Wie könnten Journalist:innen besser - also neutraler - über tödliche Zusammenstöße im Straßenverkehr berichten? Dieser Frage ist Tara Goddard von der Texas A&M University 2019 nachgegangen.
Die Ergebnisse der Studie sind auf Englisch nachzulesen. Ich fasse sie hier zusammen. Goddard wunderte sich darüber, dass die zunehmende Zahl von Todesfällen bei den Fußgänger:innen in den USA keine öffentlichen Aufrufe zum Handeln erzeugten, und stellte fest: Die Art und Weise, wie die Presse berichtet, entscheidet darüber, beim wem die Lesenden die Schuld suchen: beim Menschen, der Auto fährt, bei der Person, die zu Fuß gegangen (oder Rad gefahren) ist, oder bei der schlechten Infrastruktur. Für die Studie wurden 999 Proband:innen je eine von drei Versionen eines Nachrichtentextes vorgelegt, in dem der tödliche Verkehrsunfall eines Fußgänger beschrieben wird. Danach sollten die Proband:innen sagen, wen sie für schuldig hielten, eine angemessene Bestrafung für den Autoahrer vorschlagen und Ansätze zur Verbesserung der Verkehrssicherheit bewerten. Das Ergebnis war eindeutig und sollte allen, die Nachrichtenmeldungen über Verkehrsunfälle schreiben, zu denken geben. Zumal es eine Lösung gibt.
Hier zunächst auf Deutsch übersetzt die drei Versionen des Pressetextes.
Version 1Fußgänger angefahren und getötet
Die Polizei untersucht einen tödlichen Unfall auf der East Side vom Samstagabend. Kurz vor 19 Uhr wurde die Polizei zum Block 2500 der North Main Street gerufen, wo ein Fußgänger von einem Auto angefahren worden war. Laut Polizei wollte ein 46-Jähriger dunkel gekleideter Mann die Main Street überqueren, als er angefahren wurde. Der verletzte Fußgänger war am Unfallort nicht ansprechbar und starb Berichten zufolge auf dem Weg ins Krankenhaus. Laut Polizei war der Autofahrer nicht alkoholisiert und blieb am Unfallort.
Version 2
Autofahrer überfährt Fußgänger und tötet ihn.
Die Polizei untersucht einen tödlichen Unfall auf der East Side am Samstagabend. Kurz vor 19 Uhr wurde die Polizei zum Block 2500 der North Main Street gerufen, weil ein Autofahrer einen Fußgänger angefahren hatte. Nach Angaben der Polizei wollte ein 46-jähriger Mann die Main Street überqueren, als der Autofahrer ihn mit seinem Wagen anfuhr. Der verletzte Fußgänger war am Unfallort nicht mehr ansprechbar und starb Berichten zufolge auf dem Weg ins Krankenhaus. Nach Angaben der Polizei war der Fahrer nicht alkoholisiert und blieb am Unfallort.
Autofahrer überfährt Fußgänger und tötet ihn. Zahl der Todesfälle von Fußgängern nimmt stadtweit zu.
Dies ist der achte Todesfall eines Fußgängers in der Stadt in diesem Jahr, das sind 20 % mehr als im letzten Jahr um diese Zeit. Drei Fußgänger sind auf diesem Abschnitt der Main Street ums Leben gekommen, der zwar ein belebter Einkaufsbereich ist, aber auch hohe Geschwindigkeiten und fehlende Straßenbeleuchtung aufweist.
Die redaktionellen Berichterstattungsmuster beeinflussten die Meinung der Lesenden signifikant. Im Vergleich zum fußgängerzentrierten Text wiesen die Leser:innen des Autofahrer-benennenden Textes dem Autofahrer 30 Prozent mehr und dem Fußgänger 20 Prozent weniger Schuld zu. Während fast ein Drittel der Leser:innen des fußgängerorientierten Textes der Meinung war, dass die Autofahrer nicht bestraft werden sollten, waren nur 19 Prozent der Leser:innen des fahrerorientierten Textes der Meinung, sie sollten nicht bestraft werden. Außerdem sprachen sie sich generell für härtere Strafen für Autofahrende aus. Auch die Leser:innen des thematisch einordnenden dritten Textes stimmten eher (aber nicht ganz so vehement) einer Bestrafung des Autofahrers zu und befürworteten zu rund 24 Prozent höhere Strafen für den Autofahrer als die Leser:innen des ersten Textes. Und sie waren geneigt, sich Gedanken über eine Verbesserung der Fußgängerinfrastruktur zu machen und entsprechende politische Maßnahmen zu unterstützen.
Das Ergebnis dieser Studie ist eindeutig: Schon geringfügige Änderungen in der Berichterstattung über Zusammenstöße von Autofahrenden mit Fußgänger:innen (und Radfahrenden) erzeugen bei den Lesenden eine andere Wahrnehmung des Geschehens und der zu ziehenden Konsequenzen. Die üblichen redaktionellen Berichts-Standards erleichtern es, die Opfer von Zusammenstößen zu beschuldigen und die Verantwortung des Autofahrers auszublenden.
Und noch ein Element ist wichtig: die sogenannten kontrafaktischen Aussagen über das Opfer. Hier ist es die Aussage, der Fußgänger sei dunkel gekleidet gewesen, die nur in Variante 1 vorkommt, die sich auf den Fußgänger konzentriert. Bei Unfällen mit Radfahrenden ist es oft die Mitteilung "trug Helm", "trug keinen Helm". Sie suggerieren, dass das Opfer nicht Opfer geworden wäre, wenn es keine dunkle Kleidung oder einen Helm getragen hätte, und erleichtert es den Lesenden, das Opfer für "selber schuld" zu halten.
Autos werden von Menschen gesteuert. Darüber, dass das Wort "Unfall" uns in die Irre führt, weil es Fahrfehler hinter schicksalhafter Unausweichlichkeit versteckt, habe ich bereits geschrieben. "Unfall" stellt das Opfer ins Zentrum und blendet aus, dass im Auto ein Mensch saß, der einen folgenschweren Fahrfehler gemacht hat. Ich verstehe, dass es oftmals zu gesucht klingt, wenn man statt Unfall Crash oder Zusammenstoß schreibt. Aber das so naheliegende Wort "Unfall" verführt uns dazu, in der Schlagzeile nur das Opfer zu nennen "Radfahrer stirbt bei Unfall" und den Unfallverursacher - der ja oft eindeutig erkennbar ist - zu verschweigen. Dasselbe gilt für passivische Formulierungen wie "Radfahrer wurde angefahren". Formulieren wir aktiv "Autofahrer hat Radfahrer angefahren" oder "Autofahrer stößt mit Radfahrer zusammen" dann klingt es nicht mehr schicksalhaft, sondern nach einem Geschehen, das sich zwischen zwei Menschen ereignet hat.
Allzu gern lässt man der Kürze wegen bei aktivischen Formulierungen übrigens den Fahrer weg. Dann lesen wir "Auto fährt Fußgänger an." Diese Formulierung entpersönlicht wiederum das Geschehen. Autos sind keine Menschen, sie können keine Entscheidungen treffen. Es ist immer der Fahrer oder die Fahrerin, der oder die andere anfährt. Das Argument, es sei ja das Auto, das mit dem Radfahrer zusammenstößt, nicht der Fahrer, zieht auch nicht. Denn wir würden nie schreiben oder sagen "Fahrrad stößt mit Fußgänger:in zusammen", da sagen wir immer "Radfahrer stößt mit Fußgänger zusammen". Den Menschen auf dem Fahrrad sehen wir ja auch immer, den Menschen im Auto sehen wir oft nicht.
Stuttgarter Zeitung, 9. Febr. 24 |
Ich weiß, dass das schwierig ist, sich von den Formulierungen in den Polizeimeldungen zu lösen, die oft Grundlage kurzer Pressemeldungen sind. Die Polizei ist gehalten, ein Geschehen, wo möglich, mit Passivkonstruktionen zu beschreiben. Sie stellen automatisch das Opfer ins Zentrum. Außerdem kommt Journalist:innen auch das erlernte Bedürfnis in die Quere, zuerst die Verletzten und Toten zu nennen. Das sieht man auch an dieser - zufällig gesehenen - Meldung "Fußgänger angefahren". Statt gleich am Anfang zu schreiben: "Autofahrer fährt (beim Abbiegen Fußgänger) an", und dann die Geschichte zu erzählen, beginnt die Geschichte vage mit dem schlimmen Ereignis, das über den Fußgänger hereingebrochen ist. Und danach wird ausführlich erklärt, warum der junge Autofahrer letztlich den Fußgänger auf dem Fußgängerüberweg "übersah", also irgendwie ja auch gar nichts dafür konnte. (Der Fußgänger haftet dafür mit seinen Schmerzen, und die können wochenlang andauern. Der junge Autofahrer haftet nur finanziell.) Bei allem Verständnis für den Redaktionsalltag und die gelernten Muster der Berichterstattung, so sollte man es eigentlich heute nicht mehr machen.
Aufs Detail kommt es an. Es ist eben nicht egal, wie wir eine Geschichte präsentieren. Allen, die in den Medien arbeiten, sollte bewusst sein, wie wir mit unseren Worten und Satzkonstruktionen die Einschätzung de Lesenden und Zuhörenden in eine bestimmte Richtung lenken. Und wenn es nicht die Absicht einer Zeitung oder eines Senders ist, den Autoverkehr zu verharmlosen, Autofahrende zu entschuldigen und den Fußgänger:innen und Radfahrenden stets eine Mitschuld und Mitverantwortung an den schmerzhaften oder tödlichen Zusammenstößen der Autofahrenden mit ihnen zu geben, dann sollte man diese Berichte jetzt wirklich anders formulieren.
Deinen Text sollten mal die Presseabteilungen der Polizei lesen und für diesen Aspekt des Schreibens sensibilisiert werden.
AntwortenLöschenKarin
Informationen zur dunklen Kleidung des Hauptgeschädigten, nennt man kontrafaktisch. Informationen über die Zahl der in der Stadt getöteten Fußgänger nennt man Einordnung. Informationen zur nicht vorhandenen Straßenbeleuchtung erhalten keine Wertung.
AntwortenLöschenSo geht's nicht.
Ich unterstelle mal, dass es zum Unfallzeitpunkt um 19:00 Uhr bereits dunkel war. Dann ist sowohl die dunkle Kleidung des Geschädigten als auch die fehlende Beleuchtung eine relevante Information.
Nicht jede Tatsache ist relevant. Bei bester Sicht ist Kleidung und Straßenbeleuchtung irrelevant und "Trug keinen Helm" ist nur relevant, wenn der Helm die Unfallfolgen wesentlich verringert hätte.
Weitere relevante Informationen wie z.B. zur Geschwindigkeit des Autofahrers, Alkoholisierung des Getöteten oder Zeugenaussagen wären wünschenswert, stehen aber dem Journalisten oft nicht zur Verfügung.
Ein Unfall ist nicht schicksalhaft. Oft kommt es zu Unfällen, weil mehrere Beteiligte sich falsch verhalten haben. Der Schwächere trägt zwar den größeren Schaden, deswegen ist er aber nicht automatisch nur Opfer. Über den Tatbeitrag entscheiden nicht Journalisten sondern Richter und das ist gut so.
Lieber 'Volker. Wenn du die "dunkle Kleidung" beschreibst, gibts du dem Fußgänger eine Mitschuld an seinem Unfall, und zwar ungeachtet dessen, ob er in der Straßenbeleuchtung gut sichtbar war, der Autofahrer mit dem Handy gelefoniert hat und unaufmerksam war oder anderer Faktoren, die dazu geführt haben - in dieser völlig fiktiven Meldung übrigens - dass ein Autofahrer einen Fußgänger angefahren hat. Ohne alle anderen Faktoren zu betrachten, geht es halt nicht, das man einen Punkt rausgreift und ihn gewissermaßen zu einem wichtigen Punkt erklärt, zufällig dann auch der, der dem Opfer sagt: selber schuld. Das ist mit dieser Untersuchung gemeint. Die Ungtersuchung interessierte aber auch noch, wie die Lesenden den - völlig fikiven- Unfall beurteilen, wenn man dazu sagt, dass an dieser Stelle oder in der Umgebung rechgt viele Fußgänger:innen angefahren werden. Dann nämlich, so das Ergebnis, überlegen sich die Lesenden, ob es nicht bessere Schutzmaßnahmen für Unfälle geben müssten. Es geht nicht um diesen - völlig fiktiven - Zusammenstoß von Fußgänger und Autofahrer, sondern darum, wann Menschen, dem Opfer die Schuld geben, und wann dem unverletzt gebliebenen Autofahre (der also kein Opfer ist). Da im Text nicht gesagt wird, ob es Sommer oder Winter ist, ist die Schlussfolgerung, es sei um 19 Uhr dunkel gewesen, übrigens auch so eine, die lediglich aus den Textbausteinen hervorgeht, nicht, also auch sozusagen dem Lesenden aufgedrängt wird.
LöschenNein, ich möchte niemandem eine Mitschuld geben. Wie geschrieben, überlasse ich das gerne einem Richter. Mir geht es um Unfallvermeidung.
AntwortenLöschenVon einem Journalisten erwarte ich relevante Fakten. Dunkle Kleidung und fehlende Beleuchtung sind relevant bei Dunkelheit, nicht aber bei guter Sicht. Der typische Leser ist ja nicht doof. Der kann sich dann selbst eine Meinung bilden und z.B. helle Kleidung tragen. Mir ist das wichtig. Und zu den Lesern gehören selbstverständlich auch Leute, die für die Straßenbeleuchtung zuständig sind.
Ich fahre auch bei Dunkelheit mit dem Fahrrad, immer mit Licht, aber das könnte auch mal ausfallen. Beim letzten Jackenkauf gab es nur dunkles Zeug für Männer. Reflektierende Elemente - Fehlanzeige! Warnweste ist mir zu blöd. Im Sportgeschäft bin ich dann fündig geworden und da habe ich die Damenversion gewählt. Vom Schnitt nicht ganz optimal, dafür gab es einen Reflektorstreifen mehr. Glauben Modedesigner eigentlich, dass sich unter Männerkleidung nichts schützenswertes befindet?
Also mal ehrlich: Autos haben Scheinwerfer, und ein Autofahrer sollte in einer an sich noch beleuchteten Staat einen Fußgänger sehen. Sonst ist er nicht mehr fahrtüchtig. Von Autos geht eine erhebliche Betriebsgefsahr aus, deshalb sollten sie achtsam fahren.
LöschenAaah, ein Stadtmensch... erinnert sich noch jemand an diese Werbung?
LöschenZur Sache: Ich bin nicht nur in der beleuchteten Stadt unterwegs. Mein Arbeitsweg führt mich auch über bessere Wirtschaftswege und ein Stück Bundesstraße außerorts ohne Radweg, teilweise mit 12% Steigung und je nach Jahreszeit bei Dunkelheit oder gegen die aufgehende Sonne.
Theoretisch sollten Autofahrer fahrtüchtig und achtsam sein. Theoretisch ist auch mein Fahrrad beleuchtet. Praktisch ist das nicht immer der Fall. Diesen Konflikt zwischen Theorie und Praxis gilt es für *alle* Beteiligten zu entschärfen, jeder mit seinen Mitteln, denn wenn Theorie und Praxis in Konflikt geraten, gewinnt die Praxis. Jedes Mal!
Bedenke, es geht hier nicht um einen realen Unfall, sondern um die Assoziationen, die eine bestimmte Sprache weckt. Bei dir hat das in Stunden funktioniert, als du über die Kleidung von „schwächeren“ Verkehrsteilnehmenden schreibst und dabei andeutest, der Fußgänger wäre nicht Opfer eines Zusammenstoßes geworden, wenn er helle Kleidung getragen hätte. Dafür spricht aber nichts. Es zeigt nur, kontrafaktische Infos lenken die Lesenden auf einen Aspekt, der von der Tat ablenkt.
LöschenIch ziehe verdammt nochmal an, was ich will! Genauso wie ich und niemand sonst, wann ich mich wie und wo fortbewege.
AntwortenLöschenentscheide
Löschen"Er trat hierbei, vermutlich um die Fahrbahn zu überqueren, wohl unvermittelt auf die Straße und wurde von einem herannahenden Mercedes frontal erfasst." 'StZ 3.3.2024, "61-jähriger von Auto erfasst". Es wird nicht besser.
AntwortenLöschenDie Kategorien passen oft nicht. Wenn man damit spielt, kommen seltsame Sätze heraus.
AntwortenLöschenFahrer eines PKW nimmt Jogginghose die Vorfahrt.
Cube stößt mit Busfahrer zusammen.
Christoph.
Polizei:
AntwortenLöschenDer Lederhandschuh des Weltmeisters berührte den Anwesenden (der keinen Helm trug) am Kopf. In der Folge erlitt dieser eine Nasenverletzung, stürzte zu Boden und wurde dort benommen aufgefunden.
Sportreporter:
Mike Tyson zertrümmerte seinem Gegenüber mit einer einer rechten Geraden das Nasenbein und schickte ihn K.O. auf die Bretter.
Dem Sportreporter schenke ich Glauben
typische Schuldzuschiebung:
AntwortenLöschenhttps://www.presseportal.de/blaulicht/pm/12727/5728141
Thomas
Der Autofahrer hat die Kurve geschnitten und jetzt macht man dem Radfahrer den (unterschwelligen) Vorwurf, dass er einhändig gefahren ist und nicht mehr ausweichen konnte? Wahrscheinlich hätte er auch mit der zweiten Hand am Lenker nicht mehr ausweichen können. Schei.. Kurvenschneider. Wäre ein Auto entgegengekommen, wäre es auch zum Unfall gekommen. So schnell kann man kaum bremsen und ausweichen geht eh nicht.
LöschenKarin
Und auch in dieser Meldung ist dem Autofahrer wieder irgendwas passiert, er "geriet" nämlich wie von Geisterhand gesteuert, zuwei nach links. Den Fehler also hat er gemacht, aber es wird darüber spekuliert, was der Radfahrer hätte tun müssen, um den Zusammenstoß zu vermeiden. Sehr typisch, so eine Darstellung. Sie verführt uns dazu, auch hier nur über das Verhalten des Radfahrers nachzudenken, nicht aber über das des Autofahrers.
LöschenHier auch noch sein Beispiel der Kategorie: Seltsam, was Autos so mit ihren Fahrern machen, sie kollidieren einfach mit einem Baum. Auf der Internetseite hat die StZ den Titel gegenüber FB inzwischen korrigiert und den Autofahrer genannt, im Text ist er nur Opfer der Eigenmächtigkeiten seines Autos. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.schwerer-unfall-in-birkach-pkw-mit-baum-kollidiert.c003d968-2398-40dc-ab5e-23e198d54b96.html Man stelle sich mal die Formulierung vor: "Fahrrad kollidiert mit Baum. Der Radfahrer wurde leicht verletzt."
AntwortenLöschenfür Hartgesottene gibt es hier immer aktuell die Polizeimeldungen zu Radfahrern:
AntwortenLöschenhttps://www.presseportal.de/blaulicht/st/Radfahrer
Ich frage mich wirklich, warum die Deutschkenntnisse der Polizei so mangelhaft sind-
Thomas
Im Aufnahmetest für Bundespolizisten im mittleren Dienst muss man halbwegs unfallfrei ein Diktat überstehen und Multiple-Choice-Fragen lesen können. Texte formulieren zu können ist nicht erforderlich.
AntwortenLöschenDazu kommen Fachbegriffe a la Zeugnissprache in den Polizeimeldungen, die Journalisten kennen und übersetzen müssen, das aber häufig nicht tun: das berühmt-berüchtigte "übersehen" bedeutet "Die Polizei hat den Grund nicht herausgefunden und die Autofahrerin (oder der)hat auch nicht verraten, ob
sie grundsätzlich unaufmerksam war,
abgelenkt war,
ins Gespräch verieft war,
Werbung angeschaut hat,
mit dem Smartphone gedaddelt hat,
nach einer Zigarette gesucht hat,
zu schnell für ihre Reaktionsfähigkeit gefahren ist,
kurz entschlossen plötzlich abbiegen wollte,
unter der Wirkung von Medikamenten, Alkohol oder anderen Drogen stand,
ihre Aggressivität nicht kontrollieren kann,
sowieso nie den Schulterblick praktiziert (ist sie vielleicht zu unbeweglich, um das zu können?),
vom ganzen Verkehrsgeschehen überfordert war oder
einfach ganz egoistisch ihr eigenes Vorankommen wichtiger genommen hat als das Leben und die Gesundheit von "minderwertigen" Verkehrsteilnehmern.
Wenn die Journalistin den Text gedankenlos , in Unkenntnis oder absichtlich im Original übernimmt, nehmen das viele Leserinnen als kleinen, leicht zu entschuldigenden Fehler wahr und es unterstellt implizit ein ernsthaftes Bemühen, die Fußgängerinnen/Radfahrerinnen/Motorradfahrerinnen überhaupt wahrnehmen zu wollen.
Schwieriges Pflaster. Eine Gesellschaft, die bedingungslos dem Gott der Geschwindigkeit huldigt und stillschweigend Menschenopfer in Kauf nimmt, möchte nicht daran erinnert werden, dass man mit einem Fahrzeug Menschen töten kann. Ich hätte damals bei meiner "Gewissensprüfung" (ich habe den Kriegsdienst verweigert) theoretisch den Führerschein gleich mit abgeben müssen, weil durchaus ein realistisches Risiko besteht, dass ich oder jemand anderes einen Fehler macht und mit einem Kraftfahrzeug einen Menschen verstümmle oder gar töte. Jeder, der in ein Auto steigt, nimmt das billigend in Kauf. Ich denke, will man den motorisierten Individualverkehr nicht in Frage stellen, braucht es diese verharmlosende angepasste Sprache. Da nahezu jeder in unserer Gesellschaft irgendwann mal ein Auto steuert, möchte niemand als potentieller Täter dastehen, und solange das so ist, wird sich an der Sprache nichts ändern.
AntwortenLöschenVor einigen Jahren hatte ich den damaligen Verkehrsdirektor der Kölner Polizei auf eine Formulierung in einer Polizeimeldung angesprochen, die meiner Meinung nach an Zynismus kaum zu überbieten war. Ein junger Radfahrer wurde von einem LKW-Fahrer mit seinem Fahrzeug überrollt. Mit den Zwillingsreifen wurde der Brustkorb des jungen Mannes zerquetscht, der den Unfall nicht überlebte. Die Polizeimeldung endete mit den Worten: "Der Radfahrer trug keinen Helm und der LKW-Fahrer war nach eigenen Angaben angeschnallt." Dem Polizeidirektor war der Faux Pas eindeutig bewusst, er gelobte Besserung, schließlich aber hat sich auch in Köln nichts geändert. Unfälle werden in unserer Gesellschaft als unvermeidbare Schicksalsschläge akzeptiert und hingenommen, wollen wir das ändern müssten wir unser Verkehrssystem auf den Kopf stellen und das will offensichtlich keiner, solange "Freie Fahrt für freie Bürger" als das höhere Gut angesehen wird.
schon interessant was im Gehirn der Leser vorgeht wenn bestimmte Informationen bei einem Bericht zugefügt oder weggelassen werden. Am Beispiel der dunklen Kleidung erkennt man gut, dass man die Information automatisch für relevant hält nur weil sie im Bericht steht, kaum einer kommt auf die Idee, dass vieles was nicht genannt wird wesentlich relevanter sein kann.
AntwortenLöschen(siehe auch einige Kommentare hier)
Obwohl ich wusste, dass das ein fiktives Beispiel ist, sind mir ganz ähnliche Gedanken gekommen. Es scheint wie mit der Werbung zu sein, man wird beeinflusst auch wenn man meint immun gegen Meinungsmanipulation zu sein.
Wenn dann noch das Opfer die einzig handelnde Person im Bericht ist, ist ja klar wessen Handlungen ursächlich für das Geschehen sein müssen.
Was kann schon der Fahrer eines Autos dafür, wenn ein Radfahrer mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe schlägt?