Die Universität St. Gallen hat Betriebe, Organisationen und Arbeitnehmer:innen in Deutschland und der Schweiz befragt, wie sie zur Arbeit fahren.
Sie wollten herausfinden, wieviel Interesse Arbeitgeber:innen haben, die Mobilität zu verändern, und ob ihre Angestellten die Angebote annehmen würden. Die Erkenntnisse für die Schweiz und für Deutschland wurden kürzlich veröffentlicht und von allen Leitmedien aufgegriffen. Die Tagesschau schreibt, Diensträder und Jobtickets würden zwar häufig von Firmen angeboten, fänden aber keinen Anklang bei den Angestellten. Für den Arbeitsweg steigen in Deutschland 70 Prozent der Leute ins Auto oder auf Motorräder, 83 Prozent davon sind mit Verbrennern unterwegs. Der Berufsverkehr mit dem Auto macht immerhin 40 Prozent des gesamten Verkehrs aus, und er verursacht 25 Prozent des CO2-Ausstoßes im Personentransport.
Ein Manko scheint die Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer:innen zu sein.
43 Prozent der Personalführungen haben keine Ahnung, wie ihre Angestellten zur Arbeit kommen und was sie sich wünschen. 66 Prozent erheben darüber gar keine Daten. Sie scheinen davon auszugehen, dass die Leute mit dem Auto kommen, denn 68 Prozent bieten einen Parkplatz am Arbeitsort an und 61 Prozent einen Dienstwagen (für höhere Gehaltsgruppen). 56 Prozent bieten immerhin ein Jobticket (Zuschuss zum Deutchlandicket) an. Dienstradleasing bieten 47 Prozent an, Radabstellplätze stellen aber nur 29 Prozent zur Verfügung. Um den CO2-Austoß zu senken, stellen viele bei Dienstwagen bereits auf E-Autos um (wozu, fürchte ich, viele Hybrid-E-Autos gehören, die meistens mit Benzin gefahren werden), oder sie erhöhen die Home-Office-Tage. 18 Prozent der Arbeitgebenden bietet gar nichts an.Interessant ist: Für 15 Prozent der Arbeitnehmer:innen rangieren der Umfrage zufolge Mobilitätsangebote an zweiter Stelle nach mehr Urlaub (30 Prozent). 70 Prozent fahren mit Auto oder Motorrad, 16 Prozent nutzen Busse und Bahnen, knapp 11 Prozent fahren mit dem Rad und 5 Prozent gehen zu Fuß zur Arbeit. Im Winter wird weniger Rad gefahren, dafür mehr Auto. Leider führt die Studie nur den Durchschnitt der Länge (21 km) und Dauer (29 Min.) eines Arbeitswegs an, nicht aber die Anzahl der Arbeitswege, die kürzer als 6-10 km sind. Bei dem, was Arbeitnehmende von ihren Firmen beziehen, liegen Dienstrad, Deutschlandticket und Dienstwagen (mit Verbrennungsmotor) mit 12-13 Prozent gleichauf. Am wichtigsten scheint für Arbeitnehmende die Flexibilität und Zeiteffizienz (nach der Arbeit einkaufen oder zum Sport fahren) ihres Verkehrsmittels zu sein, was ja eigentlich bei urbanen Strecken fürs Fahrrad spräche, aber aufs Auto hinausläuft.
Ein Drittel (33 %) der befragten Arbeitnehmer:innen konnte sich vorstellen, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen. 53 Prozent können sich die Bahn vorstellen, 40 Prozent Busse und Bahnen, bemängeln aber teils die für sie schlechte Taktung. 33 Prozent könnten sich Radfahrten mit Pedelecs vorstellen, immerhin 19 Prozent auch mit Normalrad.33 Prozent Radfahrende, die nicht mehr in Autos sitzen, wenn sie zur Arbeit und nach Hause fahren, würden allerdings bereits eine deutlich spürbare Entlastung des Autoverkehrs, aber auch der öffentlichen Nahverkehrs darstellen. Bleibt die Frage, warum steigen sie nicht um? Weil man Gewohnheiten nur schwer ändert, weil sie die Radwege und Radrouten ihrer Stadt nicht kennen, weil sie sich im überbordenden Autogerangel auf unseren Straßen unsicher fühlen?
Übrigens: Basel hat es nach eigenen Angaben schon geschafft: Dort fahren 55 Prozent der befragten Bevölkerung mit dem Rad zur Arbeit. Wären die Radwege besser ausgebaut, wären es womöglich noch mehr.
Das ist immer so eine Sache mit den Umfragen und auch mit Mobilität.
AntwortenLöschenIch würde auch lieber nicht mir dem Auto fahren. Einfacher Weg derzeit: 22 km. Mit dem Fahrrad über eine Stunde, mit dem ÖPNV (alle 10 min) inkl. Fußweg über eine Strasse ohne Fußweg und Beleuchtung 1:20h , Weg mit dem Auto 20-25min. Kollege wohnt auf dem Land einfacher Weg 22-32km, mit dem ÖPNV (max. alle 60min) ohne Fußwege 1:20h, mit vermutlich 1:30-1:40h , mit dem Auto ca. 30min. In vielen Fällen hängt es an der schlechten Verbindung zwischen Wohn- und Arbeitsort. Ich bin schonmal vereinzelt mit dem ÖPNV gefahren. Zusätzlich zur Dauer war das keine Freude. Die Bahn proppevoll, wenig Rücksichtnahme der lieben Mitfahrenden und man muss trotz fehlenden Sitzplatzes den vollen Preis zahlen. Und wenn ich die ganze Zeit stehen muss, kann ich die Zeit auch nicht für was anderes benutzen. Wenn man dann 1 h in der vollen Bahn gestanden hat, will man das nicht täglich wiederholen. Mein Mann ist eine ganze zeitlang mit dem ÖPNV gefahren und Jobticket. Er hat es aufgegeben, da er Mittags teilweise erst in die dritte Bahn reingekommen ist und dann auch stehen musste. Er war dann so genervt, dass er sich in der Stadt einen Stellplatz für sein Auto organisiert hat. Er war einfach das Gewarte, Gedränge und Geschiebe leid. Fahrrad war für Ihn keine Alternative, weil Radfahren bei uns keine Freude ist.
Da ist es dann egal, ob es Jobticket oder Jobrad oder sonstwelche Angebote gibt, wenn die Infrastruktur (Bahn/Radwege) dazu mangelhaft ist.
Karin
Das tägliche Reisezeitbudget ist nun mal 1h20 - 1h30 und das seit Jahrhunderten wenn nicht -tausenden.
LöschenDaran ändert sich nichts und wird sich auch nichts ändern.
Es geht nur um die gesellschaftliche Organisation des Ganzen, und da bringt ein pures Rumdoktern an Symptomen nix. Wenn Menschen in einer seit Jahrzehnten autozentrierten Gesellschaft 20 oder 30 km von ihrem Arbeitsplatz wohnen, dann braucht man halt nicht mit Jobtickets oder Jobrad daherkommen, sondern muss eben die Grundbedingungen wieder zurückdrehen. Und das wird dauern. Im Zweifelsfall bricht inzwischen die Zivilisation zuerst zusammen.
Die Radverkehrsanlagen in Basel sind besser als anderswo, sicher besser als in Stuttgart, und der schweizerische öffentliche Verkehr bekannt gut aber ich kann auch dort keine massive Abkehr vom Auto beobachten.
Manche Arbeitswege sind zu weit, aber die meisten sind es nicht. Und nur diejenigen, die vier bis 15 km zur Arbeit fahren, brauchen sich zu überlegen, ob sie Auto oder Öffis durchs Fahrrad ersetzen wollen. Mit dem Auto ist man auf Strecken ab 10 bis 15 km zwar schneller, aber eben nur, wenn man nicht im Stau steht, aber der Gewinn an Bewegung und Lebensfreude durchs Radfahren wiegt die zehn oder zwanzig Minuten auf, die man mit dem Fahrrad länger unterwegs ist. Wer regelmäßig solche Strecken radelt, spart sich Fitnessstudios oder die Joggingrunde. Der Sport, den Veilautofahrende machen, um den Bewegungsmangel zu kompensieren, kostet ja auch Zeit und oft auch Geld.
LöschenVor allem ist der Bezug zu Raum/Siedlungsentwicklung in den Blick zu nehmen, da hier ein zentraler Treiber für den 'Automobilen Teufelskreis' liegt.
LöschenOben wurde ja schon die Rolle des 'konstanten Reisezeitbudgets' genannt, was u.a. bedeutet, dass die Distanz von Arbeiten und Wohnen, von Wohnen und Einkauf, etc. nicht in Km, sondern in Minuten gemessen werden muss.
Politisch wird entschieden, wie diese Distanz (Zeit) sich in Kilometer übersetzt.
In den USA zB gibt es durchaus Flug-Pendelnde (super commuter), die im Finanzzentrum arbeiten und im mittleren Westen wohnen, was sich innerhalb des wöchentlichen Reisezeitbudgets realisieren lässt.
Im Hinblick auf eine angeblich ja angestrebte ökologische Vekrehrswende gälte es also den Ordnungsrahmen (Höchstgeschwindigkeit / Kosten / Infrastruktur ...) so zu gestalten, dass eine ökologisch verträgliche Verkehrsmittelwahl und der Raumbezug zueinander finden.
Gegenspieler sind u.a.:
- Arbeitgeber mit ihrem Bedarf nach möglichst großem Arbeitskräfte Einzugsgebiet und dem Bedarf nach passgenauer Qualifizierung bereits zum Einstellungszeitraum
- Bildungssystem mit Wechsel von genereller Qualifikation hin zu 'schmaler' nicht generalistischer Spezialausbildung mit zusätzlichem Impact im Falle fester Paarbeziehung (Wohnort zwischen den oft weit auseinanderliegenden Arbeitsstätten)
- Auto- und Öl-lobbies (Renditeansprüche)
- Renditeansprüche der Immobilienwirtschaft mit immer höheren Mieten/Preisen für zentrales Wohnen
- Sozial und ökologisch destruktive materielle Wohlstandssteigerungen im 'oberen' Drittel oder 'oberen' Viertel der Industriegesellschaften, mit Trend zu zweit/dritt/viert Auto sowie zu vermehrten Flugreisen 'for Fun'
- politisch/populistischer Trend zu immer mehr und tendenziell schnellerer Auto-Infrastruktur (Verdichtung und Kapazitätserhöhungen im Autobahn und Schnellstraßennetz
- Reduktion von Reisezeit relevanten MIV-Schnittstellenstaus (Überlagerungszone von Binnen- und Pendelverkehren) mittels Radverkehrsseparation und Verlagerung des stauerzeugenden Kurzstrecken MIV
auf autogerechte Radwege
- weitere Faktoren ...
Bekannt ist, dass Wechsel im Mobilitäts- und Raumverhalten (Wohnortwahl, Arbeitsplatzwahl, Verkehrsmittelwahl usw) vornehmlich bei Wechseln der Lebenssituation vollzogen werden, und eher nicht im 'laufenden Betrieb' des Lebensvollzugs.
Tendenziell und historisch folgt der Raumbezug dabei der Verkehrsbeschleunigung (nicht umgekehrt) und schafft bzw. zementiert damit auch das berühmte 'Ich bin aber auf's Auto angewiesen'.
Der Automobilismus ist ein in sich recht stabiles und sich selbst verstärkendes Phänomen, dass sich erfolgreich mit zentralen ökonomischen und gesellschaftlichen Teilsystemen verwoben hat.
Ökologische Verkehrswende ist insofern zwingend ressortübergreifend zu betrachten, also nicht von der sozialen Frage, der Frage nach der Perspektive kapitalistischer Produktionsweise usw. zu trennen.
Einer der wichtigen ersten Ansatzpunkte wäre die Verlängerung der MIV-Reisezeiten auf den mittleren und längeren Distanzen bei gleichzeitiger Verkürzung der Reisezeiten des Umweltverbundes.
Leider wird zur Zeit immer noch Pull&Pull Politik betrieben (Förderung des Umweltverbundes ohne gründliche und wirksame Deattraktivierung des MIV), was wenig Chancen auf Veränderung bietet, sowie eine Fortführung der destruktiven Politik im Bereich Arbeit / 'soziales' / Wohnen.
Alfons Krückmann
In Frankreich etwa wohnen die Super Commuter in Bordeaux oder Nantes und fahren mit dem TGV nach Paris...
LöschenNatürlich behindert die Politik und die Organisation unserer Lebens- und Arbeitsräume oftmals eine umweltgerechte Mobilität. Allerdings ist das Potenzial fürs Radfahren sehr viel größer als es im Moment ausgenutzt wird. Im Grunde können sich fast alle, die einen Weg von 3 bist 20 km zur Arbeit haben, überlegen, ob sie diesen Weg mit einem Fahrrad oder eben Pedelec zurücklegen können. Meistens geht das.
LöschenHallo Christine
AntwortenLöschenich bin ein Chimäre bestehend aus Auto- und Radfahrer. Die 7 km täglich (eine Richtung) zur Arbeit und alltägliche Fahrten alleine mache ich mit dem Rad, wenn die Familie oder schwere Sachen mit dazukommen, z.B. wegen Freizeitaktivitäten, Urlaub, Einkauf, Ausflug, Transport aber auch Faulheit oder schlechtem Wetter, wird einfach ge-carshared. So waren es doch 9.600 km letztes Jahr mit dem Carsharing Auto, dass mich im Schnitt 50 Cent/km gekostest hat, all inclusive natürlich! Damit liege ich wohl laut ADAC Kostentabelle weit unter den Vollkosten pro km eines Privatbesitz-Pkws, weil eben nur dann genutzt wird, wenn gefahren wird. Mein Fazit für unsere Familie: Grundlast (Alltag) mit Fahrrad, Spitzenlast mit Auto (1 - 4 Fahrten pro Woche). Im Mix billiger und Gesünder. Optimal wäre natürlich Lastenrad-Sharing als Mittellast und weniger Faulheit, weil Auto bequemer...Info: nächste Station ist 1 km vom Wohnhaus entfernt und wir wohnen recht zentral in einer Grossstadt mit 200.000 Einwohner.
Grüsse
Michael
Danke für die Schilderung. Ich beobachte oft, dass sich die Menschen, die eh schon viel mit dem Fahrrad (und umweltfreundlichere Mobilität) machen, fragen, wie sie noch mehr tun könnten. Dabei haben sie schon so viel Verantwortung übernommen. Die anderen aber, diese Auto-um-jeden-Preis-Fahrenden machen sich gar keine Gedanken.
LöschenGeht mir genauso. Man sollte aber dabei aber immer im Klaren sein, dass nicht das individuelle Verhalten der Schlüssel zur wirklichen Lösung des Problems sein kann, sondern nur Veränderungen systemischer Natur.
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