30. August 2024

Was wünschen sich Frauen fürs Radfahren?

Frauen bewegen sich im Durchschnitt umweltschonender als Männer, sie besitzen weniger Autos und sie fahren, wenn sie eines haben, weniger lange Strecken. Sie gehen mehr zu Fuß, benutzen Bus und Bahn, und sie fahren Fahrrad, wenn auch nicht unbedingt mehr als Männer. 

In unseren Städten sind die Straßen hauptsächlich für Arbeitswege konzipiert, man kommt radial rein, man kann das Auto auf Firmenparkplätzen und in der Nähe der Wohnung abstellen. Auch die Radinfrastruktur orientiert sich stark am Pendelverkehr. Von vielen Radstreifen und Radwegen kann man überhaupt nicht links abbiegen, sie sind konzipiert für Wege in die Innenstadt und zurück. Außerdem geht die Radinfrastruktur in den meisten Städten, auch in Stuttgart, ziemlich robust mit den Menschen um, die Rad fahren: schmale Radstreifen, Radwege und Radstreifen die aufhören, wo es schwierig wird, reichlich Mischverkehr mit Autos, die auch noch immer größer werden und Radfahrenden immer weniger Platz lassen, Fahrradweichen vor Kreuzungen, über die der Autoverkehr quert und so weiter. Nicht nur den Laura-Test besteht Stuttgart nicht. Unsere lückenhafte Radinfrastruktur lädt auch die Menschen nicht ein, für die Radfahren keine Mutprobe sein soll, die sich den Platz auf der Fahrbahn nicht erkämpfen wollen. Viele Frauen haben kein Interesse am Machtkampf mit dem Autofahrer (oder der Fahrerin), sondern wollen in Frieden mit dem Rad fahren. 

In ihrer Masterthesis "Gender und Nachahaltigkeit im Radverkehr" hat Hanna Rohn an der Uni Graz dies untersucht. 

Gehwegfahrt an Kreuzung ohne Radwege
Sie hat festgestellt: In der Verkehrsplanung sind zwischen 80 und 100 Prozent Männer die Projekt- und Amtsleiter. Sie planen für sich, nicht für Frauen, Kinder oder alte Menschen. Weil sie berufstätig sind und deshalb ihren Weg zwischen Arbeit und Zuhause im  Fokus haben, folgen sie seit Jahrzehnten der Idee, dass man ein Auto braucht, um die Strecke zwischen Zuhause und Arbeit zu bewältigen, was in den Teufelskreis geführt hat, dass mehr Straßen mehr Autoverkehr hervorrufen (weil Leute immer weiter raus ziehen) und infolgedessen noch mehr Straßen notwendig erscheinen. Eine Person mit einer kleinteiligen Alltagsstruktur muss dann ebenfalls immer größere Distanzen überwinden. Deshalb wurden Einkaufszentren auf der grünen Wiese gebaut, die mit dem Auto angefahren werden wollen. Die Wege der Menschen, die sich um die Familie kümmern - immer noch mehr Frauen als Männer - werden komplexer und sie müssen immer öfter mit dem Auto los: Kinder zum Sport bringen, Opa zum Arzt bringen, Einkaufen, zur Arbeit fahren. Untersuchungen zeigen, dass Frauen am Tag mehr Orte ansteuern als Männer, vor allem, wenn die Kinder unter 14 Jahre alt sind. 

Was für das Autonetz gilt, muss deshalb auch für das Radwegnetz gelten. Es sollte sowohl radiale als auch tangentiale Radverbindungen haben, alle Stadtteile miteinander verbinden und vor allem generell über mehr Verbindungen verfügen als das Netz, welches der Autoverkehr nutzt. Derzeit ist es genau umgekehrt. Zwar kann man mit dem Rad fest jede Straße nutzen, aber, die wenigsten wollen das im Mischverkehr tun. Schon gar nicht, wenn sie Kinder auf Rädern oder im Anhänger dabei haben. Radwege oder Radstreifen gibt es aber nur entlang weniger Straßen. Weil der Radverkehr billiger ist und weniger Umweltschäden verursacht, könnte er bei der Verkehrsplanung jedoch ruhig bevorzugt werden, so die schöne Erkenntnis der Arbeit. 

Frauen könnten, wenn sie die Verkehrsplanung machen dürften (also in großer Zahl daran beteiligt wären) andere Aspekte hineinbringen, sie haben viel Erfahrungen mit allen Verkehrssystemen und verschiedenen Bedürfnissen. Sie wissen, wo sie Angst haben, um sich selbst oder ihre Kinder. Sie wissen, wo sie zum Einkaufen die Räder abstellen wollen. Auch die Selbsteinschätzung von Frauen ist eine andere. Während sich einer Studie zufolge 77 Prozent der Männer für "geübte" Radfahrer hielten, schätzten sich Frauen nur zu 63 Prozent als geübt ein, wobei offen bleibt, was dieses "geübt" bedeutet. Daraus leite ich ab, dass Frauen höhere Ansprüche an die Sicherheit von Radverkehrsanlagen stellen und empfindlicher sind für Situationen von Unsicherheit und Gefahr. Sie dürften deutlich weniger als Männer zufrieden mit der Radinfrastruktur sein, die sie auf ihren Alltagswegen vorfinden. 

Die Autorin zählt in ihrer Arbeit etliche Erleichterungen auf, die Frauen unterstützen würden, aber natürlich auch Männern zugute kämen: Leichter Räder und Zubehör abstellen können, daheim und an Zielen in der Stadt. Den Kinderanhänger daheim und am Ziel unterbringen können. Pannenfreie Fahrräder und Winterreifen. Bessere Regenbekleidung für Frauen, altengerechte Abstellanlagen (wo man Räder nicht reinheben oder über Treppen tragen muss) mit Platz für Fahrradkörbe, viele und gut erreichbare Angebote für Reparatur und Service, und natürlich mehr Radwege. 

Tagsüber schön, nachts angstmachend
Ein weiteres Thema für Frauen ist die soziale Sicherheit. Während Männer eher Angst vor Diebstahl haben, haben Frauen eher Angst vor Gewalt gegen ihren Körper. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, in der Öffentlichkeit Opfer sexueller oder anderer Gewalt zu werden, kleiner ist als im privaten Umweld, haben Frauen Angst und meiden darum beispielsweise Nachtfahrten mit dem Rad. Vor allem Mädchen trauen sich weniger Wege per Rad oder zu Fuß im öffentlichen Raum zu als Jungs. Eine Stadt sollte also herausfinden, wo und wie sich Frauen nachts bewegen und wo sie wegbleiben, um Angsträume zu identifizieren und zu beseitigen. Beim Thema Radfahren muss klar erkennbar sein, wo ein Radweg hinführt, es darf keine uneinsehbaren Ecken geben, keine Unterführungen, wo man nicht sieht, wer sich in ihr aufhält, er darf nicht durch einsame Gegenden geführt werden. Das Hauptkriterium ist: Andere Menschen müssen sich in Rufnähe aufhalten (es müssen bewohnte Häuser da sein oder der Weg muss an einer gut befahrenen Straße entlang führen). Davon profitieren wiederum radfahrende Männer mehr als sie denken. 

Strukturelle Gewalt übt wiederum unsere Verkehrswelt an sich aus: zu schmale Radstreifen, gar keine Radstreifen, Kreuzungen ohne Radführungen, drängelnde Autofahrende. Frauen empfinden das stärker. Einer Umfrage zufolge schätzten sie das Radfahren in ihrer eigenen Wohnumgebung als gefährlicher ein als die Männer, und sie gaben öfter an, dass die Rücksichtslosigkeit von Autofahrer:innen sie hemmt, Rad zu fahren. Bei aggressivem Verkehrsklima (so die Autorin) zum Beispiel in Wien fahren weniger Frauen mit dem Rad als Männer. Wobei übrigens Frauen, trotz größerer Wegezahl mit dem Fahrrad weniger Zusammenstöße verursachen und bereits bei den Mädchen die Gefahrenwahrnehmung besser ist. (Vor allem bei Alkohol-Unfällen sind Männer mit 88 Prozent vertreten). 

Es gilt der Grundsatz, je verletzlicher ein:e Verkehrsteilnehmer:in ist, desto mehr Fläche muss im Straßenverkehr für sie oder ihn zur Verfügung stehen. Radfahrende und Fußgänger:innen haben kein Blech um sich herum, weshalb Autofahrende ihnen nicht nahe kommen dürfen. Die Radinfrastruktur muss, wie ich immer sage, das Blech ersetzen, das Autofahrende um sich herum haben. Wenn das der Fall ist, dann steigen auch viele Frauen lieber aufs Fahrrad als ins Auto, um ihre Alltagsfahrten zu bewältigen. Und viel weniger als derzeit würden dann von der Fahrbahn auf die Gehwege flüchten, wo es ihnen auf der Fahrbahn zu gefährlich erscheint. 

5 Kommentare:

  1. Wo gilt dieser Grundsatz?

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    1. Ich vermute, du meinst, dass er im Prinzip gilt, aber bei uns nicht angewendet wird. Da stimme ich dir zu?

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  2. Ich kann Dir nur beipflichten. Ich frage mich manchmal, warum ich mir das antue, mit dem Rad zu Fahren und mich dann mit den ganzen STVO-Spezialisten rumzuärgern, die einem den dümmsten Mist erzäheln von wegen Verkehrsregeln. Allein schon der Unterschied benutzungspflichtiger Radweg und freigegebener Gehweg, oder noch schlimmer Schutzstreifen. Nein ich will nicht mit 20cm Abstand mit >50km/h überholt werden. nein, ich muss in der engen Strasse keinen Platz machen, fahr hinter mir her, hat 10 sec gedauert. Nein, ich will und kann mein Fahrrad keine Treppen hoch oder runterschleppen. Ich finde das eine Zumutung. Autofahrer müssen auch keine solchen Kompromisse machen.
    Das Thema "männliche Verkehrsplanung" ist schon lange ein Thema. Vor über 10 Jahren habe ich dazu schon einen Vortrag gehört. Geändert hat sich aber nicht viel. Manches ist besser geworden, aber im Schneckentempo. Wenigstens gibt es in Wien so eine rührige Verkehrsplanerin, die sich zumindest mal den Angsträumen gewidmet hat. Wir müssen als Frauen hier viel lauter werden und Lösungen und Sicherheit für unsere Wege einfordern. Wir brauchen mehr Frauen in Stadt-Parlamenten, die sich für solche Dinge einsetzen und mehr Verkehrsplanerinnen (keine Innen), die das berücksichtigen.
    Karin

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  3. Jörg
    Die Stuttgarter Ämter wurden von einigen jungen Stadtplanys weiblich wie männlich verlassen. Sie fehlen uns jetzt um hier den Wandel voran zu bringen.
    Es ist wirklich unangenehm wie sich die alt eingesetzten Kerle mit ihrem Stil durchsetzen und diesen bewahren. Die Stuttgarter Akteure sind wohl bekannt,.Woanders trifft man andere der Sorte.

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  4. Ja, wir müssen lauter werden und ins überall einmischen, im ADFC Fraueengruppen gründen, an Gemeinderät:innen schreiben, vielleicht mal wirklich auf die Straße gehen und protestieren. Das Ringen um sichere Schulwege zeigt, wie zäh das Thema ist, dass man aber damit nach Jahren auch in die Presse kommt. Leider beobachte ich immer wieder, dass auch gerade Frauen die anderen Frauen nicht unterstützen wollen, die von Angsträumen reden, weil auch Frauen ungern zugeben, dass sie irgendwo Angst haben, und weil auch Frauen oft gar nicht merken, wie sehr sie ich den Regeln der patriarchalen Gesellschaft unterworfen haben (was sie auch nicht gern zugeben). Es ist ein schwieriges Feld, und die einzige Chance, die ich sehe, ist sich versammeln und laut werden.

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