6. Januar 2023

Nudging - die sanfte Suggestion

Wir handeln und entscheiden meist aus Gewohnheit. Und gute Vorsätze reichen nicht aus, um beispielsweise mit dem Rad zu fahren. Sanfte Suggestion könnte helfen, Gewohnheiten zu verändern, ohne Vorschriften zu machen. 

Man nennt es nudging, was sowas wie "anstupsen" heißt. Die Werbung macht das und in Supermärkten wird es gemacht, indem das, was wir kaufen sollen, aber nicht vorhatten zu kaufen, in unserem Blickfeld liegt. Schilder mit Handlungsempfehlungen haben den gleichen Zweck. Aus Coronazeiten kennen wir Schilder zum richtigen Händewaschen, die noch vielerorts hängen. Ein typisches Nudging auch ist der Geschwindigkeitsanzeiger mit Smiley und Merkel-Mund, der Autofahrenden eine direkte Rückmeldung gibt, wenn sie zu schnell sind. Was wir in Stuttgart nicht haben, aber gut wäre, sind Ampeln, die für Fußgänger:innen und Radfahrende die Wartezeit herunterzählen. Das hilft, dass Leute warten, statt irgendwann ungeduldig loszulaufen oder loszuradeln. Solche Nudges stupsen die Leute in Richtung eines gewünschten Verhaltens, ohne es anzuordnen. 

Leider wird in Deutschland massiv in Richtung Auto gepusht. Wir beginnen aber durchaus, auch in Richtung Radfahren zu stubsen. 

Das Zeichen "Fahrradstraße" mit entsprechenden Bodenmarkierungen ist beispielsweise so ein Nudging. Es zeigt allen, dass es Menschen gibt, die Rad fahren und dafür Platz auf der Fahrbahn haben müssen. Fahrradstraßen produzieren tatsächlich mehr Radverkehr, selbst dann, wenn immer noch Autos durchfahren und sich eigentlich kaum was geändert hat. Deshalb ist es sinnvoll, dass Städte ihre Asphaltflächen mit Radzeichen und Farben markieren, die mit dem Radfahren assoziiert werden. Auch Radwege, Radfahrstreifen und Radpiktogramme zeigen allen - auch den Autofahrenden an -, dass Radfahren möglich ist, und sie sagen: "Du könntest es auch." Überall verfügbare Fahrradabstellplätze tun dasselbe, genauso wie Radgaragen, Ladestationen für E-Räder und natürlich die Verringerung von Autoparkplätzen.  

Auch wenn den meisten von uns gar nicht bewusst ist, dass eine sichtbare Radinfrastruktur ein Vorschlag ist, das eigene Verhalten zu ändern, verhalten sich die Autoabhängigen so, als wüssten sie, dass sie gegen diese verführerischen Symbole kämpfen müssen. Sie debattieren vehement gegen Radfahrstreifen und Fahrradstraßen und vor allem immer gegen die allmähliche Zurücknahme von Parkplätzen im öffentlichen Raum. Vielleicht kein Wunder, denn das eigentliche geballte Nudging findet in Deutschland zugunsten des Autos statt und das spiegelt sich in unseren Medien wider und es wirkt so unterschwellig wie all diese Stupser. 

Was die Norm ist, sieht man daran, dass unsere Nachrichtenmedien es gewöhnlich mit verbalem Kommentar im Bild darstellen, wenn ein niederländischer oder dänischer Regierungschef mit dem Fahrrad kommt. Als Cem Özdemir mit dem Rad zu Vereidigung als Minister kam, herrschte große mediale Aufregung. Radfahrende Politiker:innen (selten übrigens die Frauen, eher die Männer) werden in den Medien ein bisschen wie Spinner(innen) oder zumindest Sonderlinge behandelt. Starke Männer auf Fahrrädern sind sozusagen ein Stilbruch, wir lachen dann oft sogar über Regenjacke und Helm. Steigen sie hingegen aus starken großen Autos aus, ist die Welt in Ordnung und dies den Medien keine Erwählung und kein Gefühlsausbruch wert. 

Noch tückischer ist das Nudging (eher schon ein Pushen) durch die Bilder in Fernsehfilmen und TV-Serien, weil wir da mit entspanntem Geist herumsitzen, unsere Gefühle auf offen stellen und nur noch konsumieren. In Fernsehfilmen, die von vielen gesehen werden (Tatort, Sonntagsromanzen, Krimiserien, Familienserien) fahren die Leute nur sehr gelegentlich mal Fahrrad und immer Auto. Gerade die Sonntagsschnulzen sind Filme, in denen viele glänzende Autos Auffahrten hoch rollen oder Kabrios eine Küstenstraße langfahren. Mir scheint, in TV-Serien werden Autos mehr als nötig in Szene gesetzt und die Leichtigkeit des Autofahrens massiv suggeriert. Ständig steigt einer ins Auto ein oder eine aus dem Auto aus. Immer parken sie mitten in der Szene und genau vor dem Laden. Autos der Kommissar:innen werden schwungvoll am Straßenrand geparkt, immer ist ein Parkplatz frei, meistens gleich mehrere, gerne werden sie auch mal illegal auf der linken Straßenseite abgestellt oder auf einen Gehweg hochgefahren. In einer TV-Serie fuhr eine Hauptfigur mit ihrem Moped regelmäßig auf den Gehweg und stellte es dort ab. Gerne stehen die Autos direkt im Grün hinterm Strand, wo sich das Paar küsst, oder in Parks, wo gerade die Szene mit der Leiche gedreht wird. Bestimmte Tatort-Kommissare oder Gerichtsmediziner werden mit speziellen Nobelautos assoziiert. Und wenn ein Autofahrer eine Fußgängerin oder Radfahrerin anfährt (oder umgekehrt), dann ist das der Beginn einer Liebesgeschichte. In unseren Fernsehfilmen werden Autos fortwährend groß ins Bild gerückt und dabei verharmlost. Zugleich wird die Lüge aufrecht erhalten, dass das Auto das bequemste und einzig mögliche Mittel sei, irgendwohin zu kommen, und man immer einen Parkplatz findet. 

Die ständige Präsenz des Autos in Filmen macht es nahezu unmöglich, dass die Konsument:innen  die Idee aus dem Kopf bekommen, das Auto sei der zentrale Gegenstand unseres Lebens, sein heimlicher Mittelpunkt in allen Lebenslagen und biographischen Stationen, engstens verbunden mit Abenteuer, Liebe, Hochzeiten, Trauerfällen, Familienfeiern, Flucht und Freiheit, Erfolg oder Wendepunkten. Das Fahrrad dagegen ist ein Kuriosum und Beiwerk des Schulligen, gelegentlich auch das Symbol von Urlaubsstimmung oder ländlicher Idylle, also des Ausbruchs aus dem Alltag. 

Die meisten von uns würden schon bei der Idee zu lachen anfangen, dass wir im Fernsehen auf einmal Kommissar:innen auf Fahrrädern (einen gibt es immerhin), Radverfolgungsjagden (als Gag durchaus mal möglich) oder Chefs und Politiker:innen auf Fahrrädern vorgeführt bekommen sollten. Völlig unrealistisch? Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Bilder erzeugen Wahrheiten, und dann behaupten wir, die Welt sei eben so, wie die Bilder der Fiktionen sie uns suggerieren. Und dann organisieren wir unsere eigene Hochzeit mit schicken Autos (die dann vor dem Standesamt in der Eberhardstraße herumstehen, obgleich die autofrei sein soll) oder träumen von Küstenstraßenautofahrten als Inbegriff von Urlaub und Freiheit. (Über die Autowerbung schreibe ich jetzt hier mal nicht, denn Werbung ist erklärtermaßen Nudging oder Beeinflussung, das wissen wir und da durchschauen wir es auch, wenn wir wollen.) 

Dagegen ist das Stupsen in Richtung Fahrrad fast ohnmächtig. Wer in stundenlangen Fernsehabenden vorgeführt bekommt, dass alles Wichtige nur mit dem Auto geht, dem fällt es schwer zu glauben, dass er/sie selbst das Fahrrad nehmen könnte und sich dabei sogar besser, freier und stärker führt und bald mehr Spaß im Leben hat. 

Da entfalten dann nur Förderprogramme und Belohnungen eine Wirkung, obgleich gerade das Belohnen durch Geldvorteile nicht zu dem eigentlich sehr sanften Mittel des Nudgings gehört. So hat die Förderung der Stadt Stuttgart für Lastenräder die Präsenz dieser Räder auf unseren Straßen sichtbar erhöht. Salzburg setzt auf eine App die dazu animiert, Rad zu fahren und auf spielerische Weise Informationen und Unterhaltung bereitstellt. Und immer wieder kommt die Idee auf, über so eine App Punkte zu sammeln, mit denen man vergünstigt einkaufen oder Kulturveranstaltungen besuchen kann. Problematisch ist allerdings bei dem für solche Bonuskarten nötigen Tracking der Datenschutz. Man möchte nicht immer, dass andere wissen, wie man wohin gefahren ist. Und es ist ja auch mehr Bestechung als Nudging. Für die Autofahrerwelt tut man das übrigens ohne Skrupel, etwa mit dem Schild an der Kasse zum kostenlosen Parken. 

Auf einer hochtechnologischen Ebene können auch Autofahrerhilfen dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf Gefahren zu richten und Zusammenstöße zu vermeiden, etwa wenn auf einem Head-up-Display (einer Projektion auf der Windschutzscheibe) Gefahrenstellen gezeigt werden,  beispielsweise Radlerquerungen wie es das MeBeSafe-Projekt für die EU entwickelt. Eher guerillaartiges Nudging sind Aufkleber für den Radverkehr mit coolen Sprüchen, Aussagen oder Informationen. 

In Deutschland reagiert die Presse (und sicher viele, die das hier lesen) gerne ablehnend auf Nudging. Wer will sich schon gern manipulieren lassen? (Eine differenzierte Kritik hier nachzulesen.) Dabei übersehen wir, dass das ständig geschieht. Und wir übersehen, dass wir immer die Freiheit haben, anders zu handeln, als uns nahegelegt wird, und das auch tun. Entscheidend ist, dass beim Nudging nichts verschwiegen oder vorenthalten wird, etwa so wie am Büffet, wo der Salat in der Mitte präsentiert wird, es aber am Rand auch Fleisch gibt. Ein Stupsen in Richtung umweltfreundlicher und deutlich weniger tötender Mobilität ist ja kein unsittliches Anliegen, ganz im Gegensatz zu der Präsentation von Süßigkeiten an der Kasse von Supermärkten, die Kinder verführen soll, Geschrei anzufangen, bis sie was kriegen, oder der Suggestion, das Leben sei ohne Auto weder denkbar noch bewältigbar, wie es Filme tun. 

"Nudges helfen Menschen vor allem dann, nach ihre wahren Präferenz zu handeln, wenn der Nutzen der Handlung erst verzögert eintritt, während die Kosten sofort spürbar sind", sagen zwei dänische Forscher. Sie helfen also dann, wenn Menschen wissen, dass Radfahren gesünder für sie und klimafreundlicher ist, es aber im Augenblick der Entscheidung zischen Auto und Fahrrad als anstrengender erscheint. Gesund sein wollen nämlich die meisten Menschen. Zu mir hat mal eine Autofahrerin in den Feinstaubhochzeiten gesagt: "Dann verbietet doch endlich das Autofahren in der Stadt, dann ist das mal klar, und ich fahre Fahrrad." Es scheint, als wollten manche durchaus zu ihrem Wohl gezwungen werden. Zumindest sind Menschen auch gern bei der Mehrheit dabei und wünschen sich zuweilen, die Mehrheit würde sich vernünftiger verhalten, zum Beispiel Fahrrad fahren, dann könnten sie das auch tun, ohne sich benachteiligt zu fühlen. Man kann auch sagen: Gute Beispiele und positive Vorbilder helfen. Der Rad fahrende Bundespräsident oder Fußballstar, die Rad fahrende Popqueen, Rad fahrenden Lieferanten,  Sozialdienste auf Fahrrädern, der Rad fahrende Nachbar, die Lastenrad fahrende Nachbarin ... 

Unsere positiv besetzte Bilderwelt könnte jedenfalls durchaus mehr Fahrräder vertragen. In allen Lebenslagen. 


14 Kommentare:

  1. Wie du sagst, beim Fahrrad wird gestupst, das Auto mit Abermilliarden gepusht. Solange das so bleibt (es müsste ja eigentlich zuvörderst massiv gegen das Auto gepusht werden, Pustekuchen...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. A propos, ich hatte dort besseres zu tun, wie sieht eigentlich das (dort produzierte) Fernsehen in den Niederlanden aus?

      Löschen
    2. Weiß ich nicht. Aber schon am Münster-Tatort sieht man, dass die Fahrradstadt durchaus Auswirkungen hat. Wobei man nicht vergessen darf: Auch die Niederländer:innen mögen ihre Autos und fahren auch gern Auto. Dort ist nur die Radinfrastruktur in Städten bequemer als die Autoinfrastruktur, deshalb fahren so viele Fahrrad.

      Löschen
    3. In den Niederlanden gibt es eine Neuzulassungssteuer (genannt Luxussteuer), die hierzulande Schnappatmung und Herzinfarkte auslösen würde. Für einen Porsche Cayenne beträgt sie locker 50.000 Euro. Aber auch die "normale" KfZ-Steuer ist um ein vielfaches höher als bei uns (für einen Golf ca. 600(?) Euro/Jahr). Das Ergebnis kann sich sehen lassen:
      https://www.greenpeace.de/infomaterial/SWirksamkeitvonNeuzulassungssteuern.pdf

      Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern

      Löschen
  2. #1 auf netflix ist der krimi "glass onion".
    dort assistiert ex-007 bei der bombastisch inszenierten zerstörung des auto-fetisches eines superreichen weißen manns, der als hirn- und rückgratloser vollidiot dargestellt wird. sein porsche wird buchstäblich plattgemacht.

    auch sonst hat der film ikonoklastische elemente:
    die dunkelhäutige heldin fährt taxi.

    ein gutes neues jahr!
    karl g. fahr

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Und für so einen Schwachsinn zahlst du dann auch noch einen extra monatliche n Beitrag? Na, bleibe ich doch lieber bei den viel gescholtenen öffentlich- rechtlichen Anstalten.
      Ebenso ein gutes Jahr
      Andreas

      Löschen
  3. Häufig findet man in den erwähnten Fernsehproduktionen deshalb auch dezent im Abspann den Hinweis, dass die Produktion von einem Autohersteller „unterstützt“ wurde.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ein ganz wichtiger push gegen das Auto, das Verbot jeglicher direkter oder indirekter Werbung...

      Löschen
  4. erinnere mich noch wie de journalist boris reitschuster mit seinem fahrrad an die bundespressekonferenz vorgefahren ist und aufgezeigt hat in welche karossen die ach so gruenen politiker steigen ^^

    AntwortenLöschen
  5. Lol. Reitschuster fuhr von mir aus Mal mit dem Fahrrad, ist aber sich kein Journalist. Er ist rechtsextremer Agitator

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Mist. Gedacht als Antwort an und den Beitrag von in anonym am 6.Januar23 21.04

      Löschen
    2. Inwiefern ist Boris Reitschuster rechtsextrem ? Kannst du mir Beispiele aufzeigen? Danke Andreas

      Löschen
  6. Die eine Kommissarin des Tatorts in Zürich fährt ebenfalls Fahrrad. Auch im Dienst und auch ohne Licht.

    Unrühmlich im Sinne des Beitrags ist sicher die Inszenierung des braunen Porsches im Stuttgarter Tatort.

    Insgesamt scheint mir aber das Handlungsfeld Polizeiarbeit der falsche Platz zu sein, den Kampf gegen das Auto zu führen.

    AntwortenLöschen
  7. In der Fernsehserie "Mord mit Aussicht" gab es einmal eine Verfolgungsjagd mit einem Gekko-Trike: https://www.velomobilforum.de/forum/index.php?threads/fernsehtipp-di-30-09-14-mord-mit-aussicht-gekko-trike-bei-verfolgungsjagd.39860/

    Beste Grüße
    Torsten

    AntwortenLöschen