Die Stuttgarter Zeitung hat einen differenzierten Artikel über Senior:innen auf Pedelecs veröffentlicht, die vor allem auf Landstraßen unverhältnismäßig oft Opfer von meist selbstverschuldeten Zusammenstößen mit Autos werden.
Die Zeitung schreibt, oftmals seien es beim Überqueren von Landstraßen mit E-Rädern die Frauen, die ihren Männern folgen, obgleich ein Auto kommt, und das auch noch sehr schnell. Über die Gefahren beim Radeln zu mehreren habe ich bereits geschrieben. Der vorausfahrende Radler sieht für sich eine freie Straße und die Gelegenheit und fährt beispielsweise aus dem Feldweg über eine Landstraße. Damit bringt er jedoch die Nachfolgenden in Gefahr. Denn die befinden sich im Vertrauensmodus hinter einem Anführer und Entscheider. Sie wollen dranbleiben, gucken nicht oder schaffen es nicht, sich mental blitzschnell vom Voranfahrenden zu lösen, eine eigene Entscheidung zu treffen, anzuhalten und den Verkehr abzuwarten. Das passiert auch Jugendlichen. Es passiert aber eben auch bei radelnden Paaren im Rentenalter. Da die meist Pedelecs fahren, entsteht der Eindruck, als seien die Pedelec-Fahrenden im Vergleich zu Normalradfahrenden besonders gefährdet. Würden sie Normalräder fahren, bestünden allerdings die gleichen Gefahren. Es stimmt aber auch, dass die Senior:innen vielfach gar nicht mehr Rad fahren würden, gäbe es diese Räder mit E-Unterstützung nicht. In den allermeisten Fällen verlaufen all diese Radfahrten übrigens unfallfrei, und mit Pedelcs radeln ist gesund, hält mobil und ermöglicht Teilhabe im Alter, ist also gut. Es darf also nicht darum gehen, Pedelecs zur Hauptgefahr und stilisieren und zu verdammen. Autofahren ist gefährlicher, wenn auch nicht für die Senior:innen selbst, so doch für andere.
Die Polizei sucht im Zeitungsartikel allerdings aufs Pedelec bezogene Erklärungen:
Das Pedelec sei zu schnell. Wenn ich mir die älteren Radler:innen allerdings so anschaue, sehe ich die wenigsten schnell (25 km/h) fahren, sondern ihre Pedelecs eher langsam treppeln (17-20 km/h). Bezogen auf das Kreuzen von Landstraßen ist womöglich gemeint, dass die E-Unterstützung bei der Beschleunigung dazu verführt, noch zu fahren, wo man mit dem Normalrad nicht schnell genug vom Fleck gekommen wäre und gebremst hätte. Bremsen allerdings funktioniert auf dem E-Rad genauso wie auf einem Normalrad. Und die Räder kommen auch schnell zum Stehen. Ältere Menschen allerdings könnten es vermeiden wollen, absteigen zu müssen, was sie beim Bremsen zum Stillstand oft müssen (weil die Räder für sie zu groß und die Sättel zu hoch eingestellt sind). Danach müssen sie wieder hoch auf den Sattel, was Älteren schwerer fällt als Jüngeren. Anderseits vermeiden ja auch sehr viele junge Radfahrende das Anhalten, weil es anstrengend ist, woraus dann die elenden Rotlichtfahrten entstehen.Dass man im Alter grundsätzlich weniger reaktionsschnell ist und Situationen nicht schnell genug richtig einschätzen kann, ist ein Fakt, der sich auf alle Verkehrsarten auswirkt, aufs zu Fuß Gehen, aufs Radfahren und aufs Autofahren. Sogar das Stadtbahnfahren wird für Ältere zum Risiko, weil sie eher mal stürzen. Das ist halt so. Ich gehöre mittlerweile selber zu diesen Älteren. Und in einer Gesellschaft, in der es immer mehr Ältere gibt, nehmen die folgenschweren Verkehrsunfälle, Stürze und Crashs zu. Das ließe sich nur ändern, indem man den Autoverkehr deutlich verlangsamt und die Untergründe der Radinfrastruktur deutlich verbessert. Für mich sind Geschwindigkeiten von 100 km/h auf Landstraßen ein Anachronismus, und wenn man Autos mit Hundert durch ländliche Ansiedlungen mit Zu- und Abfahrten auf eine Landstraße schickt, dann kann ich nur noch den Kopf schütteln. Gibt es aber immer noch.
Dass viele dieser Radfahrten mit E-Rädern von älteren Eheleuten eigentlich Freizeitfahrten sind, also kleine Radtouren am Wochenende, halte ich für das größere Problem. Wenn ich am Wochenende meine Routinestrecken zum Rudern und nach Hause radle, staune ich über die Wochendradelnden, die bei schönem Wetter massenhaft unterwegs sind. Sie kennen oft die Wege nicht so genau, verirren sich auf verbotene Gehwege oder bimmeln sich rigoros den Weg frei. Es hat den Anschein, als würden sie die Verkehrsregeln fürs Fahrrad nicht kennen, keinerlei Verkehrsschilder sehen, die für sie gelten, und als seien sie nicht mit dem adäquaten Risikobewusstsein unterwegs. Radfahren als reine Freizeitveranstaltung im Entspannungsmodus (Rennradtraining und Tourenradeln sind nicht gemeint) ist riskant, wenn einem die Alltagsroutine im Stadtverkehr fehlt. Hinzu kommt meist das Gefühl (das auch bei Autofahrenden existiert), dass jetzt Wochenende oder Feiertag ist und die strengen Alltagsregeln nicht gelten. Man will sich nicht behelligen lassen von dem, was man eigentlich nicht darf oder was andere stört oder gefährdet. Die Verkehrsteilnahme im Entspannungsmodus ist jedoch riskant.Natürlich erreiche ich mit meinem Blog all die vielen nicht, die nur im Freizeitmodus radeln. Ich erreiche ohnehin die meisten Radfahrenden in Stuttgart nicht. All den Jungen, die vielleicht jetzt gerne auf die aufrecht auf ihren Pedelecs cruisenden Sonntagsradler:innen schimpfen würden, erinnere ich daran, dass wir alle alt werden, falls wir solange leben. Und nicht nur als Jugendliche, auch im Alter dürfen wir Nachsicht bei menschlichen Fehlern und Respekt vor unserer Person erwarten.
Dazu passt, dass die Senioren-Union (CDU) eine andere Verkehrsplantung fordert, die das Risiko für Ältere mindert, zu stürzen oder angefahren zu werden. (Es scheint, man muss erst alt werden, um zu begreifen, was für Ältere gut wäre. Leider können wir nicht mehr Kind werden.) Gegen Zusammenstöße mit Autos und allein verursachte Stürze hilft vor allem eine sichere Radinfrastruktur (durchgängig, eben, hindernisfrei, ausgeschildert). Und die muss die Überwege an Landstraßen auf üblichen Ausflugsradrouten mit einschließen. Wo man Radfahren kann und darf und wo nicht, muss intuitiv erkennbar sein. Und gerade auf Landstraßen muss der Autoverkehr daran gehindert werden, in hohem Tempo über einen geradeaus führenden Radweg abzubiegen.
Über Land ist die größte Unsitte dass oft bei Einmündungen in Landstrassen der parallele Fahrradweg mit "Vorfahrt gewähren" Schildern ausgebremst wird um den Autos ungebremstes Abbiegen ohne Haftungsrisiko zu ermöglichen. Meiner Ansicht nach ist so eine Ausschilderung rechtswidrig, dennn sie erhöht das Verkehrsrisiko anstatt es zu vermindern. Ist auch Geldverschwendung, da werden schon auf einen Landkreis gerechnet Schilder in deutlich vierstelliger Zahl verbaut, also fallen knapp siebenstellige Kosten an.
AntwortenLöschenDie "Vorfahrt gewähren"-Schilder gibt es (hier im Süden zumindest) auch (fast?) immer bei den Ein- und Ausfahrten von Kreisverkehren für den Radweg. Dass trotzdem viele Kfz bei der Einfahrt vor dem Radweg anhalten mag nett gemeint sein, hilft aber eigentlich nicht gerade. Und was die Ausfahrten angeht, wird so natürlich eine unklare Situation erzeugt.
LöschenBei Kreisverkehren außerhalb von Städten ist es üblich, die Überfahrt für Radfahrende mehr als fünf Meter vom Kreisverkehr wegzulegen und dann Vorfahrt-achten anzuordnen (was sowieso gelten würde, was aber niemand weiß).
LöschenStimmt, müsste ich mal genauer schauen wie der Abstand jeweils ist. Bei einigen ist der Abstand auf jeden Fall mehr als 5m. Damit sollte ich mich dann auch zu Fuß nicht mehr auf Vorrang verlassen, oder? Das wäre besonders innerorts ja sehr unerfreulich wenn der Abstand wie so oft nicht klar kleiner ist.
LöschenVerschwenkungen um die 5m Abstand kurz vor der Einmündung zu erreichen gibt es ja auch gern mal außerorts. Dass die Benutzungspflicht damit erlischt (Radweg ist nicht "straßenbegleitend"), bringt einem ja auch nicht immer was und Fußgänger sind damit auch gebissen.
Von schweren Unfällen beim Queren von Landstraßen lese ich auch mehr als ich erwarten würde. Dabei hätte ich erwartet, dass hier das Pedelec eher hilfreich ist, weil das Anfahren leichter gehen sollte und die Querung schneller geschafft ist. Gerade wenn man nicht allein ist (mehr noch mit Kindern und vermutlich auch Älteren) oder schwerem Rad, braucht man ja eine gewisse Extrazeit.
AntwortenLöschenDass das auch durch fehlendes Anhalten und Warten passiert hatte ich nicht auf dem Schirm, klingt aber plausibel. Ebenso die hohen Geschwindigkeiten auf Landstraßen mit teils großen Schwankungen, die einmal das Abschätzen schwieriger und bei nicht gerader Landstraße sehr schwierig machen.
Was die mangelnde Alltags-Rad-Erfahrung bei meist Ausflüglern angeht habe ich bisher meist den Gedanken gehabt "Die fahren halt so wie sie sonst Auto fahren", mit etwas Abstand ist das aber auch nur mangelnde Erfahrung.
Hannes
Hallo Hannes,
LöschenIch hatte bisher immer den Eindruck, dass die Wochenendausflügler eher fahren wie Spaziergänger gehen. Und als Spaziergänger auf Spazierwegen muss man nicht nach hinten schauen um mal kurz stehen zu bleiben, oder den Weg zu queren um sich etwas anzusehen, oder frühzeitig signalisieren, dass man Raum für Entgegenkommende frei machen wird."
Auf meinem Arbeitsweg laufen im Sommer viele Touristen herum, tatsächlich auf der Fahrbahn einer Straße, die aber eben nur zum Schloss Nymphenburg in München führt. Viele dieser Gruppe verhalten sich wie im Freizeitpark aber nicht wie im Straßenverkehr, Urlaub / reine Freizeitaktivität und Regeln scheinen einander auszuschließen. (nicht bei allen! aber bei so vielen, dass es das Miteinander negativ beeinflusst wenn viel los ist).
Einiger dieser Gruppe fühlen sich dann auch noch von denen gestört für die die Straße nur eine Verkehrsinfrastruktur ist, die zufällig am Schloss vorbei führt. (Was musst Du da fahren wo ich Urlaub mache?)
Der letzte Absatz beschreibt einen der Faktoren, die auch bei der Biergarten-Geschichte aus dem letzten Artikel eine Rolle spielen, Menschen, die in völlig verschiedenem Geisteszustand am selben Ort unterwegs sind.
LöschenWas dabei halt immer in mehr oder weniger großem Maße fehlt, ist das Mitdenken, im breitesten Sinne. Wer einigermaßen egoistisch jeweils nur auf sein persönliches Ziel ausgerichtet sich fortbewegt, der löst früher oder später Konflikte aus, bei denen er dann selbst sehr gut auch das Opfer sein kann, je nachdem, ob er der jeweils schwächere Teilnehmer ist. Ein Element dabei ist auch oft der Gruppeneffekt, der - nicht unbedingt im Widerspruch zu o.g. Egoismus - ebenfalls viele Menschen zur Aufgabe jeder Eigeninitiative bzw.- verantwortung animiert. Fehlendes Mitdenken, fehlende Mitverantwortung von wem auch immer spielt bei sehr vielen menschlichen Problemen eine große Rolle.
Ein bisschen erinnert so etwas mich auch an die Dramen, die regelmäßig in den Bergen passieren, wo jemand nur auf sein Ziel ausgerichtet unterwegs ist, und so lange alle äußeren Faktoren ignoriert, bis er bei Schneefall irgendwo abgestürzt an einem unzugänglichen Ort liegt, riesige Rettungsunternehmungen an den Verhältnissen scheitern und dessen Leiche dann Wochen später geborgen wird...