27. August 2022

Warum ist uns der Radverkehr so wenig wert?

Verkehr und Straßenbau fressen viel Geld. Der Autoverkehr verlangt das meiste, der Busverkehr übrigens noch mehr, dann kommen die Fußgänger:innen, das Fahrrad bekommt am wenigsten. 

W wie Wissen dröselt das detailliert auf. Wobei viele Kommunen gar nicht so genau wissen, wieviel Geld sie für die unterschiedlichen Verkehrssysteme ausgeben. Die Uni Kassel hat - wie ich auch schon mal berichtet habe - ein Verfahren entwickelt, wie Städte sich da einen Überblick verschaffen können. In die Kosten-Nutzen-Rechnung fließen auch die Gewinne für die Stadt, das Klima und die Gesundheit ein, die der Fuß- und Radverkehr erzeugen, oder eben die versteckten Kosten des Auto- und LkW-Verkehrs für Gesundheit und Stadtklima. Dazu gehören auch Krankenhauskosten oder Krankschreibungen, die nicht in den Budgets der Tiefbauämter auftauchen. Man kann sagen, dass Städte wie Kassel oder Heidelberg für einen Menschen, der Auto fährt zwischen 120 und 240 Euro pro Jahr ausgibt, für eine Person, die Bus und Bahn fährt, ungefähr genauso viel oder etwas mehr. Für einen Menschen, der zu Fuß geht, gibt die Stadt so um die 40 Euro aus und für die Person auf dem Fahrrad rund 6 Euro. 

Oftmals ist den Städten aber auch nicht einmal ganz klar, welche Verkehrsmaßnahmen welche Auswirkungen haben, wer wo wann wie oft mit welchem Verkehrsmittel fährt und genau diese Strecke fahren muss oder auch eine andere fahren könnte. Die Frage, welche Strecken für den Radverkehr besonders geeignet sind, wo viele Leute in Busse und Bahnen einsteigen würden, wenn sie fahren würden (etwa zu großen Betrieben, die bisher vor allem Tiefgaragen bauen und sich nicht um Buszubringer von der S-Bahn kümmern), und wo die Fußgängerflüsse wären, wenn sie dürften, weil es schön und bequem ist, werden schon gleich gar nicht beantwortet.  

Der Blick auf den Status quo führt leider auch nicht zu einer Aussage darüber, was in Zukunft sein könnte, nachdem man etwas geändert hat. Die Menge Autos und die zu erwartenden Staus, die heute ins Feld geführt werden, wenn für den Radverkehr eine Fahrspur wegfallen soll, wäre aber eben gar nicht unterwegs, wenn wir einen gut ausgebauten Radverkehr hätten. Und die Schichtdienstler:innen bräuchten keine Autos, wenn wir den nächtlichen öffentlichen Nahverkehr ausgebaut hätten und zur Verfügung stellen könnten. 

Rad fahren und zu Fuß gehen verschafft uns Bewegung, die uns gesund und vergnügt erhält. Wie gesund körperliche Bewegung (auch und gerade das Radfahren) ist, braucht eigentlich nicht mehr erläutert zu werden. In der Stadt Kassel entsteht ein Nutzen für die Stadt von 31 Millionen Euro pro Jahr allein durch den Radverkehr. Zugleich kostet der Ausbau des Radverkehrs vergleichsweise wenig, im allgemeinen geht man von einem Promille  aus. Es ist schon ein Phänomen, dass wir den kostengünstigen Verkehr nur ungern fördern und ausbauen, den teuren aber mit großer Leidenschaft. Ich vermute, es liegt daran, dass uns nur das Teure etwas wert zu sein scheint. Wir werden aber in den nächsten Jahren - fürchte ich - lernen, dass die Verhaltensformen, die die öffentliche Hand wenig kosten, viel wertvoller sind. 


7 Kommentare:

  1. "Ich vermute, es liegt daran, dass nur das Teure" den Kapitalisten genug Profit bringt.

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    1. Wobei für mich immer faszinierend ist, dass die Politiker:innen, die sowas entscheiden, gar keine Kapitalist:innen sind, die den Profit einstreichen. Sie halten sich nur dafür. Ich denke immer: Wert erscheint uns nur eine komplizierte und teure Hochtechnologie, und der Mensch, der was wert ist, bewegt sich im Auto und nicht auf dem Fahrrad.

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  2. Ich glaube, das ist einfach: Die Kommunalparlamente gehen immer noch davon aus, den Bürgerwillen an Wahlergebnissen ablesen zu können. In 3 oder 4 Partei-Schubladen lassen sich aber moderne Entwicklungen nicht einpressen. Ich glaube, wir wären alle überrascht, wie viel vielfältiger, diversifizierter und "moderner" der Bürgerwille ist, wenn er denn zu Einzelthemen anstatt "in der Partei-Schublade" abgefragt werden würde.

    Ich bin überzeugt, die Verhältnisse z.B. in Fürstenfeldbruck oder Stuttgart zu einem spezifischen Thema wie z.B. "Verkehrswende" sehen komplett anders aus als das letzte dortige Kommunal-Wahlergebnis.

    Es wird Jahrzehnte dauern und "erdrutschartiger" Wahlergebnis-Änderungen brauchen, um ein spezifisches Interesse in den Vordergrund zu rücken, solange alles in Partei-Schubladen verpackt ist, solange "wo CDU draufsteht, CDU drin ist", solange "wo Grün draufsteht, Grün drin ist", und zwar entweder ganz oder gar nicht.

    M.E. ginge das alles viel einfacher, zeitnaher, partei-unabhängiger, bürger-näher, wenn man denn wollte.

    Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern



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    1. Da gebe ich dir absolut Recht. Das sehe ich auch so. Wobei ja in Stuttgart beispielsweise die Konservativen gar nicht die Mehrheit haben, sondern das grün-sozial-linke Lager, wenngleich die SPD immer mal wieder Zweifel kriegt, wenn es um viele Parkplätze geht. Da greift bei denen der Reflex: dann können ja die Krankenschwester oder die Kindergärtnerin (die Armen), ihr Auto ja nicht mehr abstellen oder müssten mehr bezahlen. Sie verkennt, dass genau die Leute keine Autos haben, sondern die Reichen, und die gleich mehrere.

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    2. Abgesehen von vielleicht der Linken stellt keine Partei den kapitalistisch-neoliberalen Konsens infrage. Und somit fahren wir direkt vor die Wand.
      Diese ist inzwischen in unmittelbarer Sichtweite (siehe etwa die Dürre, die bereits urkapitalistische Dinge wie den Flusstransport unmöglich zu machen droht), aber wir steigen noch auf's Gaspedal...

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  3. Hi, vielen Dank mal wieder für euren wertvollen Blogbeitrag! Ich radle zwar nicht in Stuttgart, sondern in Düsseldorf, aber man kann - mal abgesehen von der Topographie - alles auch sehr gut in unsere Stadt am Rhein übertragen. Es gibt noch viel zu tun!

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  4. Verkehrspolitik wird bzgl. Radverkehr im Blindflug betrieben. Das öffnet ideologiegetriebenen Entscheidungen Tür und Tor. In Stuttgart gibt es die paar Zählstellen, aber kein Interesse, die Daten über die Fahrgeschwindigkeiten von Radfahrern und die gefahrenen Strecken und Streckenlängen der "Intensivradfahrer" z.B. von Strava Metro einzukaufen, auszuwerten und zu berücksichtigen.

    Auch der geschätzte Radverkehrsanteil am Modal Mix, mit dem operiert wird, liegt weit über der Realität. Dadurch wird der Investitionsbedarf massiv unterschätzt: Die Summe des MIV im Tallängsverkehr (Hauptstätterstr,/Holzstr, Theo, Olgastr, Schloßstraße: sind das nicht weit über 100.000 pro Tag im Vergleich zum Radverkehr mit unter 10.000 pro Tag? Korrigiere gerne meine veralteten Zahlen mit aktuellen Werten. Aber wenn der (von der Corona-Delle abgesehen seit Jahren relativ konstante) MIV einen Anteil von 24% am Modal Mix hat, dann hat der Radverkehr keine 2,5%.

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