Pedelecs sind Fahrräder und werden bei der Verkehrsplanung gemeinsam gedacht. Allerdings werden sie unterschiedlich eingesetzt. Gerade E-Räder ersetzen deutlich öfter Autofahrten als Normalräder.
Die taz berichtet (leider mit der unklaren Begrifflichkeit "E-Bike") über eine aufwendige Studie im International Journal of Sustainable Transportation, die auf Daten aus dem Jahr 2017 basiert, und findet es "überraschend", dass E-Räder deutlich mehr Autofahrten ersetzen als gedacht, und dass sie deshalb mehr sind als "schnellere Fahrräder". Fast jede zweite Fahrt (42,1 Prozent), die mit einem Pedelec gemacht wird, ersetzt eine Fahrt, die der Mensch sonst mit dem Auto gemacht hätte. Bezogen auf die zurückgelegten Kilometer sind es sogar sogar 63,2 Prozent. Fahrräder ohne E-Antrieb ersetzen knapp 20 Prozent der Autofahrten. Und die Datengrundlage ist acht Jahre alt. Inzwischen hat sich die Zahl der Pedelecs sicher mehr als verdoppelt und sie ersetzen vermutlich noch mehr Autofahrten. Insbesondere Lastenfahrräder. 2017 nutzten nach Ansicht der Studienautoren vor allem Menschen mit besonderem Interesse und Bedarf das E-Rad, heute ist das Spektrum der Nutzer:innen viel breiter.
Für mich ist die Erkenntnis der Studie jetzt nicht so überraschend, denn ich beobachte schon lange bei mir und in meinem Umfeld, dass Pedelecs tatsächlich sehr oft wie Autos genutzt werden, also für Alltagsfahrten, die man vorher mit dem Auto gemacht hat. Und ich erlebe, dass Leute sich ein Pedelec kaufen, um damit zur Arbeit zu fahren, weil sie erkannt haben, dass der Weg eigentlich gar nicht so lang ist und dass es unbequem ist, vor Ort Parkplätze fürs Auto zu suchen.
Pedelecs sind eine andere Fahrzeugsorte
Der Studienautor Leonard Arning von der Uni Wuppertal (der inzwischen in einem Kölner Ingeneursbüro arbeitet) entwickelt daraus den Gedanken, dass E-Bikes (eigentlich Pedelecs) nicht nur schnellere Fahrräder seien, sondern eine ganz andere Fahrzeugsorte. Pedelec-Fahrer:innen würden sich oft anders verhalten als Menschen auf konventionellen Fahrrädern: Sie fahren meist längere Strecken und lassen sich von mangelhafter Radinfrastruktur (und langen oder steilen Anstiegen) weniger abschrecken. Normalradler:innen dagegen würden dann eher mal auf ein anderes Verkehrsmittel umsteigen.Das kann ich bestätigen. In Stuttgart beispielsweise steigen etliche Biobiker:innen auf dem nächtlichen Heimweg vom Kessel nach Vaihingen hoch doch auch gern mal mit dem Fahrrad in die Stadtbahn oder S-Bahn. E-Rad-Nutzer:innen tun das eher nicht. Man kann zwar die Alte Weinsteige mit dem Normalrad hochächzen (und an Wochenenden tun das sportliche Rennradler gern mal), aber selbst in den 80er oder 90er Jahren sind eingefleischte Radler (meist männliche) dann doch nicht im Alltag aus dem Kessel die Alte Weinsteige hochgeradelt. Einer sagte zu mir, er sei mit dem Rad halt sehr langsam gewesen und die Autos hätten zu sehr gedrängelt und gestresst. Der Radverkehr auf der Alten Weinsteige hat erst seit der massenhaften Verbreitung von Pedelecs drastisch zugenommen. Wie überhaupt auf allen Anstiegen in Stuttgart.
Pedelecs sind Treiber der Verkehrswende
Deshalb sollten, so die Forderung des Studienautors, E-Räder als eigene Kategorie in der Verkehrsplanung berücksichtigt werden. Denn gerade sie helfen bei der Verkehrswende hin zu einer gesünderen Mobiltiät für sie selbst und für die Umwelt. *(Zitat aus der Arbeit siehe Fußnote) Welche Verkehrsplanung er sich vorstellt, hat die taz nicht erfragt. Ich habe Leonard Arning per Mail gefragt und dabei spekuliert: Wenn Pedelecs eher Autoersatz sind, während Standardräder eher Sport- oder Freizeitgeräte sind (natürlich nicht nicht alle in allen Fällen), unterscheiden sich auch die Routen und die Ansprüche an die Routen. Mit Normalrädern geht es eher abends und am Wochenende in die Freizeit und raus aus der Stadt ins Grüne (vielfach werden dazu inzwischen auch Pedelecs genutzt), mit Pedelecs werden häufiger tagsüber (aber auch abends) Pendlerstrecken und Care-Arbeit- und Einkaufsstrecken etc. gefahren, also im Stadtgetümmel. Dafür braucht es auf den Fahrwegen (egal sie sie aussehen eine Atmosphäre der Sicherheit, Bequemlichkeit und Stressfreiheit und an den Zielen Rqdbstellplätze. Leonard Arning hat mir geantwortet, die Konsequenzen für die Verkehrsplanung seien nicht Teil der Studie gewesen, da gebe es weiteren Forschungsbedarf. Es könnten aber die von mir angedachten sein.
Es braucht eine Radinfrastruktur für Alltagsradler:innen
Im Alltagsradverkehr wird immer deutlicher, dass Radwege und Radfahrstreifen heutzutage breiter sein müssen, insbesondere Zweirichtungsradwege, denn es sind halt jetzt viele schnellere Pedelecs unterwegs. Sie brauchen Untergründe und Kurvenradien, die für ein höheres Fahrtempo taugen. Wenn wir in Kolonne auf dem Zweirichtungs-Radweg auf der König-Karls-Brücke fahren, spüren wir alle, dass er altertümlich schmal ist. Die Entgegenkommenden müssen Spur halten (und vorausschauend radeln), damit man unbeschadet aneinander vorbeikommt, langsamere Radler:innen Überholen ist bei viel Radverkehr oft nicht drin. Dass Radrouten auf engster Fläche im Mischverkehr mit Fußgänger:innen und Schrittgeschwindigkeitsgebot enden (Foto ganz oben), ist geht eigentlich gar nicht bei Fahrrädern, die nicht im Freizeitmodus, sondern im Erledungsmodus gefahren werden. Autofahrer schieben sich ja heute auch nicht mehr durch enge Citystraßen, sondern rauschen auf der B14 schnell durch die Innenstadt. Leute mit Pedelecs als Autoersatz wollen auch zügig, direkt, umstandslos und ohne lange Ampelwartezeiten fahren.
Diese Erkenntnisse sind auch nicht neu. Neu ist aber schon der Gedanke, dass es für die andere Nutzung von Pedelecs im Gegensatz zu Normalrädern eine eigene Verkehrsplanung bräuchte. Das habe ich selber so noch nicht gedacht.
Aber wie sähe eine Verkehrsplanung aus, die berücksichtigt, dass Alltagsfahrten mit dem Pedelec statt mit dem Auto gemacht werden und das unterstützt? Antwort darauf ist eigentlich auch nicht revolutionär: Man muss entlang aller typischen Wege, die Autofahrende nehmen (aus der Peripherie in die Stadt, zu den Einkaufszentren, zu Sport- und Kulturstädten und so weiter Radstreifen oder Radwege anlegen, auf denen man schnell und direkt radeln kann. Auch wenn Pedelecradelnde sich nicht so sehr vor dem Mischverkehr mit Autos scheuen (weil sie vor allem an Anstiegen schneller sind), bräuchte es nach meinem Dafürhalten, Radstreifen entlang aller Hauptverkehrsachsen der Stadt und innerhalb der Stadtviertel (für die Care-Arbeits-Fahrten, die meist noch Frauen erledigen), zumindest aber an großen Kreuzungen eine Radinfrastruktur, die es unnötig macht, über Gehwege und Fußgängerampeln zu queren. Wenn Pedelecs Autofahrten ersetzen, dann müsste man auf mehrssurigen Fahrbahn eine Autosspur durch eine Radspur ersetzen.
Genauso ist es auf der König-Karl-Straße in Cannstatt in der Bahnunterführung geschehen. Es waren so viele Fahrräder (meist Pedelecs) auf dem viel zu schmalen Gehweg unter der Brücke unterwegs, dass man eine Fahrspur dem Rad- und Busverkehr zugeschlagen hat. Auch der Radstreifen auf der Böblinger Straße ist die Konsequenz aus dem zunehmenden Pedelcverkehr. Es radeln einfach mehr nach Vaihingen hoch und von Vaihingen runter. Der Ausbau von Fahrradstraßen trägt dem ebenfalls Rechnung. Pendler-Strecken (meist radial von außen ins Zentrum) werden also durchaus zukunftstauglich gemacht. Allerdings fehlen gute Radverbindungen zwischen den Stadtteilen, was der Konflikt um den Schwabtunnel zeigt (übrigens auch der Konflikt um den Flughafentunnel). Autofahrende akzeptieren Radfahrende nicht auf der Fahrbahn, schüchtern sie ein und überholen verbotenerweise.Alternativ dazu könnte man übrigens auf so gut wie allen Straßen Stuttgarts Tempo 30 anordnen, dann spart man sich die Anlage von Radinfrastruktur, denn die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen Pedelec und Auto sind dann nicht mehr so groß. Im Alltags- und Radpendlerverkehr werden Pedelecs durchaus mit 25 km/h gefahren (wo es geht), im Gegensatz zu den meisten Normalrädern, die je nach Radtyp und Fahrtyp mit zwischen 14 und 17 km/h unterwegs sind (Rennräder auch schneller).
Die Hauptfrage aber bleibt: Wie bringt man die Stadtpolitik dazu, das Potenzial der Alltagsradelei mit Pedelecs auch wirklich zu nutzen? Es scheint (auch in Stuttgart) von Menschen mit ehem rückwärtsgewandten Weltbild ja gar nicht gewollt zu sein, dass das Pedelec auf kürzeren Strecken wirklich das Auto ersetzt. Sie wollen Autos in der Stadt haben, weil sie, wenn auch antiquierte, Symbole des Wohlstands und Aufschwungs des vorigen Jahrhunderts sind. (Während heute eigentlich tatsächlich Pedelec und E-Lastenrad die Insignien bürgerlichen Wohlstands sind). Warum sonst ist es so mühselig und zeitrauebend, fürs Fahrrad zu planen und zu bauen? Eigentlich müssten die Städte sich doch ungeheuer beeilen, das Radfahren so attraktiv zu machen, dass deutlich weniger Auto gefahren wird.
* (Zitat aus dem Paper von Arning) Diese Erkenntnis, zusammen mit den signifikanten Unterschieden in den Modellkoeffizienten zwischen E-Bikes und herkömmlichen Fahrrädern, deutet darauf hin, dass E-Räder einzigartige Verhaltensmuster und Nutzerpräferenzen aufweisen, die nicht erfasst werden können, wenn man sie in Verkehrsmodellen einfach als schnellere Fahrräder behandelt. Diese Unterschiede unterstreichen vielmehr die Notwendigkeit, E-Räder sowohl in politischen Rahmenbedingungen als auch in der Verkehrsmodellierung als eigenständiges Verkehrsmittel zu konzipieren. Für politische Entscheidungsträger(innen) bedeutet dies, dass sie gezielte Infrastrukturen, Anreizprogramme und Vorschriften entwickeln müssen, die die spezifischen Merkmale und Bedürfnisse von E-Rad-Nutzenden widerspiegeln. Für Fachleute im Bereich der Verkehrsmodellierung unterstreicht dies die Bedeutung der Trennung von E-Rädern und herkömmlichen Fahrrädern, um das Reiseverhalten, die Dynamik der Verkehrsmittelwahl und das volle Potenzial von E-Rädern für einen nachhaltigen Mobilitätswandel genauer zu erfassen. Das rasante Wachstum der Marktanteile von E-Bikes, ihre deutlichen Unterschiede zu herkömmlichen Fahrrädern und ihr Potenzial zur Förderung einer aktiven, umweltfreundlichen Mobilität erfordern, dass politische Entscheidungsträger der Elektrifizierung des Fahrradverkehrs mehr Aufmerksamkeit schenken.
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