Viele wollen abwarten, bis die Stadt fahrradfreundlich ist. Bis dahin fahren sie Auto, weil ihnen Rad fahren zu gefährlich erscheint.
Die taz hat im November eine junge Leserin aus der Schweiz eine "Verständnisfrage" stellen lassen. Sie fragt, warum Autofahrer:innen in der Stadt nicht längst aufs Rad umsteigen. Eine ältere Autofahrerin aus Krefeld antwortet sehr ausführlich und durchaus nicht autofreundlich. Sie habe tatsächlich vor einem Jahr mit dem Gedanken gespielt, sich ein Fahrrad zu kaufen, es aber verworfen. Denn so wie sie hinterm Lenkrad den Verkehr wahrnehme, erscheine ihr das Radfahren zu gefährlich. Die Stadt priorisiere das Auto, und Autofahrende würden sogar durch die Fahrradstraße brettern, in der sie wohnt. Sie mag Autos nicht, das ist klar. Allerdings ist sie Fotografin und muss 10 kg transportieren und das oft frühmorgens (also vermutlich bei Dunkelheit). Durch den Wald würde sie ja radeln, aber offenbar keinen Meter durch den Stadtverkehr.
Sie parkt ihr Auto in einer Garage, Blech habe nichts im öffentlichen Raum verloren. (Ihre Garagenmiete ist übrigens geringer als das Monatsticket für den Öffentlichen Nahverkehr.) Und sie bedauert es sehr, dass die Krefelder Polizei vor den Falschparkern kapituliert zu haben scheint. Sie wünscht sich Radwege (eine Radinfrastruktur), die lückenlos vernetzt sind, separate Ampelphasen für Autofahrende und Radfahrer:innen und viel mehr Platz für Menschen. Erst dann will sie aufs Fahrrad umsteigen. Am Schluss schreibt sie: "Ich glaube fest, dass ich das Ende der autogerechten Innenstadt noch erleben werde. Bis dahin fahre ich Auto."
Damit gehört sie zu den knapp 80 Prozent, die sich eine Stadtenwicklung wünschen, die Alternativen zum Auto stärkt. 60 Prozent sind ernsthafter am Radfahren interessiert, finden aber Umstieg nicht so recht, weil ihnen das Radfahren zu gefährlich und vielleicht auch zu umständlich erscheint. Denen würde am Anfang eine Begleitung durch Radfahrende helfen. Rund 33 Prozent wollen grundsätzlich nicht Rad fahren.
Ich würde die Fotografin aus Krefeld gerne ermutigen, sich das mit dem Fahrrad doch noch mal zu überlegen. Auch dafür gibt es gute Gründe.
Liebe Fotografin aus Krefeld: Wir Radfahrenden wissen, aus der Autoperspektive sieht Radfahren oft lebensgefährlich aus. Ist es aber nicht. Autofahrende erschrecken oft über Radfahrende, weil sie sie nicht kommen gesehen haben, doch die Radler:innen haben das Auto längst gesehen. Allerdings muss man anfangs schon sehr aufmerksam und bewusst radeln, auf den Untergrund achten, bewusst mehr als einen Meter Abstand zu geparkten Autos halten, sich den Platz auf der Fahrbahn nehmen, auch wenn ein Autofahrer hinter einem Überholabsichten erkennen lässt. Erst mal langsam radeln, sich Zeit nehmen. Zeit spart man ohnehin in der Stadt gegenüber dem Auto. Autofahrende haben oft gar keine Ahnung, wo die Radler:innen wirklich fahren, sie sehen sie ja nicht. Aber diese Wege durch die Stadt findet man: Parallelstraßen zur Hauptstraße oder Grünstrecken. Krefeld hat immerhin einen Fahrradstadtplan, auf dem ich recht viele Radverkehrsanlagen sehe, doch die pdf-Datei ist schwer zu händeln. Beim ADFC gibt es eine Fahrradkarte aus Papier. und mit der Bike-Citizens-App kann man Radrouten suchen und sich navigieren lassen.
Hätten Sie bereits ein Fahrrad, würden Sie vielleicht Ihren wichtigsten Wege mal an einem Sonntag abradeln und gucken, wie die so gehen. Radfahren in einer Stadt, selbst wenn sie die Heimatstadt ist, lernt man nicht in wenigen Tagen. Es dauert eine Weile, bis man die Routen herausgefunden hat, die man selber gerne radelt, und die Pfadfinderei fängt bei jeder neuen Strecke an, wenn man nicht die Nerven hat, einfach den Autohauptstraßen zu folgen. Sie werden Ihre Stadt jedenfalls neu entdecken. Sie könnten sich auch an den ADFC in Krefeld wenden und fragen, ob die Touren anbieten, die Ihnen helfen, die Stadt aus Radlersicht besser kennenzulernen. Klar, das macht man nur, wenn man seine Freizeit ab und zu auch auf dem Fahrrad verbringen will, hat man für die Freizeit zu viel anderes vor, dann eher nicht.
Die 10 kg Kameraausrüstung könnten Sie in einem Radanhänger transportieren, aber ich vermute, den brauchen Sie gar nicht, sie würde auch in Gepäckträgertaschen und eine Lenkertasche passen. Vielleicht haben Sie einen Kamerakoffer, den man auf den Gepäckträger mit Spanngurten befestigen kann. Und wenn Sie sich dann ein E-Rad (Pedelec) gönnen, spüren Sie das zusätzliche Gewicht nicht einmal. Wenn Sie Ihre Kamera griffbereit in einer Lenkertasche transportieren, werden Sie vermutlich alsbald immer mal wieder anhalten, sie rausholen und etwas fotografieren, denn auf dem Fahrrad sieht man viel mehr große und kleine, schöne oder kuriose Dinge als im Auto. Und zusätzlich weitet Radfahren die Sinne und damit auch den Blick.Gewohnheiten lassen sich nicht leicht ändern, ich weiß, besonders wenn einem die Nachbarin fehlt, die Rad fährt und begeistert die Vorteile aufzählen kann (und in die Geheimnisse des Stadtradelns einführen könnte), ist der Umstieg aufs Rad eine einsames Abenteuer, für das man im Alltagstrott selten den richtigen Moment findet. Anderseits ist es ein wunderbares Abenteuer, oder eher ein Erlebnis. Radfahren ist keine Strafe, sondern ein Gewinn an Lebensqualität und Lebendigkeit, den Sie sich jetzt noch gar nicht vorstellen können. Aber natürlich möchte ich Sie zu nichts überreden, denn Rad fahren muss man wollen, sich dazu zu zwingen, führt zu keinen guten Fahrten.
Ich sehe an Ihrer Antwort auf die Frage in der taz wieder mal ganz deutlich - und das mögen alle in ihre Überlegungen mit einbeziehen, die mir immer sagen, da radle ja keiner, wozu dort einen Radweg hinbauen? -, dass es jede Menge Potenzial gibt. Sie würden sich ein Fahrrad kaufen und dann vermutlich immer öfter mit dem Rad fahren, wenn Sie eine freundliche, einladende und stressfreie Radinfrastruktur in ihrer Umgebung und auf ihren üblichen Fahrwegen sähen. Das ist der Grund, warum entlang aller Autohauptstraßen auch gute Radstreifen und Radwege entlangführen müssen. Eine Angebotsplanung erzeugt mehr Radverkehr, und ein gleichzeitiges Bändigen des überbordenden Autoverkehrs erzeugt noch mehr Radverkehr. Denn die Leute wollen ja oft, sie trauen sich nur nicht.
Man sieht mal wieder: Die Terrorpropaganda der Autolobby, "Radfahren ist lebensgefährlich" und nur mit Helm und auf Radwegen möglich, ist erfolgreich.
AntwortenLöschenSobald das Fahrzeug kein "Verkehrshindernis" mehr ist, wird es plötzlich ganz ungefährlich. Motorradfahrer haben ca. vierfaches Todesrisiko bezogen auf den gefahrenen Kilometer. Wurden da jemals "sichere Motorradwege" gefordert ?
Ich fürchte, das lässt sich nicht vergleichen, Motorräder sind so schnell wie Autos. Für Autos allerdings haben wir extra-Wege, nämlich Autobahnen, wo sie so schnell wie möglich zwischen den Städten hin und her rasen können, unbehelligt von Hindernisse wie Kreuzungen oder langsam fahrenden Fahrzeugen. Autobahnen gelten als für Autofahrende als die sichersten Verkehrswege (weil da am wenigsten Unfälle passieren). Ungefähr so könnte es fürs Radfahren auch sein: lange Strecken, die weitgehende kreuzungsfrei mit dem Autoverkehr verlaufen. Warum sollen denn nur die Autofahrenden Fahrbahnen haben, die man von allem freigeräumt hat, was die zügige Fahrt stören könnte?
LöschenJörg
AntwortenLöschenich sehe da zwei Schienen. Zunächst bin ich einfach froh um die ehrliche und ausführliche Antwort und versuche ihre Sichtweise ernsthaft nach zu vollziehen.
Daraus ergeben sich grob zwei Handlungsstränge, den psychologischen, was hier oben beschrieben wird, wie kann ich auf die Person einwirken. Dann gibt es das Feld der äußeren Bedingungen, der Radinfrastruktur und dem Rechtsrahmen in dem wir uns bewegen.
Die beste Strategie weiteren Menschen das stadtverträgliche und gesundheitsförderliche Radfahren nahe zu legen wird die Doppelstrategie sein.
Wir sollten zuhören und versuchen zu eruieren, was die schlimmsten Angstmacher sind. Dann kann man diese gezielt angehen. Leider wird nicht alles umsetzbar sein. Schon der Punkt der Radführung über Kreuzungen bleibt immer beängstigend und gefährlich.
Die Stadt Köln hat in der vergangenen Dekade mässige aber durchgängige Radinfrastruktur angelegt das hat scheinbar vielen Leute die Angst genommen.
Für mich ist die Unterbrechung der Radwegestreifen an den Kreuzungen eines der größten Hindernisse in Stuttgart.
Auf der Seite der eigenen Einstellung können Kampagnen und Hilfestellungen bei der Routenwahl helfen. Wenn ich daran denke was ich für einen Mist ausprobiert habe bis ich den Weg zum neuen Standort, nach dem Umzug im Geschäft gefunden hatte. Die Fahrt über die Kreuzung Steiermärker Straße / Bregenzer Straße auf der Linksabbiegespur war einfach beängstigend und gefährlich. Die Strava Heatmap ist noch immer eine der besten Hilfestellungen bei der Routenwahl
Ich sehe immer wieder, dass es ganz schwierig ist, Autofahrenden das Radfahren zu erklären. Was vermutlich auch daran liegt, dass ihnen die Fahrräder zu instabil und im Grunde auch altmodisch-rückständig vorkommen. Sie haben bei den ersten Fahrten mit der Technik zu kämpfen - Balance, zwei Bremshebel, ein nicht sonderlich komfortables Licht bei Dunkelheit - und fühlen sich verletzlich. Hinzu kommt, dass sie mit mehr Sinnen Radeln müssen: Nebenher am Radio drehen, oder telefonieren oder die Gedanken schweifen lassen, das geht nicht. Der Boden auf dem sie sich bewegen, ist auch ein Faktor der Unsicherheit. Selbst erfahrene Radler:innen rutschen unerwartet auf Eisengittern oder einem glatten Pflaster aus, geraten mit Reifen in Rillen und stürzen und so weiter, wenn man zu schnell durch Gullis oder Schlaglöcher hoppelt, kann es einem den Lenker verreißen oder man verliert den Kontakt zu den Pedalen. Das sind zusätzliche Schreckmomente für Autofahrende. Neuradler:innen radeln oft mit Herzklopfen und fühlen sich dann an Kreuzungen im Gewusel der Autos noch unsicherer, weil sie so schon unsicher sind. Eine glatte und gut verständliche Radinfrastruktur kann da schon viel helfen. Schlaglochnebenstraßen mit zugeparkten Ecken und Rechts vor Links stressen eher, auch wenn wir routinierten Radler:innen die ganz gerne fahren.
AntwortenLöschen"Ich sehe immer wieder, dass es ganz schwierig ist, Autofahrenden das Radfahren zu erklären. Was vermutlich auch daran liegt, dass ihnen die Fahrräder zu instabil und im Grunde auch altmodisch-rückständig vorkommen."
AntwortenLöschenEs kann doch nicht sein, dass ich in einem so völlig anderen Land aufgewachsen bin. Zu meiner Schulzeit fuhr jeder und jede Fahrrad. Das verlernt/vergisst man nicht in der Weise.
Bemerkenswert ist u.U. auch, dass die Dame nur deshalb so einfach entscheiden kann, weil sie keinen nennenswerten Kostenunterschied zwischen Auto- und Fahrradnutzung spürt?
AntwortenLöschenDer "Convenience"-Gewinn beim Autofahren macht halt nur ein paar Hundert Euro pro Monat aus, der tatsächlichen Unterschied wird auf alle Menschen gleichmäßig verteilt.
Wäre die Verteilung fair, würde es vermutlich anders aussehen?
Stefan, FFB, Bayern
Was wäre eigentlich gewonnen, wenn die Fotografin gelegentlich mal enige Kurzstrecken bzw. "Teilstrecken" mit dem Rad durch den Wald zurücklegen würde, wie sie es in Erägung zieht?
AntwortenLöschenWürde Sie das Auto abschaffen? Nein, wie sie auch schreibt.
Würde Sie die Fahrleistung ihres Autogebrauchs senken? Nein, da Sie ja weiterhin die längeren Strecken mit dem Auto zurücklegen wird.
Das ganze Framing folgt mal wieder genau dem Muster von "Öfter mal bei STrecken unter 5Km das Auto stehen lassen", wohl wissend, dass damit für Umwelt und Klima exakt Garnichts erreicht werden kann, da die ohnehin nur sehr minimalen Positivwirkungen infolge der Antistauwirkung sich flugs neutralisieren oder gar ins Gegenteil verkehren.
Das hat nichts mit der notwendigen Verkehrswende zu tun, sondern stellt lediglich ein notwendiges Update für die weiter ansteigende Automobilisierung dar.
Alfons Krückmann
Leider wahr.
LöschenDie Anzahl der Leute, die immer noch nicht kapiert haben oder so tun, als hätten sie nicht kapiert, was die Klimakatastrophe wirklich bedeutet, ist schockierend.