlen sich im Straßenverkehr verunsichert. Im Rahmen der MultiMedia-Aktion "besser Radfahren" hat der SWR eine repräsentative Umfrage für ganz Deutschland Auftrag gegeben. Derzufolge radelt 41 Prozent der Bevölkerung gar nicht und 20 Prozent nur selten (mehrheitlich übrigens ältere Menschen). 10 Prozent fahren täglich, 17 Prozent mehrmals pro Woche mit dem Fahrrad, die ich zu 27 Prozent regelmäßigen und routinierten Radler:innen zusammenfassen würde. Grob gesagt, je jünger die Menschen, je größer der Ort und je höher das Einkommen, desto eher wird Fahrrad gefahren. Während der Covid-Pandemie 2020 sind zwar viele aufs Fahrrad umgestiegen, aber viele hatten auch gar keine Wege mehr zu Arbeit, deshalb ist der Radverkehr nicht so gewachsen, wie man es vermutet.
Von allen Befragten - den Radler:innen und den Nicht-Radler:innen - denken 41 Prozent, dass die Politik mehr für Radfahrende tun sollte. Vor allem die Rechten und die FDP-Anhänger meinen allerdings eher, dass schon viel zu viel getan werde. Fragt man die Leute, warum sie doch lieber nicht Fahrrad fahren, dann hörte man auch in der Umfrage, dass der Autoverkehr sie daran hindert.
Kurzum: hätten wir mehr übersichtliche Radführungen, mehr sichere Abstellanlagen und mehr Radwege, auf denen man schnell voran kommt, und würden die Autos uns nicht immer wieder so bedrängen, würden mehr Menschen mit dem Fahrrad fahren. Das ist jetzt nicht überraschend, aber da es immer noch Politiker:innen gibt, die meinen, nur im Auto liege die Zukunft, im Rad aber nicht, müssen solche Untersuchungen immer wieder gemacht und veröffentlicht werden.
Bei der Aktion wurden Radfahrende auch aufgefordert schlechte und gute Punkte in ihrer Infrastruktur auf einer Karte zu benennen. Für Stuttgart gabe es 392 Meldungen, die meisten davon negative. Wenn man auf der Karte stöbert, begegnet man eigentlich allen Mängeln, die wir hier und anderswo auch immer wieder diskutieren.
Zusammen mit der Hochschule Karlsruhe wurde untersucht, was für Konflikte Radfahrende haben und was zu Unfällen führt. Das zu enge Überholen wurde mit 539 Mal am häufigsten genannt. Ob es auch zu einem Unfall führte, kann ich nicht ersehen. Fast 200 mal wurde eine Bodenunebenheit als Grund für einen Alleinunfall genannt, knapp gefolgt von einer engen Begegnung unter Radfahrenden und Hindernissen auf der Fahrbahn. 75 Dooring-Unfälle wurden gemeldet.
"Grob gesagt, je jünger die Menschen, je größer der Ort und je höher das Einkommen, desto eher wird Fahrrad gefahren."
AntwortenLöschenVorsicht mit solchen kontextlosen Verallgemeinerungen. Das wird sehr schnell von Politikern, die immer nur Politik für Besserverdienende machen, dazu benutzt zu sagen, man wolle keine Verkehrspolitik nur für Besserverdienende machen.
Na, es ist eine relativierende Verallgemeinerung, die ich mir nicht ausgedacht habe. Realität leugnen ist ja auch keine Alternative. Tatsächlich ist es aber wirklich so, dass bei jeder Sperrung einer Fahrspur und bei jeder Erhöhung von Parkgebühren (und Kosten für das Auto) sofort ins Feld gefürt wird, dann könnten sich sozial Schwache keine Autos mehr leisten (also, wenn sie dafür beispielsweise 350 Euro im Jahr mehr zahlen müssten), so als ob das Auto die billigste Mobilitätsform wäre, die man den Menschen, die wenig Geld verdienen, erhalten müsse. Insofern hast du Recht. Nur der Vorwurf, eine Radpolitik sei eine Politik für Besserverdienende, ist mir noch nie untergekommen. Die Feinde der Radpolitik argumentieren eher so, als sei Radfahren ein bisschen ein Armelleutethema und ein wenig verächtlich und sozial außenseiterisch (wobei die Radler:innen das ärgerliche Selbstbewusstsein der Gutmenschen haben, so die Argumentation).
LöschenJörg
AntwortenLöschenOb Radwege mehr Radverkehr anziehen, wurde schon in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts untersucht. Damals kam raus, es hilft nicht.
Ob der methodische Ansatz damals einfach mal eine Straße mit einem 500 m langen Stück 1 m breiten Radweg (80-er Style) mit einer Straße ohne Radweg zu vergleichen, richtig war mag man bezweifeln. Die Ergebnisse geistern dennoch in einigen Köpfen herum.
Für uns geht es um Strecken mit 2 bis 5 km Länge, an diesen Routen müssen kontinuierlich Verbesserungen vor genommen werden. Das kann in der Praxis Stück für Stück erfolgen. Die Routenführung soll sich an der Verkehrsnachfrage orientieren. Wenn eine Straße stark von Autos befahren wird, ist der Beweis der Verkehrsnachfrage erbracht. Hier sollte Radinfrastruktur für die gewünschten 20 % Radanteil entstehen. Nur an wenigen Stellen ist eine Aufteilung der Verkehre auf 2 Straßen möglich, wie z.B. zwischen an der Tübinger und Hauptstätter Straße.
Für Radfahrer gibt es nichts schlimmeres, als einen drängelnden PKW im Nacken- Radwege sind daher schon gern gesehen und erhöhen massiv das Sicherheitsgefühl, das wiederum zu mehr Radverkehr führt. Fast jeder Ort in der Stadt ist über eine Hauptstraße erreichbar- alle anderen Straßen könnten so für dem KFZ-Durchgangsverkehr gesperrt werden- das hätte für Radfahrer genau wie für Anwohner ein riesen Vorteil. So ist es überhaupt nicht notwendig, dass die Neckarstraße durchgängig befahrbar ist, wo doch die Stadtautobahn direkt daneben liegt. Radfahrer, die nicht durch den Park radeln, stehen so an unzähligen Ampeln- wegen einer Hand voll Autofahrer.
LöschenGerade wurde ich beim Überqueren der Hasenbergstraße vom Fahrer mit Migrationshintergrund*, der mit einem ortsfremden Fiat 500 Cabrio (rot) in der 30er Zone viel zu schnell unterwegs war, beinahe umgefahren, beleidigt, angebrüllt, geschubst und mit gewalttätlichen Angriffen bedroht.
AntwortenLöschenWie sagten Sie so trefflich, Frau Lehmann:
"Realität leugnen ist ja auch keine Alternative"
*das erwähne ich nur deshalb, weil dann Innenpolitiker manchmal dazu motiviert werden können, schneller sich persönlich ein Bild vom Ende der Zivilisation zu machen.
Herr Seehofer, Herr Strobl - the stage is yours!
Christine, Du fragst Dich ernsthaft, ob zu enges Überholen überhaupt zu Unfällen geführt hätte?
AntwortenLöschenWenn Du Auffahrunfälle mitrechnest, dann durchaus. Denke nur an den fehlgeschlagenen Überholvorgang auf der Weinbergsteige, der für den Radfahrer beinahe tödlich endete.
https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-sued-raser-fahrerflucht-mit-dramatischen-folgen.2d4d353c-ceaa-49ae-81d3-91e5fd8cf531.html
https://dasfahrradblog.blogspot.com/2020/06/anwohnerinnen-fordern-konsequenzen-aus.html#more
Und auch alle die Gelegenheiten, wo ein Autofahrer "die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren" hat, werden bei zunehmendem Radverkehr entsprechend zu mehr verletzten und getöteten Radfahrern führen. Wenn der Radverkehr dicht am Kfz-Verkehr geführt wird oder gar im Mischverkehr, sind Rad fahrende nur deshalb selten als Kollateralschaden unter den Opfern, weil der Radverkehr noch dermaßen gering ist, dass meist kein Radfahrer in der Nähe ist.
Jörg
AntwortenLöschenZwei Arbeitskollegen waren wegen "dichten" überholen länger im Krankenhaus. Einige Bekannte haben schon Spiegel ab bekommen, alles im "ungfährlichen Längsverkehr". Wenn auf der Nürnberger Straße eine Spur vom Autoverkehr weg muss liegt, dass eben auch an der Moral einiger Autofahrer. Es gibt Autofahrende die "erzieherisch" extra Radfahrer gefährden. Diese wenigen werden leider gar nicht in die Schranken gewiesen, die Folgen des aggressiven Verhaltens der wenigen spüren wir alle.