7. März 2024

Niederlande - Fahrradparadies oder Fahrradhölle?

Radstreifen mit Weiche, Stuttgart
Sterben in den Niederlanden mehr Radfahrende im Verhältnis zu den geradelten Kilometern als in Deutschland? Ist dort das Radfahren unsicherer, trotz der gern als vorbildlich hingestellten Radinfrastruktur? 

Medienartikel wie dieser berichten, dass das Radfahren in den Niederlanden gefährlicher sei als in Deutschland. Damit wäre der Mythos futsch, die Niederlande seien ein Fahrradparadies. Das wird in Deutschland (und der Schweiz) nicht ungern aufgegriffen. Weil sich damit gegen die niederländische Trennung von Auto- und Radverkehr per eigener Radinfrastruktur argumentieren lässt. Die missfällt den einen, weil sie nix für den Radverkehr bauen wollen, was über ein Minimum von Rad- oder sogenannten Schutzstreifen hinausgeht. Anderen missfällt sie, weil sie sich als Fahrbahnradelnde verstehen und nicht auf schlechte Radwege mit langwierigen Ampelübergängen gezwungen werden wollen.

Ich wollte es genauer wissen. Dabei habe ich festgestellt: So eindeutig ist dass alles nicht, denn die das Datenmaterial, das solchen Vergleichen zugrunde liegt, wird in den Niederlanden anders erhoben als in Deutschland. Man vergleicht Äpfel mit Birnen. Die kann man zwar vergleichen, es kommt dabei aber heraus, dass es um zwei unterschiedliche Dinge handelt.

Darauf hat mich zunächst ein Beitrag im Blog Velocityruhr gebracht, der jede Menge komplizierte statistische Berechnungen anstellt. Im Gegensatz zu Deutschland erfassen die Niederlande demzufolge mehr als nur die polizeilich gemeldeten Fahrradunfälle, die in Deutschland in die Statistik einfließen (dazu unten mehr). Gerade bei Alleinunfällen gibt es in Deutschland eine riesige Dunkelziffer. Das betrifft in kleinerem Maß auch Crashs mit Todesfolge (siehe unten). Die Niederlande versuchen das Dunkelfeld aufzuhellen und ergänzen die Daten aus der Polizeistatistik durch Krankenhausdaten und Sterbefälle (sogenannte juristische Daten). Das CBS (Centraal Bureau voor de Statistiek, Niederlande) weist darauf hin, dass in Deutschland 98 Prozent der Alleinunfälle der Polizei nicht zur Kenntnis gelangen und auch nicht in die Statistik einfließen, bei Zusammenstößen zwischen Pkw-Fahrenden und Radfahrenden seien es 82 Prozent (diese Studie nennt auf Seite 40 ähnliche Zahlen). Demzufolge könnte in Deutschland die Zahl der tatsächlich getöteten Radfahrenden um rund 29 Prozent höher liegen als statistisch erfasst (siehe auch unten). Vergleicht man die Todes- und Verletztendaten der Niederlande und Deutschlands, die auf so unterschiedliche Weise gewonnen wurden, steht Deutschland besser da. Das könnte aber täuschen. Genauso wie der Vergleich der Zahlen von Schwerverletzten oder Leichtverletzten, denn die Niederlande stufen alle Verletzten, die in Krankenhaus kommen, als schwerverletzt ein, wir nur die, die länger als 24 Stunden dort bleiben. Radfahrende, die bis zu 30 Tage nach ihrer Verletzung bei einem Radunfall sterben, fließen in beiden Ländern in die Statistik mit ein, allerdings in Deutschland vorausgesetzt, sie werden vom Krankenhaus oder Hausarzt der Polizei noch gemeldet. 

Schauen wir in die Studie, die den Medienberichten zugrunde liegt. Um herauszufinden, wie sich die Verkehrszahlen von Deutschland, Dänemark und den Niederlanden vergleichen lassen könnten, hat die Unfallforschung der Versicherer (UDV) 2020 eine Studie veröffentlicht. Sie sollte herausfinden, ob ein Vergleich überhaupt möglich ist und wie man ihn machen könnte. Dass es kompliziert ist, weil Deutschland bestimmte Daten nicht erhebt, die Niederlande wiederum andere Kategorien anwenden und so weiter, stellt sie dar, kommt aber dennoch zu dem Schluss, dass die Rad-Unfallrate in den Niederlanden höher sei als in Deutschland. Also habe ich mir das genauer angeschaut. 

Entscheidend ist wieder die Frage: Welche Daten fließen in die offiziellen (und die herangezogenen) Statistiken ein? In den Niederlanden gibt es die polizeiliche Statistik und die "real numbers" (tatsächlichen Zahlen), die, so die UDV, eine "Verschneidung der Todesurkunden, der gerichtlichen Bescheide bei unnatürlichen Sterbefolgen und der polizeilichen Unfallerfassung" seien. Ist diese Ergänzung aus dem nicht polizeilichen Datenraum aber auch in den deutschen Zahlen mit drin? Ich lese: "In Deutschland wird allgemein davon ausgegangen, dass die von der Polizei aufgenommenen bzw. dokumentierten Unfalldaten durch die gegebenenfalls nachträgliche Meldung der im Krankenhaus durch Beteiligung an einem Straßenverkehrsunfall verstorbenen Personen ergänzt und somit nahezu vollständig sind. Es wird die amtliche Straßenverkehrsunfallstatistik herangezogen". Der Begriff "davon ausgegangen" bedeutet eigentlich "vermuten". Und es ist auch ein Unterschied, ob Krankenhäuser einen Todesfall der Polizei nachmelden, die den Unfall aufgenommen hat, oder ob gezielt die juristischen Daten gesucht und erhoben werden, also von Verletzten oder Verstorbenen, deren Unfall mit dem Fahrrad gar nicht von der Polizei bearbeitet wurde. Laut Statistischem Bundesamt ist das in Deutschland definitiv nicht der Fall, denn per Gesetz "auskunftspflichtig für die Verkehrsunfallstatistik ist die Polizei. Die Polizeidienststellen melden die Daten an die amtliche Statistik. Unfälle, zu denen die Polizei nicht hinzugezogen wurde, werden folglich in der Statistik nicht nachgewiesen." Die Dunkelziffer der nicht polizeilich gemeldeten Fahrradunglücke ist demzufolge in der deutschen Statistik nicht mit drin. Es gibt keine "real numbers" oder tatsächlichen Zahlen. 

Wie so ein Vergleich der Polizeistatistik ohne und mit "real numbers" aussieht, zeigt diese Grafik aus der UDV-Studie. 47 getötete Radfahrende hat die niederländische Polizei 2017 registriert, 206 sind es tatsächlich gewesen. (Das Statistische Bundesamt nennt für die Niederlande 2017 übrigens noch eine andere Zahl, nämlich 138.) Die Zahl von 382 Toten für Deutschland entspricht der Polizeistatistik. Es sind keine nicht polizeilich erfassten Radunfälle mit drin. Würde man die Zahl der Polizeistatistik analog zu den Niederlanden mit dem Faktor 4 multiplizieren, wären wir bei ungefähr 1.500. 

Zur Dunkelziffer hat 2010 die Fahrradstadt Münster eine Studie durchführen lassen, die hier als pdf direkt runtergeladen werden kann. Man hat unter anderem gezielt in den Krankenhäusern und Arztpraxen nach verletzten oder getöteten Radfahrenden gesucht. Demnach gab es bei Alleinunfällen und Crashs mit Verletzten eine Dunkelziffer von insgesamt rund 70 Prozent (damit war die Polizei nie befasst). Bei den schwerverletzten Radfahrenden einschließlich der getöteten waren immerhin auch noch 25,5 Prozent überhaupt nicht polizeilich erfasst worden. Würde man dieses Viertel noch zu der deutschen Unfallzahl von 382 für 2017 hinzuzählen, wären wir bei 478 Toten. (Dass die Polizei bei Zusammenstößen mit Radfahrenden selbst bei schweren Verletzungen nicht hinzugezogen wird, liegt wohl daran, dass manche die Schuldfrage wegen eventueller Folgen für den Verursacher nicht geklärt haben wollen und man sich anders einigt.) 

Bei der Zahl der Getöteten glaubt die UDV allerdings an eine eins-zu-eins-Vergleichbarkeit: "Bei der Anzahl getöteter Radfahrender pro eine Mio. Einwohner liegen Dänemark und Deutschland fast gleichauf. Die Niederlande stechen hingegen mit 12,06 getöteten Radfahrenden pro einer Million Einwohner und einen rd. 2,5-fach höheren Wert hervor. Die dänischen Fallzahlen sind gleichwohl recht gering (27 getötete Radfahrende in 2017), so dass die statistische Signifikanz in Frage zu stellen ist." (UDV S. 44) Für diese 12 getöteten Radfahrenden hat die Studie offensichtlich die "real numbers" zugrunde gelegt. Die deutsche Zahl von 4,6 Getöteten pro Million Einwohner:innen beruht dagegen auf der Polizeistatistik. Passt jetzt irgendwie nicht so richtig zusammen. 

Hier wurde übriges die Zahl der Toten in Relation zu einer Million Einwohner:innen gesetzt. Es radeln in den Niederlanden aber 61,3  Prozent der Einwohner:innen, gegenüber 34,1 Prozent der Deutschen (2019) also knapp doppelt so viele, und Radunfälle können nur die Menschen erleiden, die auch Rad fahren. In den Niederlanden starben also (vor dem Jahr 2022) pro 613.000 Radelnden im Jahr rund 12 Menschen (das sind 0,00196 %), während in Deutschland unter 463.000 Radler:innen aufgerundet 5 Menschen (0,00108 %) starben. Auch so steht Deutschland immer noch (minimal, uns sicher im Bereich statistischer Unschärfe) besser da, wenn man "real numbers" mit der Polizeistatistik vergleicht. 

Sinnvollerweise schaut man aber auf die Wegstrecken. In den Niederlanden wurde den Angaben der Studie zufolge (UDV, S.24) pro Kopf und Tag 2,51 km geradelt, während es in Deutschland 1,36 km waren, also 46 Prozent weniger. (Wobei, wer weiß, auf welchen Datensätzen diese Aussage beruht.) Pro einer Million geradelten Kilometern täglicher Verkehrsleistung kamen der Studie zufolge pro Jahr in Deutschland 3,4 (0,00034 %) und in den Niederlanden 4,9 (0,00049 %) Radfahrende ums Leben. Vorausgesetzt, man akzeptiert den Vergleich der "real numbers" mit der Polizeistatistik als aussagekräftig. (Der Unterschied bei der Prozentzahl zeigt sich erst in der 4. Nachkommastelle. Rundet man solche Dezimalzahlen, dann landet man bei 0,0)

Ein wichtiger Faktor für die Zahl der verunglückten Radfahrenden ist das Alter. Ältere Menschen haben als Fußgänger:innen und Radfahrende folgenschwerere Unfälle als junge Menschen. Je älter eine Bevölkerung wird, desto höher wird auch die Rate von Fußgänger:innen und Radfahrenden, die im Straßenverkehr schwer verletzt oder getötet werden, bezogen auf die Einwohner:innen. 2022 waren in den Niederlanden 20,3 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt, in Deutschland waren es 18,6 Prozent. Die niederländische Gesellschaft ist nicht nur älter, es radeln auch deutlich viel mehr Menschen über 65 als in Deutschland, wie diese Grafik aus dem Jahr 2012 zeigt. In Deutschland waren es 9 Prozent über 65, in den Niederlanden dagegen 23 Prozent, also 2,5 mal so viele. Ob die Relation heute noch so gilt, habe ich nicht herausfinden können. 

2022 gab es einen sprunghaften Anstieg bei den Todeszahlen im Radverkehr in den Niederlanden. Vermutet wird, dass deutlich mehr Ältere wieder mit dem Radfahren angefangen haben und dabei Pedelecs bevorzugen (und selten Helm tragen). Außerdem habe der Ausbau der Radwege in den Niederlanden mit der Zunahme an Radler:innen nicht Schritt gehalten, so der Fietserbond (Radfahrerverband). Die Senior:innen über 75 Jahre machten etwas über die Hälfte der Todesfälle unter Radler:innen aus, je älter, desto höher das TodesrisikoDen sprunghaften Anstieg gab es in Deutschland übrigens im Jahr 2022 auch. Hier ereigneten sich ebenfalls mehr als die Hälfte der Todesfälle unter den über 65-Jährigen. In Deutschland radelten 2017 von den über 70-Jährigen 11 Prozent und von den über 80-Jährigen noch 6 Prozent. Unter den 20- bis 29-Jährigen waren es 14 Prozent (und so ähnlich sieht es in den weiteren Altersdekaden aus). Im Alter sind Stürze und Crashs aber folgenschwerer als für die Jugend. Es scheint aber nicht so zu sein, dass ältere Menschen nennenswert öfter als jüngerer in Crash verwickelt werden. 

Mit statistischen Daten fehlerfrei herumrechnen, ist jedenfalls nicht einfach.  Und die richtigen Schlüsse daraus ziehen auch nicht. Da ich weiß, wie sorglos (also eigentlich schnell) Journalist:innen und Bloger:innen (mich eingeschlossen) arbeiten, darf man Interpretationen von statistischem Material misstrauen (auch meinen), besonders dann, wenn sie einem Argumentationsziel unterworfen werden, also irgendwas beweisen sollen, was als überraschend deklariert wird. Dass Zeitungen sich oft irren, weiß ich. Die verwechseln ja schon "drei Mal soviel" und "drei Mal mehr" (wie hier), was einen erheblichen Unterschied ausmacht. Da die Radunfall-Zahlen sich kaum auf Ursachen beziehen, die nicht offensichtlich zutage treten (wie Alter oder Pedelecs, nicht aber konkrete Infrastrukturdetails) können wir - so denke ich - auch nicht schlussfolgern, dass die berühmte niederländische Radinfrastruktur gefährlicher oder unser häufiges Mischverkehrsradeln (mit Autos und Fußgänger:innen) in Deutschland weniger gefährlich sei. An Knoten gibt es immer Zusammenstöße, wenn der Autoverkehr auf den Radverkehr trifft. Dass es in den Niederlanden auf den Straßen ruppig und übrigens auch ziemlich eng zugeht, habe ich bereits einmal beschrieben. Und dass die zunehmende Zahl schneller beschleunigender Pedelecs da einiges durcheinander bringt, kann ich mir vorstellen. 

Und selbst, wenn der Zahlenvergleich stimmt, so ist der Unterschied (bei 3,4 oder eben 4,9 Toten auf 1 Million geradelte Kilometer) so winzig, dass es die Aufregung gar nicht lohnt (zumal uns im Leben größere Risiken von ganz anderer Seite drohen). Gleichzeitig ist das Radfahren in den Niederlanden viel entspannter und deshalb auch populärer auf einer Infrastruktur, hinter der sehr viel mehr Überlegungen zugunsten radfahrender Menschen stecken als bei uns, auf der man Kinder alleine losradeln lassen kann und auch viel mehr alte Menschen sich zu fahren trauen.  

Mein Fazit: Lasst uns vorsichtig sein mit statistischen Zahlen, ihrer Interpretation und ihrem Einsatz in (mehr oder weniger vehementen) Diskussionen. Meistens ist die Realität ungenauer und komplizierter. 


17 Kommentare:

  1. Lesenswert ist zu dem Thema auch https://radunfaelle.wordpress.com/vergleich-de-nl/

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  2. Danke für diese ausgewogene Analyse. Dass die Personen, die diese Zahlen immer wieder zitieren, hauptsächlich ihre persönliche Agenda damit voranbringen wollen, merkt man, wenn man dann deren links verfolgt, auch daran, wo sie dies überall im Netz tun...

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  3. Danke für Dein Mühe mit der Recherche zur Datenerhebung. Bei den Unfallzahlen bin ich auch zu demselben Ergebnis gekommen, habe aber die Datenbasis nicht hinterfragt.
    Bsp. aus HD. Es gab einen schweren "Allein"-Unfall durch eine Kante auf einer Brücke. Der Radfahrer wollte Schadensersatz. Die Stadt hat abgelehnt "kein Unfallschwerpunkt", die Polizei hat bestätigt "kein Unfallschwerpunkt", "selbst dran schuld". Ein Aufruf in der Presse hat ca. 40(!) Rückmeldungen ergeben, alle von Leuten, die an der Stelle auch schon gestützt wren. Nur ist keiner zur Polizei gegangen und hat den "Unfall" gemeldet. Also ist die Stelle nicht in die Statistik eingegangen, die Zahlen landeten im Dunkelfeld. (Geschichte frei nacherzählt) Das Ganze stand mal in der Zeitung, genau nachzulesen unter: https://joachimfunke.de/2009/06/03/fahrradunfall/
    Ich möchte nicht wissen wie viele Radfahrer, die an Landstrassen durch einen "Alleinunfall" gefunden wurde, tatsächlich von Autos abgedrängt wurden.
    Statistik ist immer mit Vorsicht zu geniesen. Nicht umsonst heißt es "trau nur einer Statistik, die du selbst gefälscht hast" (frei nach Churchill).
    Karin

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  4. Du erwähnst es nur kurz, aber Helm tragen kann bei einem schwereren Unfall dann eben schon den Unterschied zwischen leichtverletzt und schwerverletzt oder Tod ausmachen (bzgl. Kopfverletzungen, restlicher Körper ausgenommen). In den Niederlanden trägt kaum jemand Helm, in Dänemark ist es meiner Erfahrung nach verbreiteter, vielleicht aber noch geringer als in Deutschland. Das einzuberechnen in die Fallzahlen dürfte ziemlich unmöglich sein und wird in der Wissenschaft dann meist unter "Limitations" der Studie erwähnt.

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    1. Ich persönlich denke, dass ältere Menschen sich für einen Helm entscheiden könnten, allerdings sind Kopfverletzungen nicht die Häufigsten bei Stürzen und in anderen Lebensbereichen viel häufiger (Leiterstürze, Treppenstürze, Skistürze etc.). Warum also gerade das Radfahren als größeres Risiko herausstellen (durch Helmempfehlung) als andere Risiken, die wir im täglichen Leben eingehen?

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    2. Habe meinen Kommentar oben, vor allem geschrieben, um den möglichen Einfluss auf die Fallzahlen zu verdeutlichen. Er ist nicht als Helmempfehlung zu verstehen, das ist eine persönliche Entscheidung.

      Der gesamtgesellschaftliche Prozess der Aushandlung von Chancen und Risiken, das Entstehen von Sicherheitsvorgaben für die verschiedenen Verkehrsmittel/Lebensbereiche und das am Ende entstehende (akzeptierte) Sicherheitsniveau, ist für mich nicht immer nachvollziehbar (obwohl ich beruflich damit zu tun hab) und fasziniert mich weiterhin. Gruß termhidor

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    3. Lieber Termhidor, entschuldige, ich hatte das schon richtig verstenden und habe meinen Senf im Hinblick auf weitere mögliche Kommentare geschrieben. Danke jedenfalls.

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    4. Der Helm schützt nicht vor schweren Verletzungen oder gar vor dem Tod. Wer auf den Kopf fällt und dabei stirbt, der hatte von vornherein ein "Händchen" dafür. Deshalb betrifft das in erster Linie ältere Manschen- also jene Gruppe, die auch die Statistik bei tödlichen Stürzen anführt; das beginnt bei simplen Dingen wie "aus dem Bett fallen".

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  5. Die bisher ausführlichste Untersuchung und statistische Aufarbeitung ist unter https://radunfaelle.wordpress.com/vergleich-de-nl/ zu finden. Die oben erwähnten Einwände des in Teilen mit unzulässigen Suggestionen arbeitenden Artikels bei Velocity-ruhr sind dort seit langem bereits eingearbeitet.
    Meines Erachtens spricht nichts für die oben getroffene Annahme einer hohen Untererfassung von Todesfällen in D. Für Verletzte ist dies anzunehmen (weshalb Vergleiche von Verletztenanteilen zw. NL und D bis auf weiteres auch unzulässig sind, aber für Todesfälle kann eine relevante systematische Untererfassung weitgehend ausgeschlossen werden. Ich halte das - mit Verlaub - für an den Haaren herbeigezogen.
    Wie man/frau das höhere Radunfall-Todesrisiko in NL gegenüber D einordnet (wobei in beidenLändern das Radfahren insgesamt ja sehr sicher ist), mag je nach Perspektive unterschiedlich ausfallen, der Mythos von höherer objektiver Sicherheit der NL Separation ist im Hinblick auf das Todesrisiko jedenfalls vom Tisch.
    Ebenfalls vom Tisch ist die These, dass das niederländische Modell von pull&pull zu einer Entlastung bei Umwelt- und Klimaproblematik führt.
    Die Zahlen zeigen deutlich eine Zunahme von Autodichte und Autofahrleistung (jedenfalls bis zur statistischen Umstellung, die neuerdings die NL-Fahrleistungsdaten 'magisch' verbessert).
    Das wird in NL auch gar nicht abgestritten. Die Zeitreihen bis 2019 sind da statistisch vergleichbar.
    Siehe zB.:
    https://www.cbs.nl/nl-nl/nieuws/2020/40/opnieuw-record-personenautokilometers-in-2019#
    oder auch:
    https://www.cbs.nl/nl-nl/nieuws/2020/10/autopark-groeit-sterker-dan-bevolking
    Warum wir in D ein Konzapt kopieren sollen, das am Ende - in nicht sonderlich anderer Größenordnung als im noch autoverrückteren Deutschland - zu mehr Autoverkehr führt erschliesst sich mir nicht. Jedenfalls nicht aus ökologischer Perspektive. Aus Perspektive der Autoindustrie mag das NL-Modell Sinn machen, aber ich denke nicht, dass das unter den gegenwärtigen Bedingnungen von dramatisch fortschreitendem Klimaumbruch ein schlagkräftiges Argument sein sollte.
    Alfons Krückmann
    p.s.:
    Der Passus "(Der Unterschied bei der Prozentzahl zeigt sich erst in der 4. Nachkommastelle. Rundet man solche Dezimalzahlen, dann landet man bei 0,0)" ist - bei allem Respekt - wirklich unsinnig.

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    1. Lieber Alfons, hast du einen Beleg dafür, dass in Deutschland wirklich alle Todesfälle nach eine Sturz mit dem Fahrrad erfasst sind. (Die Studie Münster zeigt ja, dass es nicht so ist.)

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    2. Liebe Christine,
      das ist ja ganz grundsätzlich nicht möglich.
      Ein Fall (oder mehrere) von Untererfassung bei Fahrradunfalltoten in Deutschland kann grundsätzlich ebenso wenig ausgeschlossen werden, wie die mögliche Existenz eines neongrün gepunkteten schwarzen Schwans irgendwo auf diesem Planeten.
      Für beides gilt allerdings, dass es dafür bislang keine Anhaltspunkte gibt.
      Auch bei der UKM Studie aus Münster nicht. Die dort angegebene Untererfassungsschätzung von 25,5% beziehen sich in der Tat auf die Gruppe von schweren und tödlichen Unfällen, wobei allerdings wenn ich das recht erinnere keine nicht polizeilich erfassten tödlichen Radunfälle aufgetreten sind, also bei den Todesfällen 100% Übereinstimmung bestand. Die Polizei MS war ja damals bei der IKM-Untersuchung direkt beteiligt und musste im Anschluss keine Korrekturen bei ihrer alljährlichen Rad-Todesstatistik vornehmen.
      Es wäre natürlich sinnvoll gewesen, wenn die Studienverfasser:innen das getrennt ausgewiesen hätten, aber die Studie stand ohnehin auf sehr schwachen Beinen, gerade auch was die ideologisch gefärbte Behandlung der Helmfrage angeht, aber das würde hier zu weit führen.
      Dass eine sehr erhebliche Untererfassung bei den leichten und eine erhebliche Untererfassung bei den schwereren Unfällen besteht, steht außer Frage, wobei das ja weder genau beziffert werden kann, noch international sinnvoll vergleichbar gemacht werden kann, da im Ggf. zu den Unfalltoten die Methodiken der Erfassung so stark differieren, dass Aussagen dazu systematisch unseriös wären, was ja auch die diesbezügliche UDV-Vergleichsstudie so festgestellt hat. Schade, aber ist bislang nunmal so. Eine EU-Vereinheitlichung wäre da ziemlich sinnvoll, auch wenn (logischerweise) ein Rest von Untererfassung bei den leichten und mittelschweren Rad- und Geh-unfällen bestehen bleiben wird.

      Wenn Du aber Beispiele und/oder valide Anhaltspunkte für eine Untererfassung bei tödlichen Radunfällen hast (ich habe da tatsächlich genau gar nichts), dann wär's natürlich super, wenn Du das mitteilen würdest.
      Würde wohl auch für den von mir oben zitierten Blogger (Thomas Schlüter) von Interesse sein, er arbeitet ja offenbar Kritik konstruktiv als Updates in seine Seite ein.
      Und wir sind ja alle darauf angewiesen eine möglichst zutreffende und vollständige Datenbasis für unsere Analysen, Einschätzungen und Empfehlungen zu haben.
      Kleine Ergänzung:
      Beim, was Daten angeht, recht sorgfältigen D.Hembrow ist zu erkennen (Grafik 'who does the killing'), dass in NL vor allem die tödlichen Unfälle Kfz vs. Rad stark zugenommen haben, was ebenfalls nicht so recht zum gern gepflegten Narrativ der sicheren Separation passt.
      https://www.aviewfromthecyclepath.com/2023/04/whats-gone-wrong-with-road-safety-in.html
      Grüße in den Süden, Alfons Krückmann

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    3. Gute Tag,
      gut, dass über dieses Thema recherchiert und geschrieben wurde! Mir stellt sich die Frage, woher wissen die Behörden in Deutschland wie viele Fahrradkilometer gefahren wurden? Meines Wissens beziehen sich alle Werte irgendwann auf MiD (Mobilität in Deutschland). Diese Veröffentlichen viele Daten. Auch die zurückgelegten Kilometer. Doch deren Wissen beruht -soweit ich weiß - Telefonbefragungen. Wissen alle befragten wie viele Kilometer sie Fahrrad/Woche fahren? 5 / 10 / 20 / 40? Oder gibt es da eine Scheingenauigkeit? Erst per Familien-Pedelec merkte ich wie viele km meine Frau fährt....
      Nun, Tote (Unfälle) sind immer in bezug zu den zurückgelegten Kilometern zu betrachten. In NL werden die gefahren Kilometer über HandyApp-Auswertungen abgeschätzt.
      Eine Anregung Grüße Hans Ransch

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    4. Die Frage bei der Verteilung auf die Strecke ist:
      Wie groß ist der zu erwartende Schaden auf den nächsten X km mit Verkehrsmittel Y?
      Eine pauschale Normierung nach Strecke ist grundsätzlich problematisch, weil prinzipiell nur ein begrenztes Reisezeitbudget vorhanden bzw. annehmbar ist, um das Mobilitätsbedürfnis zu befriedigen.
      Ziele werden so gewählt, dass sie mit den zu Verfügung stehenden Mitteln (einschließlich Infrastruktur) in akzeptabler Zeit erreichbar sind.
      Damit scheiden Kombinationen von weiten Zielen und langsamen Verkehrsmitteln im Alltag aus.
      Dass bei 15 Minuten zu Fuß oder 15 Minuten mit dem Rad oder 15 Minuten mit dem PKW völlig unterschiedliche Strecken zusammen kommen, ist dann trivial.
      Mit einer Normierung auf die Strecke entsteht so z. B. das Spaceshuttle-Paradox (sicher, weil sehr weit) bzw. eine systematische Verzerrung hin zu potentiell schnellen Verkehrsmitteln, die meist eine Anpassung von Recht und Infrastruktur benötigen, um die höhere Geschwindigkeit auch ausnutzen zu können.
      Das Flugzeug ist ca. 30-fach sicherer als die Bahn pro km.
      Diese Verzerrung spiegelt sich deutlich in den Verkehrstoten pro Million Einwohner wieder. In Berlin sind das 9 und in Baden-Württemberg 33.
      Warum ist es 3,7-mal wahrscheinlicher in BW im Verkehr zu sterben als in Berlin? Vermeintlich sicherer pro km bei der Verkehrsmittelwahl ist da nicht zielführend, wenn das durch längere Strecken wieder zunichte gemacht wird.


      Die Frage bei der Verteilung auf die Wege ist:
      Wie groß ist der zu erwartende Schaden auf dem nächsten Weg zum Zweck X mit Verkehrsmittel Y?
      Auf die angetretenen Wege verteilt, ist das ausgeglichener, vorausgesetzt es besteht auch eine als real wahrgenommene Wahlmöglichkeit. Durch das begrenzte Reisezeitbudget ist eine Verteilung über die Anzahl der Wege auch automatisch ähnlich der Verteilung über die Expositionszeit.
      Dann kommt heraus, ob das Brötchenholen mit Auto oder zu Fuß riskanter ist, aber in der Rechnung ist eben auch drin, dass es mit dem Auto ggf. eine Fahrt zu einem weiter entfernten Bäcker ist.
      Pro Passagier bzw. Weg ist eine Bahnfahrt ca. 20-fach sicherer als der Flug.

      Es gibt aber noch eine dritte mögliche Verteilung.
      Die Frage bei der Verteilung auf das Streckennetz ist:
      Wie groß ist der zu erwartende Schaden auf X km der Infrastruktur Y?
      Da kommt dann plötzlich heraus, dass auf beliebigen 21km Autobahn statistisch jedes 2. Jahr jemand stirbt.
      Würde ich parallel verlaufend einen Radweg oder die S-Bahn nutzen, wenn dort jedes 2. Jahr ein Ghostbike dazukommt?
      Jo

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  6. Jörg
    Wenn man die 3 Länder nach ihren Statistiken beim Auto vergleicht, was kommt da raus? Bezogen auf 1 Mio. EW und auf die Fahrleistung bezogen.
    Ohne Recherche tippe ich trotz viel umfangreicherer Statistik in NL auf ähnliche wie in D.

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  7. Jörg
    In 2022 wurden 42 Menschen in NL pro 1 Mio EW geopfert. In Deutschland gab es 33 Opfer pro 1 Mio Einwohner.
    Jetzt kann man daraus ableiten das Radfahren und langsameres Autofahren gefährlich ist. Oder man wendet die oben genannten Verhältnisse an. Dann dreht sich das Bild wieder.

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    1. Da sollte doch schon nach Verkehrsmitteln unterschieden werden, sonst ist das wenig aussagekräftig.
      Das Autofahren in den Niederlanden ist extrem viel sicherer als in Deutschland, während das Radfahren signifikant unsicherer ist.
      Beides bezogen auf das Unfall-Todesrisiko.
      Alfons Krückmann

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  8. Ich muss gestehen, ich habe nicht die Muse, die Statistik hier komplett nachzuvollziehen. Was ich allerdings für falsch halte, ist die Schlussfolgerung, dass wir keine Fahrradinfrastruktur brauchen, weil dies ja keine Unfälle verhindere. Für mich ist da noch eine Verzerrung, ein Bias. Es gibt viele Wege, die von Radfahrenden gemieden werden, weil eben dort keine Radinfrastruktur vorhanden ist und das Fahren im Autoverkehr nur mit suizidalen Absichten erfolgen könnte. Wären diese Strecken von Radfahrenden genutzt, käme es sicher zu mehr Unfällen der Radfahrer. Ich habe im übrigen 2 Radunfälle ( mit leichten Verletzungen unter Beteiligung eines Autos) der hiesigen Polizei gemeldet. Beide Anzeigen wurden von der Polizei abgelehnt, da ich zwar das Kennzeichen des Autos nennen konnte, aber keine Beschreibung des Autofahrers liefern konnte ( wie auch, wenn ich von hinten gerammt werde). Solche Unfälle erscheinen dann nicht in der Statistik.

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