Eigentlich hätte alles so bleiben können, wie es ist: Auf einer neu asphaltierten Straße sind Autos und Fahrräder zwischen Degerloch und Birkach unterwegs. Höchstgeschwindigkeit ist 40 km/h.
Die wurde 2010 angeordnet, weil die Fahrbahn so schlecht war, dass man nicht mehr 60 fahren konnte. Nun ist sie wieder schön. Und flugs hatten die Freien Wähler und die CDU im Bezirksbeirat Birkach die Idee, jetzt könnte man doch wieder mit 60 da lang düsen, und beantragen eine Prüfung. Weil die SPD sich enthielt, ging der Antrag an die Stadtverwaltung. Die Verkehrsbehörde musste feststellen, dass der verkehrsrechtliche Grund - nämlich die schlechte Fahrbahn - weggefallen sei. Doch inzwischen fahren hier deutlich mehr Menschen mit dem Fahrrad. Deshalb prüft die Verkehrsbehörde jetzt eine Fahrradstraße. Dies unterstützt ein Antrag von Grünen, SPD, Linksbünndis und Puls im Gemeinderat: Eine für den Kfz-Verkehr freigegebene Fahrradstraße soll auf dem Königsträßle zwischen Jahnstraße und Schönberg eigerichtet werden. Und jetzt schlägt die Diskussion Purzelbäume.
Offensichtlich wissen viele in Stuttgart und darum auch etliche in Birkach und Schönberg nicht so genau, was eine Fahrradstraße ist, und vor allem wissen sie nicht, dass solche Fahrradstraßen in Stuttgart praktisch nie für den Autoverkehr gesperrt werden. Das könnte natürlich so sein, ist aber hier weder beantragt noch angedacht. Allerdings gilt auf einer Fahrradstraße eben Tempo 30 und von Autofahrenden wird ein extrem rücksichtsvolles Verhalten erwartet. Und wer von 40 auf Tempo 60 wollte, will natürlich nicht Tempo 30. Auch wenn es die eigenen Kinder oder Enkel sein könnten, die auf dem Königsträßle mit dem Fahrrad zu den Sportplätzen unterwegs sind, glücklich, dass sie nicht mehr von den Eltern gefahren werden müssen.Eigentlich wäre die Fahrradstraße mit Kfz-Freigabe etwas gewesen, dem die Parteien im Bezirksbeirat ruhig hätten zustimmen können, vor allem diejenigen, die im Gemeinderat Maßnahmen gegen den bedrohlichen Klimawandel unterstützen und den selbstaktiven Verkehr, also Radfahren und zu Fuß Gehen, stärken wollen. Dennoch fiel die Entscheidung im Bezirksbeirat am vergangen Montag gegen den interfraktionellen Antrag auf Fahrradstraße aus, weil sich ein SPD-Mitglied der Stimme enthielt. Dabei hatte derselbe Bezirksbeirat erst 2020 mit großer Mehrheit für einen Antrag der Grünen gestimmt, der eine Fahrradstraße mit Autoverkehr auf dem Waldabschnitt zwischen Degerloch und Schönberg forderte. Also genau das, was jetzt in Aussicht steht. Was ist denn da passiert?
Fotos von Blogleserin Carmen |
Verfahrener (im wahrsten Sinn des Wortes: da haben sich die Autoanhänger grünlich verfahren) könnte die Situation kaum sein, die durch die Forderung nach Rückkehr zum Schnellfahren auf schmaler Straße entstanden ist. Das Königsträßle ist meistens nicht breiter als 5 Meter. Mit dem Auto kann einen Radfahrer dort nur überholen, wer ganz nach links an den Fahrbahnrand fährt. Denn da es sich um eine Außerortsstrecke handelt, gilt nicht der 1,5-Meter-Abstand, sondern es müssen 2 Meter eingehalten werden.
Viele Autofahrende, die das Königsträßle regelmäßig nutzen, argumentieren, dass es die kürzeste Verbindung zwischen Schönberg nach Degerloch zum Einkaufen darstelle, Degerloch die Kundschaft brauche und man durch Umwege über die Mittlere Filderstraße mehr CO2 produziere, was ja nicht gewollt sein könne. (Mit dem Fahrrad - wie mit dem Auto - sind es fünf Kilometer nach Degerloch, eine tolle Waldstrecke hätte man auch noch!) Allerdings sehe ich noch eine andere Autoverbindung über die Ohnhold- und Epplestraße (größtenteils ohne Radinfrastruktur) ins Degerlocher Einkaufsgebiet, die nur einige hundert Meter länger ist als die Strecke Königsträßle und Löwenstraße zur Epplestraße. (Und dann hat man noch keinen Parkplatz gefunden und kreist noch etwas durch Degerloch.) Die armen Anwohner:innen der Löwenstraße freuen sich auch, wenn da nicht mehr so viele Autofahrende durchheizen. Radfahrende berichten mir, dass sie in der Löwenstraße von aggressiven Autofahrenden immer wieder in Bedrängnis gebracht werden.
Ob man das Königsträßle ab Ortsausgang Degerloch für den Durchgangsverkehr sperrt, also nur Anliegern die Durchfahrt erlaubt, spielt eigentlich keine Rolle, weil sich Autofahrende an solche Verkehrsregeln nicht halten. Die einzige Möglichkeit eines pfleglichen Miteinanders ist eine Fahrradstraße mit Tempo 30. Außerdem sind hier nicht nur am Sonntag, wo das Königsträßle für den Autoverkehr gesperrt ist (was auch etliche nicht kümmert), zahlreiche Spaziergänger:innen unterwegs, die teils aus versteckt liegenden Waldwegen herauskommen.
Angesichts der Herausforderungen, im Verkehrssektor CO2 zu reduzieren (und zwar ernsthaft), ist mir eine Forderung nach Schnellfahren und eine Ablehnung der Unterstützung für den Radverkehr völlig unverständlich. Wie aus der Zeit gefallen. Eine wirklich seltsame Geschichte!
wer hat uns verraten?
AntwortenLöschenkarl g. fahr
Es wäre wünschenswert, wenn die Fahrrad-Bubble von 'echten' (Ohne ZZ) und 'unechten' (mit ZZ) Fahrradstraßen rede würde. Dann würde es auch der Normalbürger sofort verstehen. Ferner, das Wort 'Schutzstreifen' wieder mit 'Orientierungsstreifen' ersetzen. Klaus Maier
AntwortenLöschenDer "Schutzstreifen" sollte "SchMutzstreifen" oder "Mordstreifen" genannt werden. Als "Orientierungsstreifen" aber auf gar keinen Fall, denn dann fungiert der Schutzstreifen als das, wofür er erfunden wurde: Die Drängung des Radverkehrs an den Rand.
LöschenWer mit einem bisschen Hirn kann sich dort eigentlich enthalten? Und nicht antizipieren, dass die Entscheidung für den Radweg damit den Bach runtergeht?
AntwortenLöschenFür mich scheidet die SPD damit als progressive Kraft aus, das ist plumpes Anbiedern an den Auto-Mainstream und die bürgerlichen Parteien.
Kerzengrade, hunderte Meter weit einsehbar. Ich prognostizierte mal, dass da trotzdem durchgeballert wird.
AntwortenLöschenGrüße Georg
Recht hast du.
LöschenWechselnde Kübel alle paar 100 m würden das Problem elegant lösen. Und wären für Radler kein Hindernis.
Ich kann eh nicht begreifen, warum die Autos nicht die Mittlere Filderstraße fahren. Die Ausrede mit dem CO2-Verbrauch kriegt eine glatte 10 auf der nach oben offenen Wissing-Skala.
Dies Begründung höre ich jedes Mal, wenn es darum geht, dass Autofahrende zugunsten des Rad- oder Fußverkehr Umwege fahren sollen. Wir könnten doch das Mehr an CO2-Ausstoß nicht wollen, der sie im Übrigen nicht kümmert, wenn sie für zwei bis drei Kilometer ins Auto steigen, statt das Rad zu nehmen oder zu Fuß zu gehen. Natürlich ist das ein vorgeschobenes Argument. Aber wir müssen halt immer auch eine Antwort dafür haben.
Löschendie Einwohner von Schönberg sind keine ÖPNV Klientel und fahren alle mit dem Auto, zudem liegt der Ort für Radfahrer ungünstig an einem 15%-igen Hang. Der Weg in die Stadt führt über das Königsträssle wesentlich direkter nach Degerloch und von dort weiter in die City. Den Autoverkehr wird man deshalb nicht weg bekommen - eine Fahrradtrasse mit langsamem Autoverkehr könnte möglich sein und wäre schon prima.
LöschenTho
Stimmt schon, da ist es steil, aber mit den heutigen Pedelecs ist das mit nicht allzugroßer Anstrengung zu schaffen, und wenn man oben ist, ist die Strecke eigentlich wunderschön. Dass Menschen ihre Gewohnheiten nicht so schnell umstellen, ist mir schon klar. Aber die Argumente, die ich gehört habe, waren ja nicht, dass man übers Königsträßle schneller in der Stadt ist, sondern, dass man in Degerloch einkaufen wolle, was Degerloch brauche. Schneller in der Stadt ist man sowieso über die Mittlere Filderstraße, man ist immer schneller auf großen Autostraßen als wenn man durchs Gewinkel fährt. Die Argumente taugen nicht, wenn man sie überprüft. Von Sperrung ist ja auch keine Rede. Und vielleicht entdecken die Schönberger:innen die Mittlere Filderstraße für ihre Fahrten in die Stadt ja, wenn sie auf dem Königsträßle nur noch 30 fahren dürfen. So muss ja auch die Push-and-Pull-Politik sein: Radfahrenden was andbieten und das Autofahren nicht mehr ganz so bequem machen (bequem bleibt es ja, für diejenigen, die sich nicht selber bewegen wollen, immer noch).
LöschenWieso muss man eigentlich immer in den nächsten Ort zum Einkaufen? Was ist das für eine beschissene Einstellung gewisser Autofahrer?
AntwortenLöschenBizarr, dass so simple Methoden wie section-control oder verpflichtende Tempomaten ungeachtet aller Probleme mit Klimaumbuch weiterhin auf der Tabuliste stehen, und dass dies nach wie vor gesellschaftlich unangefochtener Konsens ist.
AntwortenLöschenDer Automlbilismus ist halt tief in die Eingeweide des homo 'sapiens' hineingefahren.