29. Januar 2024

Die arrogante Platzverteilung

Autofahrende beanspruchen am meisten Platz in einer Stadt. Für Radfahrende und Fußgänger:innen bleiben nur die Radflächen. 

Autofahrende stellen zwar eine große Gruppe dar, aber nicht die absolute Mehrheit in der Stadt. Die meisten Menschen sind zu Fuß, in Bussen und Bahnen und mit dem Fahrrad unterwegs. Sie stellen die im Grunde unsichtbare Mehrheit in unseren Städten. Aber den meisten Platz in einer Stadt bekommen die Autofahrenden zugesprochen. Den wenigsten die Radfahrenden. 

Der kanadisch-dänische Stadtplaner und Stadtmobilitätsexperte Mikael Golville-Andersen hat für diese Platzverteilung das Wort "Arroganz" gewählt. Er hat ein Tool entwickelt, mit dem wir selbst anhand eigener Fotos oder Bildschirmfotos von Stadtplänen die Platzverteilung markieren können. Ich habe das mal für den Charlottenplatz gemacht (Auswertung siehe unten). 

Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern brauchen, weil sie keine 2 Tonnen um sich herum transportieren müssen, natürlich auch weniger Raum. Meistens reichen die  Gehwege auch, aber sie stehen sehr oft auf kleinen Verkehrsinseln zu sammengequetscht und warten auf Grün. Der Autoverkehr wird immer nur kurz angehalten, damit sie weitergehen oder radeln können. Dabei sind vielfach mehr Menschen zu Fuß und auf Rädern unterwegs als solche, die gleichzeitig an dieser Stelle im Auto sitzen. 

Auf dem Foto sieht man den zwei Meter breiten Gehweg in der Tübinger Straße. Die Fußgänger:innen drängen sich und laufen in Kollonne. Die Fahrbahn ist vier Mal so breit und wird auf beiden Seiten von herumstehenden Autos belegt. Weiter hinten sieht man ein paar Radler:innen und ein Auto. Diese Fahrradstraße ist übrigens nur deshalb so breit für Radfahrende, weil auf ihr auch immer noch Autofahrende mit ihren Autos bequem aneinander vorbeikommen können sollen. Die meisten Menschen sind aber nicht dort, sondern auf dem Gehweg unterwegs. Würden hier nur Rad:lerinnen fahren und keine Autos, würden diese Fußgänger:innen sich mehr Raum nehmen und auf der Fahrbahn laufen. 

Und auf diesem Foto von der Kreuzung am Tagblattturm sieht man die Arroganz der Raumreservierung noch krasser. Wir sehen einen einzigen Menschen, der hier in seinem Auto unterwegs ist auf einer riesigen Fläche aus Asphalt mit vielen weißen Markierungen, während die zahlreichen Fußgänger:innen sich an der Baustelle entlang auf dem viel zu schmalen Gehweg entlang drücken und mit Schranken zum Zebrastreifen geleitet werden. 

Wie krass arrogant die Platzverteilung ist, zeigt natürlich auch der Charlottenplatz, die ich mit dem Tool mal markiert habe. Grob 80 Prozent des Platzes sind für Autofahrende  reserviert (obgleich sie diesen Platz nur an vier Stunden am Tag zur Haupverkehrszeit wirklich belegen), Fußgänger:innen haben ungefähr 12 Prozent, Radfahrende haben immerhin 8 Prozent, wobei sie sich die Hälfte der Flächen mit dem Fußverkehr teilen. 



11 Kommentare:

  1. In Deutschland kommt zur 'arrogance of space' auch noch die 'arrogance of speed' der Autofahrer, denn zügiges Vorwärtskommen gibt es laut StVO nur für diese.

    AntwortenLöschen
  2. Ist das überraschend ? Nein. Denn nur Autofahrer beanspruchen immer Platz für zwei in der Breite und fahren gerne leere Beifahrersitze in der Gegend rum. Und natürlich brauchen sie auch Lagerplatz in der Straße für ihre Stehzeuge ( Über 90% eines Autolebens ist unbenutzt herumstehen).

    AntwortenLöschen
  3. Ein zusätzliches Problem ist dann noch, dass Gehwege und Radwege als "Verfügungsmasse für KFZ" angesehen werden.
    In Heidelberg wird regelmäßig bei Gegenverkehr in engen Straßen automatisch ohne Nachdenken der Gehweg mitbenutzt. Nicht langsam und vorsichtig so zum Ausweichen, nein mit der normalen Fahrgeschwindigkeit. Ich bin fast mal beim Herauskommen aus einer Hofeinfahrt auf dem Gehweg von so einem rasenden Ausweicher angefahren worden. Ich bin tierisch erschrocken und habe mich dann tierisch aufgeregt. Wozu hat man denn Gehwege, wenn man da als Fußgänger auch nicht sicher ist.
    Hier wird das Ausweichen auf den Gehweg sogar vom Gegenverkehr eingefordert und von den meisten einfach ohne Nachdenken praktiziert.
    Das muss auf jeden Fall aufhören und es muss ein Umdenken bei der Platzverteilung stattfinden.
    Karin

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich finde für Deutschland keine entsprechenden Zahlen, aber aus dem Vereinigten Königreich ist bekannt, dass dort jedes Jahr etwa 50 Menschen auf Gehwegen von Motorisierten getötet werden. In Deutschland dürfte es daher ähnlich aussehen.

      Löschen
  4. Liebe Karin, das ist bei uns natürlich auch das Problem, dieses schnelle Fahren über Gehwege, um dem Gegenvekehr auszuweichen. Ich habe das mal mit dem Fahrrad nicht gemacht, als mir eine Autofahrerin entgegenkam. Ich habe ihr erklärt, ich könne nicht einfach auf den Gehweg hochfahren, da sei Radfahren verboten. Sie hat ziemlich perplex geguckt.

    AntwortenLöschen
  5. "Grob 80 Prozent des Platzes sind für Autofahrende reserviert"

    und wie sieht es mit den Autoparkenden aus?

    Ein fragender Bloglesender

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Die 80 Prozent schließen grob summarisch die abgestellten Fahrzeuge mit ein. Für den hier analysierten Charlottenplatz gilt das nicht, da ist halt die Fahrfläche riessig, aber für beparkte Straßen schon, die ja auch schmaler sind.Auf und entlang einer Autobahn sind 100 Prozent für Autos reserviert, in einer Spielstraße vielleicht nur 20 Prozent. Es variiert.

      Löschen
  6. Jörg
    Wegen dem Platzverhältnissen halte ich das Salzverbot auf Geh und Radwegen für ungeeignet zur Umweltrettung. Und da sind ja nicht mal Autobahnen und Landstraßen dabei. 1 km 6 spurige Autobahn sind 20 km sehr breiter Gehweg.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, zumal man auch auf steilen Gehwegen Salz streuen darf. Ich finde auch, dass wir an die Radinfrastruktur nicht strengere Umweltmaßstäbe anlegen sollten, als sie für Autostraßen gelten. Aber wir Radler:innen haben halt oft auch ein Umweltbewusstsein, und da sehen wir das halt manchmal als problematisch an.

      Löschen
  7. In Japan gibt es übrigens überhaupt keine öffentlichen Parkplätze auf der Strasse und die (Auto-)Wirtschaft funktioniert trotzdem sehr gut. Da könnten wir uns daran ein Beispiel nehmen, siehe:
    https://www.wiwo.de/my/unternehmen/dienstleister/autoverkehr-wie-japan-das-totale-parkverbot-auf-oeffentlichen-strassen-durchsetzt/29152710.html

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. So wie ich das gelesen habe, gib es aber durchaus öffentliche Autoabstellflächen, zu denen man dann hingehen muss. Also so ganz ohne Platzfraß für abgestellte Autos kommen die auch nicht aus.

      Löschen