23. Januar 2025

Warum der Fahrrad-Führerschein ein Social-Media-Tiger ist

Die Forderung nach Fahrradführerscheinen und Fahrradsteuern taucht in einer bestimmten Ecke der sozialen Medien immer wieder auf. Das gipfelte im vergangenen Jahr sogar in er Behauptung, in diesem Jahr - 2025 - komme der Fahrradführerschein. 

Das ist eine Falschbehauptung. Irrig ist auch der dahinter liegende Gedankengang, eine Führerscheinprüfung für Menschen, die Rad fahren, würde die Regeltreue erhöhen. Denn das tut auch der Führerschein für Autofahrende samt gut sichtbarem Kennzeichen nicht. Auch aus anderen Gründen ist ein Fahrradführerschein Unsinn. 

Regelverstöße im Vergleich: Laut einer neuen dänischen verkehrsbeobachtenden Studie, verstoßen 5 Prozent der Radfahrenden gegen Regeln, aber 66 Prozent der Autofahrenden. Ist die Radinfrastruktur schlecht oder nicht vorhanden, verstoßen 14 Prozent der Radfahrenden gegen Regeln. Am häufigsten sind Gehwegfahrten, wo sie nicht erlaubt sind, insbesondere in Kleinstädten ohne Radinfrastruktur. Und in Deutschland? Der Autoclub Europa (ACE) kommt in einer Studie von 2018 zu dem Ergebnis, dass rund 40 Prozent der deutschen Autofahrenden und 36 Prozent der Radfahrenden Regeln brechen. Bei Autofahrenden war mit 30 Prozent der ausbleibende Schulterblick vorm Abbiegen oder Tür-Öffnen der häufigste Fehler, ein Fehler, der Radfahrenden das Leben kosten kann. Das häufigste Fehlverhalten von Radfahrenden war mit 18 Prozent die Gehwegfahrt. Es gibt auch Befragungen, in denen in allen drei Verkehrsbereichen (zu Fuß, Fahrrad, Auto) weit über 90 Prozent der Leute zugaben, auch mal Regeln zu brechen. 

Der Augenschein trügt. Umfassende Studien, allemal in Deutschland, scheint es zu dem Thema nicht zu geben, nur jede Menge Meinungen oder Meinungsmache. So skandalisiert Mobil in Deutschland eine Bobachtung in München (ohne Datum), wonach 6,4 Prozent der Radfahrenden bei Rot nicht anhielten. Ein Vergleich Autofahrenden, die bei schon-Rot noch fahren, wurde nicht angestellt. Der ADAC hat wiederum 2023 in verschiedenen Städten die Rotlichtverstöße der drei Verkehrsarten gezählt. Die Ergebnisse je Kreuzung sind auffällig unterschiedlich. Autofahrende kamen nicht über 3,2 Prozent (Hannover) hinaus, die Radfahrenden nicht über 17,5 Prozent, sie werden teilweise überflügelt von Fußgänger:innen oder E-Scooterfahrenden. Das zeigt, wie sehr es auf die Organisation jeder einzelnen Kreuzung in verschiedenen Städten ankommt, beispielsweise auf lange oder kurze Wartezeiten für Fußgänger:innen oder Radfahrende an Ampeln. An einer Kreuzung mit extrem kurzer Grünphase für Autofahrende dürfte der Rotlichtverstoß prozentual auch höher sein (fahren innerhalb der ersten Sekunde nach Rot oder auch knapp darüber). Die FAZ befand 2019, "Mehr Autofahrer rasen bei Rot über die Ampel." (Bezahlschranke). Also weniger werden Rotlichtverstöße auch bei Autofahrenden nicht.  

Vergleiche halte ich für grundsätzlich schwierig. Zum einen weil unser Straßenverkehr ganz und gar  für den Autoverkehr optimiert ist und Radfahrende (und Fußgänger:innen) ihm ständig Vorrang einräumen müssen und es mit einer lückenhaften und hindernisreichen Infrastruktur zu tun haben, zum anderen, weil die Folgen von Verstößen extrem unterschiedlich ausfallen. Das Auto ist das gefährlichste Verkehrsmittel für andere. Ein Abbiegen, ohne Schulterblick nach Radfahrenden, kann töten. Die Rotlichtfahrt eines Radlers tötetet andere nicht. Die Gehwegfahrt stresst zwar Fußgänger:innen, gefährdet sie aber höchst selten. Die geschieht meist aus Angst vor dem aggressiven Autoverkehr. 

Der persönliche Eindruck taugt jedenfalls nicht für eine Aussage darüber, wer mehr Verstöße begeht. Denn die meisten Regelverstöße von Autofahrenden sind unsichtbar. Während alle die Gehwegfahrt eines Radfahrers sehen, sieht niemand, dass im Auto der Fahrer nicht über die Schulter nach hinten schaut, bevor er abbiegt oder gerade aufs Handy guckt. Auch das bei Rot noch durchrutschen, sieht man nur, wenn man genau hinschaut, während die Rotlichtfahrt des Radfahrers allein deshalb auffällt, weil man sie erwartet. Auch Geschwindigkeitsüberschreitungen sind kaum sichtbar. Andere Verstöße von Autofahrenden haben wir gelernt grandios zu übersehen, wie etwa das massenhafte Falschparken auf Gehwegen, Fußgängerzonen, an Kreuzungsecken, auf Radstreifen oder aber die selbstverständliche Missachtung von Einfahrt- oder Durchfahrtverboten auf Schleichwegen, mit oder ohne Schranke. 

Ein anderes Argument für einen Führerschein könnte die Sicherheit im Verkehr sein. Beim Führerschein lernt man ja auch, Verkehrssituationen einzuschätzen und richtig zu reagieren. Allerdings sind Radfahrende ohnehin die aufmerksameren Verkehrsteilnehmer:innen. Das geht aus einer Studie hervor, die zeigt, dass Autofahrer, die auch viel Rad fahren, gefährliche Situationen im Straßenverkehr besser einschätzen und schneller reagieren können. Und zwar zu hundert Prozent. Sie waren im Schnitt reinen Autofahrenden um anderthalb Sekunden voraus, und das ist im Straßenverkehr viel. Eigentlich sollte man Autofahrenden deshalb dringend empfehlen, viel Fahrrad zu fahren, damit sie lernen, mehr zu sehen, Gefahren besser einzuschätzen und schneller zu reagieren. 

Die meisten Radfahrenden haben außerdem bereits einen Führerschein fürs Auto. Kinder lernen die Radfahrregeln in der Regel in der Grundschule, was man auch Fahrradführerschein nennt. Eine Garantie für Regelkenntnis ist das aber auch nicht. Genauso wenig, wie es bei Autofahrenden ein vor Jahrzehnten gemachter Führerschein ist. Dass Autofahrende große Wissenslücken in Verkehrsregeln haben, stellte der ADAC 2022 fest. Im Durschchnitt wurde nur die Hälfte der Fragen richtig beantwortet. Vor allem die, die sich für besonders kundig hielten, schnitten besonders schlecht ab. Der Test beschränkte sich auf die Kenntnisse, die mit den häufigsten Unfallszenarien zusammenhängen und enthielt auch Schutzvorschriften für Radfahrende. 

Also für die Regeltreue nützt ein Führerschein nichts. Aber es ist soooo ungerecht! So ein bisschen Neid auf die Freiheit des Radfahrens schwingt bei dem Argument mit, auch die sollten einen Führerschein machen. Dabei vergisst man die Kinder und Jugendlichen, die selbstverständlich Fahrrad fahren. Ab welchem Alter sollten die nun den Rad-Führerschein machen? Ab 10, dem Alter, ab dem sie nicht mehr dem Gehweg radeln dürfen? Etwa in dem Alter machen sie bereits mit Hilfe der Polizei in der Schule so eine Art Führerschein, der aber nicht Pflicht ist. (Kinder dürfen selbstverständlich auch davor schon in der Öffentlichkeit Rad fahren.) Oder ab 14, wenn sie nicht mehr als Kinder gelten? Oder wann? Ein Fahrradführerschein, der nicht während der Schulzeit gemacht wird (dort müsste er dann aber immer angeboten werden), würde einen maßlosen bürokratischen Aufwand bedeuten. Nachträglich 67 Millionen Radfahrenden einen Fahrradführerschein per Schulung, Prüfung und Dokument auszustellen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, allemal in einem Land wie Deutschland, in dem allentalben ein Bürokratieabbau gefordert wird. (Übrigens, es scheint kein Land der Welt einen Fahrradführerschein zu verlangen.) 

Außerdem stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit. Das Fahrrad ist ein leichtes Fahrzeug, von dem sehr viel weniger Gefahr für andere ausgeht als von einem Auto. Ein Radfahrer kann keinen Autofahrer töten, der Autofahrer umgekehrt aber einen Radfahrer (und Fußgänger), ohne dabei selbst auch nur verletzt zu werden. Weil Autos solche gefährlichen Fahrzeuge sind, brauchen ihre Lenker:innen einen Führerschein. Etwa ein Drittel der Stürze von Radfahrenden sind sogenannte Alleinunfälle, für die meist schlechte Radwege, Hindernisse, mangelnde Sauberkeit der Wege, Bordsteine oder die Enge verantwortlich sind, zu einem kleinen Teil auch Fahrfehler (zu schnell bergab, falsch gebremst etc). Und die Radinfrastruktur wird durch einen Führerschein nicht besser, sondern nur dadurch, dass man sie ebenso für den Radverkehr optimiert wie die Straßen derzeit für den Autoverkehr optimiert sind. 



3 Kommentare:

  1. Das OVG Münster hat in seine Urteile gegen Radfahrverbote (Beschl. v. 05.12.2024, Az. 16 B 1234/24 und 16 B 5678/24) u.a. damit begründet ( Zitat aus Meldung der LTO vom 6.12.2024):
    "Außerdem stellte das OVG klar, dass fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge – anders als Kraftfahrzeuge – in der Regel ein geringeres Gefährdungspotenzial hätten. Ein allgemeines Verbot solcher Fahrzeuge stelle daher einen unverhältnismäßigen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG)) der Betroffenen dar."
    Ein grundsätzliches Radverbot für alle durch Führerscheinpflicht stellt noch einen viel größeren Eingriff dar

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    1. Darüber habe ich auch schon berichtet. https://dasfahrradblog.blogspot.com/2025/01/radfahren-darf-man-nicht-verbieten.html

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  2. Hallo Christine,
    Du hast ein Reizthema aufgegriffen und ich hoffe dass hier in diesem geschützten Bereich nicht zu viel derer Ihren Dampf ablassen die sich z.B von Haberlands Verein (mobil in ..) Märchen erzählen lassen. Dr Haberland ist ein "Petrolhead" und obwohl ich Autos auch für ziemlich coole Maschinen halte, ist das nicht als Kompliment gemeint. Er ist CSUler mit bekennender Fahrradhasser. Daher veröffentlicht der Verein immer wieder "Studien" die den Namen nicht verdienen aber Meinungsmache gegen Radfahrer für mehr Autoverkehr sind.
    Die Argumente gegen Führerschein hast Du alle genannt, besonders vor dem Hintergrund dass die meisten die sich über das Fehlverhalten von Radfahrern beschweren, erwachsene Radfahrer meinen, die selbst in Großstädten in den allermeisten Fällen Führerscheininhaber sind, ist die Forderung natürlich absoluter Käse, denn es würde sich so gut wie nichts ändern, nur eine ganz große Gruppe Jugendlicher und Kinder wäre ihrer Mobilität beraubt.
    Ich sehe teilweise sogar noch weniger Nutzen als Du. In der Fahrschule lernt man nicht wirklich Verkehrssituationen richtig einzuschätzen, maximal die Grundlagen um dann selbst besser aus Erfahrung lernen zu können. Das gilt auch für Alleinunfälle, denn nur mit Erfahrung ahnt man wo Strecken rutschig, oder sonstig schwer zu befahren sind. Wer viel fährt, lernt Fahrzeugbeherrschung, und die kommt nicht von zwei Übungsfahrten mit Fahrlehrer, ist aber notwendig um auf schlechten Wegen mit unerwarteten Ereignissen umzugehen.
    Ich habe damals einen Motorradführerschein gemacht, und da sind die Übungen zur Fahrzeugbeherrschung deutlich intensiver im Ausbildungskatalog als beim PKW Führerschein, und trotzdem war ich nach dem Führerschein nichts anderes als ein Anfänger mit Führerschein und die Fahrzeugbeherrschung kam mit der Übung.
    Erst nach vielen Stunden auf dem Motorrad ist man überhaupt so weit, dass man von einem Fahrertraining wirklich profitiert.
    Das ist beim Rad genau das gleiche, ein Führerschein ist keine umfassende Fahrerausbildung. D.h selbst wenn es eine Führerscheinpflicht gäbe, wären 99% der Fahrer kein bisschen anders unterwegs als heute. Nur Kinder und Jugendlcihe wären deutlich weniger mobil.
    Ich gehe davon aus, dass Mamataxis bei uns zu Dauerstau führen würden, wenn kinder nicht mehr mit dem Rad fahren dürften. ich wohne im Münchner Umland wo der Bus weder taugt um andere Gemeindeteile zu erreichen noch wirlich oft fährt

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