5. März 2023

Radfahren triggert

Ich habe schon oft darüber geschrieben, dass das Fahrrad das dritte Element zwischen Auto- und Fußverkehr ist und deshalb hin- und hergeschoben und von Autofahrenden und Fußgänger:innen als störend empfunden wird. 

Der Radentscheid Bonn hat auf seiner Seite dem Gedanken unter dem Titel "Radfahren triggert - Und das ist auch gut so" einen Aspekt hinzugefügt, den ich interessant finde. Ausgangspunkt ist die Frage, warum Radfahrende Irritationen (manchmal sogar Aggressionen) auslösen. Wenn sie mit dem Rad etwas tun, was andere nur mit dem Auto tun, zum Beispiel den Wochenendeinkauf machen oder ins Büro fahren oder zum Opernbesuch, wird dieses Verhalten vom Autoabhängigen als abweichendes Verhalten bemerkt und irritiert zumindest unbewusst. Es ist aber nicht komplett absurd, sondern eigentlich vernünftig, und deshalb löst es bei etlichen eine Selbstrechtfertigungsreaktion aus. Schließlich ist ja allen bekannt, dass Radfahren besser für die Umwelt, für den von Autos vollgestopften Stadtverkehr, für einen selbst und für die eigenen Kinder ist. Und fast alle teilen den Wunsch nach einer weniger autogerechten und ruhigeren Stadt. Allerdings müssten sie dafür ihre eigenen Gewohnheiten ändern. Und das tun die meisten Menschen nicht gern. Radfahren löst dann bestimmte Abwehrmechanismen aus, es triggert. 

Zu den Abwehrreaktionen gehört die Rationalisierung: "Mein Weg ist zu weit" oder "Radfahren ist in Stuttgart lebensgefährlich" oder "auf dem Fahrrad kann ich nichts transportieren". Oder die Verschiebungen wie "Aber mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen!" oder "Aber Fleisch isst du noch, gell?". Und schließlich gibt es noch den Abwehrmechanismus der Identifikation: "Ich fahre ja selber Rad, aber ..." Unsere Auswahl der Mobilitätsform - das Radfahren - wird tatsächlich sehr oft als identitätsbildend angesehen: "Du als Radfahrerin ...". Und mir werden dann die Verkehrssünden anderer Radler erzählt, zu denen ich als Radfahrerin Stellung nehmen soll, etwas was man mit Autofahrenden oder Fußgänger:innen nie macht ("Sag mal, du als Fußgängerin, wieso gehen so viele Leute mit Handy vor der Nase über die Straße?"  oder: "Blinken scheint ja gar nicht mehr Mode zu sein unter euch Autofahrern.") Abwehrreaktionen zeigen aber eben auch, dass sich Leute mit einem Thema beschäftigen. 

Die Radmobilität hat eine zentrale Stellung in der Mobilitätswende. Dominik, der den Post des Radentscheids Bonn geschrieben hat, stellt fest, dass es eigentlich nicht schlecht sei, dass hier ein innerer Konflikt offenbar werde, denn er zeige, dass bei vielen der Wunsch nach Veränderung bestehe. Radfahren erscheint ihnen eben nicht abwegig, denn sonst würden sie sich damit gar nicht befassen, sondern als die eigentlich bessere Wahl, zu der sie sich nur noch nicht aufraffen konnten. Das ist ein erster Schritt, findet der Autor, hin zu einer Verhaltensänderung. Auch er schildert die unglückliche Stellung des Radverkehrs zwischen Fuß- und Autoverkehr, flankiert vom ÖPNV, was die vielen Reibungsverluste erklärt. Fußgänger:innen sind wir alle, und der Autoverkehr ist die dominierende Verkehrsart. Daraus folgert er: "Die Radmobilität hat eine zentrale Stellung in der Mobilitätswende. Die Diskussionen, die hier geführt werden, um die Umverteilung des Raumes, strahlen aus in die ganz prinzipielle Frage nach der Gestaltung des öffentlichen Raums und des gerechten gesellschaftlichen Miteinanders. Radmobilität ist mehr als nur Radfahren. Auch der Radentscheid hat sich immer dazu bekannt, dass die Radmobilität ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur klimagerechten, kinderfreundlichen und lebenswerten Stadt ist. Radverkehrsförderung ist also kein Selbstzweck, sondern unabdingbarer Bestandteil einer nachhaltigen Stadtplanung. Häufig wird in diesem Zusammenhang verkannt, dass Fahrradaktivisten in aller Regel nicht allein für sich selbst lobbyieren, sondern für die noch nicht radelnde Mehrheit, die zum Radfahren animiert werden soll. Ziel ist ja eben mehr Radmobilität. Die Fahrradverrückten selbst würden auch noch Fahrradfahren, wenn es gar keine Radwege gäbe." 

Radfahren triggert also positiv, denn es setzt bei allen, die mit uns Radfahrenden konfrontiert sind, mehr oder minder unbewusst den Gedanken in Gang, dass es eigentlich besser wäre, weniger Auto zu fahren. Insofern kämpfen wir alle hier  - in dem wir einfach nur Rad fahren und indem wir politische Forderungen aufstellen - gar nicht für uns selber, sondern für gute und bequeme Radwege für all diejenigen, die künftig das Auto stehen lassen und Radfahren wollen und es auch tun werden, sobald die Infrastruktur fürs Fahrrad einladender und die fürs Auto weniger bequem geworden ist. 

1 Kommentar:

  1. "sobald die Infrastruktur fürs Fahrrad einladender und die fürs Auto weniger bequem geworden ist"

    "Bald" wird da leider gar nix...

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