15. März 2022

An toten Innenstädten ist nicht der online-Handel schuld

Das sagt der Futurologe Max Thinius im Deutchlandradio Kultur. Unser Alltag wird sich allerdings sehr wohl durch die Digitalisierung ändern. 

Die Innenstadt zum Shoppen, stille Wohnviertel, wo es weder Bäcker noch Laden gibt, Stadtteile, die von Ein- und Ausfallstraßen zerschnitten werden und Fußgänger:innen lange an roten Ampeln warten müssen, diese Aufteilung der Stadt scheint nicht mehr richtig zu funktionieren. Viele wollen dort einkaufen, essen gehen und ihr Fahrrad reparieren lassen, wo sie auch wohnen, im eigenen Stadtviertel. 

Das Deuschlandradio wollte kürzlich wissen, welche Probleme unsere Innenstädte haben und was die Gründe dafür sind. Die Probleme kennen wir: blinde Schaufenster, Traditionsgeschäfte geben auf. Ein Grund, so Max Thinius, sind die Einkaufscenter auf der grünen Wiese, die wir schon vor Jahrzehnten angelegt haben, ein weiterer dass Baumärkte, Gartenhandlungen etc. an den großen Ein- und Ausfallstraßen unserer Städte liegen. Und wenn man heute  durch die Innenstädte geht, sieht man überall dieselben Billigklamottenketten, Telekommunikationsshops und Gastronomie. Zu entdecken gibt es da nichts. 

Bereits jetzt gibt es den Trend, lokal einzukaufen. Das ist aber eigentlich nur mit dem Fahrrad möglich.

Ich bin selten länger als 5 bis 15 Minuten unterwegs, um zum Ziel zu kommen. Und mein Einkaufsradius im Bequemmodus beträgt 3 Kilometer. Aber auch zu Fuß wollen Leute nicht länger als 15 Minuten gehen, um Lebensmittel, Schuhe, Klamotten, Handwerkszeug oder Brot einzukaufen. Der Aktionsradius im Bequemmodus von Fußgänger:innen beträgt ungefähr 500 Meter. 

Es gibt bereits jetzt eine Lokalisierungswelle, so Thinius. "Niemand geht mehr in die Innenstadt." Je mehr Boutiquen, Bio-Läden, Second-Hand-Läden, Schuster oder auch mal eine Reinigung, ein Handyreparaturladen und eine Buchhandlung sich im eigenen Stadtviertel niederlassen, desto öfter lassen die Leute das Auto stehen und gehen zu Fuß ihre Besorgungen machen, und das gern. Und was ich vor der Haustür nicht kriege, das bestelle ich online. Damit die lokalen Geschäfte genau dabei nicht zu kurz kommen, braucht es eine online-Plattform, auf der sich alle Geschäfte einer Stadt präsentieren, sodass man weiß, in welchem Stadtteil es das Gesuchte gibt und ob man es sich besser schicken lässt oder es selber - natürlich mit den Fahrrad oder Bus und Bahn - abholt. Ideal ist es, wenn das Bezahlsystem ähnlich zentralisiert funktionieren würde wie bei Amazon, sodass man seine Kontakt- und Bankdaten nicht auf hunderte Geschäfte verteilen muss. 

Klein List, Konzept Architekt Lermann
Aber auch die kleinen Einkaufsstraßen müssen wiederkommen, wo man Brot, Salz, Blumen, Seife, Gemüse und Obst bekommt. Die sind vor vielen Jahren verschwunden. In vielen Erdgeschossbereichen lassen sich vermutlich, weil sie einmal gewerblich genutzt wurden, wieder Läden installieren, und wenn man das politisch will, dannt kriegt man das auch rechtlich hin. In den Stadtteilen sind die Ladenmieten nicht so hoch wie in der City, und wenn man engagierte Bezirksvorsteher oder Bezirksbürgermeister hat, dann verhandeln die mit den Immobilienbesitzern und organisieren eine stabile Durchmischung von Handel, Wohnen und Gastronomie. Dann ist auch wieder was los im Stadtviertel, Menschen begegnen sich, soziale Zusammenhalte regenerieren sich. Derzeit schön zu beobachten im Lehenviertel, das allerdingsa noch auf eine Verkehrsberuhigung in der Ladenstraße, der Liststraße wartet, oder in der Tübinger Straße beim Marienplatz. 

Und was passiert mit dem bisherigen Stadtzentrum? Es muss sein Gesicht ändern und ebenfalls zu einem Stadtmitte-Viertel werden, wo sich Handwerk, Wohnen und kleine Läden mischen. Nacht Thinius' Einschätzung hat Kassel damit angefangen und Mannheim  sich auf den Weg gemacht, Köln und Bonn überlegen noch, und Berlin ist eh schon in viele Zentren unterteilt. Es wird nicht überall so kommen, aber "dort, wo man neu denken will."

Der online-Handel ist auch nicht des Teufels. Mit dem Auto einkaufen fahren ist viel schlimmer. In einem Interview im SWR, erzählt Thinius von einem Kleiderladen, der während Corona beinahe pleite ging. Die drei Verkäuferinnen hatten aber unterschiedliche Konfektionsgrößen, probierten im Video-Call die Kleider für die Kundinnen an und verschickten sie danach. (Ein Konzept das in Asien wohl schon Gang und Gäbe ist.) Natürlich wird auch was zurückgeschickt. Aber - und das ist auch meine Beobachtung - wenn ich in der Stadt was Spezielles suche (das ich eben nicht online bestellen will), dann ist es oft nicht mit einer Fahrt getan, ich fahre (mit dem Fahrrad!) mehrmals zu verschiedenen Läden, und viele tun das auch mit dem Auto. 

Wer mit dem Auto einkaufen fährt, verbraucht mehr CO2 als die Paketzusteller eines online bestellten Artikels. Nach Angaben des Bundesumweltamts stößt der Autofahrer 139 Gramm CO2 aus. Paketzusteller wollen Zeit und Treibstoff sparen und wählen den kürzesten Weg. Die gesamte Lieferkette vom Lager zum Kunden berechnet die DHL mit 500 Gramm CO2 pro Paket. Das heißt, mit einer Autofahrt zum Einkaufen von 5 km hat man den gesamten CO2-Ausstoß der Lieferkette des online-Handels erreicht. Wer mit Bus und Bahn einkauft, verursacht 440 Gramm, wer zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkauft emitiert gar kein CO2 (oder nur verschwindend wenig). 

Ich meine: Stuttgart muss schnell anfangen, neu zu denken, damit sich der lokale Handel und das kleine Handwerk bei uns wohl fühlt und wir wieder gerne zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkaufen gehen. Denkhelfer wie Max Tinius gibt es. Konzepte auch. 

Wir brauchen: 

  • Stadtteilkonzepte für die 15-Minuten-Stadt
  • abwechslungsreiche Einkaufsstaßen mit Erdgeschossläden im Kiez
  • viel Platz für Menschen zu Fuß (autofreie Straßen, Sitzgelegenheiten, Spielgelegenheiten für Kinder)
  • Radverkehrsanlagen statt Autostraßen in den Stadtteilzentren (Denn Radfahrende sind sehr gute Kund:innen) 
  • keinerlei oberirdische Parkplätze
  • ein attraktives Nahverkehrssystem (kostengünstiger als ein Parkhausparkplatz)
  • lokalen online-Handel, eine städtisch-regionale online-Plattform (Click and Collect)



12 Kommentare:

  1. hm. hört sich gut an.
    Ich glaube ich weiß, was wir dazu brauchen:

    einen Tankrabatt.

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  2. Ich habe nie verstanden, warum Städte so versessen auf Einkaufszentren auf der grünen Wiese sind. Seit Jahrzehnten weiß man doch, dass sie kleine Infrastruktur in Orten und Städten kaputt machen. Ich verstehe auch nicht warum man immer noch reine Wohngebieten und reine Arbeitsgebiete baut. Früher gab es sogenannte Mischgebiete, da gab es beides, Wohnen und Arbeiten. Da war auch Leben. Geht doch heute mal in so ein Wohngebiet. Wenns nicht gerade viele Kinder gibt, ist da alles wie ausgestorben, da die Leute zum Arbeiten woanders hingehen, wo sie mit dem Auto hinmüssen, weil man versäumt hat, einen gescheiten ÖPNV zu schaffen. Durch diese Einkaufszentren sind die kleinen Läden in den Voroten kaputt gegangen und heute werden sie nicht wieder aufgemacht. Bei uns im Vorort, vor 30 Jahren 4 Metzger (heute keiner mehr), mindestens 9 Bäcker, (heute: max. 4, davon 3 Ketten.), 3 Cafes, heute nur noch Stehcafe im Bäcker, sonntags nichts mehr, Handarbeitsgeschäft 1, heute nichts mehr, Buchhändler früher 1, heute nichts mehr, Haushaltswaren 1 heute keiner mehr. Lebensmittel/Gemüse: 5, heute 1 großer Supermarkt, Schreibwaren früher 1 heute keiner mehr, 2 Bekleidungsgeschäfte, heute keins mehr, 1 Schuhgeschäft, heute keins mehr,und so weiter. Bei uns im Vorort ist es in diesem Bezug besonders trostlos, in anderen Voroten ist es noch besser, da gibt es deutlich mehr Läden, aber da muss man dann auch mit dem Auto hin, weniger wegen der Entfernung, sondern wegen der besch... ÖPNV- und Radinfrastruktur.
    Karin

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    1. Ein bisschen liegt es aber auch an uns, die wir in solchen Fällen zum Großeinkauf auf den Supermarktparkplatz außerhalb fahren, statt zu Fuß beim Bäcker, Gemüsehändler und Milchladen einzukaufen wie früher. ich kenne Forderungen nach Erhalt des örtlichen kleinen Lebensmittelladens, aber die meisten Leute gaben dann zu, dass sie dort auch nicht einkaufen, sondern woanders, wo sie es billiger finden (wobei die Benzinkosten für die Fahrt woandershin, ja auf die Lebensmittelpreise draufgeschlagen werden müssten.)

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  3. Mein Heimatort ist ein Paradebeispiel für so eine verfehlte Strukturpolitik. Die kleinen Lebensmittelgeschäfte/Supermärkte und Spezialhändler, sowie das Postamt und Hotels im Ort haben alle zugemacht, dafür gibt es nun drei große Supermärkte an der Peripherie, sowie ein Outlet-Center und ein Hotel an der Autobahn.
    Als ob der Ort noch mehr Verkehr bräuchte, denn die Autobahn geht mitten durch den Ort, und eine vielbefahrene Bundesstraße außenherum....

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  4. Fehlt bei "Nach Angaben des Bundesumweltamts stößt der Autofahrer 139 Gramm CO2 aus." so etwas wie "pro KM"? Irgendwie gelingt es mir sonst nicht, viel Sinn aus dem Absatz zu machen.

    Ansonsten stimmt das alles, aber es ist wahrlich nicht neu. Die fussläufigen, viertelnahen Geschäfte überleben halt nur, wenn man sie auch durch regelmässiges Einkaufen unterstützt. In meiner (Hamburger) Nachbarschaft wurde der Gemüse-und-Sonstiges-Höker als es eng wurde durch eine Vorkasse-Aktion erst gerettet und dann durch konsequentes Einkaufen am Leben gehalten. Das hat dann auch mehr Aufmerksamkeit (und zahlende Kundschaft) für den Winzbäcker und die kleine Kneipe nach sich gezogen, das generelle Gefühl für die Nachbarschaft verbessert und soziale Interaktionen im Viertel (Anwohner*innen-Flohmarkt, öffentliche Abendbrote, Viertel-Reinigung, etc.) wenn nicht initiiert, so doch erleichtert. Und der "Verkehrsausschuss", um die Überpräsenz von Stehzeugen und Kampfparkern und den überflüssigen Durchgangsverkehr im Viertel anzugehen, ist gerade am entstehen ...

    Kurz: Möglich ist viel, aber wir müssen es auch tun.

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  5. Hier in Kelkheim (Taunus) mit ca. 30000 Einwohnern steht die letzte Postfiliale auf der Kippe...

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  6. In meiner Heimatstadt (ca. 20.000 Einwohner) waren es in den 90ern die immer höheren Ladenmieten, die die Innenstadt veröden ließ. Am Ende waren nur noch wenige Händler übrig, denen ihre Geschäfte gehörten. Gaben die dann aus Altersgründen auf, dann verkaufte die Erbengeneration die Immobilie meist zu einem immensen Preis.
    Die Käufer vermieteten dann die Ladenflächen zu einem entsprechend hohen Preis an Wettbüros, Spielhallen und eher zwielichtige Händler. Irgendwann ging dieses Geschäftsmodell dann aber auch den Bach herunter.
    Und heute bekommen die Immobilieneigentümer selbst für eine günstige Miete keinen Mieter mehr.

    Die letzten Jahre in Tübingen habe ich erlebt, wie man bei neuen Stadtvierteln bewusst kleinere Läden ansiedeln wollte. Durch die extremen Bauvorschriften wurden hier aber die Ladenlokale derart teuer (4000 €/m²) dass sich am Ende nur ein hochpreisiger Feinkostladen ansiedelte.
    Dessen Kunden kommen aber nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad sondern auffällig oft mit einem dicken SUV. Vor dem Feinkostladen war aber bewusst gar keine Parkmöglichkeit vorgesehen.
    Und jetzt stehen in der Spielstraße laufend diese ***-Verlängerungen herum, die mindestens 250 gCO2/km erzeugen, um die spezielle Zitrone aus Sizilien im Feinkostladen zu erwerben. Wenn man so ein Auto fährt, dann läuft man natürlich nicht >200 m vom nächst gelegenen Parkplatz - ist doch klar.

    Ich selbst fahre mit dem Rad zum nächsten Aldi, da mir diese gentrifizierten Typen aus den ***-Verlängerungen einfach derart zuwider sind...

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    1. Danke für die Schilderung, das ist eine typische Entwicklung. In Stuttgart gibt es einen Unverpacktladen, da kommen die Leute nach Aussagen des Eigentümers von weit her und beklagen sich, dass man ihn wegen einer Straßensperrung für die Anwohner:innen nicht mehr direkt anfahren kann und keine Parkplätze findet. Schon schräg.

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    2. Schräg... aber halt Folge der aktuellen Politik, aufgrund derer die Mehrheit immer noch glaubt, es gäbe irgendwelche technologischen Lösungen und es reiche an dem einen oder anderen Rädchen zu drehen, und alles werde gut...

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    3. Die Politik sind aber eben auch wir alle, Politik ist auch, wie wir mit unseren Nachbarn reden, was wir erzählen, welche Beispiele wir geben, wen wir wählen, wie wir uns engagieren (ist natürlich blöd, das hier zu schreiben, wo sich engagierte Menschen treffen).

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    4. Ja sicher, aber das ändert nichts daran, dass die gewählten Politiker keine Führung zeigen. Immer nur das eh schon Unvermeidbare tun. Niemandem wehtun, und schon gar keiner Wählerklientel oder den großen Parteispendern...

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  7. 95% der Gebäude auf der Königstraße kenne ich nur von außen. Denn ich laufe nicht zum Geschäft. Wo ich als Radfahrer nicht willkommen bin, kaufe ich halt auch nicht ein. Das Konzept "Nur Fußgänger-Kundschaft, die mit dem Auto anreisen, dass sie in das Parkhaus stellen" war ein großer Fehler, ebenso diese Eintönigkeit: Im Zentrum wohnt ja kein Mensch mehr, wer sich dort trifft, will in der Regel Ruhe vorm Autoverkehr. Das Europaviertel als neuste Errungenschaft war bereits bei der Planung zum Tode verurteilt.

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