Erst werden die Radfahrtouristen angelockt, dann sind sie der Tourismusorganisation zu schnell, und sie stellt eine Blitzerattrappe auf und hält Radfahrende an, von denen sie der Meinung ist, dass sie zu schnell waren.
Diese Radfahrer:innen heißen dann "rasende E-Bike-Fahrer". Und das Gebiet heißt Naturschutzgebiet Geltinger Birk und liegt östlich von Flensburg in Schleswig Holstein. Frau Simons von der Ostseefjord Schlei Gmbh, die für die touristische Vermarktung der Gegend zuständig ist, ist jedenfalls im Sommer aufgefallen, dass Pedelec-Radler:innen - aber verutlich nicht nur die - Chaos auf den Wegen im Naturschutzgebiet stiften. Dort sind bei schönem Wetter sicherlich viele Fußgänger:innen und viele Radler:innen unterwegs. Es komme immer wieder zu Beinahezusammenstößen, meint die Tourismus-GmbH nun und hat mal schnell eine Blitzer-Attrappe aufgestellt. Ein paar Meter später werden die Radler:innen (ausschließlich Pedelec-Radler:innen?) angehalten und ermahnt, die nach Ansicht der dort stehenden Personen zu schnell waren. Sie seien auch ganz einsichtig, heißt es. Wie das aussieht, sieht man hier, auch wenn das Foto gestellt ist.
Was ist eigentlich zu schnell? Auf diesem YouTube-Video von einer Tour sieht man relativ am Anfang, dass man, sobald man die Autostraße verlässt, auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg fährt. Sind die Wege als gemischte Geh-/und Radwege ausgewiesen, dann müssen Radfahrende ihre Geschwindigkeit anpassen und auf Fußgänger:innen Rücksicht nehmen, dürfen aber schnell fahren, wo keine Menschen zu Fuß unterwegs sind. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Radwege gibt es nicht. Sind die Wege dagegen nur für Radfahrende freigegeben und ansonsten als Fußwege ausgeschildert, dann müssen Radfahrende Schrittgeschwindigkeit fahren (4 -10 km/h), also langsam, und sie dürfen Fußgänger:innen nicht drängelig beiseite klingeln (damit dürfte man aber kaum Radtouristen anlocken können). Dürfen auf zumindest einigen Straßen Autos fahren (und die Fotos, die ich gesehen habe, sprechen dafür), dann gilt für Radfahrende die Geschwindigkeit, die am Eingang der Straße angeordnet wurde. Wären es 20 km/h, könnte das von Fußgänger:innen bereits als rasend schnell empfunden werden. Sind es 10 km/h, dann ist das für Radtouristen eigentlich wieder recht langsam. Auf nicht öffentlichen Wegen - und das sind wohl zumindest ein Teil der Wege durch das Naturschutzgebiet -, kann durchaus irgendwas angeordnet werden, allerdings muss es eindeutig sein.
Das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländlichen Raum (LLUR) droht offenbar damit, einzugreifen und die Wege für den Radverkehr zu sperren, wenn das Tempo der Radfahrenden nicht reduziert wird, schreibt der NDR. Das seien keine öffentlichen Wege und die Priorität habe der Naturschutz. Was die Geschwindigkeit vorn Radfahrenden mit Naturschutz zu tun hat, ist mir allerdings etwas rätselhaft. Wenn ich durch den Schlossgarten radle, fliegen die Graugänse nicht auf, wenn ich absteige und sie fotografieren will, flüchten sie (was übrigens auch für Rabenkrähen gilt). Radfahrende lösen bei Tieren viel weniger Fluchtreflexe aus als Zweibeiner. Sie sind auch viel schneller wieder weg und stören das Getier am Straßenrand nicht. Menschen zu Fuß stören viel mehr. Aber darum geht es gar nicht. Der Leiter der Integrierten Station Geltinger Birk, argumentiert dann auch ganz anders: Für ihn gehört es zur Aufgabe des Naturschutzes, dass sich Besucher wohl fühlen. Nach seiner Ansicht, funktioniert das aber nicht, wenn Menschen das Gebiet "als Sportarena nutzen und aggressiv werden, wenn man nicht sofort zur Seite springt." Der Mann mag Radfahrende wohl eher nicht, denke ich, denn die müssen sich nicht wohl fühlen. Er droht damit, das Gebiet für den Radverkehr zu sperren, zumindest zeitweise. Gute Idee!
Fußgänger:innen und Radfahrer:innen passen nicht zusammen! Ich kann mir wirklich lebhaft vorstellen, dass es auf den Wegen zu Konflikten zwischen Radfahrenden und Fußgänger:innen kommt. Fußgänger hassen es, wenn sie von hinten von Radfahrern überholt werden. Wer den Hass auf Radfahrer schüren will, jagt sie unter die Fußgänger und wartet ab, bis die Beschwerden über rasende Radler kommen. So beschweren sie sich schon nicht darüber, dass Autos sie beiseite scheuchen. Dass aber nur Pedelec-Radler:innen die zu schnellen sind, die anderen Radler:innen nicht, kann ich mir nicht vorstellen. Sie taugen wohl besonders gut als Feindbild, bei dem die guten langsamen Hollandradler:innen außen vor bleiben. Ich finde auch, dass im beispielsweise Schlossgarten manche Radler:innen zu schnell sind. Vermutlich sind in allen Grüngebieten, wo man Radler unter Fußgänger mischt, so manche mit ihren Fahrrädern irgendwie zu schnell unterwegs, jedenfalls gemessen an irgendwelchen Kriterien für Geschwindigkeit. Und Fußgänger:innen kommen Fahrräder immer zu schnell vor, sie fühlen sich schnell in Lebensgefahr und erleben Beinaheunfälle, auch wenn Radfahrende nur ausweichen.
Sperrt das Gebiet für Radfahrende, würde ich vorschlagen. Man muss doch mit dem Fahrrad nicht in jedes Naturschutzgebiet hineinfahren, man kann auch mal zu Fuß gehen, wenn man was sehen will. Menschen zu Fuß brauchen auch Refugien, wo nix mit Rädern unterwegs ist und sie nicht ständig auf Fahrverkehr aufpassen und ihre Kinder an den Händen fassen müssen.
Wer sich nicht entscheiden kann, macht es weder den einen noch den anderen recht. Die Radfahrenden verprellen, das will natürlich die Tourismus-GmbH auch nicht, denn sie wirbt ja gerade bei Fußfaulen mit den 25 km die man hier radeln kann. Sie möchte die Radler:innen unbedingt haben. Aber ihnen angemesssene Wege anbieten, will sie nicht. Die sollen sich gefälligst wie Fußgänger:innen benehmen, nur eben auf Rädern. Der Konflikt, der hier zwischen Fußgänger:innen und Radfahrenden ausgetragen wird, ist eigentlich der Konflikt zwischen zwei touristischen Marketing-Strategien: Man will alle haben, die man kriegen kann, Radfahrende und Spaziergänger:innen, man kann sich nicht entscheiden und bietet damit weder den Fußgängerinnen noch den Radfahrenden eine angenehme Touring-Situation an. Ganz schlecht!
So werden wir Radfahrenden wieder einmal unter die Fußgänger:innen geschickt und dann zu Rüpeln und Feinden erklärt. Vielen Dank auch. Ein Blöff-Blitzer für Radfahrende ist wirklich eine Idee mit Schwachsinnspotenzial.
In Graz in Österreich gab oder gibt es übrigens immer noch einen Blitzer für Radfahrende in einer Fußgängerzone, wie diese Seite berichtet. Sie dient wohl dazu, den Radfahrenden deuthlich zu machen, wann sie schneller als mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs sind. Das wiederum erscheint sinnvoll.
Die tatsächlich gemeldeten Unfallzahlen spiegeln die hohe subjektive, gefühlte Bedrohung nicht wider. Wer sich ernsthaft gefährdet fühlte oder einen Unfall mit Verletzung erlitten hat oder mit nennenswertem Sachschaden, der stellt eine Anzeige bei der Polizei. Natürlich gibt es eine Dunkelziffer, aber die wird in gleicher Größenordnung liegen wie die bei Auto-überholt-Radfahrer-zu-eng-Beinaheunfällen.
AntwortenLöschenIch denke, es gibt zwei Gründe, warum Pedelec-Fahrer Fußgänger häufiger erschrecken als Bio-Radler.
1. Anhand von Fahrrad-Typ, Sitzposition, Kleidung und eben der gesamten Anmutung sind manche Pedelec-Fahrer viel schneller als man erwarten würde. Eine leichte Steigung mit 250W hochzufahren, das halte ich in sportlicher Gangart, mit pochendem Puls und hochrotem Kopf, in Bibshorts und Radtrikot auf dem Rennrad keine Stunde durch.
Ein Pedelecfahrer dagegen, der in Alltagskleidung ohne zu schwitzen gemütlich 50W tritt und sich mit 250W unterstützen lässt, ist gleich schnell (etwas Leistung verpufft im hohen Radgewicht, im niedrigen Luftdruck und im hohen Luftwiderstand), ist also viel schneller, als er aussieht. Dazu fühlt er sich dabei als langsamer Radfahrer, möglicherweise sieht er sich selbst im Fußgänger-Modus, überholt also tatsächlich enger - so, als würde er als Fußgänger an einem anderen Fußgänger vorbeilaufen.
Bei Autos sind wir dagegen gewohnt, dass sie schnell sind. 30 km/h wirken beim Auto langsam. So kommt es, das Fahrradstraßen mit ihrer 30 km/h-Begrenzung nicht wie eine Wohngebietsstraße in 30 km/h-Zone wahrgenommen werden, sondern vergleichbar mit einer 60-70 km/h-Begrenzung für den Kfz-Verkehr. Vergleicht einmal, wie viele Zebrastreifen auf der Fahrradstraße Eberhardstraße als notwendig erachtet werden, obwohl normalerweise Zebrastreifen in 30 km/h-Gebieten abgelehnt werden.
Ansonsten gut beobachtet. Aus verschiedensten Gründen möchte man eigentlich prinzipiell theoretisch Radverkehr haben, nur praktisch ermöglichen und dann die auftauchenden Radfahrer auch noch aushalten müssen, das geht dann doch zu weit.
Ein einiges Mal bin ich (vor mehreren Jahren) in Stuttgart tatsächlich in eine Radfahrer-Geschwindigkeitskontrolle der Polizei mit einer Radarpistole geraten. Das war im Schloßgarten beim Verkehrsübungsplatz. Fußgänger war weit und breit kein einziger in der Nähe. Trotzdem wurde ich gerüffelt wegen 23 km/h.
Alles merkwürdig. Autofahrer wehren sich trotz grüner Beteiligung in der Koalition erfolgreich gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h. Andererseits wundern sich alle, wenn ich auf einer Hauptradroute fordere, dass die (in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen) 30-45 km/h ermöglicht werden sollen.
Die uneinheitlichen Verkehrsregeln für Radfahrer und Fußgänger auf gemeinsamen Rad- und Fußwegen vergrößern das Konfliktpotential: Rechtsfahrgebot, Handyverbot, Nebeneinander-Verbot, Klingel-Gebot, Geschwindigkeitsbegrenzung - alles gilt nur für Radfahrer.
So ganz stimmt das nicht. Ich bin mal hinter einer Rennradlerin hergeradelt, die wie ich 17 km/h fuhr und zwei ältere Frauen sehr erschreckt hat. Als ich die Frauen fragte, wie schnell die Rennladlerin ihrer Einschätzung nach wohl gewesen sei, sagten sie: Mindestens 30 km/h. Und ich sagte ihnen dann, dass ich gemessen hätte, dass sie 17 km/h fuhr, so wie ich. Großes Erstaunen. Pedelec-Radler:innen sind an Anstiegen und beim Anfahren schneller, das irritiert dann Fußgänge:innen, aber im Mischverkehr sind weder die einen noch die anderen Radtypen schneller, es sei denn, wie verletzen die Regeln.
LöschenHatten die beiden Frauen tatsächlich Deine Geschwindigkeit niedriger eingeschätzt als die der Rennrad-Fahrerin?
LöschenHm, hatte ich evtl. eher die Autofahrer- und Radfahrer-Brille auf, weil ich Pedelec-Fahrer unterschätze?
Ich kenne als Rennradfahrer tatsächlich auch die gelegentliche Unterstellung, dass ich nie ganz langsam fahren würde und eine gewisse Art Respekt mit Tendenz zu "vorsorglicher Aggressivität", die mir entgegengebracht wird. Ähnliche Vorurteile erfahren wahrscheinlich Sportwagenfahrer unter den Autofahrern.
Wenn ich gelegentlich auf meinem traditionellen Damenrad in meinem Rennradtempo fahre, merke ich aber in direktem Vergleich schon, dass ich eher unterschätzt werde und mir häufiger Leute reinlaufen oder die Vorfahrt nehmen.
Auf die Schreckreaktion von Fußgängern, die überhaupt nicht mit mir als Radfahrer gerechnet haben und auch nicht auf Klingeln und Zuruf reagiert haben, hat nach meinen Erfahrungen das Fahrrad keinen Einfluss.
Ich frage mich ja auch, wie man sich als Radfahrer eigentlich an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten soll, wenn man die eigene gar nicht kennt.
AntwortenLöschenIch hatte zwar immer einen Tacho montiert, aber das hat ja nicht jeder und ist ja schon gar keine Pflicht.
Klar weiß man ungefähr wie schnell man ist, aber halt nur grob.
Bei Tempo 30 und mehr sollte das kein Problem sein, wesentlich schneller ist man auf ebener Strecke sowieso nicht unterwegs, außer ein paar Rennradler vielleicht.
Aber Tempo 20 oder Schrittgeschwindigkeit, wie halte ich das ein ohne Tacho?
Zumal Schrittgeschwindigkeit ja eh nicht wirklich fest definiert ist.
Das ist das Problem. Denn so langsam, wie Fußgänger:innen gehen, radeln wir ja nicht, und Schrittgeschwindigkeit wird von uns ja auch erwartet, wenn wir Fußgänger:innen überholen, wobei wir dann ja in jedem Fall schneller sein müssen als die Menschen zu Fuß. Allerdings kriegen wir schon mit, ob wir ganz langsam radeln (unter 10 km/h ist gefühlt sehr langsam) oder zügig oder schnell.
LöschenMeine Tochter kann locker 17km/h über längere Zeit laufen (Halbmarathon unter 01:15 h). Darf die das eigentlich da, wo für Radfahrer Schrittgeschwindigkeit vorgeschrieben ist?🤔
AntwortenLöschenDas ist eigentlich gar keine so blöde Frage. Da deine Tochter kein Fahrrad ist, darf sie so schnell rennen, wie sie will. Was ist aber, wenn sie oder ich auf Rollschuhen, Skatebards oder eben Fahrrädern sitzen? Sind 17 km/h noch Schrittgeschwindigkeit (oder Renngeschwindigkeit und gilt die?) und was ist überhaupt Schrittgeschwindigkeit? Bei Autos sind das einem alten Gerichtsurteil zufolge unter 20 km/h, weil die Tachos unten so ungenau sind. Fahrräder brauchen gar keine Tachos, da muss man schätzen. Aber mit zwischen 3 und 5 km/h radelt niemand, schon 10 km/h kommen einem sehr langsam vor. Klar ist, wenn was passiert, wird die Polizei sehr genau herausfinden, wie schnell man auf dem Fahrrad war, und ein eingelegter hoher Gang wird der Polizei ein Hinweis sein, dass man nicht Schrittgeschwindigkeit geradelt ist.
LöschenWer mit (unmotorisiertem) Spielzeug und Sportgeräten wie Rollschuhen, Inlineskates, Skateboards, Rollern, Cityrollern unterwegs ist, bleibt dennoch Fußgänger. Genauso (zumindest überwiegend juristisch so bewertet) wenn man nicht im Sattel sitzt, nicht pedaliert, sondern beide Beine auf einer Seite des Fahrrades hat und das Fahrrad als Roller benutzt.
LöschenDie Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten nur für Fahrzeugführer, nicht für Fußgänger. Und klar, ein rennender Fußgänger kann Radfahrern gefährlich werden. Mir ist einmal ein junger Schüler auf Klassenausflug zur Wilhelma auf einer der Brücken in Schloßgarten von der Seite ins Fahrrad gerannt. Ich war langsam (10-12 km/h), war völlig überrascht davon, dass er keine Kurve gerannt ist, konnte nicht ausweichen und bin nicht aus den Klickpedalen gekommen. Er hat mich einfach umgeworfen. Soll heißen, die Gefahr geht nicht immer vom Radfahrer aus. Dem Schüler hat es übrigens furchtbar leid getan, wie mir auch seine Lehrerin berichtet hat. Er hat mir später noch ein Bild gemalt, das mir seine Eltern mit weiteren kleinen Geschenken zugeschickt haben.
Das mit den 20 km/h als Schrittgeschwindigkeits-Grenze habe ich auch gelesen, wenn man auf Schätzung der eigenen Geschwindigkeit angewiesen ist. Das scheint mir aber keine höchstrichterliche Entscheidung gewesen zu sein, sodass Gerichte immer wieder auch niedrigere Geschwindigkeiten als Grenze ansetzen. Da es zudem häufig keine Spuren, sondern nur die Fußgänger-Zeugenaussagen gibt, muss man davon ausgehen, dass man bei einem Unfall auch mit 10 km/h so bestraft wird, als wäre man 30 oder 40 gefahren.
oh, schon 1. april.
AntwortenLöschendachte grad erst es wäre noch weihnachten...
frohes fest!
Immer die selben Geschichten. Sobald ein Radfahrer nicht mehr im Revier des Autofahrers radelt, mutiert er vom Schleicher zum Raser. Plötzlich sind 25kmh nicht mehr Freiheitsentzug des echten Verkehrs, sondern einen tödliche Geschwindigkeit. Tödlich für alle zu Fuß gehenden. Jene, die mit dem Auto bis zum Naturschutzgebiet fahren, um dann dort zu wandern, weil zu Fuß gehen in der Stadt nicht möglich ist. Wegen der Autos. Aber das will keiner zugeben.
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