18. Januar 2023

Vizepferd, Flitzepie und andere Fahrrad-Wörter

Wir wissen, dass die Niederländer das Fahrrad "fiets" nennen. Aber nicht einmal die Niederländer wussten bis vor zehn Jahren, wo das Wort herkommt. 

Als ein Sprachwissenschaftler aus Gent Freunden im südlichen Rheinland eine Flasche Cider schenkte und sie den Apfelwein "Viez" nannten, was für Vizewein, also Ersatzwein steht, kam er ins Grübeln und besprach sich mit anderen Linguisten. Offenbar nannte man in Deutschland das Fahrrad, als es erfunden wurde, zunächst Vizepferd, und daraus wurde in den Niederlanden das fiets.* 

Die Briten griffen dagegen auf ihre klassische Bildung zurück.

Das Wort "bicycle" setzt sich zusammen aus dem lateinischen Präfix "bi" für zwei und dem griechischen Wort "kyklos" für Kreis,  also "Zweikreis". Die Kurzform heißt ab 1882 "bike",  eine Verkürzung von "bi(cy)c(le)", wobei das C (gesprochen wie ein stimmloses S) zum K wurde. Darüber, wie man die Radfahrer:innen selbst nennt, herrscht Uneinigkeit. "Cyclist" passt in jedem Fall auf Fahrrad, öfter hört man "biker", aber das kann eben auch ein Motorradfahrer sein. Auf Spanisch heißt das Fahrrad ähnlich, nämlich "bicicleta" oder kurz "bici", gerne aber auch mal "chivo" (Hausziege"). Die, die es fahren, heißen "ciclistas" (also sowas wie "Kreiser"). Auch andere Sprachen benutzen Varianten davon. 

Zunächst verbreitet, auch in England, war aber das französische Wort "vélocipède", das sich vom lateinischen "velocis" für schnell und "pedis" für Fuß ableitet. Die Kurzform von "Schellfuß" lautet "vélo". Die Deutschschweizer sagen und schreiben bis heute Velo.  Noch in den 50er Jahren sprach man von "Velozipedisten", jetzt heißen sie Velofahrer:innen. Wurde z.B. vom Russischen klangähnlich übernommen: велосипеды, velosipedy.

In Deutschland sagte man anfangs, nachdem offenbar das Vizepferd ausgedient hatte, "Velociped" zum Fahrrad, bis die deutschen Radfahrervereine 1885 das Wort "Fahrrad" einführten, was sich schließlich in der Weimarer Republik durchsetzte, weil man das Französische als Sprache des Hochadels ablehnte. Mit Fahrrädern waren bis Mitte der 1920er Jahre noch eher Motorräder gemeint. Wenn jemand "Zweirad" sagt, verstehen wir das auch als Fahrrad. Unsere scherzhaften Wörter "Drahtesel" oder "Stahlross" erklären sich selbst, aber die alemannische Bezeichnung "Göppel" für ein (altes) Fahrrad ist weniger selbsterklärend. Es kommt vom Wort "Göpel" oder "Göpelwerk" für eine von Menschen oder Tieren (später auch Dampf) kreisförmig angetriebene Konstruktion, die etwas aus einem Schacht fördert oder über Zugseile anhebt, meint also eine Kraftmaschine. Radfahrer:innen heißen bei uns auch mehr oder weniger scherzhaft Radlerin, Biker, Pedaleurin oder Pedalritter. Im verächtlichen Sinn benutzen wir - oder benutzten wir früher - das Wort "Radfahrer" auch für Lakai, Steigbügelhalter und Mitläufer. 

Im Polnischen wurde das Wort "rower" für Fahrrad von einem englischen Fahrradhersteller übernommen. "rover" bedeutet auf Englisch "Wanderer" aber auch "rastloser Geist". Das Rover-Fahrrad, das hintere der beiden Räder auf dem Foto, war auch in Mannheim 2017 zu 200 Jahre Fahrrad ausgestellt.

Im Lateinischen gab es natürlich ursprünglich auch kein kein Fahrrad, aber lateinische Seiten führen es unter den beiden Begriffen "cursoriam", von "Läufer" und "vehentem", von "reiten" hergeleitet. 

Das chinesische Wort setzt sich zusammen aus den Zeichen für "selbst", "fortbewegen/laufen" und "Wagen" und spricht sich "Zìxíngchē". 

*Nachbemerkung: Das niederländische Wort "fiets" könnte übrigens auch - so die bisherige Erklärung für das auch im Niederdeutschen gebräuchliche Wort "fiets" - eine Verschleifung von "Flitzepie" aus dem Solinger Platt sein, das wiederum das französische "vélocipèd" eingedeutscht hat. 



5 Kommentare:

  1. Als alter Lateiner muss ich da einfach korrigieren: velox bedeutet schnell und pes bedeutet Fuß. Die im Artikel genannten Formen sind die Genitive. Die Nominalstämme sind veloc und ped, wobei jeweils ein -s- als Nominativendung angefügt wird. (dabei wird c+s zu -x- und das -d- von ped fällt weg. Also veloc+s = velox; ped+s = pes) Daraus ergibt sich dass es Velopes heißen müsste, was aber nicht der Fall ist, weil das Wort wiederum eine Abkürzung von Velopedalis ist, wobei pedalis 'auf die Füße bezogen, mit diesen zu tun habend' bedeutet.
    Das Wort 'cursorius' existiert im Lateinischen nicht (jedenfalls ist es nicht in Wörterbüchern verzeichnet). Es ist abgeleitet von cursor = Läufer, Bote. Die hier verwendete Form 'cursoriam' ist der Akkusativ Singular des Femininums. 'Vehentem' ist gleichfalls Akkusativ Singular Masculinum oder Femininum und bedeutet 'ziehend, fahrend, bringend' Falls eines der Worte Fahrrad heißen soll, so ist es meiner Meinung nach von Leuten erdacht worden die - freundlich ausgedrückt - nur geringe Lateinkenntnisse haben.
    Im übrigen: Die Erklärung von Fiets fand ich interessant, weil ich mich schon immer gefragt habe, warum es auf Holländisch so heißt.

    Ansonsten möchte ich mich für Deinen Blog bedanken und wünsche Alles Gute

    Roger

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    1. Lieber Roger, vielen Dank für diese Ergänzung. Ich habe diese Fahrradwörter nicht als exakte aus dem Lateinischen oder sonstwo übernommene Wörter verstanden, sondern als Verschleifung durch den Sprachgebrauch. Dieses komische lateinische Wort Corsoriam etc habe ich auf einer lateinischen Internetseite gelesen und mich amüsiert. Wer weiß, wer das erfunden hat. Aber Modernisierungen von Latein passiert ja, soweit ich weiß, auch im Vatikan, damit man auch zeitgenössische Verhältnisse ausdrücken kann.

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  2. Korrektur: Velocipes und Velocipedalis statt Velopes Velopedalis im ersten Abschnitt,wobei das -c- im Deutschen als -z- gesprochen wird, im Lateinischen bezeichnet er das -k-. Das -i- ist ein Bindevokal, um das Aufeinandertreffen der beiden Konsonanten zu verhindern
    Roger

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  3. Angeblich soll in Bayern die Landbevölkerung "Velozipe, Velozipe, fall aba und streck an Arsch in d'Höh" gerufen haben, wenn einer der neumodischen Radler vorbeikam.

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